Urteil des OLG Karlsruhe vom 15.11.2006

OLG Karlsruhe: wiedereinsetzung in den vorigen stand, vergütung, historische auslegung, verkehr, pauschalierung, angemessenheit, ausnahme, unentgeltlich, wechsel, anwendungsbereich

OLG Karlsruhe Beschluß vom 15.11.2006, 11 Wx 35/06
Vergütung des auf einen ehrenamtlichen Betreuer folgenden Berufsbetreuers: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Höhe des pauschalen
Stundenansatzes
Leitsätze
Für die Höhe des Stundenansatzes des Betreuers gem. § 5 Abs. 1 und 2 VBVG ist die erstmalige Begründung des Betreuungsverhältnisses auch
dann maßgebend, wenn auf einen ehrenamtlichen Betreuer ein Berufsbetreuer folgt.
Tenor
1. Die sofortige weitere Beschwerde des Betreuers gegen den Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 14. Februar 2006 - 11 T 537/05 - wird
zurückgewiesen.
2. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 330,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1
Für die mittellose Betroffene, die in einem Seniorenheim lebt, wurde durch Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 13.4.2004 eine
Betreuung eingerichtet und die Schwägerin der Betroffenen für die Aufgabenkreise Vermögensangelegenheiten, Postempfang, Verkehr mit
Behörden und Sozialleistungsträgern, Gesundheitsfürsorge und Bestimmung des Aufenthalts zur ehrenamtlichen Betreuerin bestellt. Auf Antrag
der ehrenamtlichen Betreuerin wurde diese durch Beschluss des Vormundschaftsgerichts vom 11.8.2005 im Umfang der Aufgabenkreise
Vermögensangelegenheiten, Postempfang und Verkehr mit Behörden und Sozialleistungsträgern entlassen und statt ihrer für diese
Aufgabenkreise der Beteiligte zu 2 zum neuen Betreuer bestellt; dieser führt die Betreuung berufsmäßig.
2
Mit Schreiben vom 28.11.2005 beantragte der Beteiligte zu 2 für den Zeitraum vom 13.8.2005 bis 12.11.2005 eine Vergütung von 4,5 Stunden
pro Monat und stellte für diesen Zeitraum 594,00 EUR in Rechnung. Das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - hat unter Hinweis auf den
Umstand, dass am 13.4.2004 erstmals ein Betreuer bestellt wurde, eine Vergütung in Höhe von lediglich 264,00 EUR bewilligt. Die dagegen
gerichtete sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 2 blieb vor dem Landgericht ohne Erfolg. Mit der zugelassenen weiteren Beschwerde verfolgt
der Beteiligte zu 2 sein Ziel, in den ersten drei Monaten der von ihm ausgeübten Betreuung für viereinhalb Stunden im Monat eine Vergütung zu
erhalten, weiter.
II.
3
Das Rechtsmittel ist zulässig. Zwar hat der Beschwerdeführer die zweiwöchige Beschwerdefrist (§§ 69e Abs. 1 S. 1, 56g Abs. 5 S. 1, 22 Abs. 1
FGG) versäumt. Ihm war jedoch gem. § 22 Abs. 2 FGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. In der Sache hat das Rechtsmittel
keinen Erfolg.
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1. Nach §§ 1908i Abs. 1 S. 1, 1836 Abs. 1 S. 3 BGB richtet sich die Höhe der Vergütung eines Berufsbetreuers nach §§ 4, 5 VBVG. Danach ist der
dem Betreuer zu vergütende Zeitaufwand bei einem mittellosen Betreuten, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim hat, in den ersten
drei Monaten der Betreuung mit viereinhalb und ab dem zweiten Jahr der Betreuung mit zwei Stunden im Monat anzusetzen (§ 5 Abs. 2 S. 1
VBVG). Die angefochtene Entscheidung ist der Ansicht, der Beschwerdeführer könne für die ersten drei Monate seiner Tätigkeit lediglich zwei
Stunden im Monat in Ansatz bringen (§ 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VBVG), weil dem Betroffenen bereits am 13.4.2004 ein Betreuer bestellt worden ist.
Maßgebend für die Anwendung des pauschalen Stundenansatzes nach § 5 Abs. 1 u. 2 VBVG sei nämlich die erstmalige Bestellung eines
Betreuers, auch wenn zunächst ein ehrenamtlicher Betreuer und erst später ein Berufsbetreuer bestellt werde. Sie befindet sich damit in
Übereinstimmung mit der zu dieser Rechtsfrage ergangenen oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung (OLG Schleswig FGPrax 2006, 120; OLG
München FamRZ 2006, 647; OLG Hamm FGPrax 2006, 209; OLG Karlsruhe, 19. Zivilsenat, OLGR 2006, 667).
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2. Der Senat tritt dieser Rechtsansicht bei. Auch nach seiner Ansicht ist für die Höhe des Stundenansatzes des Betreuers gem. § 5 Abs. 1 u. 2
VBVG die erstmalige Begründung des Betreuungsverhältnisses auch dann maßgebend, wenn auf einen ehrenamtlichen Betreuer ein
Berufsbetreuer folgt.
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a) Der Gesetzeswortlaut stellt bei der Staffelung der Stundenansätze des Betreuers auf die Dauer der Betreuung als solche und nicht auf die
Dauer der Tätigkeit des einzelnen Betreuers ab. Er legt damit nahe, für die Errechnung der gestaffelten Stundenansätze auf den Beginn der
Betreuung abzustellen (OLG Schleswig a.a.O.; OLG München a.a.O.).
7
b) Mit dem durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts eingeführten Gesetz über die Vergütung von Vormündern und
Betreuern (VBVG) verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, die Ermittlung der Vergütung der Berufsbetreuer zu vereinfachen. Dieses Ziel will der
Gesetzgeber durch Einführung von „harten“ Pauschalen erreichen, die von Beginn des Betreuungsverfahrens an feststehen und vom
tatsächlichen Aufwand im konkreten Fall unabhängig sind. Deswegen enthält das Gesetz - von wenigen Sonderfällen abgesehen - keine
Ausnahmetatbestände, weil solche zu Streitigkeiten über seinen Anwendungsbereich und ggf. eine analoge Anwendung führen würden. Die
Angemessenheit der Vergütung soll sich aus einer Mischkalkulation zwischen aufwändigen und weniger aufwändigen Fällen innerhalb der
Fallgruppe ergeben; das Pauschalisierungssystem beruht auf einer vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebenen rechtstatsächlichen
Untersuchung (Begründung des Gesetzentwurfes, BT-Drucks. 15/2494, S. 31 ff.).
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c) Um den mit der Pauschalierung verfolgten Zweck der Vereinfachung und Streitvermeidung nicht zu vereiteln, sieht das Gesetz auch keine
Ausnahme für den Fall eines Betreuerwechsels vor. Der mit einem Betreuerwechsel regelmäßig verbundene erhöhte Arbeitsaufwand ist nach
Ansicht des Gesetzgebers in den Pauschalen enthalten. Maßgebend soll deshalb die erstmalige Bestellung eines Betreuers sein. Dies soll nach
der Gesetzesbegründung ausdrücklich auch dann gelten, wenn es sich hierbei um einen ehrenamtlichen Betreuer handelt und später ein
Berufsbetreuer bestellt wird (Entwurfsbegründung, BT-Drucks. 15/2494, S. 34). Teleologische wie historische Auslegung des Gesetzes ergeben
somit eindeutig, dass die erhöhten Stundenansätze des § 5 Abs. 1 u. Abs. 2 VBVG nur zu Beginn der Betreuung zu vergüten sind und bei einem
Wechsel des Betreuers – auch eines Berufsbetreuers auf einen ehrenamtlichen Betreuer – nicht erneut anfallen; ob die Annahme des
Gesetzgebers, der mit einem solchen Betreuerwechsel regelmäßig verbundene Mehraufwand werde durch die Pauschalen auskömmlich
abgedeckt, zutreffend ist, hat der Senat nicht zu entscheiden.
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d) Die Gesetzessystematik steht diesem Auslegungsergebnis nicht entgegen. Zwar regeln die §§ 4 ff. VBVG nur die Vergütung von
Berufsbetreuern. Dies hindert jedoch nicht, bei der Berechnung des Stundenansatzes auf den Beginn der Betreuung auch dann abzustellen,
wenn der erste Betreuer ehrenamtlich und damit stets unentgeltlich arbeitet (zutreffend OLG Schleswig FGPrax 2006, 120, 121; OLG München
FamRZ 2006, 647).
10 Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird gem. §§ 131 Abs. 2, 30 KostO in
Höhe der beantragten zusätzlichen Vergütung des Beschwerdeführers festgesetzt.