Urteil des OLG Karlsruhe vom 10.05.2013

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OLG Karlsruhe Beschluß vom 10.5.2013, 1 (3) SsBs 131/13; 1
(3) Ss Bs 131/13 - AK 35/13
Anforderungen an die Feststellung fahrlässigen Handelns bei § 24a StVG nach
vorausgegangenem Cannabis-Konsum
Leitsätze
Zu den Anforderungen an die Feststellung fahrlässigen Handelns bei § 24a StVG nach
vorausgegangenem Cannabis-Konsum
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts B. vom 05.
Dezember 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts B. zurückverwiesen.
Gründe
1 Mit dem angefochtenen Urteil vom 05.12.2012 hat das Amtsgericht B. den Betroffenen
wegen fahrlässigen Führens eines Fahrzeugs unter dem Einfluss berauschender Mittel zu
einer Geldbuße von 500 EUR verurteilt und - unter Anwendung der Vier-Monats-Regelung
- ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt.
2 Die hiergegen gerichtete form- und fristgerechte Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat
mit der Sachrüge (vorläufigen) Erfolg.
3 1. Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen verbrachte der Betroffene das
Wochenende vom 01. bis zum 03.06.2012 auf einem Musikfestival, wobei er in dieser Zeit
Cannabis konsumierte. Auf der Rückfahrt wurde er am 04.06.2012 um 03.40 Uhr als
Fahrer eines PKW einer Kontrolle unterzogen. Die Untersuchung einer dem Betroffenen
am 04.06.2012 um 04.14 Uhr entnommenen Blutprobe ergab 1,5 Nanogramm
Tetrahydrocannabinol (THC)/Milliliter Serum.
4 Im Rahmen der Beweiswürdigung ist das Amtsgericht zu der Überzeugung gelangt, dass
der Betroffene während des Festivalaufenthalts Cannabis konsumierte. Daraus hat es den
Schluss gezogen, dass dem Betroffenen hätte klar sein müssen, dass der Konsum von
Cannabis zu dem im Blut gemessenen THC-Wert führen würde.
5 2. Danach begegnet zwar der Schuldspruch zum objektiven Tatbestand keinen Bedenken.
Jedoch tragen die Feststellungen die Annahme, der Betroffene habe fahrlässig gehandelt,
nicht.
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a) Zum objektiven Tatbestand des § 24a Abs. 2 StVG gehört lediglich das Führen eines
Kraftfahrzeugs unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten
berauschenden Mittels - hier Cannabis - im Straßenverkehr. Eine „Wirkung“ im Sinne der
Vorschrift liegt vor, wenn eine in der Anlage genannte Substanz, wozu THC gehört, im
Blut nachgewiesen wird, und zwar in einer Konzentration, die mindestens den
analytischen Grenzwert erreicht, der nach dem Votum der Grenzwertkommission
(Blutalkohol 2007, 311) bei THC 1 ng/ml beträgt (vgl. dazu auch BVerfG NJW 2005, 349;
OLG Karlsruhe Die Justiz 2007, 242; OLG Hamm NStZ 2005, 709 und StraFo 2012, 287;
Eisenmenger NZV 2006, 24). Der Betroffene hat nach den insoweit nicht zu
beanstandenden Feststellungen des Amtsgerichts einen PKW im Straßenverkehr geführt
und hierbei mit den analytischen Grenzwert überschreitenden 1,5 ng/ml THC im Serum
unter der Wirkung von Cannabis gestanden.
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b) In subjektiver Hinsicht setzt die fahrlässige Begehung (§ 24a Abs. 3 StVG), von der das
Amtsgericht ausgegangen ist, voraus, dass der Täter die Sorgfalt, zu der er nach den
Umständen und seinen persönlichen Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, außer Acht
lässt und deshalb entweder die Tatbestandsverwirklichung nicht erkennt bzw. nicht
voraussieht - unbewusste Fahrlässigkeit - oder die Möglichkeit einer
Tatbestandsverwirklichung zwar erkennt, aber mit ihr nicht einverstanden ist und ernsthaft
darauf vertraut, diese werde nicht eintreten - bewusste Fahrlässigkeit (vgl. Göhler, OWiG,
16. Aufl. 2012, § 10 Rn. 6). Bezogen auf den Tatbestand des § 24a Abs. 2 StVG bedeutet
dies, dass dem Betroffenen nachzuweisen ist, dass er die Möglichkeit fortdauernder
Wirkung des Cannabiskonsums entweder erkannt hat oder zumindest hätte erkennen
können und müssen. Insoweit sind die amtsgerichtlichen Feststellungen jedoch
lückenhaft und erlauben deshalb keine abschließende Beurteilung.
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In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei einer nur geringen
Überschreitung des analytischen Grenzwerts und einem längeren zeitlichen Abstand von
etwa einem Tag zwischen dem Konsum des berauschenden Mittels und dem Fahrtantritt
es an der Erkennbarkeit der fortbestehenden Wirkung fehlen kann (OLG Hamm a.a.O.;
OLG Braunschweig Blutalkohol 2010, 298; OLG Frankfurt NStZ-RR 2007 und NZV 2010,
530; KG NZV 2009, 572 und VRS 118, 205; OLG Celle NZV 2009, 89; OLG Saarbrücken
NJW 2007, 309 und 1373; wohl auch OLG Stuttgart DAR 2011, 218; OLG Zweibrücken
Verkehrsrecht aktuell 2006, 194; OLG Bremen NZV 2006, 276; dagegen OLG Hamm
Blutalkohol 2011, 288; König DAR 2007, 626; NStZ 2009, 425 und in
Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 24a StVG Rn. 25b;
ähnlich OLG Jena Blutalkohol 2010, 247; OLG Zweibrücken NZV 2001, 483). In einem
solchen Fall bedarf es näherer Ausführungen dazu, aufgrund welcher Umstände sich der
Betroffene hätte bewusst machen können, dass der Cannabiskonsum noch Auswirkungen
bei Fahrtantritt haben konnte. Dies lässt sich dem angefochtenen Urteil, demzufolge die
Aufnahme des berauschenden Mittels mehr als einen Tag vor Fahrtantritt gelegen haben
kann, indes nicht entnehmen.
9 3. Da der zeitliche Abstand zwischen dem Rauschmittelkonsum und dem Fahrtantritt für
die Beurteilung des Falles von entscheidender Bedeutung sein kann, das angefochtene
Urteil aber keine Begründung dafür enthält, warum eine nähere zeitliche Eingrenzung des
Zeitpunkts, zu dem der Betroffene Cannabis konsumiert hat, unterblieben ist, hebt der
Senat das Urteil insgesamt auf, um zu ermöglichen, dass in einer neuen
Hauptverhandlung unter Heranziehung eines rechtsmedizinischen Sachverständigen
widerspruchsfreie Feststellungen getroffen werden können.
10 Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach den dazu vorliegenden
naturwissenschaftlichen Erkenntnissen THC in der Regel schon nach wenigen Stunden
soweit verstoffwechselt ist, dass der Gehalt im Serum unter der Nachweisgrenze liegt.
Etwas anderes gilt nur bei Dauerkonsumenten, bei denen sich THC im Fettgewebe
abgelagert, aus dem es bei Abstinenz wieder ausgeschieden wird (vgl. Skopp et al.,
Archiv für Kriminologie 212 (2003): 83 - 95; 228 (2011), 46 - 59; Berr/Krause/Sachs,
Drogen im Straßenverkehrsrecht, 2007, S. 122 ff., 152 ff.). Ein über der Nachweisgrenze
liegender Serumspiegel an THC deutet danach entweder - bei Gelegenheitskonsum - auf
einen zeitlich nur wenige Stunden zurückliegenden Konsum oder aber auf einen
längerdauernden Cannabiskonsum hin, was, da sich auch der medizinische Laie das
Wissen von den Auswirkungen verschaffen kann, in beiden Fällen den
Fahrlässigkeitsvorwurf rechtfertigt. Auf der Grundlage der naturwissenschaftlichen
Erkenntnisse ist der Tatrichter nach Auffassung des Senats ohne Vorliegen besonderer
Anhaltspunkte nicht gehalten, nach dem Zweifelsgrundsatz davon auszugehen, dass der
(einmalige) Konsum länger als 24 Stunden zurückliegt. Im vorliegenden Fall wird dabei
auch das widersprüchliche Einlassungsverhalten des Betroffenen zu berücksichtigen sein.