Urteil des OLG Karlsruhe vom 25.01.2006

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OLG Karlsruhe Beschluß vom 25.1.2006, 3 Ss 160/05
Fahrlässige Tötung im Straßenverkehr: Zurechnung von durch eine Geschwindigkeitsüberschreitung auf
einer Vorfahrtstraße verursachten tödlichen Unfallfolgen
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts K vom 04. April 2005 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
1
Das Amtsgericht S sprach den Angeklagten mit Urteil vom 13.09.2004 von dem mit Anklage der
Staatsanwaltschaft K vom 22.01.2004 erhobenen Vorwurf der fahrlässigen Tötung in zwei tateinheitlichen
Fällen frei. Auf die Berufung der Nebenklägerin hat das Landgericht K das amtsgerichtliche Urteil
aufgehoben und den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in zwei tateinheitlichen Fällen zu der Geldstrafe
von 120 Tagessätzen zu je 30,– Euro verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die
mit der Sachrüge begründet ist.
2
Das zulässige Rechtsmittel hat vorläufigen Erfolg.
II.
3
Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte am 29.07.2003 gegen 18:44 Uhr mit dem
PKW BMW, KN-HY 701, auf der Landesstraße von G nach R bei km 1,250 mit einer Geschwindigkeit von
mindestens 82 km/h. In diesem Bereich war die zulässige Höchstgeschwindigkeit zur Tatzeit wegen der
zuvor erfolgten Erneuerung der Fahrbahndecke durch Zeichen Nr. 274 vorübergehend auf 50 km/h
beschränkt. Die Geschwindigkeitsüberschreitung hatte für den Angeklagten vorhersehbar und vermeidbar
zur Folge, dass er nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte, als S. M. mit seinem PKW, für den Angeklagten
von rechts aus der untergeordneten Zufahrtsstraße zum Gasthof R nach links in Richtung G in die
Landesstraße einfahren wollte. Das Fahrzeug des Angeklagten prallte ungebremst und frontal in die
Fahrerseite des inzwischen rund vier Meter in die Fahrbahn eingefahrenen Autos der Unfallopfer. Hierdurch
wurde S. M. so schwer verletzt, dass er an der Unfallstelle starb. Seine Beifahrerin I. M. wurde durch die
Kollision ebenfalls schwer verletzt und verstarb am 13.08.2003 an den Unfallfolgen. Bei Einhaltung der
zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h wäre das Fahrzeug des Angeklagten mindestens drei Meter
vor der Unfallstelle zum Stehen gekommen, wenn der Angeklagte gebremst hätte, als der Wagen der
Unfallopfer – nach den Ausführungen zur Beweiswürdigung mit einer Geschwindigkeit von 13 bis 15 km/h –
etwa ein Meter in die Fahrbahn der Landesstraße eingefahren war. Zu diesem Zeitpunkt war der Angeklagte
– wie die Strafkammer im Rahmen der Beweiswürdigung mitteilt – noch etwa 29 bis 32 Meter von der
späteren Kollisionsstelle entfernt.
III.
4
Der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung in zwei tateinheitlichen Fällen hält einer rechtlichen Prüfung
nicht stand, weil auf der Grundlage der bisherigen tatrichterlichen Feststellungen die eingetretenen tödlichen
Unfallfolgen dem Angeklagten objektiv nicht zugerechnet werden können.
5
Bei fahrlässigen Erfolgsdelikten, die wie § 222 StGB die sorgfaltspflichtwidrige Herbeiführung eines
tatbestandsmäßigen Erfolgs unter Strafe stellen, ist für die Erfolgszurechnung über die kausale
Verursachung im Sinne der Äquivalenzformel hinaus erforderlich, dass sich gerade die durch die
Pflichtwidrigkeit des Täters gesetzte Gefahr im eingetretenen Erfolg verwirklicht hat und der Erfolg in den
Schutzbereich der verletzten Sorgfaltsnorm fällt (vgl. BayObLG VRS 71, 68; OLG Hamm VRS 61, 353;
60,38; BayObLG NZV 1989, 201; BGH NJW 1985, 1950, 1951; Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. vor § 13
Rdnr. 17 d; Hentschel Straßenverkehrsrecht 38. Aufl. § 3 StVO Rdnr. 65; Cramer/Sternberg-Lieben in
Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 15 Rdnr. 154 ff m. w. N.; krit. zum Schutzzweckzusammenhang Duttge
in MünchKomm StGB § 15 Rdnr. 180 ff m. w. N.). Ein Erfolg, der auf ein sorgfaltspflichtwidriges Verhalten
zurückgeführt werden kann, ist dem Täter dann nicht zurechenbar, wenn die verletzte Sorgfaltspflicht nicht
den Zweck hat, Erfolge der herbeigeführten Art zu verhindern (Cramer/Sternberg-Lieben aaO Rdnr. 157). Die
zum Unfallzeitpunkt an der Kollisionsstelle geltende Geschwindigkeitsbeschränkung war nach den
Urteilsgründen nur vorübergehend vom 25.07.2003 bis Mitte August 2003 wegen der zuvor erfolgten
Erneuerung des Fahrbahnbelages angeordnet worden und diente dazu, einer durch den neuen
Fahrbahnbelag bedingten erhöhten Rutschgefahr entgegenzuwirken. Der Schutzzweck dieser Anordnung,
der entgegen der Auffassung der Revision nicht nur den Verkehr auf der bevorrechtigten Landesstraße,
sondern auch einen möglichen Überquerungs- oder Einmündungsverkehr erfasste, beschränkte sich in
gegenständlicher Hinsicht auf die Abwendung von Gefahren, welche gerade auf die Beschaffenheit des neu
aufgebrachten Fahrbahnbelags zurückzuführen waren. Dem Einmündungsverkehr aus der untergeordneten
Zufahrtsstraße zum Gasthof R das Einfahren auf die Landesstraße zu erleichtern, war mit der Anordnung
nicht bezweckt. Die tödlichen Unfallfolgen können dem Angeklagten daher nur als schuldhaft herbeigeführter
Erfolg zugerechnet werden, wenn sich die besondere Gefahrenlage, welche gerade aus der Beschaffenheit
des neuen Fahrbahnbelags resultierte, auf das Unfallgeschehen auswirkte. Das wäre dann nicht der Fall,
wenn sich der tödliche Unfall auf einem nicht mehr neuen, normalen Fahrbahnbelag bei ansonsten
unveränderten Umständen in gleicher Weise ereignet hätte. Hierzu verhalten sich die Urteilsgründe nicht.
Die Sache bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung.
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Auf der Grundlage der bisher – allerdings ohne nähere Begründung – getroffenen Feststellung, wonach der
Angeklagte ungebremst auf das Fahrzeug der Unfallopfer auffuhr, wäre zudem zu prüfen, ob der Angeklagte
dadurch sorgfaltspflichtwidrig handelte, dass er auf das für ihn erkennbare Einfahren des Fahrzeugs der
Unfallopfer auf die Landesstraße nicht mit einer sofortigen Vollbremsung reagierte. Ob hierdurch jedenfalls
die tödlichen Unfallfolgen hätten vermieden werden können, wird gegebenenfalls tatrichterlich zu klären sein.
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Die Entscheidung ergeht einstimmig gem. § 349 Abs. 4 StPO.