Urteil des OLG Karlsruhe vom 26.03.2010

OLG Karlsruhe (letztwillige verfügung, testament, verfügung, beschwerde, nachlassgericht, heilung des verfahrensmangels, anordnung, erklärung, gesetzliche erbfolge, im bewusstsein)

OLG Karlsruhe Beschluß vom 26.3.2010, 14 Wx 30/09
Testamentsauslegung: Anordnung einer Testamentsvollstreckung auf verschlossenem Briefumschlag
bei Unwirksamkeit der sich im Umschlag befindlichen weiteren testamentarischen Verfügungen
Leitsätze
1. Bei der Feststellung, ob eine Urkunde mit Testierwillen errichtet wurde, handelt es sich um eine im wesentlichen
auf tatsächlichem Gebiet liegende Frage, die vom Tatrichter im Wege der Auslegung unter Heranziehung aller
erheblichen - auch außerhalb der Urkunde - liegenden Umstände und der allgemeinen Lebenserfahrung zu
beurteilen ist. Die getroffenen Feststellungen der Tatsacheninstanzen können in der weiteren Beschwerde nur auf
Rechtsfehler überprüft werden.
2. Entspricht die Form des Schriftstücks nicht den für Testamente üblichen Gepflogenheiten, sind an den
Nachweis des Testierwillens strenge Anforderungen zu stellen.
3. Es bestehen grundsätzlich keine rechtlichen Bedenken gegen die Annahme, daß auf einem verschlossenen
Briefumschlag befindliche handschriftliche Erklärungen, die mit der Überschrift "Testament", einer Zeitangabe und
einer Unterschrift versehen sind, nicht nur eine Bezeichnung des Umschlagsinhalts sein sollten, sondern im
Bewusstsein einer rechtlich bedeutsamen Erklärung auf den Todesfall abgegeben wurden.
4. Unwirksamkeit oder Wegfall des die Verteilung des Nachlasses regelnden Testaments führen nicht ohne
weiteres zur Gegenstandslosigkeit einer hierauf bezogenen formwirksamen testamentarischen Anordnung der
Testamentsvollstreckung. Diese kann vielmehr nur gemäß den gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten widerrufen
werden.
Tenor
1. Die weitere Beschwerde der Beteiligten 1 gegen den Beschluß des Landgerichts Konstanz vom 26.3.2009 (62 T
163/07A) wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde zu tragen und den übrigen
Beteiligten die in diesem Verfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
3. Der Geschäftswert des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf EUR 15.000.- festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Beschwerdeführerin wendet sich mit der weiteren Beschwerde gegen die Ablehnung eines von ihr
beantragten Erbscheins.
2
Am 17.8.2004 verstarb die Erblasserin A. F. in K.. Gesetzliche Erben sind die Beteiligte 1 (Schwester der
Erblasserin) und die Beteiligten 2 und 3 (Kinder der vorverstorbenen weiteren Schwester E. Be. der
Erblasserin). Die Beteiligten 4 und 5 wurden von der Erblasserin in letztwilligen Verfügungen als
Testamentsvollstrecker benannt. Der Beteiligte 6 ist der vom Nachlassgericht eingesetzte Nachlasspfleger.
3
Dem Notariat -Nachlassgericht- liegen vor :
4
a)
Aufschrift:
5
„Testament
Mai 2000
zu meiner letzten Verfügung
testamentarisch auszuführen
gemeinsam, von
Herrn W. Sch., Diplom Ing.
u. Herrn W. Bü., Steuerber.
Frau A. F., geb. B.“
6
In den von den Beteiligten 4 und 5 dem Nachlassgericht übergebenen Umschlägen befindet sich jeweils eine
(identische) einfache Fotokopie eines handschriftlichen Testaments der Erblasserin vom Mai 2000.
7
b)
handschriftlichen Testaments der Erblasserin vom Mai 1996, wobei zwei Blätter mit handschriftlichen (Original-
)Zusätzen der Erblasserin versehen sind.
8
c)
9
Mit anwaltlichem Schreiben vom 1.3.2005 beantragte die Beschwerdeführerin die Erteilung eines Erbscheins
gemäß gesetzlicher Erbfolge, der sie zu 1/2-Erbteil und die Beteiligten 2 und 3 zu je 1/4-Erbteil als Erben
ausweisen sollte. Sie ist der Auffassung, ein wirksames Testament liege nicht vor. Es sei davon auszugehen,
daß das Original-Testament von Mai 2000 von der Erblasserin vernichtet worden sei.
10 Mit Beschluß vom 18.1.2006 hat das Nachlassgericht einen Vorbescheid erlassen und angekündigt, den
gewünschten Erbschein zu erteilen, jedoch mit dem Zusatz, daß Testamentsvollstreckung angeordnet sei. Die
Ermittlungen hätten zu dem Ergebnis geführt, daß die Erblasserin zur Bestimmung ihrer Erbfolge die
Verfügungen von Mai 1996 und Mai 2000 als Verfügungen von Todes wegen errichtet und nicht widerrufen oder
bewusst vernichtet habe. Da die in den Verfügungen bestimmten Zuwendungen an Einzelpersonen und
Institutionen den Nachlass nicht ausschöpften, sei insoweit von Vermächtnissen bei gesetzlicher Erbfolge
auszugehen. Außerdem sei Testamentsvollstreckung angeordnet, wie sich schon aus dem handschriftlichen
Originalvermerk auf dem (bis dahin nur vom Beteiligten 5 vorgelegten) Umschlag ergebe.
11 Dagegen hat die Beteiligte 1/Beschwerdeführerin Beschwerde eingelegt (in den Entscheidungen des
Landgerichts ist versehentlich von einer Beschwerde der Beteiligten 1 bis 3 die Rede), der das Nachlassgericht
mit Verfügung vom 2.2.2006 nicht abgeholfen hat. Auf die Beschwerde hat das Landgericht Konstanz mit
Beschluß vom 21.7.2006 den angefochtenen Beschluß aufgehoben und die Sache an das Nachlassgericht
zurückverwiesen. Das Nachlassgericht habe sich mit der Beschwerde nicht auseinander gesetzt und die
Nichtabhilfeentscheidung trotz gegebenen Anlasses nicht begründet. Es habe Anlaß für weitere Ermittlungen
durch eine förmliche Beweisaufnahme zur Klärung der Frage bestanden, ob die Erblasserin das Original-
Testament zu den Kopien von Mai 2000 vernichtet habe.
12 Das Nachlassgericht hat sodann Beweis erhoben durch Vernehmung des Ehemannes W. T. der Beteiligten 1
(im Wege der Rechtshilfe) sowie der Beteiligten 4 und 5 und von Frau S. als Zeugen. Auf Einwendungen der
Beschwerdeführerin hin hat es die Zeugin S. zu einer schriftlichen Ergänzung veranlaßt. Mit Beschluß vom
18.9.2007 hat das Nachlassgericht den Antrag, daß der gewünschte Erbschein ohne Anordnung der
Testamentsvollstreckung zu erteilen sei, zurückgewiesen. Der Erbfolge sei das handschriftliche Testament
vom Mai 2000 zugrunde zu legen. Die Erblasserin habe dieses Testament unstreitig errichtet. Sie habe den
benannten Testamentsvollstreckern je einen Umschlag mit einer Kopie übergeben. Die Beweisaufnahme habe
über den Verbleib der Urschrift, welche die Erblasserin mit hoher Wahrscheinlichkeit bei sich behalten habe,
keine weiteren Erkenntnisse gebracht. Der Beweis für eine bewusste Vernichtung durch die Erblasserin sei
nicht erbracht worden. Es lägen Ablichtungen des Testaments mit Originalumschlag und darauf befindlicher
Urschrift der Erblasserin gleich doppelt vor. Bei dem gründlichen Vorgehen der Erblasserin (zwei Umschläge
mit gleichlautender Aufschrift) erscheine es eher unwahrscheinlich, daß sie ihren Willen geändert habe ohne
Rücknahme der beiden Umschläge oder Hinterlassung eines den Widerruf dokumentierenden anderen
handschriftlichen Schriftstücks.
13 Dagegen hat die Beschwerdeführerin Beschwerde eingelegt und geltend gemacht, das Nachlassgericht
verkenne die Formstrenge des Erbrechts, wonach für die Wirksamkeit eines Testaments grundsätzlich die
Originalurkunde vorliegen müsse und nur in eng begrenzten Ausnahmefällen eine Kopie genüge. Die
Erblasserin habe durchaus im Abstand von einigen Jahren unterschiedlich verfügt, also Abänderungswillen
gezeigt. Das Verhältnis der Erblasserin zu den Begünstigten Schu. und S. habe sich nach Errichtung des
Testaments von 2000 verschlechtert und spreche gegen einen noch vorhandenen Begünstigungswillen der
Erblasserin hinsichtlich dieser Personen. Der Original-Beschriftung des Umschlags komme nicht die vom
Nachlassgericht angenommene Bedeutung zu, da dort durch die Erklärung „zu meiner letzten Verfügung“ ein
Bezug zu dem nicht mehr vorhandenen Testament von Mai 2000 hergestellt werde, der eine isolierte Geltung
der Hilfsverfügung auf dem Umschlag ausschließe. Daß (in den Umschlägen) noch Kopien des Testaments
vorhanden seien, genüge nicht. Auch von dem Testament von 1996 existiere noch eine von der Erblasserin
verteilte Kopie.
14 Das Landgericht Konstanz hat die Beschwerde mit Beschluß vom 26.3.2009 zurückgewiesen. Wegen der
Einzelheiten, auch des Sachverhalts, wird auf den Beschluß des Landgerichts Bezug genommen.
15 Mit der dagegen gerichteten weiteren Beschwerde verfolgt die Beschwerdeführerin ihren Antrag weiter. Sie
macht ergänzend geltend, die Ergebnisse der vom Landgericht als gesetzwidrig erkannten Beweisaufnahme
hätten nicht verwertet werden dürfen. Die Formulierungen „zu meiner letzten Verfügung“ und „auszuführen“ auf
den Umschlägen zeigten den Bezug auf das Testament vom Mai 2000 und könnten nicht als isolierte
letztwillige Verfügung angesehen werden. Bei Ungültigkeit des Haupttestaments sei auch diese ergänzende
Verfügung gegenstandslos.
II.
16 Die weitere Beschwerde ist statthaft und formgerecht eingelegt (§§ 27, 29 FGG a.F.); sie ist aber unbegründet.
Das Landgericht hat die auf Erteilung des Erbscheins ohne Vermerk der Testamentsvollstreckung gerichtete
Beschwerde zu Recht zurückgewiesen.
17
1.
18 Ungeachtet der dem Nachlassgericht bei der förmlichen Beweisaufnahme unterlaufenen Verfahrensfehler
(Nichtbeachtung der Parteiöffentlichkeit nach § 357 ZPO, Vernehmung der Beteiligten 4 und 5 als Zeugen,
schriftliche Aussage der Zeugin S. ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 377 Abs. 3 ZPO) sei das
Verfahren entscheidungsreif. Die in Urschrift vorliegende eigenhändige Erklärung der Erblasserin auf den
Umschlägen stelle ein wirksames Testament mit dem Inhalt dar, daß Testamentsvollstreckung angeordnet
werde. Der erforderliche Testierwille bei Anfertigung der Erklärung sei gegeben, die formellen Voraussetzungen
eines Testaments seien erfüllt. Die Verfügung sei unabhängig von der Wirksamkeit und dem Inhalt des nur in
Kopie beigefügten Testaments vom Mai 2000 gültig; die Erblasserin habe in allen Verfügungen eine
Testamentsvollstreckung angeordnet, diese also ersichtlich immer gewollt. Anhaltspunkte dafür, daß die
Erblasserin diese Verfügung später aufgehoben habe, hätten sich in der vom Nachlassgericht durchgeführten
Beweisaufnahme nicht ergeben. Da allein über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines
Erbscheins ohne Testamentsvollstreckung zu entscheiden und dieser Antrag nicht begründet sei, bedürfe es
keiner Entscheidung über die Frage, wer Erbe geworden sei und ob und welches Testament formgültig errichtet
sei.
19
2.
20 a) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, daß eine schriftlich niedergelegte Erklärung des
Erblassers nur dann als letztwillige Verfügung gelten kann, wenn sie mit Testierwillen abgegeben worden ist,
also mit dem ernstlichen Willen des Erblassers, ein Testament zu errichten und rechtsverbindliche letztwillige
Anordnungen zu treffen. Daher muß außer Zweifel stehen, daß der Erblasser die von ihm erstellte Urkunde als
rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen oder zumindest das Bewusstsein hatte, sie könnte als
solche angesehen werden. Bei der Feststellung dieses Willens handelt es sich um eine im wesentlichen auf
tatsächlichem Gebiet liegende Frage, die vom Tatrichter im Wege der Auslegung unter Heranziehung aller
erheblichen, auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände und der allgemeinen Lebenserfahrung zu
beurteilen ist. Dabei sind, sofern die Form des Schriftstücks nicht den für Testamente üblichen
Gepflogenheiten entspricht, an den Nachweis des Testierwillens strenge Anforderungen zu stellen. Die hierzu
getroffenen Feststellungen der Tatsacheninstanzen können in der weiteren Beschwerde nur auf Rechtsfehler
überprüft werden (OLG München NJW-RR 2009, 16, 17/18; BayObLG FamRZ 2001, 1101).
21 Die Feststellung des Landgerichts, die in Urschrift vorliegende handschriftliche Erklärung der Erblasserin auf
den beiden Umschlägen sei als letztwillige Verfügung mit dem Inhalt einer Anordnung der
Testamentsvollstreckung anzusehen, begegnet keinen Bedenken. Zu Recht hat das Landgericht darauf
hingewiesen, daß schon die Überschrift „Testament“ (und „zu meiner letzten Verfügung“) dafür spricht, daß die
Erblasserin sich bei Abfassung der Erklärung bewusst war, rechtlich bedeutsame Erklärungen auf ihren
Todesfall abzugeben. Daß sie die Umschläge mit Zeitangabe („Mai 2000“) und ihrer Unterschrift versehen hat,
bestätigt, daß es ihr nicht nur um eine Bezeichnung des Inhalts der verschlossenen Umschläge ging, sondern
um die Abgabe einer rechtlichen Erklärung. Dieses Bewusstsein kommt weiter darin zum Ausdruck, daß sie
beide Umschläge sorgfältig mit exakt gleichlautenden Erklärungen versah und jedem der vorgesehenen
Testamentsvollstrecker ein Exemplar zur Verwahrung aushändigte. Daß die Erblasserin die Erklärungen als
rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen oder zumindest das Bewusstsein hatte, sie könnten als
solche angesehen werden, kann unter diesen Umständen nicht zweifelhaft sein. Die Anordnung einer
Testamentsvollstreckung durch den Erblasser ist eine letztwillige Verfügung, § 2197 Abs. 1 BGB, die
förmlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen nach § 2247 BGB liegen vor.
22 b) Nicht zu beanstanden ist auch die Auffassung des Landgerichts, daß die formwirksame Anordnung der
Testamentsvollstreckung unabhängig von der Wirksamkeit der in den Umschlägen befindlichen weiteren
testamentarischen Verfügungen Bestand hat. Allerdings macht die Beschwerdeführerin zutreffend geltend, daß
die Textstelle „zu meiner letzten Verfügung“ (von der Erblasserin ersichtlich gemeint: letztwillige Verfügung) auf
die in den Umschlägen eingelegten testamentarischen Verfügungen über die Verteilung des Nachlasses
hinweist und Bezug nimmt. Dieser Zusammenhang ergibt sich im Übrigen ohne weiteres schon aus der
Verbindung von Umschlag und Inhalt. Davon geht ersichtlich auch das Landgericht aus, wenn es Anlaß sieht,
festzustellen und zu begründen, daß und weshalb die Verfügung auf dem Umschlag auch allein, also
unabhängig von der Wirksamkeit der eingelegten weiteren Verfügungen, eine Bedeutung habe.
23 Geht man von diesem Zusammenhang aus, so würden sich die Folgen einer etwaigen -hier unterstellten-
Unwirksamkeit der nur in Fotokopie im Umschlag befindlichen Verfügungen nach § 2085 BGB beurteilen. Nach
dieser Vorschrift führt die Unwirksamkeit einer von mehreren in einem Testament enthaltenen Verfügungen nur
dann zur Gesamtunwirksamkeit aller Verfügungen, wenn anzunehmen ist, daß der Erblasser die übrigen
Verfügungen ohne die unwirksame Verfügung nicht getroffen haben würde. Die Anordnung der
Testamentsvollstreckung ist vorliegend -gegenüber den Regelungen über die Verteilung des Nachlasses- eine
Verfügung mit eigenständigem Regelungsgehalt; es liegen also mehrere Verfügungen im Sinne des § 2085
BGB vor. Das Landgericht hat erwogen, daß die Erblasserin schon im Testament von 1996 und erneut im
Testament von Mai 2000 (jetzt mit zwei Testamentsvollstreckern) Testamentsvollstreckung angeordnet habe,
was für ihren beständigen Willen spreche, die Verteilung ihres Nachlasses in die sicheren Hände eines
Testamentsvollstreckers zu geben. Auch diese Feststellung begegnet keinen Bedenken, zumal wenn
berücksichtigt wird, daß die beiden (nur in Kopie vorliegenden) Testamente von 1996 und 2000 durchaus
unterschiedliche Regelungen über die Verteilung des Nachlasses aufweisen. Eine Testamentsvollstreckung ist
auch bei Wegfall eines die Verteilung des Nachlasses regelnden Testaments nicht ohne weiteres
gegenstandslos; vielmehr kann Testamentsvollstreckung auch für gesetzliche Erbfolge angeordnet werden
(Edenhofer in: Palandt, BGB, 69. Aufl., § 2197 Rn 1) und insbesondere beim Vorhandensein mehrerer
gesetzlicher Erben sinnvoll sein (vgl § 2204 BGB).
24 c) Ist somit von einer (in Urschrift vorliegenden) formwirksamen testamentarischen Anordnung der
Testamentsvollstreckung auszugehen, so konnte dieses Testament nur durch die in §§ 2254
(Widerrufstestament), 2255 (Vernichtung, Veränderung), 2256 (Rücknahme aus amtlicher Verwahrung) und
2258 (widersprechendes neues Testament) BGB vorgesehenen Möglichkeiten widerrufen werden (Edenhofer
aaO § 2253 Rn 2). Keiner dieser Fälle ist hier gegeben. Auch nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin
käme nur ein Widerruf durch Vernichtung der Testamentsurkunde in Betracht. Vorliegend existieren die
(gleichlautenden) Verfügungen auf den beiden Umschlägen indes noch in unveränderter Form der Urschrift. Bei
dieser Sachlage müßte zum Beweis des Widerrufs der zweifelsfreie Nachweis geführt werden, daß die
Erblasserin die Urschrift zu den in den Umschlägen befindlichen testamentarischen Verfügungen -in denen die
Anordnung der Testamentsvollstreckung ebenfalls enthalten war - in Aufhebungsabsicht vernichtet hat
(Edenhofer aaO § 2255 Rn 3). Von der Führung dieses Nachweises kann hier keine Rede sein. Wie das
Landgericht zutreffend ausgeführt hat, mag sich die Erblasserin -möglicherweise im Zusammenhang mit
Verstimmung über den Beteiligten 4 und Frau S.- mit Gedanken an eine Änderung befaßt haben, sie hat aber
keine Konsequenzen gezogen. Andernfalls wäre naheliegend zu erwarten gewesen, daß sie die an die
benannten Testamentsvollstrecker übergebenen Umschläge zurückverlangt hätte. Wie die Beschwerdeführerin
selbst vorgetragen hat, hat die Erblasserin dies bei der Änderung eines früheren Testaments so auch
gehandhabt und sich „erbost gezeigt“, daß ein Umschlag geöffnet worden war. Es muß davon ausgegangen
werden, daß die Testamentsvollstrecker als Empfänger der beiden Umschläge diese auch ohne weiteres
herausgegeben hätten und dies auch der Erblasserin bewusst war. Eindeutig gegen einen Widerruf des
Testaments von Mai 2000 in der Zeit danach spricht, daß die Erblasserin den zum Testamentsvollstrecker
berufenen Herrn Bü. in der Folge „regelmäßig“ befragt hat, ob er den Umschlag noch bei sich verwahrt habe,
was schon für sich für ein Festhaltenwollen an den getroffenen Verfügungen spricht, vor allem aber, daß nach
dem Eindruck des Herrn Bü. - der bis zuletzt Kontakt zur Erblasserin hatte und im Einvernehmen mit ihr war -
das Testament von 2000 auch inhaltlich der Einstellung der Erblasserin entsprach (erhebliche Berücksichtigung
kirchlicher Institutionen, „wegen ihres Vornamens insbesondere zur heiligen Anna“).
25
3.
nötigen nicht zur Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts.
26 a) Es liegt schon fern, daß Notariat und Landgericht bei Beobachtung der aufgezeigten Verfahrensgrundsätze
zu anderen Feststellungen gelangt wären (vgl BayObLGZ 1960, 267,272). Das Landgericht hat seine
maßgeblichen Feststellungen (Auslegung der Erklärung auf den Umschlägen, Wille der Erblasserin, die
Testamentsvollstreckung auf jeden Fall und unabhängig vom Inhalt der jeweiligen Verteilungsverfügung
anzuordnen, Aufhebung der Anordnung der Testamentsvollstreckung nicht bewiesen) entscheidend auf
Auslegung, objektive Umstände und Schlussfolgerungen aus Indizien gegründet und nicht auf die Aussagen
der Zeugen. Die Erkenntnis, daß „der Erblasserin bewusst war, daß der Umschlag bei Herrn Bü. verwahrt
werden würde“, ergab sich nicht erst aus der Aussage des Beteiligten Bü, sondern schon aus dem Umstand,
daß die Erblasserin den Umschlag selber Herrn Bü. übergeben hatte. Daß sie dies vergessen haben könnte
(und dann gleichermaßen bezüglich des Beteiligten 4), erscheint angesichts der Bedeutung, welche die
Erblasserin dem Schicksal ihres Nachlasses ausweislich ihrer sorgfältigen und differenzierten Testierungen
beigemessen hat, fernliegend.
27 b) Wenn das Nachlassgericht Herrn Bü. verfahrensfehlerhaft als Zeugen vernommen hat - statt ihn als
Beteiligten anzuhören - , war dieser Mangel schon längst geheilt (§ 295 Abs. 1 ZPO entsprechend), als sich
das Landgericht dieses Fehlers angenommen hat:
28 Die anwaltlich vertretene Beteiligte zu 1. hat sich im Verfahren vor dem Nachlassgericht wie im
Beschwerderechtszug mit dem Ertrag der Beweisaufnahme durch das Notariat auseinandergesetzt, ohne auch
nur andeutungsweise einen Mangel des vom Nachlassrichter geübten Verfahrens geltend zu machen, sie hat
im Gegenteil ganz unbefangen von den „Zeugenaussagen“ im allgemeinen und der Aussage des „Zeugen Bü.“
im besonderen gesprochen. In einem Zivilprozess, in dem - entsprechend der Lage im hiesigen Verfahren -
versehentlich eine Partei als Zeuge vernommen wurde, ohne daß dies beanstandet worden wäre, wäre seit der
Entscheidung des BGH vom 7.1.1952 - LM ZPO § 295 Nr. 2 - zweifellos von einer Heilung des
Verfahrensmangels durch Rügeverzicht auszugehen. Im vorliegenden Erbscheinsverfahren kann nichts
anderes gelten (zur entsprechenden Anwendbarkeit des § 295 ZPO in echten Streitsachen der freiwilligen
Gerichtsbarkeit s. BGH, NJW-RR 2000, 1664, 1665; zur Anwendbarkeit der Bestimmung auch in
Antragssachen s. Briesemeister, in: Jansen, FGG, 3. Aufl., § 27 Rdn. 97; speziell im Erbscheinsverfahren:
OLG Hamm, OLGZ 1968, 334, 335). Die erst durch die Ausführungen des Landgerichts ausgelösten Rügen in
der Begründung der weiteren Beschwerde können an der Heilung des Mangels nichts mehr ändern.
29
4.
der Beschwerdeführerin auf Erteilung des Erbscheins ohne den Vermerk der Testamentsvollstreckung nach
den obigen Darlegungen der Antrag unbegründet und die Beschwerde zurückzuweisen war, ohne daß über die
Frage der Wirksamkeit der übrigen (in den Umschlägen befindlichen) testamentarischen Verfügungen vom Mai
2000 zu entscheiden war.
30 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 131 Abs. 1 Nr.1 KostO, 13a FGG, die Festsetzung des Geschäftswerts
entspricht dem im Beschwerdeverfahren vom Landgericht festgesetzten Geschäftswert gem. § 30 Abs. 2
KostO.