Urteil des OLG Karlsruhe vom 08.08.2007

OLG Karlsruhe (unabhängigkeit des richters, befangenheit, zpo, vorbefassung, sache, umstände, aug, verfügung, unparteilichkeit, auflage)

OLG Karlsruhe Beschluß vom 8.8.2007, 6 U 97/07
Besorgnis der Befangenheit wegen Vorbefassung des Richters im 1. Rechtszug
Leitsätze
Die Besorgnis der Befangenheit ist gegen einen Richter, der im Berufungsrechtszug mit einem Rechtsstreit
befasst ist, nicht schon deshalb begründet, weil er vor seiner Versetzung an das Berufungsgericht am Gericht des
ersten Rechtszuges mit dem Rechtsstreit befasst war, ohne an der Entscheidung mitgewirkt zu haben.
Tenor
Das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen VROLG S. wird als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
I.
1 Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Patentverletzung auf Schadensersatz in Anspruch. Im ersten Rechtszug
fand vor dem Landgericht Mannheim am 14.07.2006 eine mündliche Verhandlung vor der Zivilkammer 7 unter
dem Vorsitz von Richter S., damals Vorsitzender Richter am Landgericht, statt. In diesem Termin wurde im
Rahmen der Güteverhandlung ein Vergleich mit Widerrufsvorbehalt geschlossen. Anschließend wurden die
Anträge gestellt, die Sach- und Rechtslage erörtert und für den Fall des Widerrufs Verkündungstermin bestimmt.
Der Vergleich wurde widerrufen. Mit Verfügung vom 07.09.2006 wurde wegen Ausscheidens eines Beisitzers die
mündliche Verhandlung wiedereröffnet, der Verkündungstermin aufgehoben und angefragt, ob die Parteien mit
einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden seien. Die Verfügung wurde vom Vorsitzenden
unterzeichnet. Das Einverständnis mit dem schriftlichen Verfahren wurde zunächst nicht erklärt. Anfang Oktober
2006 schied der Vorsitzende aus der Zivilkammer 7 aus, wurde zum Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht
ernannt und übernahm den Vorsitz des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe. Der neue Vorsitzende
der Zivilkammer 7 bestimmte Termin zur mündlichen Verhandlung. Nachdem im März 2007 doch Einvernehmen
über das schriftliche Verfahren hergestellt werden konnte, entschied die Zivilkammer 7 mit Urteil vom
13.04.2007 im schriftlichen Verfahren nach dem Sach- und Streitstand vom 23.03.2007. Für die von der Klägerin
eingelegte Berufung ist der 6. Zivilsenat des Oberlandesgericht Karlsruhe zuständig. Sie hat mit Schriftsatz vom
18.07.2007 den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht S. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
Sie meint, auch wenn kein Fall der gesetzlichen Ausschließung nach § 41 Nr. 6 ZPO vorliege, ergebe sich die
Besorgnis der Befangenheit aus einer prozessrechtlich atypischen Vorbefassung. Die Beklagte hält das
Ablehnungsgesuch für unbegründet.
2 Die dienstliche Äußerung von VROLG S. wurde den Parteien zur Kenntnis gegeben.
II.
3 Das Ablehnungsgesuch ist zulässig, insbesondere rechtzeitig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
4 1. Zu Recht geht die Klägerin davon aus, dass ein Fall der §§ 41 Nr. 6, 42 Abs. 1 Alt. 1 ZPO nicht vorliegt. Das
BVerfG hat in einem Nichtannahmebeschluss, der den Amtsvorgänger von VROLG S. betraf, die
Rechtsprechung der Fachgerichtsbarkeit, wonach die Vorbefassung eines Richters mit dem streitigen Anspruch
durch Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht unter diese Norm zu fassen sei, nicht beanstandet (Beschl. v.
04.07.2001 - 1 BvR 730/01, NJW 2001, 3533). Auch im Streitfall greift § 41 Nr. 6 ZPO nicht ein, weil VROLG S.
an der Urteilsfindung im ersten Rechtszug nicht beteiligt war und damit bei dem Erlass der angefochtenen
Entscheidung nicht mitgewirkt hat.
5 2. Es ist aber auch kein Ablehnungsgrund nach § 42 Abs. 1 Alt. 2, Abs. 2 ZPO gegeben. Nach dieser
Bestimmung findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt. Eine solche ist anzunehmen, wenn
Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des Richters
aufkommen lassen. Dabei kommen nur Umstände in Betracht, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei
vernünftiger Betrachtung die Befürchtung erwecken können, der Richter stehe der Sache nicht
unvoreingenommen gegenüber. Die Tatsache, dass VROLG S. im ersten Rechtszug in dem unter I.
geschilderten Umfang tätig war, begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit. In der gerichtlichen Praxis gibt
es zahlreiche Konstellationen, in denen ein Richter eigene Entscheidungen oder Maßnahmen im weiteren
es zahlreiche Konstellationen, in denen ein Richter eigene Entscheidungen oder Maßnahmen im weiteren
Verfahren zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern hat. Zu denken ist etwa an die Schlüssigkeitsprüfung
nach Einspruch gegen ein Versäumnisurteil, die Entscheidung über Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund
nach Widerspruch gegen einem Beschlussverfügung, die Entscheidung über die Hauptsache nach Entscheidung
im Verfügungsverfahren oder die Befassung mit der Hauptsache nach Entscheidung im
Prozesskostenhilfeverfahren. Ein Richter, der in solchen Fällen seine Rechtsmeinung zum Ausdruck gebracht
hat, verliert allein hierdurch nicht seine Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit. In all diesen Fällen geht das
Gesetz vielmehr davon aus, dass er seine Meinung unter Berücksichtigung der Argumente der Parteien und
etwaiger neuerer Erkenntnisse unvoreingenommen überdenkt und bereit ist, sich gegebenenfalls von seiner
bisherigen Auffassung zu lösen. Demnach ist ein Richter nicht schon deshalb als befangen anzusehen, weil er
früher in demselben oder in einem anderen Verfahren mitgewirkt hat, in dem die gleichen Vorgänge wie im
jetzigen Verfahren eine Rolle spielen. Das Verfahrensrecht und insbesondere das Zivilprozessrecht wird von der
Auffassung getragen, dass der Richter grundsätzlich auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer
Sache herantritt, wenn er sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet hat (Niemann, in:
Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Auflage, § 42 Rn. 13; BGH NJW-RR 2003, 479, 480; OLG Düsseldorf, NJW-RR
1989, 1763; BayObLG, WuM 1999, 186; OLG Rostock, NJW-RR 1999, 1444, 1445; vgl. auch BVerfG NJW
1989, 25 zur Ablehnung von Richtern des BVerfG, Bork, in: Stein-Jonas, ZPO, 22. Auflage, § 42 Rn. 10;
Vollkommer, in Zöller, ZPO, 26. Auflage, § 42 Rn. 15). Dementsprechend wird eine Befangenheit selbst dann
verneint, wenn ein Richter nach Aufhebung seines früheren Urteils und Zurückverweisung der Sache an ihn
durch das nächsthöhere Gericht erneut mit der Angelegenheit befasst ist (OLG Karlsruhe, OLGZ 1984, 102).
Auch die Tatsache, dass ein Richter an dem Urteil mitgewirkt hat, das Gegenstand der Restitutionsklage ist,
begründet für sich allein noch nicht die Besorgnis der Befangenheit (OLG Karlsruhe, OLGZ 1975, 242). Dem
entspricht es, dass auch die Vorbefassung mit der Sache in der höheren Instanz (OLG Naumburg, MDR 1999,
824) oder in der Vorinstanz, sofern nicht ein Fall des § 41 Nr. 6 ZPO vorliegt, als solche nicht geeignet ist, die
Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen (Niemann, a.a.O. m.w.N. in Fn. 129). Aus der Entscheidung des 2.
Zivilsenats des OLG Karlsruhe vom 10.06.1992 (FamRZ 1992, 1194) ergibt sich, entgegen der insofern
missverständlichen Darstellung von Vollkommer (a.a.O., Rn. 17), nichts anderes. Zum einen ging es dort um
eine Konstellation, in der der betroffene Richter im Verfahren erster Instanz bereits ein Teilurteil gefällt hatte.
Zum anderen hat der 2. Zivilsenat damals nicht abschließend Stellung nehmen müssen, weil jedenfalls ein
anderer Gesichtspunkt das Ablehnungsgesuch rechtfertigte. Zudem hat der 2. Zivilsenat in einer später
ergangenen Entscheidung (FamRZ 1996, 556) ausgeführt, eine Vorbefassung des Richters, die nicht unter § 41
Nr. 6 ZPO falle, bilde im allgemeinen keinen Ablehnungsgrund, sofern nicht besondere Umstände hinzukämen,
die die Besorgnis der Befangenheit begründeten.
6 3. Im hier zu beurteilenden Fall hat VROLG S. im ersten Rechtszug noch keine Entscheidung getroffen, sondern
als damaliger Kammervorsitzender mit den Parteien lediglich den Sach- und Streitstand erörtert. Diese Art der
Vorbefassung genügt nach den oben dargelegten Grundsätzen nicht, um die Besorgnis der Befangenheit zu
begründen. Sonstige Umstände, die für eine fehlende Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit sprechen könnten,
sind weder von der Klägerin dargetan noch sonst ersichtlich. Damit erweist sich das Ablehnungsgesuch als
unbegründet.
7 4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht
vor.