Urteil des OLG Karlsruhe vom 01.09.2009

OLG Karlsruhe (anordnung, rechtsverletzung, daten, auskunft, internet, rechtliches gehör, abgrenzung zu, beschwerde, gesetzliche grundlage, öffentliche sicherheit)

OLG Karlsruhe Beschluß vom 1.9.2009, 6 W 47/09
Urheberrechtsverletzung im Internet: Einstweilige Anordnung zur Sicherung von Daten zum Zweck der
Auskunftserteilung; Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß
Leitsätze
1. Eine einstweilige Anordnung, mit der ausgesprochen wird, dass bis zum Abschluss des Verfahrens nach § 101
Abs. 9 UrhG zum Zwecke der Auskunftserteilung die Daten zu sichern, aus denen sich ergibt, welchen Kunden
unter welchen Anschrift bestimmte IP-Adressen zu bestimmten Zeitpunkten zugeordnet waren, kann mit der
Beschwerde angefochten werden.
2. Eine solche Anordnung findet ihre gesetzliche Grundlage in § 101 Abs. 2 und Abs. 9 UrhG i.V. mit § 96 Abs. 2
Satz 1 TKG; diese dort getroffene Regelung stößt weder auf europarechtliche noch auf verfassungsrechtliche
Bedenken.
3. Voraussetzung für den Erlass einer solchen Anordnung ist, dass das Vorliegen der Voraussetzungen für eine
Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG glaubhaft gemacht wird.
4. Eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß ist in der Regel anzunehmen, wenn eine besonders
umfangreiche Datei, etwa ein vollständiger Kinofilm, in Musikalbum oder ein Hörbuch, vor oder unmittelbar nach
ihrer Veröffentlichung in Deutschland widerrechtlich im Internet einer unbestimmten Vielzahl von Dritten zugänglich
gemacht wird.
Tenor
1. Die Beschwerde der Beteiligten gegen den Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 17.06.2009 (Az. 2 O
113/09) wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beteiligte.
3. Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: EUR 1.500,-.
Gründe
I.
1
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht auf Antrag der Antragstellerin der Beteiligten im Wege
der vorläufigen Anordnung aufgegeben, bis zum Abschluss des Verfahrens nach § 101 Abs. 9 UrhG diejenigen
Daten zum Zwecke der Auskunfterteilung an die Antragstellerin zu sichern, aus denen sich ergibt,
welchem/welchen Kunden unter welcher Anschrift die näher bezeichneten IP-Adressen zu näher bezeichneten
Zeitpunkten zugeordnet waren.
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Der entsprechende Antrag der Antragsstellerin war verbunden mit dem Antrag, die Verwendung von
Verkehrsdaten (§ 3 Nr. 30 TKG) durch die Beteiligte zur Erteilung der Auskunft über Namen und Anschrift(en)
desjenigen bzw. derjenigen Kunden für zulässig zu erklären, denen die näher bezeichneten IP-Adressen zu
näher bezeichneten Zeitpunkten zugeordnet waren. Die Antragstellerin hat vorgetragen, sie sei Inhaberin der
Rechte des Filmherstellers an dem von ihr produzierten, im April 2009 veröffentlichten Filmwerk "X". Durch
Verwendung einer geeigneten Software sei festgestellt worden, dass das Filmwerk in dem Peer-to-Peer-
Netzwerk "eDonkey2000" unter den im Antrag genannten IP-Adressen zu den genannten Zeitpunkten zum
Download angeboten worden sei. Dem habe die Antragstellerin nicht zugestimmt.
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Mit der Beschwerde beantragt die Beteiligte,
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den Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 17.06.2009 aufzuheben und den auf Erlass der
Anordnung gerichtete Antrag zurückzuweisen.
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Sie trägt vor, sie erbringe geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste, bei denen den Kunden durch
Zuweisung dynamischer (also nur temporär vergebener) IP-Adressen der Zugang zum Internet ermöglicht
werde. Auskunft über Nutzer dynamischer IP-Adressen könne nur auf der Grundlage einer Auswertung von
Verkehrsdaten erteilt werden. Diese Verkehrsdaten würden bei der Beteiligten nach §§ 96, 97, 100 TKG
maximal drei Tage lang gespeichert und dann gelöscht.
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Für eine über den genannten Zeitraum hinausgehende Speicherung, wie sie vom Landgericht angeordnet
worden sei, fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Die Anordnung stelle einen Eingriff in das
Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) und in Art. 2 und 1 GG dar. Nach dem Grundsatz des § 4 Abs. 1 BDSG und
den Regelungen des TKG müssten Verkehrsdaten unverzüglich nach Beendigung der Verbindung gelöscht
werden. Die im TKG vorgesehenen Ausnahmen rechtfertigten die angeordnete Speicherung nicht. Sie könne
aber nicht auf § 101 Abs. 9 UrhG gestützt werden. Die Vorschrift habe auf der Rechtsfolgenseite ein anderes
Objekt und eine andere Handlung (Auskunft) zum Gegenstand als die getroffene Anordnung. Die Speicherung
von Verkehrsdaten sei auch kein "Minus" im Verhältnis zur Auskunft. Auch bestehe keine Pflicht des
Providers zur Auskunft.
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Die getroffene Anordnung entspreche auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, der der Forderung nach einem
Zugriff auf die nach der sog. Vorratsdatenspeicherung (§§ 113a f. TKG) gespeicherten Daten gerade nicht
nachgekommen sei. Es gebe auch keine Lücke, die durch Rechtsfortbildung zu schließen sei. Eine solche
würde sowohl gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz als auch gegen das verfassungsrechtliche Zitiergebot
verstoßen. Die gesetzgeberische Entscheidung, keinen Zugriff auf die "Vorratsdaten" zu gewähren, dürfe nicht
durch die Anordnung der Speicherung unterlaufen werden. Eine Vorratsdatenspeicherung sei auch nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich unzulässig. Da bei Erlass der Anordnung noch
nicht sicher sei, ob es je zu einer Auskunft nach § 101 Abs. 9 UrhG komme, handele es sich der Sache nach
um eine unzulässige Vorratsdatenspeicherung.
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Zudem habe das Landgericht die Tatbestandsvoraussetzungen von § 101 Abs. 9 UrhG weder geprüft noch
festgestellt. Dies zeige sich gerade an der getroffenen Maßnahme, derer es nicht bedürfe, wenn die
Voraussetzungen vorlägen, so dass sofort die Gestattung nach der genannten Vorschrift ausgesprochen
werden könnte. Die Voraussetzungen lägen auch tatsächlich nicht vor, wie sich aus dem als Anlage B2
vorgelegten Schriftsatz vom 16.07.2009 im Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG ergebe.
II.
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Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
10 1. Die Beschwerde ist statthaft und auch sonst zulässig. Für das vorliegende Verfahren gelten auch nach dem
Inkrafttreten des FamFG die Vorschriften des FGG weiter (vgl. § 101 Abs. 9 S. 4 UrhG i.V.m. Art. 111 Abs. 1
S. 1 FGG-ReformG; OLG Frankfurt MMR 2009, 542). Einstweilige Anordnungen der Erstinstanz in FGG-
Verfahren sind mit der einfachen Beschwerde anfechtbar (vgl. OLG Köln GRUR-RR 2009, 9; Bassenge/Roth,
FGG/RPflG, 11. Aufl., § 19 Rz. 6). Die Beteiligte ist als Adressatin der sie belastenden Anordnung
beschwerdebefugt. Für das Rechtsmittel besteht auch ein Rechtsschutzinteresse. Die Beteiligte, die als
Internet-Provider im Spannungsfeld zwischen dem Schutz der Daten ihrer Kunden und gesetzlichen
Mitwirkungspflichten nach § 101 Abs. 2 UrhG steht, muss – wie vorliegend geschehen – geltend machen
können, dass eine Verpflichtung zur zeitweiligen Speicherung nicht besteht.
11 2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Die beanstandete einstweilige Anordnung ist zu Recht ergangen.
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a) Rechtsgrundlage für die mit dem angefochtenen Beschluss angeordnete Speicherpflicht für die Dauer
des Verfahrens ist § 101 Abs. 2, Abs. 9 UrhG i.V.m. § 96 Abs. 2 S. 1 TKG. Nach § 101 Abs. 2 Nr. 3 UrhG
kann bei offensichtlicher Verletzung des Urheberrechts oder eines anderen nach dem UrhG geschützten
Rechts ein Auskunftsanspruch gemäß Absatz 1 über Herkunft und Vertriebsweg der rechtsverletzenden
Vervielfältigungsstücke gegen eine Person geltend gemacht werden, die für rechtsverletzende Tätigkeiten
genutzte Dienstleistungen (hier: den von der Beteiligten als Internet-Provider ermöglichten Internet-Zugang)
erbracht hat. Für den – bei filesharing-Fällen regelmäßig gegebenen – Fall, dass diese Auskunft nur unter
Verwendung von Verkehrsdaten gemäß § 3 Nr. 30 TKG erteilt werden kann, schafft § 101 Abs. 9 UrhG
einen speziellen Erlaubnistatbestand, der neben die Erlaubnistatbestände des TKG tritt. Die dort
vorgesehene Erlaubnis bezieht sich – worauf die Beteiligte im Ansatz zutreffend hinweist – auf die
Verwendung von Verkehrsdaten zur Erteilung der Auskunft nach § 101 Abs. 2 UrhG. Soweit für diese
Verwendung erforderlich, dürfen die Verkehrsdaten aber gespeichert werden, § 96 Abs. 2 S. 1 TKG.
Gerade weil die Internetprovider durch das TKG zur unverzüglichen Löschung der Verkehrsdaten nach
Beendigung der Verbindung verpflichtet sind (§ 96 Abs. 2 S. 2 TKG) und weil die Löschung nach eigenem
Vortrag der Beteiligten tatsächlich innerhalb eines Zeitraums von drei Tagen erfolgt, der zur Durchführung
des in § 101 Abs. 9 vorgesehenen Verfahrens nicht ausreicht, erfordert die Sicherung dieses Verfahrens
den Erlass einstweiliger Anordnungen, wie sie im angefochtenen Beschluss getroffen worden sind. Dies
steht entgegen der Auffassung der Beteiligten sowohl mit den Vorschriften des TKG als auch mit
verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben im Einklang.
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aa) Jedenfalls bei der dynamischen IP-Adresse, deren Verknüpfung mit Zeitangaben und
Bestandsdaten (Name und Anschrift des Kunden) zur Erteilung der Auskunft erforderlich ist, handelt es
sich nach ganz herrschender Auffassung in der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur um
Verkehrsdaten im Sinne des § 3 Nr. 30 TKG (vgl. OLG Köln a.a.O.; OLGR Karlsruhe 2009, 411; OLG
Zweibrücken GRUR-RR 2009, 12 und 68; LG Hamburg MMR 2009, 570; LG Frankenthal CR 2008, 666;
Czychowski/Nordemann NJW 2008, 3095, 3096). Dem schließt sich der Senat an.
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bb) Nach § 96 Abs. 2 S. 1 TKG dürfen Verkehrsdaten über das Ende der Verbindung hinaus nur
verwendet werden, soweit sie zum Aufbau weiterer Verbindungen oder für die in §§ 97, 99, 100 und 101
TKG genannten (hier nicht einschlägigen) oder für die durch andere gesetzliche Vorschriften
begründeten Zwecke erforderlich sind. Im Übrigen – d.h. soweit sie nicht für die genannten Zwecke
verwendet werden – hat der Provider Verkehrsdaten nach Beendigung der Verbindung unverzüglich zu
löschen (§ 96 Abs. 2 S. 2 TKG).
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§ 96 Abs. 2 S. 1 TKG lässt also explizit eine Speicherung von Verkehrsdaten für solche Zwecke zu,
die in anderen gesetzlichen Vorschriften vorgesehen sind. Eine solcher Zweck ist die in § 101 Abs. 9
UrhG vorgesehene, dort an das Erfordernis einer richterlichen Erlaubnis geknüpfte Verwendung von
Verkehrsdaten für die Erteilung der Auskunft nach § 101 Abs. 2 UrhG. Soweit diese Auskunfterteilung
es erfordert, dürfen die benötigten Verkehrsdaten auch gespeichert werden.
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cc) Nach § 101 Abs. 9 S. 1 UrhG erfordert die Verwendung der Verkehrsdaten zur Auskunfterteilung
die vorherige richterliche Anordnung über ihre Zulässigkeit; in den weiteren Sätzen der Vorschrift wird
das dabei einzuhaltende Verfahren geregelt. Bei der Erwirkung der richterlichen Anordnung handelt es
sich nach inzwischen wohl herrschender Auffassung, der der Senat folgt, nicht um ein Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes; insbesondere ist dem in Anspruch genommenen Provider rechtliches
Gehör zu gewähren (vgl. OLG Köln a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O.). Ein solches Verfahren zum Erwirken
der richterlichen Anordnung über die Zulässigkeit vor der Auskunfterteilung braucht Zeit, zumal das
Gesetz gegen die Entscheidung des Landgerichts das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde
vorsieht (§ 101 Abs. 9 S. 6 UrhG). In dieser Zeit müssen die Verkehrsdaten, mittels derer die Auskunft
erteilt werden soll, gespeichert werden, soll das vorgesehene Verfahren nicht von vornherein scheitern.
Damit ist die Speicherung der Verkehrsdaten für die Dauer des Verfahrens zur Erreichung des von §
101 Abs. 9 UrhG verfolgten Zwecks "erforderlich" im Sinne des § 96 Abs. 2 S. 1 TKG.
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Die Auffassung der Beteiligten, es fehle an einer rechtlichen Grundlage für die Speicherung von Daten,
trifft somit nicht zu. Verfahrensrechtlich wird die Speicherung durch eine vorläufige Anordnung des
Landgerichts gesichert. Die Zulässigkeit solcher vorläufiger Anordnungen durch das Erstgericht in
FGG-Verfahren ist anerkannt (vgl. nur Bassenge/Roth, a.a.O., § 24 Rz. 13 ff.).
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dd) Richtig ist allerdings, dass § 101 Abs. 9 UrhG nicht den Zugriff auf solche Verkehrsdaten erlaubt,
die aufgrund der Verpflichtung nach § 113a TKG gespeichert worden sind (sog.
Vorratsdatenspeicherung, vgl. hierzu OLG Frankfurt a.a.O.). Das ergibt sich schon aus § 113b S. 1
TKG, wonach die Daten nur für die Übermittlung an Behörden zu Zwecken der Strafverfolgung, zur
Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und zur Erfüllung von Aufgaben des
Verfassungsschutzes, des Bundesnachrichtendienstes und des Militärischen Abschirmdienstes
verwendet werden dürfen; die Anwendung der Vorschrift wird durch die wiederholt verlängerte
einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 121, 1 und Folgeanordnungen)
weiter eingeschränkt.
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Um eine Nutzung von Daten, die im Wege der Vorratsdatenspeicherung gespeichert worden sind, geht
es vorliegend aber nicht. Der Antrag und die einstweilige Anordnung richten sich bei zutreffendem
Verständnis nur auf Verkehrsdaten, die für Zwecke der §§ 96 ff. TKG gespeichert werden; nur für
solche Daten kann die Anordnung begründet sein. Die Beteiligte macht nicht geltend, Verkehrsdaten
ausschließlich aufgrund ihrer Pflicht nach § 113a TKG zu speichern; sie trägt vielmehr selbst vor,
Verkehrsdaten für Zwecke gemäß §§ 96, 97, 100 TKG für drei Tage zu speichern.
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Deshalb trifft auch das Argument, die angeordnete Speicherung verstoße gegen den Willen des
Gesetzgebers, nicht zu. Der Gesetzgeber hat sich gegen den Zugriff auf Daten entschieden, die
ausschließlich aufgrund der Verpflichtung gemäß § 113a TKG gespeichert worden sind. Über die
Anordnung, Verkehrsdaten, die nach §§ 96 ff. TKG gespeichert worden sind, für die Dauer des
Verfahrens nicht zu löschen, besagt das nichts (so auch LG Hamburg MMR 2009, 570). Eine solche
Anordnung ist vielmehr, wie dargelegt, zur verfahrenstechnischen Umsetzung des vom Gesetzgeber
geschaffenen Systems erforderlich.
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dd) Die genannte gesetzliche Regelung stößt weder auf europarechtliche noch auf
verfassungsrechtliche Bedenken.
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Wie der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden hat, wird eine der effektiven Durchsetzung
des Urheberrechts dienende Verpflichtung zur Weitergabe personenbezogener Daten, wie sie mit dem
Auskunftsanspruch nach § 101 Abs. 2 UrhG einhergeht, durch das Gemeinschaftsrecht weder geboten
noch gehindert; die Mitgliedsstaaten haben bei der Regelung des Interessenkonflikts sowie bei der
Anwendung solcher Regelungen allerdings ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den
verschiedenen durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten sicherzustellen (vgl.
EuGH GRUR 2008, 241 – Promusicae ; EuGH, Urt. v. 19.02.2009, C-557/07). Diese Anforderungen
sind jedenfalls im Hinblick auf die streitgegenständliche Anordnung erfüllt. Die Verkehrsdaten dürfen,
wie ausgeführt, nach § 96 Abs. 2 S. 1 TKG allein zu dem Zweck gespeichert werden, die Durchführung
des in § 101 Abs. 9 UrhG vorgesehenen Verfahrens zu ermöglichen; jede andere Verwendung bleibt
unzulässig. Damit wird der Eingriff in den auch europarechtlich gewährleisteten Schutz
personenbezogener Daten so gering wie möglich gehalten. Denkbare Missbrauchsmöglichkeiten, die
sich aus der verlängerten Speicherung bis zum Abschluss des Verfahrens nach § 101 Abs. 9 UrhG
ergeben, sind zur effektiven Durchsetzung urheberrechtlicher Positionen hinzunehmen (dazu sogleich
noch einmal).
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Die Anordnung der Speicherung der Verkehrsdaten stellt einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis
nach Art. 10 Abs. 1 GG dar (vgl. BT-Drucksache 16/5048, S. 39), das gegenüber dem aus Artt. 2 Abs.
1, 1 Abs. 1 GG folgenden Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung die speziellere Norm ist
(vgl. BVerfG NJW 2009, 2431). Dieser Eingriff ist aber gerechtfertigt. Das Erfordernis einer
gesetzlichen Rechtfertigungsnorm (vgl. Art. 10 Abs. 2 S. 1 GG) ist, wie dargelegt, erfüllt; die
gesetzliche Regelung weist auch die zu fordernde Bestimmtheit auf (dazu BVerfG a.a.O.). Sie ist
ferner geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne. Dabei ist zu beachten, dass die
Regelung dem Schutz von Rechtspositionen dient, die ihrerseits über Art. 14 GG
verfassungsrechtlichen Rang haben, nämlich Rechten der Urheber sowie der Inhaber sonstiger
absoluter Rechte aus dem Urheberrecht (vgl. dazu nur Wandtke /Bullinger, UrhR, 3. Aufl., Einl. UrhG
Rz. 26 m.w.N.). Regelungsziel des Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des
geistigen Eigentums, mit dem die genannte Regelung in § 101 UrhG eingeführt wurde, war u.a., die
Durchsetzbarkeit von Urheberrechten und technischen Schutzrechten gegenüber solchen
Rechtsverletzungen zu ermöglichen, die im Schutze der weitgehenden Anonymität des Internets
begangen und vom Rechtsinhaber nach dem bisherigen Recht dementsprechend kaum wirksam
verfolgt werden konnten. Bei der Verbreitung geschützter Werke durch Teilnahme an Peer-to-peer-
Netzwerken handelt es sich nach der Kenntnis des Senats aus zahlreichen Verfahren um ein
Massenphänomen, durch das den Rechtsinhabern erhebliche Schäden entstehen (vgl. dazu
Czychowski/Nordemann a.a.O.). Ohne die Zuordnung der IP-Adresse zu einem konkreten Anschluss
bestünde keine Möglichkeit, Urheberrechtsverstößen im Internet wirksam zu begegnen. Eine
Verweigerung der Auskunft nach § 101 Abs. 9 UrhG würde den Berechtigten daher in Bezug auf die
stetig an Bedeutung gewinnende Nutzung von Werken im Internet faktisch rechtlos stellen. Aus Sicht
des Senats ist die durch geringe Eingriffsintensität gekennzeichnete Speicherung der Verkehrsdaten
(nur) für die Dauer und für den Zweck des Verfahrens nach § 101 Abs. 9 UrhG nicht nur durch das
verfolgte Ziel gerechtfertigt; die Versagung der streitgegenständlichen Anordnung würde vielmehr, da
das gesamte von § 101 Abs. 9 UrhG vorgesehene Verfahren nicht innerhalb der kurzen regulären
Speicherfristen von wenigen Tagen durchgeführt werden kann, umgekehrt zu einer
unverhältnismäßigen Beeinträchtigung der geschützten Rechtsposition des urheberrechtlich
Berechtigten und damit zu einem Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG führen.
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b) Der Erlass der einstweiligen Anordnung erfordert allerdings, dass das Vorliegen der Voraussetzungen für
eine Anordnung gemäß § 101 Abs. 9 UrhG glaubhaft gemacht ist (vgl. OLG Köln a.a.O.). Das ist hier der
Fall.
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aa) Die Antragstellerin hat ihre Aktivlegitimation als Filmherstellerin des streitgegenständlichen Werks
glaubhaft gemacht. Filmhersteller und damit Inhaber des Leistungsschutzrechts nach § 94 Abs. 1
UrhG ist derjenige, der die organisatorische und wirtschaftliche Leistung der Filmherstellung tatsächlich
erbringt (Dreier/ Schulze , UrhG, 3. Aufl., § 94 Rz. 4 m.w.N.). Das Leistungsschutzrecht des
Filmherstellers ist unabhängig von der Frage, ob der Film als Filmwerk Urheberrechtsschutz genießt
(Dreier/ Schulze a.a.O., § 94 Rz. 1). Aufgrund des in üblicher Weise auf dem Cover der Film-DVD
angebrachten Vermerks "© by I. GmbH " wird die Antragstellerin gemäß §§ 94 Abs. 4, 10 Abs. 1 UrhG
als Inhaberin der Filmherstellerrechte vermutet. Der Vermerk bezieht sich – wie es für den Verkehr
allein nahe liegt – auf den mit dem DVD-Cover beschriebenen Film (ebenso Wandtke/Bullinger/ Thum ,
a.a.O., § 10 Rz. 15) und nicht – wie die Beteiligte für möglich hält – auf das Cover selbst. Es handelt
sich bei dem mit dem genannten Vermerk versehenen Datenträger auch um ein körperliches
Werkstück, so dass der von der Beteiligten angesprochene Streit, was bei der bloßen Urhebernennung
im Rahmen der Veröffentlichung (z.B. Aufführung) eines nicht körperlich erschienen Werks gilt (dazu
Schulze a.a.O. § 10 Rz. 6; Wandtke/Bullinger/ Thum , a.a.O., § 10 Rz. 17 f.), hier keine Rolle spielt.
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Eine andere Frage ist es, ob die Vermutungswirkung nicht nur für die Verbreitung des Films auf DVD,
sondern auch für die Verbreitung im Internet gilt. Insoweit trifft die Beteiligte nach § 10 Abs. 1 UrhG die
Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast. Aufgrund des Vermerks wird die Antragstellerin als
(umfassend) Berechtigte widerleglich vermutet. Da weder vorgetragen noch ersichtlich ist, wer außer
der Antragstellerin als Berechtigter in Frage kommen soll, ist die Vermutung zugunsten der
Antragstellerin nicht erschüttert. Letztlich kommt es hierauf im vorliegenden Verfahren nicht
entscheidend an. Die Antragstellerin hat zusätzlich eine eidesstattliche Versicherung ihres
Geschäftsführers vorgelegt (Anlage Ast 1), wonach es sich bei dem Film um eine Eigenproduktion der
Antragstellerin handele, die die Herstellung inhaltlich und organisatorisch gesteuert und wirtschaftlich
verantwortet habe. Das reicht mangels gegenteiliger Anhaltspunkte für die erforderliche
Glaubhaftmachung aus.
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Die Beteiligte ist als Provider gemäß § 101 Abs. 2 Nr. 3 UrhG passiv legitimiert.
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bb) Die Antragstellerin hat ferner durch Vorlage des Gutachtens gemäß Anlage Ast 3,
Protokollausdruck gemäß Anlage Ast 4 und eidesstattliche Versicherung gemäß Anlage Ast 5
glaubhaft gemacht, dass die genannten IP-Adressen im Zusammenhang mit Rechtsverstößen in
gewerblichem Ausmaß gemäß § 101 Abs. 1 UrhG verwendet wurden.
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Inhalt und Grenzen des Merkmals der Rechtsverletzung "in gewerblichem Ausmaß" sind allerdings
umstritten. In § 101 Abs. 1 S. 2 UrhG wird das Merkmal nur dahingehend konkretisiert, dass sich das
gewerbliche Ausmaß sowohl aus der Anzahl als auch aus der Schwere der Rechtsverletzungen
ergeben kann. Bei Filesharing-Fällen, die der Gesetzgeber mit der Neuregelung u.a. erfassen wollte, ist
jedoch typischerweise die Anzahl der Downloads, die ein einzelner Nutzer vorgenommen hat, vor
Auswertung der Verkehrsdaten gerade nicht bekannt. Für die Beurteilung der Schwere der
Rechtsverletzungen kann allein die Art und der wirtschaftliche Wert des Werks, das im Wege des
Filesharings heruntergeladen wurde, herangezogen werden. Dementsprechend wird vielfach – der
Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages (BT-Drucksache 16/8783, S. 50)
folgend – eine für ein gewerbliches Ausmaß hinreichende Schwere der Rechtsverletzung
angenommen, wenn eine besonders umfangreiche Datei, etwa ein vollständiger Kinofilm oder ein
Musikalbum oder ein Hörbuch, vor oder unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung in Deutschland
widerrechtlich im Internet öffentlich zugänglich gemacht wird (so – mit Abweichungen im Detail – OLG
Köln a.a.O. sowie MMR 2009, 334; OLG Frankfurt a.a.O.; LG Frankfurt GRUR-RR 2009, 15; LG
Hamburg a.a.O.). Andere Gerichte haben diese Auslegung verworfen und in Filesharing-Fällen, wo ja
vor der Auswertung der Verkehrsdaten denknotwendig stets nur ein einzelner Download betrachtet
werden kann, die Annahme einer Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß verneint (so OLG
Zweibrücken GRUR-RR 2009, 12; Beschl. v. 02.02.2009, 3 W 195/08, zitiert nach juris; OLGR
Oldenburg 2009, 109).
30
Der Senat folgt der erstgenannten Auffassung. Nach Erwägungsgrund 14 der Enforcement-Richtlinie
(RL 2004/48/EG) zeichnen sich in gewerblichem Ausmaß vorgenommene Rechtsverletzungen dadurch
aus, dass sie zwecks Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder
kommerziellen Vorteils vorgenommen werden. Handlungen, die in gutem Glauben von
Endverbrauchern vorgenommen werden, sind hiernach in der Regel nicht erfasst. Entscheidend für das
Vorliegen einer Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß ist also, dass der Rahmen des Privaten
überschritten ist (so schon LG Hamburg a.a.O.). Entscheidend, aber auch ausreichend ist es, dass die
Rechtsverletzung ein Ausmaß aufweist, wie dies üblicherweise mit einer auf einem gewerblichen
Handeln beruhenden Rechtsverletzung verbunden ist (OLG Köln MMR 2009, 334).
31
Das ist nach Auffassung des Senats der Fall, wenn der Verletzer ein kommerziell genutztes Werk
nicht nur herunterlädt, sondern es einer unbestimmten Vielzahl von Dritten zugänglich macht. Dann
nämlich steht der Fall mit Blick auf die Nutzungsintensität und damit auf die Schwere der
Rechtsverletzung der unberechtigten Weitergabe an einen gewerblichen Zwischenhändler gleich, der
die Vervielfältigung und weitere Distribution des Werks übernimmt (vgl. OLG Köln GRUR-RR 2009, 9).
Jedenfalls im Entscheidungszeitpunkt kann der Endverbraucher angesichts der seit Jahren in der
Öffentlichkeit geführten Diskussion um Urheberrechtsverletzungen in sog. "Tauschbörsen" nicht (mehr)
im guten Glauben annehmen, zu einer derartigen Nutzung eines geschützten und kommerziell
verwerteten Werks berechtigt zu sein.
32
Entgegen der Auffassung der Beteiligten liegt in einer solchen Auslegung keine Überschreitung der
Wortlautgrenze. Das Gesetz verlangt nicht, dass die Verletzung im Rahmen einer gewerblichen
Tätigkeit geschehen ist (dies wäre im übrigen aufgrund der bloßen Kenntnis von dynamischen IP-
Adressen niemals festzustellen); es verlangt, dass die Verletzung ein gewerbliches Ausmaß hat. Was
hierfür erforderlich ist, ist unter Berücksichtigung der Gesetzgebungshistorie, insbesondere des zum
Ausdruck gekommenen Willens des Gesetzgebers, sowie nach dem systematischen und
teleologischen Regelungszusammenhang zu ermitteln. Eine Auslegung, mit der eine Vorschrift ihre
Anwendbarkeit für einen vom Gesetzgeber als Anwendungsfall betrachteten Sachverhalt vollständig
verliert, ist nach Auffassung des Senats nur dann angängig, wenn andere Auslegungsmöglichkeiten
schlechterdings ausscheiden. Das ist hier nicht der Fall. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift
zeigt vielmehr, dass der Begriff der Rechtsverletzung in "gewerblichem" Ausmaß unverändert aus der
Enforcement-Richtlinie entnommen ist und dort zur Abgrenzung zu einer Rechtsverletzung von
Endverbrauchern im guten Glauben gebraucht wird. Er muss daher nicht zwingend mit dem im
sonstigen nationalen Recht verwendeten Begriff „gewerblich“ übereinstimmen, sondern umschreibt eine
besondere, einer gewerblichen Nutzung gleichkommende Intensität der Rechtsverletzung (vgl. auch
OLG Köln MMR 2009, 334).
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Im Fall des Downloads in einem Peer-to-Peer-Netzwerk dürfte regelmäßig eine Verbreitung an eine
unbestimmte Vielzahl von Dritten gegeben sein. Denn das Herunterladen von Dateien in solchen Peer-
to-Peer-Netzwerken ist typischerweise systembedingt mit dem gleichzeitigen Zurverfügungstellen im
Netzwerk verbunden; der Nutzer trägt gerade durch seinen Download und die damit bewirkte Kopie der
Datei im freigegebenen Bereich seines Rechners dazu bei, dass andere dieselbe Datei ebenfalls
(schneller) herunterladen können.
34
Hierauf kommt es indessen im Streitfall nicht entscheidend an. Die Antragstellerin hat durch Vorlage
der genannten Anlagen glaubhaft gemacht, dass der Film in voller Länge zum Download zur Verfügung
gestellt worden ist und dass der Film erst vor kurzem (April 2009) veröffentlicht worden ist, so dass die
Verletzung in die für die Amortisation der Herstellungskosten bedeutsame erste Verkaufsphase fällt.
Eine solche Verletzung hat gewerbliches Ausmaß (vgl. OLG Köln a.a.O.).
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cc) Die Rechtsverletzung ist offensichtlich im Sinne des § 101 Abs. 2 UrhG. Das Tatbestandsmerkmal
verlangt, dass die tatsächlichen Umstände und ihre rechtliche Beurteilung so eindeutig sind, dass eine
Fehlentscheidung und damit eine ungerechtfertigte Belastung des Auskunftspflichtigen
ausgeschlossen erscheint (vgl. Dreier /Schulze, a.a.O., § 101 Rz. 28). Im Streitfall hat die
Antragstellerin durch Vorlage des Gutachtens gemäß Anlage Ast 3 und der weiteren Unterlagen
dargelegt, dass die zur Aufdeckung eingesetzte Software zuverlässig arbeitet, die Software
ordnungsgemäß in Betrieb gesetzt worden ist und zum Auffinden der in der einstweiligen Anordnung
genannten IP-Adressen zu den genannten Zeitpunkten geführt hat (vgl. OLG Köln GRUR-RR 2009, 9).
Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der ermittelten Parameter sind dem Akteninhalt nicht zu
entnehmen.
36
dd) Die Inanspruchnahme der Beteiligten ist nicht unverhältnismäßig. Die Beteiligte macht insoweit
geltend, dass Zweifel am Vorliegen einer Rechtsverletzung im gewerblichen Ausmaß zur Verneinung
der Offensichtlichkeit im Sinne des § 101 Abs. 2 UrhG wie auch der Verhältnismäßigkeit im Sinne des
§ 101 Abs. 4 UrhG führen müssten. Diese Zweifel werden vom Senat, wie ausgeführt, nicht geteilt.
Dass die Speicherpflicht einen Eingriff in die zur automatisierten Löschung eingesetzten Prozeduren
verlangt, ist der vom Gesetzgeber geschaffenen Auskunftspflicht immanent und führt nicht dazu, dass
die Inanspruchnahme "im Einzelfall" (vgl. § 101 Abs. 4 UrhG) unverhältnismäßig ist; im übrigen
besteht zum Ausgleich des Aufwands der Ersatzanspruch nach § 101 Abs. 2 S. 3 UrhG.
37 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 13a Abs. 1 S. 2 FGG. Da das Beschwerdeverfahren nur die
einstweilige Anordnung betrifft und die Verkehrsdaten für die Verfolgung von Verletzungen bezüglich ein und
desselben Werk benötigt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 15.01.2009, Az. 6 W 4/09, veröffentlicht in juris),
erschien die Festsetzung des Gegenstandswerts auf EUR 1.500,00 angemessen.