Urteil des OLG Karlsruhe vom 15.01.2002

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OLG Karlsruhe Beschluß vom 15.1.2002, 3A W 72/01
Kosten des selbständigen Beweisverfahrens: Berechnung des Erstattungsbetrages im Hauptsacheverfahren bei höherem Streitwert des
selbständigen Beweisverfahrens; Bindungswirkung einer Ausgleichsregelung im Prozeßvergleich
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Mosbach vom 21. August 2001 - 1 O 125/00
- wie folgt abgeändert:
Aufgrund des rechtswirksamen Vergleichs des Landgerichts Mosbach vom 19.06.2001 sind von den Klägern als Gesamtschuldner an die Beklagte
DM 2.669,68 nebst 4 % Zinsen seit dem 27.06.2001 an Kosten zu erstatten.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
3. Der Beschwerdewert wird auf DM 609,53 festgesetzt.
Gründe
I.
1
Dem Rechtsstreit vor dem Landgericht Mosbach über eine Werklohnforderung von DM 19.800,00 war ein selbstständiges Beweisverfahren mit
einen Gegenstandswert von DM 45.000,00 (AZ: LG Mosbach, 1 OH 1/98) vorausgegangen. Im Prozessvergleich vom 19.06.2001 vereinbarten
die Parteien in § 2:
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Die im Zusammenhang mit dem Beweisverfahren entstandenen Kosten tragen die Kläger als Gesamtschuldner zu 90 %, die Beklagte zu 10
%. Im übrigen tragen die Kläger als Gesamtschuldner 75 %, die Beklagte 25 % der Kosten des Rechtsstreits.
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Die Beklagte meldete im Kostenfestsetzungsverfahren unter anderem eine Prozess- und eine Beweisgebühr aus DM 45.000,00
(Beweisverfahren) sowie eine Verhandlungsgebühr und eine Vergleichsgebühr aus DM 19.800,00 an. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom
21.08.2001 errechnete das Landgericht Mosbach alle vier Gebühren aus dem Streitwert von DM 19.800,00 und addierte die im Rahmen des
"Beweissicherungsverfahrens" entstandenen Mehrkosten hinsichtlich Prozess- und Beweisgebühr.
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Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten, die auf § 48 BRAGO verweist und daraus den Schluss zieht, dass Prozess- und
Beweisgebühr im Umfang von 9:1 zu quoteln seien.
II.
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Die zulässige Beschwerde der Beklagten (§ 104 Abs. 3 ZPO i.V.m. §§ 11 Abs. 1, 21 Nr. 1 Rechtspflegergesetz) ist in vollem Umfang begründet.
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Nach § 37 Nr. 3 BRAGO gehört das selbstständige Beweisverfahren auch vor der Anhängigkeit der Hauptsache zum Rechtszug. Beide Verfahren
bilden gebührenrechtlich eine Einheit, soweit die Streitgegenstände identisch sind. Deshalb kann der Rechtsanwalt Prozess- und Beweisgebühr
insgesamt nur einmal fordern (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BRAGO).
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Im vorliegenden Falle ist der Gegenstandswert des selbstständigen Beweisverfahrens höher als der Streitwert der Hauptsache. In einem solchen
Falle sind die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens im Rahmen der Kostenerstattung, die einzig aufgrund der im Hauptsacheverfahren
ergangenen Kostenentscheidung erfolgt, nur quotenmäßig zu berücksichtigen (OLG Karlsruhe, 11. Zivilsenat, JurBüro 1996, 36; vgl. auch
Zöller/Herget, ZPO-Kommentar, 22. Auflage, § 91 Rdn. 13, Stichwort: "Selbstständiges Beweisverfahren"). Dies gilt auch, wenn Grundlage der
Kostenerstattung die Kostenregelung eines Prozessvergleichs ist. Ohne eindeutig ausgedrückten abweichenden Parteiwillen ist nämlich davon
auszugehen, dass die in einem gerichtlichen Vergleich erklärte Kostenübernahme nur die (notwendigen) Kosten erfasst, die dem Rechtsstreit -
und damit auch nur dem Streitgegenstand des Rechtsstreits - zuzurechnen sind.
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2. Im vorliegenden Falle haben die Parteien indessen im Prozessvergleich ausdrücklich geregelt, dass alle in Zusammenhang mit dem
selbstständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten die Kläger gesamtschuldnerisch zu 9/10 und die Beklagte zu 1/10 tragen. Hierzu sollen
insbesondere auch die aus dem im Vergleich zur Hauptsache höheren Streitwert des selbstständigen Beweisverfahrens herrührenden
Anwaltsgebühren zählen, wie die Beklagte im Beschwerdeverfahren unwidersprochen ausdrücklich betont. Dies rechtfertigt es, die Kosten des
selbstständigen Beweisverfahrens in voller Höhe im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen. Damit wird entsprechend dem Willen der
Parteien ein Erkenntnisverfahren um den Teil der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens, der dem Rechtsstreit aufgrund der fehlenden
Streitwertidentität nicht zuzurechnen ist, vermieden.
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So ist in der Rechtsprechung auch anerkannt (siehe etwa: OLG Karlsruhe, 13. Zivilsenat, MDR 1988, 1063; OLG Köln, Rechtspfleger 2000, 208;
Hanseatisches OLG Hamburg, MDR 1997, 202; OLG Bamberg, JurBüro 1987, Spalte 1705; Kammergericht, MDR 1988, 1063), dass die Kosten
eines außergerichtlichen Vergleichs - auch wenn sie keine Kosten des Rechtsstreits sind - dann ausnahmsweise der Kostenerstattung nach den
§§ 103 ff. ZPO i.V.m. § 91 a ZPO unterliegen, wenn der Wille der Parteien dahin ging, dass auch diese Vergleichskosten als Kosten des
Rechtsstreits behandelt werden sollen. Es wird insoweit darauf hingewiesen, dass für den Umfang der Kostenerstattung die Parteivereinbarung
maßgebend ist (Belz in Münchener Kommentar zur ZPO, 2. Auflage, § 103 Rdn. 44; siehe auch Zöller-Herget, ZPO-Kommentar, 22. Auflage, §§
103, 104 Rdn. 21, Stichwort "Prozessvergleich").
10 Nach alledem erscheint die Berücksichtigung der nicht dem Rechtsstreit zuzurechnenden Kosten des selbständigen Beweisverfahrens
zumindest dann dem Willen der Parteien entsprechend geboten, wenn der Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens mit dem
Gegenstand des Hauptsacheverfahrens teilidentisch ist.
11 3. Für die Festsetzung selbst sind die im selbstständigen Beweisverfahren und im Hauptsacheverfahren entstandenen Gebühren grundsätzlich
aufeinander anzurechnen, da das selbstständige Beweisverfahren zum Hauptsacheverfahren gehört (§ 37 Nr. 3 BRAGO).
12 a) Maßgeblich ist dabei, wo und wann der Rechtsanwalt die jeweilige Gebühr verdient. Wird das selbstständige Beweisverfahren - wie hier - vor
bzw. außerhalb eines Streitverfahrens beantragt, so erhält der Rechtsanwalt im nachfolgenden Hauptverfahren die in § 31 BRAGO bestimmten
Gebühren nicht mehr, soweit er sie im selbstständigen Beweisverfahren bereits verdient hat (OLG Koblenz, JurBüro 1994, 672; Riedel/Sußbauer,
Kommentar zur BRAGO, 7. Auflage, § 48 Rdn. 10). Daraus folgt, dass die Kostengrundentscheidung in § 2 des Vergleichs Prozess- und
Beweisgebühr zu 90 % den Klägern und 10 % der Beklagten auferlegt, weil beide Gebühren bereits im selbstständigen Beweisverfahren
verdient worden sind.
13 b) Haben die Prozessbevollmächtigten somit Prozess- und Beweisgebühr im selbstständigen Beweisverfahren und Verhandlungs- sowie
Vergleichsgebühr im Hauptsacheverfahren verdient, so ist der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21.08.2001 abzuändern; der
Kostenausgleich bezüglich der außergerichtlichen Kosten ist neu zu errechnen.
14 - Im Hauptsacheverfahren sind auf Klägerseite DM 2.057,00 (Verhandlungs-, Vergleichsgebühr, Pauschale, sowie Fahrtkosten und
Verdienstausfall), auf Beklagtenseite DM 2.406,00 (Verhandlungs-, Erhöhungs- und Vergleichsgebühr sowie Pauschale) zu berücksichtigen.
Entsprechend der Kostengrundentscheidung haben die Kläger von den Gesamtkosten in Höhe von DM 4.463,00 75 %, also DM 3.347,25 und
die Beklagte DM 1.115,75 zu tragen. Daraus errechnet sich ein Ausgleichsbetrag von DM 1.290,25 zu Gunsten der Beklagten. Unter
Berücksichtigung des - unveränderten - Kostenausgleichsbetrages hinsichtlich der Gerichtskosten errechnet sich somit zu dem
Hauptsacheverfahren zu Gunsten des Beklagten ein Kostenausgleichsbetrag von DM 742,78.
15 - Im selbstständigen Beweisverfahren sind auf jeder Parteiseite Prozessgebühr und Beweisgebühr, sowie auf Klägerseite eine Erhöhungsgebühr
zu berücksichtigen, insgesamt DM 5.783,50. Davon tragen die Kläger 90 %, also DM 5.205,15, und die Beklagte DM 578,35. Es errechnet sich
ein Kostenausgleichsbetrag im selbstständigen Beweisverfahren unter Berücksichtigung des - unveränderten - Gerichtskostenausgleichs von
DM 1.926,90 zu Gunsten der Beklagten.
16 - Insgesamt haben die Kläger gesamtschuldnerisch somit DM 2.669,68 der Beklagten an Kosten zu erstatten.
17 4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 91 Abs. 1 ZPO. Der Beschwerdewert ergibt sich aus der
Differenz zwischen dem in erster Instanz festgesetzten Kostenausgleich und dem Ziel der sofortigen Beschwerde, welches der Entscheidung im
Beschwerdeverfahren entspricht. Der Streitwert war gemäß § 73 GKG in "DM" festzusetzen.