Urteil des OLG Karlsruhe vom 28.10.2013

OLG Karlsruhe: einstellung des verfahrens, anerkennung, freispruch, überprüfung, beweisverwertungsverbot, form, einspruch, rüge, strafbefehl

OLG Karlsruhe Beschluß vom 28.10.2013, 2 (6) Ss 417/13 -
AK 109/13
Leitsätze
Ein rechtsfehlerhaft ergangenes Prozessurteil des Amtsgerichts berechtigt das Berufungsgericht
nicht zur Zurückverweisung an das Amtsgericht, wenn dieses zur Sache verhandelt hat. In
diesem Fall bleibt es bei der Regel des § 328 Abs. 1 StPO, dass das Berufungsgericht in der
Sache selbst zu erkennen hat.
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts H. vom 13. Juni 2013
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts H. zurückverwiesen.
Gründe
I.
1 Im Strafbefehl des Amtsgerichts S. vom 15.02.2012 wurden dem Angeklagten 2
tatmehrheitlich begangene Fälle des vorsätzlichen Bankrotts vorgeworfen. Nachdem er
dagegen Einspruch eingelegt hatte, fand am 28.08.2012 die Hauptverhandlung vor dem
Amtsgericht S. statt, die nach Verhandlung zur Sache mit der Einstellung des Verfahrens
durch Urteil nach § 260 Abs. 3 StPO endete.
2 Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hob das Landgericht H. mit der angefochtenen
Entscheidung vom 13.06.2013 das Urteil des Amtsgerichts S. auf und verwies die Sache
zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurück. Die hiergegen
gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die unterbliebene Sachentscheidung des
Landgerichts und die Zurückverweisung an das Amtsgericht beanstandet, führt zur
Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
II.
3 Die Revision ist zulässig. Das angefochtene Urteil beschwert den Angeklagten. Die
Beschwer liegt zum einen darin, dass das Berufungsgericht nicht die dem Angeklagten
günstigste, von ihm erstrebte Sachentscheidung erlassen, sondern die Sache
zurückverwiesen und durch die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zu seinem
möglichen Nachteil in die bereits erlangte Rechtsposition eingegriffen hat (vgl. BGH NJW
1975, 1236; Senat NStZ-RR 2005, 208; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 379;
Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 24.09.2008 -1 Ss 67/08 - in juris).
Eine Beschwer des Angeklagten ist zum anderen darin zu sehen, dass eine gesetzlich nicht
vorgesehene Verweisung seinen Anspruch auf den gesetzlichen Richter verletzt (Senat
a.a.O.; Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O.). Die Rüge der Verletzung des § 328
Abs. 1 StPO genügt der Form des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Die für die revisionsgerichtliche
Überprüfung erforderlichen Verfahrenstatsachen, hier insbesondere der Verlauf der
erstinstanzlichen Verhandlung, wurden in ausreichendem Maß vorgetragen.
4 Die Revision des Angeklagten ist auch begründet. Die Entscheidung des Landgerichts, die
Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen,
ist rechtsfehlerhaft.
5 Nach § 328 Abs. 1 StPO hat das Berufungsgericht grundsätzlich in der Sache zu
entscheiden. Die nach § 328 Abs. 2 StPO a. F. bestehende Befugnis des
Berufungsgerichts, vor allem bei schweren Verfahrensfehlern ein Verfahren an das Gericht
des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen, wurde durch das
Strafverfahrensänderungsgesetzes 1987 im Interesse der Verfahrensbeschleunigung
beseitigt. Der Gesetzgeber war der Auffassung, dass Verfahrensfehler im amtsgerichtlichen
Verfahren bei einer die Hauptverhandlung wiederholenden und ihre Entscheidung allein
auf deren Grundlage treffenden Berufungsentscheidung für das Ergebnis des
Berufungsverfahrens bedeutungslos sind und daher im Berufungsverfahren in jedem Falle
in der Sache selbst entschieden werden könne (BT-DRs 10/1313 S. 31).
6 Über die - hier nicht einschlägige - Verweisungsverpflichtung des § 328 Abs. 2 StPO n. F.
hinaus sind in der Rechtsprechung allerdings weiterhin Fallgestaltungen anerkannt, in
denen eine Aufhebung des Urteils und eine Zurückverweisung an das Amtsgericht zu
erfolgen hat, so beispielsweise bei einer nicht berechtigten Verfahrenseinstellung wegen
eines Verfahrenshindernisses (OLG Stuttgart NStZ 1995, 301; OLG Koblenz NStZ 1990,
296; OLG Hamm NStZ 2010, 295) oder bei zu Unrecht erfolgter Verwerfung eines
Einspruchs nach § 412 StPO unter fälschlicher Annahme eines unberechtigten Ausbleibens
des Angeklagten (BGH NJW 1989, 1869; Senat a.a.O.), wobei als Voraussetzung für eine
Zurückverweisung angesehen wird, dass eine Verhandlung über den Anklagevorwurf und
eine Entscheidung zur Sache in erster Instanz noch nicht stattfanden. Die Anerkennung
einer Zurückverweisungsverpflichtung beruht im wesentlichen auf der Erwägung, dass dem
Angeklagten in allen amtsgerichtlichen Verfahren zwei Tatsacheninstanzen eröffnet sein
müssen und die kleine Strafkammer - wenn sie die Sache nicht zurückverwiese, obwohl
das Amtsgericht nicht zur Sache verhandelt hat - entgegen der gesetzlichen Bestimmung
des § 76 Abs. 1 S. 1 GVG, die ihr nur Berufungsverhandlungen zuweist, im Ergebnis eine
erstinstanzliche Verhandlung durchführen müsste (vgl. BGH a.a.O.; OLG Koblenz a.a.O.;
OLG Stuttgart NStZ a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.)
7 Diese Überlegungen greifen hier jedoch nicht. Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht
eine vollständige Hauptverhandlung zur Sache, insbesondere eine Beweisaufnahme über
den Anklagevorwurf durchgeführt. In dieser Situation ist die kleine Strafkammer nicht
gehindert, ihrer gesetzlichen Aufgabenzuweisung entsprechend als zweite
Tatsacheninstanz zu agieren. Der Rechtsfehler liegt hier nur darin, dass das Amtsgericht,
anstatt den aus seiner Sicht konsequenten Freispruch auszusprechen, das erstinstanzliche
Verfahren durch Einstellungsurteil nach § 260 Abs. 3 StPO beendet hat, obwohl die
Vorschrift des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO lediglich ein - wenn auch mit Fernwirkung
ausgestattetes - Beweisverwertungsverbot (MK-Stephan, Insolvenzordnung, 3.Aufl., § 97
Rn. 17) enthält, das weder im Sinne eines Befassungs- noch eines Bestrafungsverbots (vgl.
hierzu nur Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., Einl. 143f. m.w.N.) ein Verfahrenshindernis
begründen kann. Da dieser Rechtsfehler sich auf die nach erneuter Tatsachenverhandlung
zu treffende eigene Sachentscheidung des Berufungsgerichts nicht auswirken kann, die
Verfahrenslage vielmehr derjenigen entspricht, die der Gesetzgeber bei der Beseitigung der
Zurückverweisungsmöglichkeit des § 328 Abs. 2 StPO a. F. im Blick hatte, besteht kein
Anlass für eine Zurückverweisung an das Amtsgericht.
8 Das Urteil des Landgerichts war daher aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung zurückzuverweisen (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO).