Urteil des OLG Karlsruhe vom 17.04.2014

OLG Karlsruhe: aktiengesellschaft, enteignung, liquidation, weltkrieg, rechtsform, spaltungstheorie, gesellschaftsrecht, republik, staat, zukunft

OLG Karlsruhe Beschluß vom 17.4.2014, 11 AR 2/14
Leitsätze
Zur Bestimmung des zuständigen Gerichts für die Bestellung von Notorganen für eine sog. Rest-
bzw. Spaltgesellschaft einer nach 1945 in Polen enteigneten Aktiengesellschaft.
Tenor
Als zuständiges Gericht für die Bestellung eines Notvorstandes der Zuckerfabrik M. AG
hinsichtlich ihres im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland belegenen Vermögens wird das
Amtsgericht Mannheim - Registergericht -
bestimmt.
Gründe
I.
1 Die Antragstellerin, die S. AG M. mit Sitz in Mannheim, hat beim Amtsgericht Mannheim -
Registergericht - Antrag auf gerichtliche Bestellung eines Notvorstands gemäß § 85 Abs. 1
AktG für die Restgesellschaft Zuckerfabrik M. AG gestellt. Die S. Zucker AG, deren
Rechtsnachfolgerin die Antragstellerin ist, sei Aktionärin der schlesischen Zuckerfabrik M.
AG gewesen und habe dort rd. 93,6 % der Aktien gehalten. Die Zuckerfabrik M. AG sei
nach dem zweiten Weltkrieg und der Gründung der Volksrepublik Polen nach polnischem
Recht enteignet und liquidiert worden und bestehe heute rechtlich nicht mehr. Sie habe
vor ihrer Enteignung und Liquidation über Vermögenswerte in Deutschland verfügt,
nämlich Aktien der P.-Werke A.G. in Hamburg. Die P.-Werke seien zwischenzeitlich in der
B. AG (heute: B. S.E.) aufgegangen, die B.-Aktien seien an die Stelle der P.-Aktien
getreten. Das Vermögen der liquidierten Zuckerfabrik stelle eine sog. Restgesellschaft dar.
2 Das Amtsgericht Mannheim hat mit Beschluss vom 21.01.1954 (2 FR VIII 2741/54) für die
Zuckerfabrik M. AG in M./Schlesien Abwesenheitspflegschaft angeordnet mit dem
Wirkungskreis der Wahrnehmung der Aktienrechte des Pfleglings an den P.-Werken AG in
Hamburg. Zuletzt ist der Leiter der Rechtsabteilung der S. AG M. als Abwesenheitspfleger
bestellt gewesen.
3 Das Betreuungsgericht Mannheim hat mit Beschluss vom 09.02.2010 die
Abwesenheitspflegschaft wegen Wegfalls der Gesetzesgrundlage aufgehoben, da durch
Art. 48 des Ersten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht in Zuständigkeit des
Bundesministeriums der Justiz vom 19.04.2006 (BGBl I S. 866) u.a. § 10 des Gesetzes zur
Ergänzung von Zuständigkeiten auf den Gebieten des bürgerlichen Rechts, des
Handelsrechts und des Strafrechts (Zuständigkeitsergänzungsgesetz) vom 07.08.1952
(BGBl I S. 407) aufgehoben worden ist. Der ehemalige Abwesenheitspfleger hat dem
Amtsgericht Mannheim - Betreuungsgericht - mit Schreiben vom 22.11.2010 mitgeteilt,
dass die Vermögenswerte der Zuckerfabriken verkauft worden seien, um die Hinterlegung
durch Umwandlung des Vermögens in Geldbeträge zu ermöglichen und hat dann die
Vermögenswerte bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Mannheim hinterlegt.
4 Die Antragstellerin hat vorgetragen, es bestehe ein Bedürfnis einer gerichtlichen
Bestellung eines Notvorstands gemäß § 85 Abs. 1 AktG. Die Verteilung des in der
Restgesellschaft verhafteten Vermögens an die Aktionäre erfordere eine rechtmäßige
Liquidation der Aktiengesellschaft, hierzu bedürfe es eines Auflösungsbeschlusses der
Hauptversammlung der Restgesellschaft, dies setze die wirksame Einberufung der
entsprechenden Hauptversammlung voraus. Die Hauptversammlung könne nur durch den
Vorstand oder in Ausnahmefällen durch den Aufsichtsrat einberufen werden, beide
Gesellschaftsorgane seien in der antragsgegenständlichen Restgesellschaft nicht
vorhanden. Damit fehle hier jegliches Vorstandsmitglied i.S.v. § 85 Abs. 1 AktG. Die
erforderliche Dringlichkeit i.S. dieser Regelung ergebe sich bereits dadurch, dass die
Handlungsfähigkeit der Restgesellschaft nur durch die gerichtliche Bestellung eines
Notvorstands wieder hergestellt werden könne. Die S. AG M. habe als Mehrheitsaktionärin
der Restgesellschaft ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse an der
Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit.
5 Örtlich zuständig für diesen Antrag sei das Amtsgericht Mannheim, denn maßgeblich sei
der geplante Verwaltungssitz, der im Bezirk des Amtsgerichts Mannheim liege.
6 Mit Verfügung vom 24.02.2014 hat das Amtsgericht Mannheim dem Oberlandesgericht
Karlsruhe die Akten mit der Bitte um Bestimmung des zuständigen Gerichts übersandt.
II.
7 1. Das Oberlandesgericht Karlsruhe ist zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen.
8 Nach dem Vortrag der Antragstellerin, der auch in den beigezogenen Pflegschaftsakten
des Amtsgerichts Mannheim nicht belegt ist, ist die Zuckerfabrik M. AG, die wohl 1883 im
damals zu Preußen und dem Deutschen Reich gehörenden M. gegründet worden ist, das
heute auf dem Gebiet der Republik Polen liegt (Z.), nach dem zweiten Weltkrieg enteignet
und liquidiert worden. Sie verfüge über Vermögenswerte in Deutschland, ursprünglich
Aktien der P.-Werke.
9 Durch die Enteignung bei Vorhandensein von Vermögenswerten in Deutschland dürfte
unter Berücksichtigung des Territorialitätsprinzips und der Spaltungstheorie unter
Beibehaltung ihrer Rechtsform für das „Auslandsvermögen“, also das Vermögen in der
Bundesrepublik Deutschland, eine Rest- oder Spaltgesellschaft als fortbestehend gelten.
Da hier nicht nur die Mitgliedschaftsrechte enteignet worden sein sollen, sondern die alte
Gesellschaft vernichtet worden sein soll, handelt es sich wohl um eine Restgesellschaft
(vgl. Kindler in MünchKomm-BGB, Int. Handels- und Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., 2010
Rdnr. 1023 ff.; Großfeld in Staudinger, BGB, IntGesR 1998 Rdnr. 837 ff.; BGH NJW-RR
2007, 1182 ff.; WM 1983, 150 f.; WM 1991, 1880 ff.; vgl. entsprechend zu den Folgen der
Löschung einer englischen Limited mit Vermögen in Deutschland Thüringer OLG ZIP
2007, 1709). Obwohl die Frage nach dem Gesellschaftsstatut für das hier belegene
enteignungsfreie Vermögen in der Literatur umstritten ist (vgl. Kindler a.a.O. Rdnr. 10 ff.;
Krömker/Otte, BB 2008, 1964 ff.; Großfeld a.a.O. Rdnr. 911), dürfte, wie in der
ursprünglichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Gesellschaften, die vormals
deutschem Recht unterlagen, auch hier deutsches Recht Anwendung finden, zumal die
AG ursprünglich nach deutschem Recht gegründet worden sein dürfte.
10 Dies kann in letzter Konsequenz hier offen bleiben, da für das Verfahren der
Zuständigkeitsbestimmung Zulässigkeit und Aussichten des beabsichtigten Verfahrens
nicht zu prüfen sind. Nur wenn offensichtlich wäre, dass die beabsichtigten Anträge unter
keinem rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben könnten, wäre eine
Gerichtsstandsbestimmung ausgeschlossen. Der Antrag auf Bestellung eines
Notvorstands erscheint hier aber nicht aussichtslos.
11 Damit eine Restgesellschaft eine Hauptversammlung einberufen kann, muss zunächst ein
zuständiges Gericht für die Bestellung eines Notvorstands gemäß § 85 AktG bestimmt
werden. Nach h.M. hat die Restgesellschaft nämlich keinen Satzungssitz im enteignenden
Staat und es entsteht auch nicht automatisch ein neuer Satzungssitz im Inland, so dass §
14 AktG leer läuft (vgl. Großfeld a.a.O., Rdnr. 851 ff.). Da das
Zuständigkeitsergänzungsgesetz vom 07.08.1952 auch in seinem § 15 aufgehoben
worden ist, fehlt es insoweit an einer gesetzlichen Zuständigkeitsbestimmung, so dass die
Frage einer entsprechenden Anwendung dieser Regelung sich nicht mehr stellt. Für
diesen Fall hat der Bundesgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung bei Streit oder
Ungewissheit auf die entsprechende Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 2 FGG
zurückgegriffen (vgl. Sternal in Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 5 Rdnr. 7; BGH
WM 1983, 150 f.; IPRspr. 1986, Nr. 206, 482; WM 2007,859 f.). Nach dem nunmehr für das
im Dezember 2013 anhängig gewordene Verfahren geltenden Gesetz über das Verfahren
in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist § 5 Abs.
1 Nr. 1 FamFG entsprechend anzuwenden mit der Folge, dass hier das Oberlandesgericht
zur Gerichtsstandsbestimmung berufen ist (vgl. Sternal in Keidel, FamFG, 18. Aufl., § 5
Rdnr. 5).
12 2. Eines Antrags für die Einleitung des Bestimmungsverfahrens bedarf es nicht. Für die
Einleitung genügt das Anrufen durch ein Gericht, das die Zuständigkeit für ungewiss
erachtet. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Bestimmungsentscheidung hat
durch den Senat zu erfolgen (vgl. Sternal, a.a.O., Rdnr. 42).
13 3. Für die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts können verschiedene Kriterien
wie die Belegenheit des Hauptvermögens, der effektive Sitz der Notverwaltung (vgl.
Großfeld a.a.O., Rdnr. 872; Krömker/Otte, a.a.O., S. 965; BGH WM 1985, 126 f.; WM 1983,
150 f.; WM 2007, 859 f.) oder - unter Heranziehung des Rechtsgedankens von § 15
Zuständigkeitsergänzungsgesetz - der geplante Sitz der Verwaltungsführung
herangezogen werden. Da die Hauptaktionärin als Antragstellerin ihren Sitz in Mannheim
hat, bisher die Abwesenheitspflegschaft durch das Amtsgericht Mannheim betreut worden
ist, die B.-Aktien mittlerweile verkauft worden sind und die Verwaltung in Zukunft von
Mannheim aus erfolgen soll, erscheint es zweckmäßig, hier als zuständiges Gericht das
Registergericht Mannheim zu bestimmen (vgl. BGH, Beschluss vom 10.03.1986, II ARZ
1/86, Juris).