Urteil des OLG Karlsruhe vom 21.10.2003

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OLG Karlsruhe Urteil vom 21.10.2003, 17 U 24/03
VOB-Vertrag: Fertigstellungs- und Gewährleistungsbürgschaft; Teilleistung bei Bauvertrag über mehrere Objekte
Tatbestand
1
2 (Übernommen aus OLGR Karlsruhe)
Sachverhalt:
3 Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
4 Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Gewährleistungsbürgschaft geltend.
5 Der Kläger erwarb von der Q.-GmbH durch notariellen Vertrag vom 8.10.1998 mehrere bebaute Grundstücke in P., bestehend aus 11
Mietshäusern mit 84 Wohnungen, zu einem Kaufpreis von 21.700.000 DM. Die auf den Grundstücken befindlichen Mietshäuser sollte die Q.-
GmbH nach der dem notariellen Vertrag beiliegenden Baubeschreibung umfassend sanieren. Die Zahlung des Kaufpreises sollte Zug-um-Zug
gegen Übergabe einer Bürgschaft gem. der Makler- und Bauträgerverordnung erfolgen. Nach § 5 Abs. 3 des notariellen Vertrages verpflichtete
sich der Kläger, diese Bürgschaft an die Q.-GmbH zurückzugeben, Zug-um-Zug gegen Aushändigung einer Fertigstellungsbürgschaft i.H.v.
250.000 DM sowie einer Gewährleistungsbürgschaft gem. § 10 Abs. 7 des Vertrages, sobald der Notar u.a. schriftlich mitgeteilt hat, dass die
Bezugsfertigkeit des Kaufgegenstandes gegeben ist, die Fassade fertig gestellt ist und der Gebrauchsabnahmeschein der zuständigen
Baubehörde vorliegt. Hinsichtlich der Gewährleistung vereinbarten der Kläger und die Q.-GmbH, dass zur Absicherung der
Gewährleistungsansprüche der Kläger eine Gewährleistungsbürgschaft i.H.v. 5 % des beurkundeten Kaufpreises erhält, die Zug-um-Zug gegen
Rückgabe der Bürgschaft gem. § 7 der Makler- und Bauträgerverordnung ausgehändigt wird und von der Beklagten auszustellen ist. Zur
Bezugsfertigkeit wurde in § 9 Abs. 2 des Vertrages festgehalten, dass sie gegeben ist, wenn die Bauleistungen nach der Baubeschreibung im
Wesentlichen abgeschlossen sind, der Bezug der Wohnung zumutbar und ein gefahrloser Zugang zu den Wohnungen gewährleistet ist.
Ausstehende Restarbeiten am Gebäude sowie die fehlende Fertigstellung der Außenanlagen sollten der Bezugsfertigkeit nicht entgegenstehen.
Nach Durchführung der Sanierungsarbeiten erfolgte am 5.11.1999 die Abnahme. Vertragsgemäß wurde daraufhin die gestellte Bürgschaft nach
der Makler- und Bauträgerverordnung zurückgegeben und von der Beklagten am 8.11.1999 die Gewährleistungsbürgschaft und die
Fertigstellungsbürgschaft ausgestellt. Die Fertigstellungsbürgschaft ist zwischenzeitlich zurückgegeben worden. Bei der Abnahme der Bauwerke
wurden verschiedene Mängelvorbehalte gemacht. Im Auftrag der Q.-GmbH erstellte das Ingenieurbüro F. aus B. einen Bericht über den Stand der
Restfertigstellung und Mängelbeseitigung. Aufgrund dieses Berichts hat der Kläger eine Zahlung i.H.v. 141.492,75 DM erhalten. Von dieser
Zahlung nicht erfasst sind die in dem Bericht erwähnte Herstellung der Gewerbeeinheiten mit netto 50.000 DM und die Fertigstellung der
Wohnung F. mit netto 52.586,20 DM.
6 Zur vollständigen Modernisierung der Gebäude sind noch Malerarbeiten über 197.128,17 DM sowie Arbeiten an den Fußböden diverser
Wohnungen mit 75.301,74 DM erforderlich. Weiterhin hat der Kläger zur Herstellung einer der Gewerbeeinheiten einen Betrag von 80.564,45 DM,
für die Entrümpelung zweier Wohnungen Kosten von 1.084,76 DM und für das Gangbarmachen von Türen Kosten von 2.864,05 DM aufgewandt.
Für die Bauüberwachung und Ausschreibung der Arbeiten fallen nach der Berechnung des Klägers weitere 57.399,27 DM an. Wegen dieser
Beträge verlangt der Kläger von der Beklagten Zahlung aufgrund der gestellten Gewährleistungsbürgschaft.
7 Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Auslegung der gestellten Bürgschaften sowie des notariellen Vertrages ergebe, dass die von der
Beklagten gestellte Gewährleistungsbürgschaft nur Arbeiten im Zusammenhang mit der Mängelbeseitigung der im notariellen Vertrag
übernommenen Sanierungsverpflichtung der Q.-GmbH und keine Fertigstellungsarbeiten umfasse. Die Herstellung der Gewerbeeinheiten und der
Wohnung F. sei von der Q.-GmbH überhaupt nicht geschuldet worden. Jedenfalls seien insoweit keine Arbeiten ausgeführt worden, sodass es um
Fertigstellung und nicht um Gewährleistung gehe. Das Gleiche gelte für den verlangten Vorschuss für die Maler- und Fußbodenarbeiten. Insoweit
habe die Q.-GmbH mit den Sanierungsarbeiten in den betroffenen Wohnungen nicht begonnen. Auch hinsichtlich der Kosten für die Entrümpelung
von Wohnungen und das Gangbarmachen der Türen lägen Fertigstellungsarbeiten vor, da in den Wohnungseinheiten von der Q.-GmbH mit
diesen Arbeiten nicht begonnen worden sei.
8 Die Berufung war unbegründet.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Das LG hat zu Recht entschieden, dass die streitgegenständlichen Ansprüche des Klägers von der Gewährleistungsbürgschaft nicht erfasst
werden.
1. In Rspr. und Lit. ist umstritten, ob der Sicherungsumfang einer Gewährleistungsbürgschaft stets auch Ansprüche wegen Fertigstellungs- oder
Restarbeiten erfasst. Teilweise wird vertreten, dass eine Gewährleistungsbürgschaft keine Erfüllungsansprüche sichere. Soweit nach Abnahme
noch Restarbeiten ausstehen, sollen diese von einer Gewährleistungssicherheit nicht umfasst sein (vgl. Weise, Sicherheiten im Baurecht, § 2 Rz.
46; Kleine-Möller/Merl/Oelmaier, Handbuch des privaten Baurechts, 2. Aufl., § 12 Rz. 1098). Die Gegenansicht meint, dass Ansprüche des
Auftraggebers auf Restfertigstellung grundsätzlich von einer Gewährleistungssicherheit erfasst seien, da es auch insoweit um Ansprüche des
Auftraggebers nach Abnahme gehe (vgl. Ingenstau/Korbion, VOB, 14. Aufl., B § 17 Rz. 21; nach Vertragsauslegung ebenfalls: OLG Hamm v.
24.6.1986 - 21 U 150/85, NJW-RR 1987, 686; OLG Köln v. 30.10.1997 - 12 U 40/97, OLGReport Köln 1998, 285 = NJW-RR 1998, 1393 [1395]).
Dieser Streit muss im vorliegenden Fall nicht entschieden werden, da das LG im Wege der Auslegung der Bürgschaftsvereinbarungen unter
Berücksichtigung des notariellen Vertrags vom 8.10.1998 gem. §§ 133, 157 BGB in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt ist,
dass der Sicherungsumfang der Gewährleistungsbürgschaft im konkreten Fall die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche nicht umfasst.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Berufungsgericht bei der Überprüfung der Auslegung dahin gehend beschränkt ist, ob der ersten Instanz
Auslegungsfehler unterlaufen sind oder die in der Berufungsinstanz zu berücksichtigenden Tatsachen eine andere Entscheidung gebieten (§§
513, 547 ZPO). Im Streitfall greift der Kläger nicht die der Auslegung zugrunde gelegten Tatsachenfeststellungen an, sondern rügt, es sei zu
Unrecht angenommen worden, dass die Gewährleistungsbürgschaft keine Fertigstellungsarbeiten nach Abnahme erfasse. Dieser Einwand greift
nicht durch, da das - insoweit auf die Kontrolle von Rechtsfehlern beschränkte - Berufungsgericht die Auslegung von Individualvereinbarungen nur
darauf überprüfen darf, ob die Vorinstanz bei der Auslegung gegen Denkgesetze, allgemeine Erfahrungssätze oder gesetzliche bzw. allgemein
anerkannte Auslegungsregeln verstoßen hat oder ob die Auslegung des Tatrichters auf Verfahrensfehlern beruht. Hingegen ist das
Berufungsgericht bei der Überprüfung der Auslegung von Willenserklärungen an eine fehlerfreie Auslegung des erstinstanzlichen Gerichts ohne
Rücksicht auf seine eigene Auslegungstendenz gebunden (vgl. OLG Celle v. 1.8.2002 - 2 U 57/02, OLGReport Celle 2002, 238; Zöller, ZPO, 23.
Aufl., § 513 Rz. 2, § 546 Rz. 10).
Die Auslegung der Vereinbarung über die Gewährleistungsbürgschaft durch das LG lässt keinen Auslegungsfehler erkennen. Schon die
Überschriften „Fertigstellungsbürgschaft” und „Gewährleistungsbürgschaft” auf den Bürgschaftsformularen weisen darauf hin, dass
unterschiedliche Ansprüche abgedeckt werden sollen. Auch der Sicherungszweck der Bürgschaften wird unterschiedlich umschrieben. Während
die Gewährleistungsbürgschaft die Erfüllung der Gewährleistungsverpflichtung absichern soll, bezweckt die Fertigstellungsbürgschaft die
Sicherung des Anspruchs des Klägers auf Vertragserfüllung. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Vereinbarungen im notariellen Vertrag
zwischen dem Kläger und der Q.-GmbH. Der Kläger war nach § 5 Abs. 3 und § 10 Abs. 7 der notariellen Vereinbarung verpflichtet, die zunächst
gestellte Bürgschaft nach der Makler- und Bauträgerverordnung nach der Bezugsfertigkeit der Wohnungen Zug-um-Zug gegen Stellung einer
Fertigstellungsbürgschaft und einer Gewährleistungsbürgschaft herauszugeben. Die Parteien sind also bei Vertragsabfassung davon
ausgegangen, dass die Bezugsfertigkeit der Wohnungen und die damit zusammenhängende Abnahmefähigkeit des Werks bereits gegeben ist,
obwohl noch Restarbeiten durchzuführen sind. Dies ergibt sich ferner aus § 9 Abs. 2 S. 2 des notariellen Vertrages, wonach ausstehende
Restarbeiten am Gebäude sowie die fehlende Fertigstellung der Außenanlage die Bezugsfertigkeit nicht hindern. Auch in § 9 Abs. 5 des
notariellen Vertrages wird zwischen festgestellten Mängeln bei der Abnahme und ausstehenden Leistungen differenziert. Wenn aber restliche
Fertigstellungsarbeiten nicht dazu berechtigen sollen, die Abnahme zu verweigern, besteht ein Sicherungsbedürfnis des Klägers, welches durch
die Fertigstellungsbürgschaft abgedeckt wurde. Im Übrigen weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass kein Sinn ersichtlich ist, eine
Gewährleistungs- und eine Fertigstellungsbürgschaft zu stellen, wenn bereits die Gewährleistungsbürgschaft sämtliche Ansprüche absichert.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Gewährleistungsbürgschaft in üblicher Höhe gewährt wurde. Es ist kein nachvollziehbarer
Grund erkennbar, weshalb die Parteien einen niedrigeren Höchstbetrag bei der Gewährleistungsbürgschaft vereinbaren sollten, nur weil eine
weitere Bürgschaft gestellt wird, die andere Ansprüche abdeckt.
2. Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche betreffen Fertigstellungsarbeiten und nicht mangelhafte Leistungen, so dass die Beklagte nicht
aus der Gewährleistungsbürgschaft in Anspruch genommen werden kann. Die Abgrenzung zwischen Teilleistung und mangelhafter Leistung wird
danach vorgenommen, ob es sich bei natürlicher Betrachtungsweise um eine noch nicht vollständig beendete, sondern in Zahl oder Ausdehnung
fortzuführende Leistung handelt. Dies ist etwa der Fall, wenn der Auftragnehmer eine in sich gleichartige Leistung nicht über die gesamte zu
bearbeitende Fläche ausführt oder wenn er nur eine Teilmenge des in Auftrag gegebenen Bauteils herstellt.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass bei natürlicher Betrachtungsweise auf die einzelnen Wohnungen abzustellen ist und entgegen der
Auffassung des Klägers nicht maßgeblich ist, ob das Gesamtwerk begonnen wurde. Jede Wohnung ist eine in sich abgeschlossene Einheit, die
auch in den Anlagen 3 und 4 der Grundlagenurkunde des Notars Dr. M. gesondert erwähnt wird. Hinsichtlich der nicht hergestellten
Gewerbeeinheiten hat die Q.-GmbH unstr. keine Arbeiten ausgeführt, da sie der Meinung ist, hierzu nach dem Vertrag nicht verpflichtet zu sein. Ob
diese Auffassung zutrifft, kann offen bleiben. Sollte die Q.-GmbH die Arbeiten schulden, läge nach den o.g. Grundsätzen eine noch nicht
vollständig beendete Teilleistung vor. Bezüglich der Wohnung F. erfolgten keine Renovierungsarbeiten, da der Mieter der Wohnung den
Handwerkern den Zutritt verweigerte. Die unterbliebenen Maler- und Fußbodenarbeiten betreffen Wohnungen in den Eckgebäuden. Hier wurden
von der Q.-GmbH keine Arbeiten ausgeführt, da sie die Auffassung vertritt, stattdessen weitere Wohnungen in den Hauptgebäuden saniert zu
haben. Auch hinsichtlich der Räumungsarbeiten und des Gangbarmachens von Türen beanstandet der Kläger nicht, dass Arbeiten mangelhaft
erbracht wurden. Vielmehr rügt er, dass in den betroffenen Wohneinheiten mit den entspr. Arbeiten überhaupt nicht begonnen wurde. Es fehlt also
insoweit die Fertigstellung des Werks und es liegen keine Mängel vor. …
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