Urteil des OLG Karlsruhe vom 11.12.2012

OLG Karlsruhe: anhörung, rechtliches gehör, bedingte entlassung, verfahrensmangel, nahrung, auflage, ausbildung

OLG Karlsruhe Beschluß vom 11.12.2012, 2 Ws 451 - 453/12;
2 Ws 451/12; 2 Ws 452/12; 2 Ws 453/12
Leitsätze
Im Verfahren über die Reststrafenaussetzung kann von einer erneuten Anhörung abgesehen
werden, wenn eine vorangegangene Anhörung nicht lange zurück liegt und der daraus
gewonnene Eindruck bei dem anhörenden Richter noch präsent ist. Ein Absehen von einer
erneuten Anhörung kommt allerdings nur in Betracht, wenn der Verurteilte bei der zuvor erfolgten
Anhörung Gelegenheit hatte, sich zu allen für die neuerliche Aussetzungsentscheidung
maßgeblichen Gesichtspunkten zu äußern.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts -
Strafvollstreckungskammer - ... vom 13. November aufgehoben. Die Sache wird an das
Landgericht ... - Strafvollstreckungskammer - zu erneuter Entscheidung zurückgegeben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten darin entstandenen
notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
1 Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer die bedingte
Entlassung des Verurteilten zum Zweidrittelzeitpunkt, dem 25.12.2012, abgelehnt. Zuvor
hatte sie mit Beschluss vom 26.09.2012 nach einer Anhörung am selben Tage den Antrag
des Verurteilten auf Halbstrafenentlassung gemäß § 57 Abs. 2 StGB abgelehnt.
2 Die sofortige Beschwerde des Verurteilten führt zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache.
3 Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vom 13.11.2012 ist ergangen, ohne dass
die gemäß § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO vorgeschriebene Anhörung erfolgt ist. Ein Fall, der es
erlaubt hätte, von der Anhörung abzusehen, ist vorliegend nicht gegeben. Es ist zwar
allgemein anerkannte und auch vom Senat praktizierte Rechtsprechung (Meyer-Goßner
StPO 55. Auflage § 454 Rn 31 mwN), dass - über die in § 454 StPO enthaltenen
Absehensgründe hinaus - von einer erneuten Anhörung abgesehen werden kann, wenn
eine vorangegangene Anhörung nicht lange zurück liegt und der daraus gewonnene
Eindruck bei dem anhörenden Richter noch präsent ist. Ein Absehen von einer erneuten
Anhörung kommt allerdings nur in Betracht, wenn der Verurteilte bei der zuvor erfolgten
Anhörung Gelegenheit hatte, sich zu allen für die Aussetzungsentscheidung maßgeblichen
Gesichtspunkten zu äußern. Ausweislich des Anhörungsprotokolls ist vorliegend aber am
26.09.2012 keine Anhörung durchgeführt worden, die dem Anspruch des Verurteilten auf
rechtliches Gehör genügt und der Bedeutung der auf ihr fußenden Entscheidung entspricht,
denn das Anhörungsprotokoll enthält als Erklärung des Verurteilten lediglich zwei
zusammenhanglose Sätze: „Meine UK waren negativ. Ich wollte in die JVA Bruchsal wegen
einer Ausbildung.“ Die Inhaltsleere dieses Anhörungsprotokolls, das auch keine
Nachfragen des Gerichts zu für die Aussetzungsentscheidung möglicherweise relevanten
Gesichtspunkten erkennen lässt, verbot es, vor der angefochtenen Entscheidung von einer
„erneuten“ Anhörung abzusehen. Sie verhindert nicht nur die Prüfung des
Beschwerdegerichts, ob sich die Anhörung auf alle entscheidungserheblichen
Gesichtspunkte erstreckt hat und ob sich der Verurteilte hierzu äußern konnte; sie gibt auch
den Zweifeln des Verteidigers Nahrung, ob die Strafvollstreckungskammer bei ihrer
neuerlichen Entscheidung, die sich im Übrigen auch an einem teilweise veränderten
rechtlichen Maßstab zu orientieren hatte, noch über einen zuverlässigen, keiner
Auffrischung oder Ergänzung bedürfenden Eindruck von der Persönlichkeit des Verurteilten
verfügte.
4 Der Verfahrensmangel der zu Unrecht unterbliebenen Anhörung steht einer eigenen
Sachentscheidung des Senats entgegen (OLG Hamm B.v.03.08.2010 1 Ws 412/10 in juris)
und führt deshalb zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer.