Urteil des OLG Karlsruhe vom 06.11.2003

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OLG Karlsruhe Beschluß vom 6.11.2003, 9 W 88/03
Rechtsmittel gegen Berufungsurteil: Unstatthaftigkeit der außerordentlichen Beschwerde bei Verletzung von Verfahrensgrundrechten
Leitsätze
Eine außerordentliche Beschwerde gegen Berufungsurteile ist auch bei Verletzung von Verfahrensgrundrechten nicht statthaft.
Tenor
Gründe
I.
1 Der Beklagte wendet sich mit seinem als "sofortige außerordentliche Beschwerde" bezeichneten Rechtsmittel gegen das Urteil des Landgerichts.
Das Amtsgericht. hat den Beklagten zur Zahlung von Restwerklohn verurteilt. Die hiergegen vom Beklagte eingelegte Berufung hat das
Landgericht durch Urteil vom 18.07.2003 zurückgewiesen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit der außerordentlichen Beschwerde,
zu deren Begründung er unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens im wesentlichen vorträgt, das Landgericht habe
verfahrensfehlerhaft seinen Vortrag nicht berücksichtigt und den von ihm angebotenen Beweis dafür, dass eine Abnahme des Werkes nicht
stattgefunden habe, zurückgewiesen und ihn gesetzeswidrig zur Zahlung eines restlichen Werklohns verurteilt.
II.
2 Die Beschwerde ist nicht statthaft.
3 Nach § 567 Abs. 1 ZPO findet die Beschwerde gegen Entscheidungen des Landgerichts statt, wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
es sich um eine eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde Entscheidung handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch
zurückgewiesen worden ist. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Hier wendet sich der Beklagte gegen ein Berufungsurteil, das nur unter den
Voraussetzungen nach § 543 ZPO mit der Revision angegriffen werden kann.
4 Die Beschwerde ist auch nicht als außerordentliche Beschwerde wegen "greifbarer Gesetzeswidrigkeit" statthaft. Vorliegend entfällt die
Rechtsschutzgarantie zwar nicht allein deshalb, weil der Beklagte schon in der vorangegangenen Instanz die Möglichkeit gehabt hatte, sich zur
Sache zu äußern. Der allgemeine Justizgewährleistungsanspruch greift vielmehr in jeder gerichtlichen Instanz, also auch bei erstmaliger
Verletzung des rechtlichen Gehörs in der Berufungsinstanz. Das Beschwerdegericht kann aber nur in den gesetzlich geregelten Fällen angerufen
werden. Eine außerordentliche Beschwerde ist nach der Neuregelung des Beschwerderechts durch das Zivilprozessreformgesetz auch dann nicht
mehr statthaft, wenn die Entscheidung ein Verfahrensgrundrecht verletzt oder aus sonstigen Gründen greifbar gesetzwidrig ist. Diese Grundsätze
gelten nicht nur für die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (vgl. BGH NJW 2003, 3137, 3138; NJW, 2002, 1577), sondern auch für die
Beschwerde gegen Entscheidungen des Landgerichts (vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 2003, 140; OLG Karlsruhe, OLGR 2003, 225, 227; OLG Celle,
NJW 2002, 3715, 3716).
5 Erfolgt die behauptete Verletzung des Verfahrensgrundrechts, wie hier geltend gemacht, in der letzten in der Prozessordnung vorgesehenen
Instanz und ist der Fehler entscheidungserheblich, muss die Verfahrensordnung, so das Bundesverfassungsgericht in seiner Plenarentscheidung
vom 30.04.2003 (NJW 2003, 1924 ff), eine eigenständige gerichtliche Abhilfemöglichkeit vorsehen. Es ist umstritten, ob das Verfahren nach § 321
a ZPO, das seinem Wortlaut nach nur für nicht berufungsfähige Urteilsentscheidungen im ersten Rechtszug gilt, auch auf andere Verfahren
entsprechend angewandt werden kann (so: Rimmelspacher, JZ 2003, 797, 798; Thomas/Putzo-Reichhold, ZPO, 24. Aufl. § 321a Rn 18; a.A. OLG
Oldenburg, FamRZ 2003, 1120, 1121; Voßkuhle, NJW 2003, 2193, 2198). Auch der Senat schließt aus dem Gesetzgebungsverfahren zu § 321a
ZPO, dass vom Gesetzgeber über den Wortlaut hinaus keine Anwendung auf Berufungsurteile gewollt war (vgl. OLG Oldenburg a.a.O. m.w.N.).
Somit scheidet eine entsprechende Anwendung für Berufungsurteile aus.
6 Auch wenn bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten von Verfassungs wegen die Möglichkeit einer Abhilfe innerhalb der angerufenen
Gerichtsbarkeit vorzusehen ist, kann auf den auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage entwickelten Rechtsbehelf der außerordentlichen Beschwerde
nicht zurückgegriffen werden, weil diese nicht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtsmittelklarheit genügt. Das Bundesverfassungsgericht
hat in seiner Plenarentscheidung ausgeführt, dass die von den Fachgerichten zur Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG entwickelten
außerordentlichen Rechtsbehelfe den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit nicht genügen, da Rechtsbehelfe in der
geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für den Bürger erkennbar sein müssen. Zugleich hat es ausgeführt, dass
die rechtsstaatlichen Defizite es ausschließen, dass das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde von der
vorherigen erfolglosen Einlegung solcher außerordentlicher Rechtsbehelfe abhängig macht. Solange der Gesetzgeber die vom
Bundesverfassungsgericht geforderte Lösung nicht gefunden hat, für die das Bundesverfassungsgericht Frist bis zum 31.12.2004 gesetzt hat, kann
das Verfahren auch nicht auf Antrag vor dem Gericht fortgesetzt werden, dessen Entscheidung wegen einer behaupteten Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör angegriffen wird.