Urteil des OLG Karlsruhe vom 10.03.2008

OLG Karlsruhe (auslegung nach dem wortlaut, gvg, örtliche zuständigkeit, zuständigkeit, aug, württemberg, baden, zivilprozessordnung, zpo, sitz)

OLG Karlsruhe Beschluß vom 10.3.2008, 11 AR 1/08
Wohnungseigentumssachen: Örtliche Zuständigkeit für die Beschwerdeverfahren in sogenannten
Altverfahren
Tenor
Zuständig für das Beschwerdeverfahren ist das
Landgericht Offenburg
Gründe
I.
1
Mit am 22.02.2007 beim Amtsgericht Kehl eingegangenem Schriftsatz haben die Antragsteller die Feststellung
begehrt, dass sie nicht verpflichtet seien, die zu ihrer Eigentumswohnung gehörenden Räume nicht zu
Wohnzwecken zu nutzen, und die Antragsgegner verpflichtet seien, der Sanierung des Außenputzes, der
Fertigstellung des Heizungskellers und des Elektroraumes zuzustimmen. Das Amtsgericht Kehl hat mit
Beschluss vom 26.09.2007 (AS. 257) die Anträge abgewiesen. Gegen diesen Beschluss haben die
Antragsteller mit am 06.10.2007 beim Amtsgericht Kehl eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt (AS.
277), die vom Amtsgericht Kehl dem Landgericht Offenburg vorgelegt worden ist.
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Das Landgericht Offenburg hat sich mit Beschluss vom 12.02.2008 (AS. 449) für örtlich unzuständig erklärt
und das Verfahren an das Landgericht Karlsruhe abgegeben. Dieses hat sich mit Beschluss vom 15.02.2008
(AS. 499) für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts
vorgelegt.
II.
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1. Das Oberlandesgericht Karlsruhe ist zuständig zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreites zwischen den
Landgerichten Offenburg und Karlsruhe (§ 5 Abs. 1 FGG). Nach § 43 Abs. 1 WEG a.F., § 62 Abs. 1 WEG ist §
5 FGG auf die vor dem 01.07.2007 anhängigen Verfahren anzuwenden. Nach dieser Norm bestimmt sich auch
der Zuständigkeitsstreit zweier Beschwerdegerichte (Keidel/Kuntze/Sternal, FGG, 15. Aufl. § 5 Rn. 21 m.w.N.;
OLG München, Beschluss vom 24.01.2008, 32 AR 1/08, Juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 04.09.2007, 20
W 325/07, Juris).
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2. Zuständiges Beschwerdegericht ist das Landgericht Offenburg.
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Nach §§ 45 Abs. 1, 43 Abs. 1 WEG a.F., 19 Abs. 2 FGG entscheidet über Beschwerden das Landgericht, das
dem zuständigen Amtsgericht vorgeordnet ist (Keidel/Kuntze/Kahl, a.a.O., § 19 Rn. 43). Dies ist nach § 4 Ziff.
11 des Gesetzes über die Organisation der ordentlichen Gerichte in Baden-Württemberg vom März 1976 (GBl.
1976, 199) das Landgericht Offenburg. Nach § 72 Abs.2 S. 1 GVG (in der Fassung des Gesetzes zur
Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13.04.2007, BGBl I 509) ist in Streitigkeiten nach § 43 Nr. 1 bis 4
und 6 des Wohnungseigentumsgesetzes das für den Sitz des Oberlandesgerichts zuständige Landgericht
gemeinsames Berufungs- und Beschwerdegericht für den Bezirk des Oberlandesgerichts, in dem das
Amtsgericht seinen Sitz hat.
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Entgegen der Annahme des Landgerichts Offenburg, die sich auf eine Entscheidung des LG Leipzig stützt (
NJW 2007, 3790 f.), ist durch § 72 Abs. 2 S. 1 GVG für die Beschwerdeverfahren in sogenannten Altverfahren,
d.h. in vor dem 01.07.2007 beim Amtsgericht anhängigen Verfahren, nicht das Landgericht Karlsruhe als neues
Konzentrationsgericht zuständig geworden, sondern es bleibt bei der ursprünglichen Zuständigkeit der den
jeweiligen Amtsgerichten vorgeordneten Landgerichte, auch wenn - auf den ersten Blick missverständlich - von
Beschwerdegericht gesprochen wird.
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a. Dies ergibt bereits eine Auslegung nach dem Wortlaut von § 72 Abs. 2 GVG i.V.m. § 62 Abs. 1 WEG, denn
dort wird die örtliche Zuständigkeit für die Streitigkeiten nach „§ 43 Nr. 1 bis 4 und 6 des
Wohnungseigentumsgesetzes“ geregelt. Damit bezieht sich § 72 Abs. 2 GVG auf die Neuregelung des § 43
WEG, da dessen vorhergehende Fassung in der Gestalt von 1973 im Gegensatz zur Neufassung mehrere
Absätze und an keiner Stelle die Ziffern 1 bis 6 enthielt. Nachdem bis zum 30.06.2007 in WEG-Sachen als
einziges Rechtsmittel die Beschwerde vorgesehen war, spricht auch der Wortlaut „Berufungs- und
Beschwerdegericht“ für die alleinige Anknüpfung an § 43 WEG n.F. (vgl. OLG München a.a.O., OLG Frankfurt
a.a.O.; Landgericht Konstanz, Beschluss vom 09.01.2008, 62 D 134/07, Juris). So wird deutlich, dass sich §
72 Abs. 2 GVG nur auf die Verfahren bezieht, die nicht mehr im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit,
sondern im Verfahren nach der Zivilprozessordnung zu entscheiden sind.
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b. Dies ergibt sich auch aus der Systematik des GVG.
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§ 72 Abs. 1 GVG regelt die Zuständigkeit der Landgerichte als Berufungs- und Beschwerdegerichte für die
Zivilsachen in zweiter Instanz in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Zu diesen gehören gem. § 23 Ziff. 2 c) GVG
auch die Streitigkeiten nach „§ 43 Nr. 1 bis 4 und 6 des Wohnungseigentumsgesetzes“. “72 Abs. 2 GVG
bestimmt für sie lediglich einschränkend zu Abs. 1 eine örtliche Konzentrationszuständigkeit. Zu den
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zählen aber erst die ab dem 01.07.2007 eingehenden
Wohnungseigentumssachen (vgl. Art. 4 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Ziff. 1 des Gesetzes zur Änderung des
Wohnungseigentumsgesetzes und anderer Gesetze vom 26. März 2007, BGBl I 370).
10 Da mit den Verfahren nach der Zivilprozessordnung die dort möglichen Beschwerden nach § 567 ZPO anfallen
werden, kann auch nicht der Schluss gezogen werden, „Beschwerdegericht“ müsse sich auf Beschwerden
nach § 19 FGG beziehen.
11 c. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers, der sich aus den
Gesetzgebungsmaterialien erschließen lässt. Bereits im Entwurf der Bundesregierung vom 09.03.2006 (BT
Drs. 16/887), in dem noch die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte als zweite Instanz vorgesehen war, wird in
der Begründung zur Übergangsvorschrift § 62 WEG ausgeführt, dass die im Entwurf vorgesehene Erstreckung
der ZPO-Regelungen auf Verfahren in WEG-Sachen die im Zeitpunkt des Inkrafttretens anhängigen Verfahren
nicht berühren solle (a.a.O., S. 43). Auch dem Bericht des Rechtsausschusses vom 13.12.2006 (BT Drs.
16/3843) lässt sich diese Intention entnehmen. Dort heißt es in der Begründung zu § 72 Abs. 2 WEG (a.a.O. S.
29): „Die Zuständigkeit des Landgerichts für Berufungen und Beschwerden in Wohnungseigentumssachen ist
allerdings gemäß dem neuen Absatz 2 Satz 1 auf die Binnenstreitigkeiten nach § 43 Nr. 1 bis 4 und 6
(neu)
beschränken“.
12 d. Das Ergebnis deckt sich auch mit den derzeitigen Standpunkten in der Literatur (vgl. Elzer WuM 2007, 295
ff.; Gottschalg NZM 2007, 194; Jennißen-Weise, WEG, § 62 Rn.2; vgl. auch die Übersicht im Beschluss des
Oberlandesgerichts Frankfurt a.a.O.).