Urteil des OLG Karlsruhe vom 23.06.2004

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OLG Karlsruhe Urteil vom 23.6.2004, 7 U 228/02
Arzthaftung: Nachweis ordnungsgemäßer Operationsaufklärung; Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit des Patienten durch
kurzfristige Anberaumung der Operation
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Mannheim vom 21.11.2002 - 5 O 136/99 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie
folgt geändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die
Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
1
I. Die Kläger sind die Erben des am 20.7.1933 geborenen und am 24.6.2001 verstorbenen K. Sie nehmen die Beklagten auf Schmerzensgeld
wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung und mangelnder Aufklärung in Anspruch. Das LG, auf dessen Urteil wegen der tatsächlichen
Feststellungen Bezug genommen wird, hat einen Behandlungsfehler verneint, jedoch eine Haftung der Beklagten wegen unzureichender
Aufklärung bejaht und sie unter Abweisung der weiter gehenden Klage zur Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 100.000 Euro verurteilt.
Dagegen wenden sich die Beklagten mit der Berufung. Die Kläger treten dem Rechtsmittel entgegen.
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Der Senat hat den Beklagten zu 2 angehört und Dr. T. als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Anhörung des Beklagten zu 2) und
der Zeugenvernehmung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.5.2004 Bezug genommen.
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II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Beklagte zu 2) hat Herrn K. vor der Operation vom 22.9.1997
hinreichend aufgeklärt.
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1. Behandlungsfehler hat das LG auf der Grundlage des eingeholten Gutachtens nebst Ergänzungsgutachten verneint. Die Beklagten greifen
das, da ihnen günstig, nicht an. Aber auch die Kläger kommen darauf im Berufungsrechtszug nicht zurück. Rechtsfehler sind insoweit nicht
ersichtlich.
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2. Nach dem Ergebnis der Anhörung des Beklagten zu 2) und der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Beklagte zu
2) den Verstorbenen, Herrn K., am 19.9.1997 über die Risiken der operativen Entfernung des Cavernoms im Bereich des Rückenmarks
ausreichend aufgeklärt hat.
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a) Die Einwilligung des Patienten in einen operativen Eingriff kann nur dann als wirksam angesehen werden, wenn er zuvor vom Arzt
hinreichend aufgeklärt worden ist. Der Sinn und Zweck der Aufklärung liegt darin, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu wahren. Ihm soll
eine allgemeine Vorstellung von der Art und dem Schweregrad der in Betracht kommenden Behandlung sowie von den Belastungen und
Risiken, denen er sich aussetzt, vermittelt werden, um ihm eine selbstbestimmte Entscheidung über die Frage zu ermöglichen, ob er in die
ärztliche Behandlung einwilligt oder nicht. Aufzuklären ist der Patient insb. über die Risiken, die mit dem in Betracht kommenden Eingriff
typischerweise verbunden sind.
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b) Nach dem vom LG erhobenen Sachverständigengutachten, ist das Risiko einer schweren neurologischen Schädigung bis hin zur
vollständigen Querschnittslähmung, wie sie bei Herrn K. aufgetreten ist, ein typisches, wenn auch seltenes Risiko einer Operation eines
Cavernoms am Rückenmark. Nach diesen überzeugenden und widerspruchsfreien Ausführungen des Sachverständigen, denen der Senat nach
eigener Prüfung beitritt, war es geboten, Herrn K. nicht nur über die allgemeinen Risiken einer Operation aufzuklären, sondern insb. auch über
das Risiko einer Verschlechterung der neurologischen Situation bis hin zu einer irreversiblen Querschnittslähmung.
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c) Die Durchführung der erforderlichen Aufklärung durch den Arzt steht zur Beweislast der Behandlungsseite. An den Beweis der gehörigen
Erfüllung der Aufklärungspflichten durch die Behandlungsseite dürfen jedoch keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Nach der
gefestigten höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung sollte dem Arzt, der in anderen vergleichbaren Fällen richtig aufgeklärt hat, im Zweifel
geglaubt werden, dass die Aufklärung auch im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist (grundlegend BGH v. 8.1.1985 - VI ZR 15/83,
MDR 1985, 923 = VersR 1985, 361 [362]). Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - außer Streit steht, dass zwischen dem Arzt und dem
Patienten ein Gespräch stattgefunden hat, in dem es um die bevorstehende Operation ging (OLG Karlsruhe, Urt. v. 8.10.1997 - 7 U 61/96, NJW
1998, 1800; Urt. v. 26.2.2002 - 7 U 4/00; MedR 2003, 229; OLG Brandenburg v. 1.9.1999 - 1 U 3/99, OLGReport Brandenburg 2000, 70 = VersR
2000, 1283; OLG Hamm v. 22.3.1993 - 3 U 182/92, VersR 1995, 661 mit Nichtannahmebeschluss des BGH v. 15.3.1994 - VI ZR 163/93).
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Der Senat ist nach der persönlichen Anhörung des Beklagten zu 2) und der Vernehmung des Zeugen Dr. T. davon überzeugt, dass der Beklagte
zu 2) bei der Operation von Prozessen, die im Rückenmark selbst liegen, üblicherweise über die damit verbundenen Risiken, insb. auch über
das Risiko von Verschlechterungen des neurologischen Zustands bis hin zur Querschnittslähmung aufklärt. Dem steht nicht entgegen, dass der
Zeuge Dr. T. nach seinen eigenen Angaben nur in allenfalls zehn Fällen bei entsprechenden Aufklärungsgesprächen anwesend war, die der
Beklagte zu 2) mit Patienten geführt hat. Diese verhältnismäßig geringe Zahl erklärt sich ohne weiteres daraus, dass Operationen dieser Art - also
Operationen von Prozessen am Rückenmark - in der neurochirurgischen Klinik der Beklagten zu 1) nur etwa 15 bis 20 mal pro Jahr durchgeführt
werden, der Zeuge nur etwas mehr als ein Jahr als Assistent des Beklagten zu 2) für privat versicherte Patienten tätig und nicht bei allen
Aufklärungsgesprächen dabei war. Angesichts dessen ist es für den Nachweis der Üblichkeit der Aufklärung ausreichend, dass der Zeuge deren
Inhalt für die genannte Zahl an Fällen bestätigt hat.
10 d) Aufgrund des damit geführten Nachweises, dass der Beklagte zu 2) in vergleichbaren Fällen stets über das Risiko einer dauerhaften
Querschnittslähmung aufgeklärt hat, sowie aufgrund der persönlichen Anhörung des Beklagten zu 2) steht zur Überzeugung des Senats fest,
dass der Beklagte zu 2) den Verstorbenen, Herrn K., am 19.9.1997 in der gebotenen Weise aufgeklärt hat. Dem steht nicht entgegen, dass der
Beklagte zu 2) sich nach seinen Angaben zwar an seine eigenen Ausführungen sowie daran erinnern konnte, dass Herr K. an der Aufklärung
interessiert war und in die Operation einwilligte, aber angab, keine Erinnerung mehr daran zu haben, wie Herr K. auf die Aufklärung über das
Risiko einer Querschnittslähmung reagierte. Im Hinblick darauf, dass das Aufklärungsgespräch bereits längere Zeit zurückliegt, ist es plausibel,
dass dem Beklagten zu 2) vor allem die für ihn wichtigen Punkte des Gesprächs, insb. die letztlich erklärte Einwilligung des Patienten im
Gedächtnis geblieben ist, nicht aber die Einzelheiten des Verlaufs des Gesprächs, das dieser Entscheidungsbildung beim Patienten
vorausgegangen war.
11 e) Ob der Beklagte zu 2) Herrn K. im Rahmen des Aufklärungsgesprächs auch über sonstige Risiken der Operation, insb. das Risiko einer
sonstigen Verschlechterung der neurologischen Situation aufgeklärt hat, ist schon deshalb unerheblich, weil sich dieses Risiko nicht realisiert hat
(BGH v. 15.2.2000 - VI ZR 48/99, MDR 2000, 1012 = MDR 2000, 701 = VersR 2000, 725 [726]). Im Übrigen muss der Arzt - entgegen der
Auffassung des LG - die statistische Häufigkeit von Komplikationen ohnehin nicht ungefragt angeben.
12 f) Die Aufklärung erfolgte auch - entgegen der Auffassung der Kläger - nicht zu spät. Das Aufklärungsgespräch fand an einem Freitag statt. Der
Beklagte zu 2) hat bei seiner Anhörung erklärt, die Festlegung des Operationstermins auf den darauffolgenden Montag sei erst im Anschluss an
das Gespräch erfolgt. Dem sind die Kläger nicht entgegengetreten. Wurde der Operationstermin aber erst nach der Einwilligungserklärung des
Patienten bestimmt, ist außerdem eine Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit von Herrn K. von den Klägern nicht - wie nötig (BGH v.
25.3.2003 - VI ZR 131/02, BGHReport 2003, 807 = MDR 2003, 931 = GesR 2003, 264 = NJW 2003, 2012 [2014]) - dargetan. Ob die Auffassung
der Kläger zutrifft, der Zeitraum zwischen der Aufklärung und der in Betracht kommenden Operation müsse generell so bemessen sein, dass der
Patient die Möglichkeit habe, einen anderen Arzt zu konsultieren, bedarf im Streitfall keiner Erörterung, weil Herr K. nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme nach gehöriger Aufklärung seine Einwilligung in die Operation erklärt hat, ohne dass zu diesem Zeitpunkt bereits ein
Operationstermin bestimmt war. Er hatte damit ohne weiteres die Möglichkeit, die Entscheidung über eine Einwilligung zu vertagen, um zuvor
den Rat anderer Ärzte einzuholen.
13 3. Eine Haftung der Beklagten wegen unzureichender Aufklärung ist damit nicht begründet. Auf die Frage, ob Herr K. auch bei ausreichender
Aufklärung in die Operation eingewilligt hätte, kommt es demnach nicht an.
14 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711
ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.