Urteil des OLG Karlsruhe vom 07.11.2013

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OLG Karlsruhe Urteil vom 7.11.2013, 9 U 119/11
Insolvenzanfechtung: Kenntnis des Gläubigers von der drohenden Zahlungsunfähigkeit des
Schuldners bei Ratenzahlungsvergleich
Leitsätze
1. Ob eine Kenntnis des Gläubigers von der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu
vermuten ist, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles ab.
2. Ein Ratenzahlungsvergleich eines größeren Unternehmens muss für sich allein - ohne weitere
Indizien - aus der Sicht des Gläubigers noch nicht zu einem zwingenden Schluss auf eine
drohende Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens führen. Daran ändert sich auch dann nichts,
wenn das Unternehmen diesen Vergleich erst mit Verzögerung, nach Androhung der
Zwangsvollstreckung, erfüllt.
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 28.06.2011 –
4 O 114/11 D – aufgehoben.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I
.
1
Der Kläger macht Ansprüche aus Insolvenzanfechtung geltend. Er ist Insolvenzverwalter
über das Vermögen der S. G. Immobilienanlagen und Vermögensmanagement AG. Das
Insolvenzverfahren wurde am 14.06.2007 eröffnet. Die Schuldnerin gehörte zur
sogenannten G. Gruppe, die ab 1986 in großem Umfang atypische stille Beteiligungen an
Kapitalgesellschaften an Anleger veräußerte. In zunehmender Zahl kündigten Anleger
seit dem Jahr 2000 wegen behaupteter Prospektfehler oder Falschberatung ihre
Beteiligungen, und verlangten die Auszahlung eines Auseinandersetzungsguthabens
und/oder Schadensersatz. Die Schuldnerin befand sich, wie sich im Nachhinein
herausstellte, aufgrund der Vielzahl der gegen sie gerichteten Ansprüche schon längere
Zeit vor der Insolvenzeröffnung in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Über einen Zeitraum
von mehreren Jahren versuchte die Schuldnerin, ihre Existenz aufrecht zu erhalten, indem
sie Forderungen von Anlegern zunächst bestritt, Zahlungen hinauszögerte,
Ratenzahlungsvergleiche abschloss und Teilzahlungen erbrachte. Zudem hatte die
Schuldnerin ein Schneeballsystem entwickelt, durch das es ihr über längere Zeit gelang,
neu eingenommene Anlagegelder zur Begleichung von Forderungen anderer Anleger zu
verwenden.
2
Der Beklagte hatte von der Schuldnerin eine atypische stille Beteiligung erworben. Nach
Kündigung der Beteiligung klagte er im Jahr 2004 auf Auszahlung eines
Auseinandersetzungsguthabens. Im Berufungsverfahren kam es am 08.11.2005 zu einem
Vergleich vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Die Schuldnerin verpflichtete sich zur
Zahlung eines Betrages in Höhe von 7.000,- Euro. Der Betrag sollte in sieben
aufeinanderfolgenden monatlichen Raten zu je 1.000,- Euro, fällig jeweils bis zum 5.
eines jeden Monats, beginnend mit dem 05.12.2005, gezahlt werden. Für den Fall, dass
die Schuldnerin mit der Zahlung einer Rate um mehr als 30 Kalendertage in Rückstand
geriet, sollte die gesamte zu diesem Zeitpunkt noch offen stehende Restforderung sofort
zur Zahlung fällig werden (Anlage K3, I 49, 51).
3
Die Anfang Dezember 2005 und Anfang Januar 2006 fälligen Raten zahlte die
Schuldnerin nicht. Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 11.01.2006
(Anlage K26) ließ der Beklagte die Schuldnerin auffordern, nunmehr die nach dem
Vergleich geschuldete Gesamtsumme zu zahlen, und drohte nach Ablauf einer Frist bis
zum 31.01.2006 die Zwangsvollstreckung an. Nachdem auch in der Folgezeit eine
Zahlung nicht erfolgte, erwirkte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten Anfang März
2006 ein vorläufiges Zahlungsverbot gegen die Schuldnerin. Darauf zahlte die
Schuldnerin am 08.03.2006 den nach dem Vergleich vom 08.11.2005 geschuldeten
Gesamtbetrag (einschließlich Zinsen) in Höhe von 7.265,57 Euro per Banküberweisung
an die Prozessbevollmächtigten des Beklagten.
4
Der Kläger hat vorgetragen: Die Schuldnerin sei bereits seit 2002 zahlungsunfähig
gewesen. Ihren gesetzlichen Vertretern sei dies bewusst gewesen. Die Zahlung an den
Beklagten im März 2006 sei in der Absicht erfolgt, andere Gläubiger zu benachteiligen.
Denn durch diese Zahlung sei die Insolvenzmasse verkürzt worden. Aufgrund
verschiedener Umstände, insbesondere im Hinblick auf das Zahlungsverhalten der
Schuldnerin, sei dem Beklagten und seinem Prozessbevollmächtigten der
Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin bekannt gewesen. Es habe sich bei der
Zahlung an den Beklagten daher um eine anfechtbare Rechtshandlung gemäß § 133
Abs. 1 InsO gehandelt. Der Beklagte sei verpflichtet, den erhaltenen Betrag nebst Zinsen
zurück zu gewähren.
5
Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten. Weder er selbst noch sein
Prozessbevollmächtigter hätten damals Kenntnis von einer Zahlungsunfähigkeit oder
drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gehabt.
6
Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 7.265,57 Euro nebst
Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.06.2007
verurteilt. Die Voraussetzungen für eine Insolvenzanfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO
(vorsätzliche Benachteiligung) seien gegeben. Aus einer Vielzahl von Umständen ergebe
sich, dass die Schuldnerin im März 2006 zahlungsunfähig gewesen sei. Nach der
Überzeugung des Gerichts sei auch davon auszugehen, dass der Beklagte bzw. sein
Prozessbevollmächtigter um die drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin wusste,
und ihm gleichzeitig bewusst sein musste, dass die erhaltene Zahlung andere Gläubiger
benachteiligen würde.
7
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten. Die Voraussetzungen
für eine Insolvenzanfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO seien aus Rechtsgründen nicht
gegeben. Weder er selbst noch sein Prozessbevollmächtigter hätten Kenntnis von einem
Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin gehabt. Die abweichenden Feststellungen habe
das Landgericht ohne eine tatsächliche Grundlage getroffen.
8
Der Beklagte beantragt,
9
auf die Berufung des Beklagten das Endurteil des Landgerichts Konstanz vom
28.06.2011 zur Geschäftsnummer 4 O 114/11 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10 Der Kläger beantragt,
11 die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 28.06.2011
(Aktenzeichen 4 O 114/11 D) zurückzuweisen.
12 Der Kläger verteidigt das Urteil des Landgerichts und ergänzt und vertieft seinen
erstinstanzlichen Vortrag.
13 Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II
.
14 Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht kein
Zahlungsanspruch gegen den Beklagten gemäß § 143 Abs. 1 InsO zu. Denn die
Voraussetzungen für eine Anfechtung der Zahlung vom 08.03.2006 in Höhe von 7.265,57
Euro gemäß § 133 Abs. 1 InsO liegen nicht vor.
15 1. Die Zahlung der Schuldnerin vom 08.03.2006 stellt allerdings – ungeachtet des
Vollstreckungsauftrags des Beklagten – eine Rechtshandlung im Sinne von § 133 Abs. 1
InsO dar. Zwar stellen bloße Vollstreckungshandlungen eines Gläubigers keine
"Rechtshandlungen" des Schuldners dar. Für eine (grundsätzlich anfechtbare)
Rechtshandlung des Schuldners reicht es jedoch aus, wenn er bei einer Zahlung an den
Gläubiger in irgendeiner Weise willentlich mitwirkt. Daher zählen sogenannte
"Druckzahlungen" grundsätzlich zu den anfechtbaren Rechtshandlungen des Schuldners
im Sinne von § 133 Abs. 1 InsO (vgl. Uhlenbruck/Hirte, Insolvenzordnung, 13. Auflage
2010, § 133 InsO, Rn. 8).
16 2. Das Urteil des Landgerichts ist auch insoweit nicht zu beanstanden, als das
Landgericht eine Gläubigerbenachteiligung festgestellt hat (§ 129 Abs. 1 InsO). Durch die
Zahlung der Schuldnerin an den Beklagten wurde das Vermögen der Schuldnerin
vermindert. Damit stand den Gläubigern im späteren Insolvenzverfahren eine geringere
Masse zur Verfügung. Dies reicht für eine Gläubigerbenachteiligung im Sinne von § 129
Abs. 1 InsO aus (vgl. Uhlenbruck/Hirte a. a. O., § 129 InsO, Rdnr. 113). Der Umstand, dass
die Schuldnerin zur Zahlung an den Beklagten verpflichtet war, ändert an der
Gläubigerbenachteiligung nichts.
17 3. Die Voraussetzungen für eine Anfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO liegen auch
insoweit vor, als die Schuldnerin mit Benachteiligungsvorsatz gehandelt hat. Das
Landgericht hat festgestellt, dass die Schuldnerin bereits seit Ende des Jahres 2002
zahlungsunfähig war. Den gesetzlichen Vertretern der Schuldnerin war dies bekannt. Es
ist daher davon auszugehen, dass die Vertreter der Schuldnerin bei der Zahlung an den
Beklagten mit der Möglichkeit gerechnet und billigend in Kauf genommen haben, dass
das vorhandene Vermögen zur Befriedigung aller Gläubiger nicht ausreichen wird, so
dass andere Gläubiger benachteiligt werden. Nach den vom Bundesgerichtshof zu § 133
Abs. 1 InsO entwickelten Grundsätzen reicht dies aus, um einen Benachteiligungsvorsatz
festzustellen (vgl. Uhlenbruck/Hirte, § 133 InsO, Rdnr. 18 ff. mit
Rechtsprechungsnachweisen). Der Beklagte hat die Feststellungen des Landgerichts zu
diesem Punkt im Berufungsverfahren nicht mehr angegriffen.
18 4. Eine Insolvenzanfechtung scheitert jedoch daran, dass sich nicht feststellen lässt, dass
der Beklagte zum Zeitpunkt der Zahlung Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz der
Schuldnerin hatte (§ 133 Abs. 1 Satz 1 InsO).
19 a) Für die Frage der Kenntnis im Rahmen von § 133 Abs. 1 InsO findet § 166 Abs. 1 BGB
Anwendung. Der Beklagte muss sich daher Kenntnisse seines Prozessbevollmächtigten,
die dieser im Rahmen des damals gegen die Schuldnerin geführten Rechtstreits erlangt
hat, in vollem Umfang zurechnen lassen (vgl. Uhlenbruck/Hirte a. a. O., § 133 InsO, Rdnr.
27).
20 b) Weder der Beklagte noch sein Prozessbevollmächtigter hatten bei der Zahlung im März
2006 unmittelbare Kenntnisse von den Vorstellungen der Vertreter der Schuldnerin
hinsichtlich einer Gläubigerbenachteiligung und auch nicht von den wirtschaftlichen
Verhältnissen, aus denen sich die Zahlungsunfähigkeit ergab. Dass der Beklagte oder
sein Prozessbevollmächtigter solche unmittelbaren Kenntnisse gehabt hätten, hat der
Kläger nicht behauptet. Sämtliche maßgeblichen Zahlen zur wirtschaftlichen Situation der
Schuldnerin im Jahr 2006, die später ermittelt wurden (vorhandenes Vermögen,
vorhandene liquide Mittel, fällige Forderungen, drohende Forderungen weiterer
Gläubiger, Ertragsaussichten der Schuldnerin etc.) kannte der Prozessbevollmächtigte
des Beklagten nicht.
21 c) Eine Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz könnte sich daher nur indirekt gemäß §
133 Abs. 1 Satz 2 InsO feststellen lassen. Nach dieser Regelung wird eine Kenntnis vom
Benachteiligungsvorsatz vermutet, wenn der Gläubiger wusste, dass die
Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger
benachteiligte. Auch mit dieser gesetzlichen Vermutungsregelung lässt sich die
erforderliche Kenntnis auf Beklagtenseite jedoch nicht feststellen.
22 aa) Der Beklagte selbst hatte keine Kenntnisse, die über die Vermutungsregelung gemäß
§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO eine Rolle spielen könnten. Der Beklagte hat vor der Zahlung im
März 2006 keine Informationen aus der Presse über eventuelle wirtschaftliche
Schwierigkeiten der Schuldnerin entnommen. Er hielt sich überwiegend im Ausland auf
und überließ die Geltendmachung und Durchsetzung seiner Forderung dem
Prozessbevollmächtigten. Um die Einzelheiten des damaligen Verfahrens hat sich der
Beklagte nicht gekümmert. Der Kläger hat weder dargetan noch nachgewiesen, dass die
entsprechenden Angaben des Beklagten (vgl. das Protokoll des Landgerichts vom
07.06.2011, I, 217) unzutreffend wären. Mithin kann es für eventuelle Kenntnisse gemäß §
133 Abs. 1 Satz 2 InsO nur auf die Person des Prozessbevollmächtigten des Beklagten
ankommen.
23 bb) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass eine Kenntnis von
der Zahlungsunfähigkeit zu vermuten ist, wenn der Gläubiger Umstände kennt, die
zwingend auf eine mindestens drohende Zahlungsunfähigkeit schließen lassen (vgl.
BGH, NJW 2003, 3560). Die Kenntnis solcher Umstände soll gleichzeitig wesentliche
Bedeutung für eine Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners im Sinne von
§ 133 Abs. 1 Satz 2 InsO haben (vgl. BGH, NZI 2009, 168). Bei der Prüfung dieser Frage
ist jeweils eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich (vgl. BGH,
NZI 2013, 133, 135).
24 cc) Aus dem Umstand, dass die Schuldnerin im November 2005 bereit war, mit dem
Beklagten einen Ratenzahlungsvergleich abzuschließen, ergab sich für den
Prozessbevollmächtigten des Beklagten kein zwingender Schluss auf eine
Zahlungsunfähigkeit oder drohende Zahlungsunfähigkeit. Zwar ist ein
Ratenzahlungsvergleich bei einem größeren Unternehmen eher ungewöhnlich, wenn es
um eine relativ geringe Forderung von lediglich 7.000,00 EUR geht. Das bedeutet, dass
sich im November 2005 für einen Beobachter die Möglichkeit von
Zahlungsschwierigkeiten im Bereich der Schuldnerin aufdrängen musste. Da dem
Prozessbevollmächtigten des Beklagten wirtschaftliche Interna der Schuldnerin nicht
bekannt waren, konnte er das Ausmaß eventueller Liquiditätsschwierigkeiten jedoch nicht
beurteilen. Er konnte insbesondere nicht sicher erkennen, ob es eventuell nur um
vorübergehende Zahlungsschwierigkeiten ging. Es war beispielsweise auch nicht
erkennbar, ob die Schuldnerin zwar durchaus zahlungsfähig war, aber eventuell aus
bestimmten Gründen für eine gewisse Zeit ihren Liquiditätsstatus verbessern wollte. Es ist
- auch nach dem Vortrag des Klägers - nicht ersichtlich, dass dem
Prozessbevollmächtigten des Beklagten im November 2005 bekannt war, in welchem
Umfang Anleger erfolgversprechende Forderungen gegen die Schuldnerin geltend
machten oder in der Zukunft geltend machen würden. Es kann im Übrigen letztlich
dahinstehen, welche Bedeutung eventuelle Bedenken wegen der Liquidität der
Schuldnerin für den Prozessbevollmächtigten des Beklagten im November 2005 haben
konnten. Entscheidend ist, dass die Umstände im November 2005 aus seiner Sicht
jedenfalls keinen zwingenden Schluss auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit zuließen.
25 dd) Auch die weiteren Ereignisse bis zur Zahlung Anfang März 2006 ließen keinen
zwingenden Schluss - aus der Sicht des Prozessbevollmächtigten des Beklagten - auf
eine drohende Zahlungsunfähigkeit zu. Es ist zwar ungewöhnlich, dass ein größeres
Unternehmen, wie die Schuldnerin, die zugesagten Ratenzahlungen nicht einhält, und
dass zunächst eine Mahnung mit Vollstreckungsandrohung am 11.01.2006 (Anlage K 26),
und sodann unmittelbar vor der Zahlung ein vorläufiges Zahlungsverbot erforderlich
wurden. Ein zwingender Schluss auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit ergab sich
daraus jedoch nicht.
26 aaa) Der vorliegende Fall unterscheidet sich wesentlich von den Fällen, die den
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 10.01.2013 (NZI 2013, 133 und NZI 2013,
253) zugrunde lagen. In den zitierten Entscheidungen ging es ebenfalls um die
Anfechtung von Zahlungen, welche die selbe Schuldnerin im Jahr 2006 an Anleger
leistete. Soweit das Berufungsgericht in den beiden zitierten Fällen eine Kenntnis des
dortigen Prozessbevollmächtigten im Sinne von § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO angenommen
hat, ist dies vom Bundesgerichtshof gebilligt worden. Allerdings war für den
Bundesgerichtshof entscheidend, dass die dortigen Prozessbevollmächtigten seit
mehreren Jahren eine Vielzahl von wirtschaftlichen Detailkenntnissen über die finanzielle
Situation der Schuldnerin besaßen. Ähnliche Feststellungen lassen sich im vorliegenden
Fall jedoch nicht treffen und ergeben sich auch nicht aus dem Sachvortrag des Klägers.
Die damalige Vertretung des Beklagten gegen die Schuldnerin war für den
Prozessbevollmächtigten des Beklagten der zeitlich erste Fall, in welchem er einen
Anleger gegen die Schuldnerin vertrat. Es lässt sich daher - anders als in den Fällen des
BGH, NZI 2013, 133 und NZI 2013, 253 - auch nicht feststellen, dass der
Prozessbevollmächtigte des Beklagten wusste, in welchem Umfang Forderungen von
Anlegern gegen die Schuldnerin bestanden bzw. in naher Zukunft durchgesetzt werden
sollten.
27 bbb) Für eine Zahlungsunfähigkeit oder eine drohende Zahlungsunfähigkeit kommt es
darauf an, ob ein Schuldner für einen Zeitraum von mindestens drei Wochen fällige
Forderungen in einem Umfang nicht erfüllen kann, die mindestens zehn Prozent der
gesamten fälligen Forderungen erreichen (vgl. Uhlenbruck, § 17 InsO, Rdnr. 5). Es ist
nicht ersichtlich, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten im März 2006 Kenntnis
davon hatte, welche anderen Forderungen von der Schuldnerin nicht erfüllt wurden und
nicht erfüllt werden konnten, und wie sich die Höhe dieser Forderungen zu den gesamten
Forderungen der Gläubiger verhielten. Ohne einen entsprechenden Überblick aus
anderen Informationsquellen ergab sich für den Prozessbevollmächtigten insoweit auch
keine zwingende Schlussfolgerung aus den aufgetretenen Zahlungsverzögerungen
gegenüber dem Beklagten.
28 ccc) Gegen eine Zahlungsunfähigkeit oder drohende Zahlungsunfähigkeit konnte der
Umstand sprechen, dass der Beklagte die Vergleichssumme im März 2006 letztlich früher
erhielt als im Vergleich vom November 2005 vorgesehen: Bei Einhaltung des
vorgesehenen Ratenzahlungsplans hätte die Schuldnerin die letzte Rate im Juni 2006
erbringen können. Der Umstand, dass die Gesamtforderung bereits im März 2006 bezahlt
wurde, sprach - trotz der vorausgegangenen Probleme - nicht unbedingt für eine
Zahlungsunfähigkeit.
29 ddd) Da der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die internen wirtschaftlichen
Verhältnisse im Unternehmen der Schuldnerin nicht kannte, waren alternative Ursachen
aus seiner Sicht für die aufgetretenen Schwierigkeiten nicht von vornherein
auszuschließen. Eine Zahlungsverzögerung kann - wenn andere Umstände nicht bekannt
sind - grundsätzlich auch auf einer Zahlungsunwilligkeit beruhen. Für eine eventuell
zeitweilige Zahlungsunwilligkeit kann es auch bei einem gewerblich tätigen Schuldner im
Einzelfall unter Umständen auch Ursachen geben, die nicht dem rationalen Bereich
zuzuordnen sind.
30 eee) Der Beklagte hat zudem zu Recht darauf hingewiesen, dass
Zahlungsverzögerungen auch auf bürokratischen bzw. organisatorischen Problemen im
Bereich einer Schuldnerin beruhen können. Probleme im Management oder betriebliche
Organisationsänderungen können im Einzelfall solche Folgen haben, ohne dass damit
gleichzeitig eine Zahlungsunfähigkeit oder drohende Zahlungsunfähigkeit verbunden sein
muss.
31 fff) Entgegen der Auffassung des Klägers ergab sich für den Prozessbevollmächtigten des
Beklagten auch aus dem Schreiben der Rechtsanwälte M. und Kollegen vom 13.02.2006
(Anlage B7, II 127), welches der Prozessbevollmächtigte am 17.02.2006 von seinem
Mandanten erhielt, kein sicherer Hinweis auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit der
damaligen Schuldnerin. Aus dem vorgelegten Schreiben ergab sich die Information, dass
ein anderes Anwaltsbüro (Rechtsanwälte M. und Kollegen) in einer "Vielzahl" von Fällen
Anleger gegen die G. Gruppe vertreten hatte, und in diesem Zusammenhang auch dem
Beklagten schriftlich anbieten wollte, ihn zu vertreten. Soweit die Anwälte dem Beklagten
in ihrem Angebotsschreiben die Möglichkeit eines Vergleiches mit der G. Gruppe in
Aussicht stellten, ergibt sich aus dem Schreiben zwar, dass die Rechtsanwälte M. und
Kollegen von erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten der G. Gruppe ausgingen. Der
Prozessbevollmächtigte des Beklagten konnte jedoch – mangels anderweitiger
Informationen – nicht abschätzen, wie zuverlässig die Einschätzung der Kollegen M. und
Kollegen war, und auf welchen Informationen dieser Anwälte die Bewertung beruhte. Die
Formulierungen im Schreiben der für den Klägervertreter bis dahin unbekannten Anwälte
("finanziell prekäre Situation der G. Gruppe" etc.) konnten Anlass zur Besorgnis sein,
vermittelten dem Kläger jedoch keinen sicheren Kenntnisstand.
32 ggg) Es kommt nicht darauf an, welche Wahrscheinlichkeit auf Grund der gegebenen
Umstände für oder gegen eine drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin sprechen
musste. Entscheidend ist alleine, dass für den Prozessbevollmächtigten des Beklagten
jedenfalls kein zwingender Schluss auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit geboten war.
33 5. Andere Anfechtungstatbestände im Rahmen der §§ 130 ff. InsO, welche den Anspruch
des Klägers rechtfertigen könnten, kommen nicht in Betracht.
34 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
35 7. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 10, 713
ZPO.
36 8. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht
vor. Die Prüfung der Voraussetzungen gemäß § 133 Abs. 1 InsO ist auf der Basis der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Frage des Einzelfalls.