Urteil des OLG Karlsruhe vom 03.07.2014

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OLG Karlsruhe Beschluß vom 3.7.2014, 18 WF 11/14
Vollstreckung von Umgangstiteln
Leitsätze
1. Im Vollstreckungsverfahren findet grundsätzlich keine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der
gerichtlichen - zu vollstreckenden - Entscheidung statt.
2. Neu hinzutretende Umstände können der Vollstreckung eines Umgangstitels ausnahmsweise
zur Wahrung des Kindeswohls entgegenstehen, wenn darauf ein zulässiger Antrag auf
Abänderung des Ausgangstitels gestützt ist und gewichtige Anhaltspunkte dafür bestehen, dass
die zu vollstreckende gerichtliche Entscheidung keine dem Wohl des Kindes dienliche
Umgangsregelung mehr enthält.
3. Ein Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 93 Abs. 1 Nr. 4 FamFG kann
ausnahmsweise entbehrlich sein.
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts -
Familiengericht - Freiburg vom 19.12.2013 (49 F 790/11) wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 500 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1 Der Antragsteller begehrt die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen die
Antragsgegnerin wegen Zuwiderhandlung gegen eine Umgangsregelung.
2 Mit Beschluss des Familiengerichts Freiburg vom 27.06.2012 (49 F 790/11) wurde unter
Ziffer 1d geregelt, dass der Umgang des Antragstellers mit dem Kind M., geboren am
10.04.2006, ab 23.12.2012 an jedem dritten Sonntag in der Zeit von 9.00 bis 19.00 Uhr
stattfindet. Auf die Entscheidung des Familiengerichts wird verwiesen. Die gegen diesen
Beschluss gerichtete Beschwerde der Mutter wurde mit Schriftsatz vom 07.02.2013
zurückgenommen (…).
3 Mit Schriftsatz vom 17.05.2013 beantragte der Vater die Erweiterung des Umgangs,
namentlich Wochenendumgänge mit Übernachtungen sowie Ferienumgang (…). Im
gleichen Verfahren ging am 14.06.2013 der Antrag der Mutter auf Ausschluss des
Umgangs ein. Grund für diesen Antrag war ein von M. behaupteter Vorfall im Rahmen des
Umgangs am Sonntag, dem 28.04.2013, im Hallenbad. An diesem Tag soll der Vater in
der Umkleidekabine das entkleidete Kind mit der Hand an der Scheide berührt und es
aufgefordert haben, ihn an seinem entblößten Glied zu küssen.
4 Mit Schriftsatz vom 10.07.2013 teilte der Antragsteller mit, sein Umgangsrecht bis
31.08.2013 nicht geltend zu machen und schlug ab September 2013 begleitete
Umgangskontakte vor. Mit Schriftsatz vom 23.08.2013 lehnte die Mutter den Umgang,
auch begleiteten Umgang des Vaters mit M., ab. Daraufhin teilte der Antragsteller mit
Schriftsatz vom 16.09.2013 mit, dass er den Umgang nunmehr auf der Grundlage des
Beschlusses vom 27.06.2012 einfordern werde, nachdem die Antragsgegnerin begleitete
Umgangskontakte ablehne.
5 Mit Beschluss vom 22.10.2013 bestellte das Familiengericht im Umgangsverfahren … für
M. einen Verfahrensbeistand. In ihrem Bericht vom 29.12.2013 schlägt Frau … als
Verfahrensbeiständin begleitete Umgänge vor.
6 Der Antragsteller beantragte mit Schriftsatz vom 10.10.2013 die Verhängung von
Ordnungsgeld, da die für 01.09.2013 und 22.09.2013 vorgesehenen Umgangskontakte
nicht stattgefunden hätten. Mit Schriftsatz vom 06.12.2013 stellte der Antragsteller einen
weiteren Antrag auf Verhängung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft, da der Umgang
auch am 03.11.2013 und 24.11.2013 nicht gewährt worden sei. Die Antragsgegnerin ist
den Anträgen entgegengetreten.
7 Mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Freiburg vom 19.12.2013 wurde der
Antrag des Antragstellers zurückgewiesen, da die Antragsgegnerin die Zuwiderhandlung
nicht zu vertreten habe. Die Gewährung eines Umgangs sei der Antragsgegnerin
vorliegend unzumutbar. Auf die Entscheidung wird Bezug genommen.
8 Gegen diesen - ihm am 30.12.2013 zugestellten - Beschluss wendet sich der Antragsteller
mit seiner am 13.01.2014 beim Amtsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde und
verfolgt seinen Antrag auf Anordnung von Ordnungsmitteln weiter. Der bloße Verdacht des
sexuellen Missbrauchs rechtfertige keinen Umgangsausschluss. Für ihn gelte die
Unschuldsvermutung. Der von ihm angebotene begleitete Umgang sei von der Mutter
abgelehnt worden. Einen Eilantrag auf Aussetzung des Umgangs habe die Mutter nicht
gestellt.
9 Die Antragsgegnerin ist der sofortigen Beschwerde entgegen getreten.
10 Das Familiengericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 19.02.2014 nicht abgeholfen
und die Akten dem Beschwerdegericht vorgelegt.
11 Das Kind wurde am 07.05.2013 bei der Kriminalpolizei in … vernommen (…). Die
Staatsanwaltschaft … hat gegen den Antragsteller unter dem 05.12.2013 Anklage beim
Jugendschöffengericht als Jugendschutzgericht beim Amtsgericht Freiburg erhoben (…).
Am 28.05.2014 wurde der Antragsteller freigesprochen (...). Gegen das Urteil des
Jugendschöffengerichts wurde am 03.06.2014 Berufung eingelegt.
II.
12 Die gemäß § 87 Abs. 4 FamFG in Verbindung mit §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige
Beschwerde des Antragstellers hat in der Sache keinen Erfolg.
13 Das Familiengericht hat den Vollstreckungsantrag zu Recht zurückgewiesen.
14 Ein vollstreckungsfähiger Titel, namentlich der Beschluss des Amtsgerichts -
Familiengericht - Freiburg vom 27.06.2012 (…), wonach der Antragsteller mit dem Kind M.
ab 23.12.2012 an jedem dritten Sonntag in der Zeit von 9.00 bis 19.00 Uhr Umgang
ausüben darf, liegt an sich vor.
15 Eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der gerichtlichen Entscheidung findet im
Vollstreckungsverfahren grundsätzlich nicht mehr statt (BGH FamRZ 2012, 533 Rn. 22;
OLG Düsseldorf FamRZ 1993, 1349, 1350; Zöller/Feskorn, ZPO, 30. Auflage 2014, § 89
FamFG Rn. 5). Vielmehr ist davon auszugehen, dass das Kindeswohl im
Erkenntnisverfahren geprüft wurde (BGH FamRZ 2012, 533 Rn. 22).
16 Neu hinzutretende Umstände können der Vollstreckung eines Umgangstitels jedoch
ausnahmsweise zur Wahrung des Kindeswohls entgegenstehen, wenn darauf ein
zulässiger Antrag auf Abänderung des Ausgangstitels und auf Einstellung der
Zwangsvollstreckung nach § 93 Abs. 1 Nr. 4 FamFG gestützt ist (BGH FamRZ 2012, 533
Rn. 23 unter Bezugnahme auf OLG Frankfurt FamRZ 2009, 796 Rn. 5; s. auch OLG
Düsseldorf FamRZ 1996, 1093; OLG Hamburg FamRZ 1993, 1049/1050; OLG Karlsruhe
FamRZ 2005, 1698 Rn. 25).
17 Vorliegend hat die Antragsgegnerin im anhängigen Umgangsverfahren (…) mit Schriftsatz
vom 14.06.2013 einen Antrag auf Ausschluss des Umgangs des Vaters mit M. - und somit
auf Abänderung der Ausgangsentscheidung - gestellt. Zur Begründung verweist die
Antragsgegnerin auf die Aussage des Kindes zum Vorfall anlässlich des Umgangstermins
am Sonntag, dem 28.04.2013, in der Umkleidekabine im … Hallenbad. Das Kind habe
mitgeteilt, dass der Vater M. an den Brüsten, im Schambereich und Bauch geküsst habe
und sie aufgefordert habe, sein Geschlechtsteil zu küssen. Mit Schriftsatz vom 23.08.2013
legte die Antragsgegnerin das Protokoll der polizeilichen Vernehmung des Kindes vom
07.05.2013 vor.
18 Damit hat die Antragsgegnerin neue Tatsachen vorgetragen, die geeignet sind, einen
Antrag auf Abänderung der Ausgangsentscheidung zu stützen. Der zulässige Antrag der
Antragsgegnerin auf Ausschluss des Umgangs ist nicht von vornherein ohne Aussicht auf
Erfolg. Dies folgt zum einen daraus, dass das Familiengericht im Umgangsverfahren einen
Verfahrensbeistand bestellt und somit zum Ausdruck gebracht hat, dass es das Vorbringen
der Antragsgegnerin für erheblich hält (so auch OLG Hamburg FamRZ 1993, 1049, 1050;
OLG Frankfurt FamRZ 2009, 796 Rn. 5). Aus der Eröffnung des Hauptverfahrens durch
das Jugendschöffengericht auf der Grundlage der Anklage der Staatsanwaltschaft … vom
04.12.2013 ergibt sich ein hinreichender Tatverdacht gegen den Antragsteller wegen
sexuellen Missbrauchs von Kindern.
19 Unter diesen Umständen bestehen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die
Umgangsregelung im Beschluss vom 27.06.2012 keine dem Wohl des Kindes dienliche
Umgangsregelung mehr enthält, sondern eine - den neuen Umständen, namentlich dem
im Raum stehenden Verdacht des sexuellen Missbrauchs - entsprechende Abänderung
des Titels geboten ist. Bereits die Mitteilung des Antragstellers im Schriftsatz vom
10.07.2013, sein Umgangsrecht zunächst bis Ende August 2013 (zur Deeskalation) nicht
einzufordern und insbesondere sein Vorschlag, den Umgang ab September 2013 begleitet
beim Kinderschutzbund in … fortzusetzen, zeigt, dass auch er die Umgangsregelung vom
27.06.2012 als derzeit nicht (mehr) durchsetzbar erachtet hat. Ihre Vollziehung konnte
somit - nach dem Abänderungsantrag - nicht mehr mit Ordnungsmitteln durchgesetzt
werden (so auch OLG Frankfurt FamRZ 2009, 796 Rn. 5).
20 Unbeachtlich ist vorliegend, dass die Antragsgegnerin bisher keine Einstellung der
Zwangsvollstreckung nach § 93 Abs. 1 Nr. 4 FamFG beantragt hat (vgl. dazu BGH FamRZ
2012, 533 Rn. 23; wie hier OLG Hamburg FamRZ 1996, 1093, 1094). Denn für einen
solchen Antrag bestand vorliegend keine zwingende Veranlassung. Der Antragsteller hat
nämlich mit seinem Schreiben vom 10.07.2013 unmissverständlich zum Ausdruck
gebracht, dass er bis Ende August 2013 sein Umgangsrecht nicht durchsetzen werde und
im Anschluss der Umgang begleitet fortgesetzt werden soll. Die Antragsgegnerin musste
damit nicht mit der Vollstreckung des Ausgangstitels durch den Antragsteller rechnen. Sie
war somit nicht gehalten, einen Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung
einzureichen. Soweit der Antragsteller sodann mit Schriftsatz vom 16.09.2013 den
Umgang gemäß Regelung im Beschluss vom 27.06.2012 eingefordert hat, da die
Antragsgegnerin den begleiteten Umgang nicht ermöglicht habe, verhält er sich
widersprüchlich. Denn er selbst hat von der Durchführung unbegleiteter Umgangskontakte
in Hinblick auf den Verdacht des sexuellen Missbrauchs ausdrücklich Abstand genommen
und die Ausgangsentscheidung vom 27.06.2012 - ebenso wie die Antragsgegnerin - nicht
mehr als Grundlage für eine Vollstreckung angesehen. Diese Sachlage hat sich auch nicht
geändert. Allein die Weigerung der Antragsgegnerin, begleitete Umgänge zuzulassen,
lässt die eine Abänderung der Ausgangsentscheidung rechtfertigenden Umstände
unberührt. Vielmehr hätte der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung
begleitete Umgänge beantragen müssen.
21 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 87 Abs. 5, 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Der
Beschwerdewert wird in Hinblick auf das Interesse des Antragstellers auf 500 EUR
festgesetzt.