Urteil des OLG Hamm vom 16.12.2010

OLG Hamm (auslegung, erklärung, produkt, vertragsstrafe, eng, angabe, gläubiger, raum, zweck, ausdrücklich)

Oberlandesgericht Hamm, 4 U 118/10
Datum:
16.12.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 U 118/10
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 16 O 28/10
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 19. Mai 2010 verkündete Urteil
der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld wird
zurückgewie-sen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e :
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A.
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Die Parteien sind Mitbewerber im Online-Erotikhandel und streiten in der
Berufungsinstanz noch darüber, ob die Beklagte mit den Angeboten eines Gleitmittels
"X P C" und eines Enthaarungsmittels "C1" über ihre Internetplattform jeweils gegen
eine am 5. Februar 2009 abgegebene Unterlassungsverpflichtungserklärung verstoßen
hat.
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Die Klägerin hatte nach einem behaupteten Verstoß der Beklagten gegen die § 4 Nr. 11
UWG i.V.m. §§ 1, 2 PAngV im Zusammenhang mit einer Abmahnung eine
Unterlassungserklärung vorformuliert, wonach es die Beklagte, bei Meidung einer
Vertragsstrafe von jeweils 5.100,- Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die
nachfolgend unter 1. bis 2. aufgeführten Handlungen unterlassen sollte,
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1. Ware, die nach Füllmenge verkauft wird, ohne Angabe des Grundpreises
anzubeiten, und bei solchen Waren auch die Füllmenge nicht mitzuteilen, wie im
Fall des Produktes "B H" auf der Seite "Internetadresse" geschehen;
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2. bei Waren, die nach Füllmenge verkauft werden, dem Verbraucher die
Füllmenge nicht mitzuteilen, wie im Fall des Produktes "B H" auf der Seite
"Internetadresse" geschehen.
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Die Beklagte sah in ihrem Verhalten zwar keinen spürbaren Wettbewerbsverstoß,
verpflichtete sich mit Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten vom 5. Februar 2009
ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, jedoch verbindlich, es bei Meidung einer
Vertragsstrafe von 5.100,- Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung in ihrem
Internetshop zu unterlassen,
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für das Gleitmittel "B-H", Artikel-Nummer: ####1 und ####2 gegenüber
Verbrauchern die Füllmenge nicht anzugeben und/oder hierzu den Grundpreis
nach PreisAngV anzubieten.
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Die Klägerin nahm die Unterlassungserklärung mit Schreiben vom 6. Februar 2009
ausdrücklich an.
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Im Juni 2009 bot die Beklagte die Produkte "X P C" und "C1" auf ihrer Internetplattform
an. Beim erstgenannten Produkt fehlte die Angabe der Füllmenge und des
Grundpreises, beim zweiten Produkt fehlte bei einer angegebenen Grundmenge von
57g die Angabe eines bestimmten Grundpreises. Die Klägerin hat darin u.a. zwei
kerngleiche Verstöße gegen die Verpflichtung aus dem Unterlassungsvertrag vom 5./6.
Februar 2009 gesehen und zweimal die versprochene Vertragsstrafe von 5.100,- Euro
begehrt.
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Die Beklagte hat gemeint, die Vertragsstrafe sei nicht verwirkt worden, da sie die
Unterlassungsverpflichtung bewusst auf das Angebot des Gleitmittels "B H" beschränkt
habe. Diese Erklärung sei eng auszulegen. Außerdem läge allenfalls ein einfacher und
nicht spürbarer Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung vor.
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Das Landgericht hat die Klage im Hinblick auf den Anspruch auf Zahlung einer
Vertragsstrafe abgewiesen. Es hat ausgeführt, es fehle an einem Verstoß gegen die
Unterlassungsverpflichtung vom 5. Februar 2009, weil die Klägerin nur eine reduzierte
Erklärung abgegeben habe, die sich nur auf das Produkt "B H" bezogen habe. Eine
ausdehnende Anwendung der Kerntheorie komme für das vorliegende
Vertragsstrafenversprechen nicht in Betracht.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie wiederholt und vertieft
ihren erstinstanzlichen Vortrag in Bezug auf die Auslegung des vertraglichen
Unterlassungsversprechens. Sie meint, auch für das Vertragsstrafeversprechen müsse
die auf gerichtliche Unterlassungstitel angewendete Kerntheorie Anwendung finden,
weil solche Vertragsversprechen gerichtliche Verfahren ersetzen sollen. Daher dürfe der
Gläubiger durch die Verpflichtung nicht schlechter als durch ein entsprechendes Urteil
gestellt werden. Durch das Vertragsversprechen solle dem Gläubiger auf einfache
Weise die Möglichkeit zur Erlangung von Schadensersatz verschafft werden. Eine enge
Interpretation der Erklärung lasse die Kerntheorie leer laufen. Zwar habe die Beklagte
den von der Klägerin vorgelegten Erklärungstext nicht übernommen, sondern
eigenständig formuliert und dabei Bezug auf das damals streitgegenständliche Produkt
genommen. Doch habe die Beklagte in ihrem Begleitschreiben nicht zum Ausdruck
gebracht, dass sie sich nur in einem reduzierten Umfang verpflichten wolle. Das hätte
sie allerdings tun müssen, um einer engen Auslegung des Unterlassungstenors
entgegenzuwirken.
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Die Klägerin stellt folgenden Antrag:
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Unter teilweiser Abänderung des Urteils des LG Bielefeld vom 19.05.2010,
zugestellt am 25.05.2010, Aktenzeichen 16 O 28/10), wird die Beklagte verurteilt,
an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 10.200,- EUR zzgl. 5% Zinsen über den
Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte stellt den Antrag,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angegriffene Urteil und meint, dass die enge Auslegung der von ihr
abgegebenen Unterlassungserklärung durch den die Erklärung begleitenden Schriftsatz
sowie die Neuformulierung erkennbar eng gewollt war. Die Klägerin habe die
Möglichkeit gehabt, die enge Fassung des Versprechens zurückzuweisen, diese
Möglichkeit aber nicht wahrgenommen und sich damit auf die enge Fassung
eingelassen.
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B.
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I. Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Der vertragliche
Unterlassungsanspruch aus den Erklärungen vom 5./6.2.2009 in Verbindung mit § 339
Satz 1 BGB besteht nicht, weil die Handlungen vom Juni 2009 nicht unter die im
Februar eingegangene Verpflichtung fallen.
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1. Unterlassungsverträge sind nach den auch sonst für die Vertragsauslegung
geltenden Grundsätzen auszulegen. Maßgeblich ist danach der wirkliche Wille der
Vertragsparteien (§§ 133, 157 BGB). Bei seiner Ermittlung sind Erklärungswortlaut, Art
und Weise des Zustandekommens, Zweck der Vereinarung, die Wettbewerbsbeziehung
zwischen den Vertragsparteien sowie deren Interessenlage heranzuziehen (BGH
GRUR 1997, 931, 932 - Sekundenschnell; GRUR 2001, 758, 760; GRUR 2006, 878 –
Vertragsstrafevereinbarung; GRUR 2010, 167 - Unrichtige Aufsichtsbehörde; Senat, Urt.
v. 31.8.2010 – 4 U 58/10, BeckRS 2010, 23629).
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Ein vollständiger Rückgriff auf die Grundsätze, die für die Auslegung eines gerichtlichen
Unterlassungstitels gelten, kommt nicht in Betracht, weil einem Unterlassungsvertrag
der Charakter eines vollstreckbaren Titels fehlt (vgl. BGH GRUR 1992, 61, 62 –
Preisvergleichsliste). Der erkennende Senat hat zwar in einem kürzlich entschiedenen
Fall angenommen, dass unter eine vertragliche Unterlassungserklärung nicht nur
identische, sondern auch abgewandelte, aber denselben Kern und damit das
Charakteristische enthaltende Handlungsformen gefasst werden können (Senat, Urteil
vom 30.4.2009 – 4 U 1/09). Daraus kann allerdings nicht geschlossen werden, dass
vertragliche Erklärungen und gerichtliche Unterlassungstitel vollständig gleichbehandelt
werden. Auch wenn der vertragliche Unterlassungsanspruch wie ein gerichtlicher Titel
den Zweck verfolgt, künftige wettbewerbsrechtliche Auseinandersetzungen zu
vermeiden (BGH GRUR 1997, 931- Sekundenschnell), so kann die Auslegung des
Unterlassungsvertrages gleichwohl ergeben, dass dieser bewusst eng auf die
bezeichnete konkrete Verletzungshandlung beschränkt ist (BGH aaO. S. 932). Das liegt
bereits daran, dass derjenige, der privatautonom eine Unterlassungserklärung abgibt,
die Möglichkeit hat, die Reichweite seiner persönlichen Verpflichtung selbst zu
begrenzen. Der Erklärungsgegner hat demgegenüber seinerseits die Möglichkeit, die
privatautonome Erklärung auch in reduzierter Form entweder zu akzeptieren oder aber
seinen Anspruch, ggf. auch nur dessen überschießenden Gehalt, weiter zu verfolgen. Ist
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er im Zweifel darüber, welche Reichweite das Unterlassungsversprechen hat, so hat er
die Möglichkeit, den Erklärenden hiernach zu befragen. Akzeptieren beide Parteien eine
bestimmte Formulierung, so hat die vertragliche Vereinbarung insoweit auch
Vergleichscharakter. Die Parteien haben es insoweit in der Hand, bewusst über das
gesetzlich geschuldete Verhalten hinauszugehen, aber auch dahinter zurückzubleiben.
Der Senat ist auch im übrigen davon ausgegangen, dass eine Unterlassungserklärung
kerngleiche Verstöße insbesondere nicht umfasst, wenn der Gläubiger eine abstrahierte
Fassung der Unterwerfung verlangt und die abgegebene Erklärung dann bewusst und
deutlich hinter dem Verlagen zurückbleibt (Senat, Urt. v. 14.5.2009 – 4 U 192/08, MMR
2009, 749, Urt. v. 16.10.2007 – 4 U 91/07). Dann kann nämlich die erforderliche
Auslegung ergeben, dass die Unterlassungsverpflichtung bewusst eng gehalten und nur
auf die konkrete Verletzungshandlung beschränkt bleiben sollte (vgl. BGH GRUR 2010,
749 – Erinnerungswerbung im Internet Tz. 45).
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2. Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so ist dort zwar zu
berücksichtigen, dass die beworbenen Produkte (Gleitcreme) zum Teil jedenfalls der Art
nach ähnlich sind. Doch hat die Beklagte bewusst die Formulierung der
Unterlassungserklärung durch die Klägerin nicht übernommen, sondern sie gerade dort
abgewandelt, wo es um die generalisierende Fassung ging. Sie hat zudem aus zwei
abstrahierten Verboten ein konkretisiertes, zusammenhängendes Verbot, bezogen auf
das betroffene Produkt, gemacht. Das war auch für die Klägerin erkennbar.
Insbesondere hat die Beklagte auch zum Ausdruck gebracht, dass sie die rechtliche
Einschätzung der Klägerin nicht teilt. Sie hat daher die eigene Pflicht auch nur auf das
Gleitmittel "B-H" bezogen und dies in ihrer umformulierten Erklärung zum Ausdruck
gebracht. Schon dem eindeutigen Wortlaut nach besteht hier kaum Raum für eine
erweiternde Auslegung auf alle weiteren Waren, "die nach Füllmenge" verkauft werden.
Die Beklagte hat schließlich in ihrem Schreiben zum Ausdruck gebracht, dass sie die
Fehlauszeichnung für ein Versehen hielt, also selbst von einem Einzelfall ausging. Die
Klägerin hat ihrerseits die reduzierte Erklärung ohne nähere Nachfragen und ohne
Einschränkungen, sondern vielmehr "ausdrücklich" angenommen. Daher besteht für
eine erweiternde Auslegung kein Raum.
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Bei dem Produkt "C T T1" wird zudem zwischen den Parteien darüber gestritten, ob das
Produkt überhaupt unter die PAngVO fällt. Schon vor diesem Hintergrund ist die
Begrenzung des Unterlassungsversprechens nachvollziehbar.
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Aus der Formulierung des Unterlassungsversprechens lässt sich daher nicht folgern,
dass sich die Beklagte in dem Maße unterwerfen wollte und unterworfen hat, wie es die
Klägerin vorträgt. Das Landgericht hat in vertretbarer Weise den Unterlassungsvertrag
eng auslegt. Ein Rechtsfehler liegt daher nicht vor.
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II. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10 ZPO.
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III. Eine Zulassung der Revision war nicht angezeigt, weil nur um die Auslegung einer
konkreten Vertragsformulierung im Einzelfall gestritten wird. Weder die grundsätzliche
Reichweite der Kerntheorie noch die Grundsätze der Auslegung von
Unterlassungsverträgen sind hierfür neu zu bemessen. Von keinem dieser Grundsätze
wird vorliegend abgewichen (vgl. auch Senat, Urteil v. 16.10.2007 – 4 U 91/07).
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