Urteil des OLG Hamm vom 06.07.2001
OLG Hamm: multiple sklerose, annahme des antrags, berechnung der prämien, eintritt des versicherungsfalls, anfechtung, rücktritt vom vertrag, behandlung, gesetzliche frist, bedingter vorsatz
Oberlandesgericht Hamm, 20 U 200/00
Datum:
06.07.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 200/00
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 2 O 159/99
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 31. August 2000 verkündete
Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird
zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 15.000,00 DM abzuwenden,
wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Beide Parteien können die Sicherheit auch durch selbstschuldnerische
Bürgschaft einer als Zoll- oder Steuerbürgin zugelassenen deutschen
Bank erbringen.
Tatbestand:
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Der Kläger, damals Geschäftsführer des Unternehmens H GmbH (...), beantragte für sich
als Versicherten im Dezember 1994 eine Lebensversicherung mit eingeschlossener
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung bei der Beklagten. Nach dem Antrag, wegen
dessen vollständigen Inhalts auf die Ablichtungen Blatt 73 und 74 der Akte verwiesen
wird, war eine Laufzeit des Vertrages vom 01.12.1994 bis zum 01.12.2020 vorgesehen.
Die anfängliche Versicherungssumme für den Todesfall belief sich auf 53.898,00 DM.
Ab dem 18. Lebensversicherungsjahr sollte die Versicherungssumme bis auf schließlich
107.795,00 DM am Ende des 26. Versicherungsjahres steigen. Der Jahresbeitrag für
beide Versicherungen lag bei 3.000,00 DM. Für den Eintritt des Versicherungsfalls sah
die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung keine eigenständige Rente, sondern nur
Beitragsbefreiung für die Lebensversicherung vor.
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Dieser Antrag wurde aufgenommen durch den Zeugen E, der für die Streitverkündete
tätig war.
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Das Antragsformular enthielt neben den reinen Vertragsdaten auf seiner Seite 2 auch
eine Reihe von Fragen den Gesundheitszustand des Klägers und etwaige andere
Versicherungen betreffend. Diese Fragen lauten u.a.:
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2. Bestehen oder bestanden Krankheiten, Verletzungen, Gebrechen,
Behinderungen, körperliche oder geistige Fehler oder Schäden, chronische
Leiden oder Unfallfolgen?
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3. Waren in den letzten 5 Jahren ärztliche Behandlungen, regelmäßige
Einnahme von Medikamenten, Krankenhausaufenthalte oder Heil- bzw.
Kuraufenthalte erforderlich?
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Wenn Sie die Fragen der Ziffern 2 und/oder 3 bejaht haben, benötigen wir folgende
Angaben:
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Art der Krankheit, Verletzung usw. Wer/wann? Wie oft? Wie lange? Heutige
Folgen?
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Name und Anschriften der behandelnden Ärzte, Krankenhäuser, Heilstätten usw.?
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4. Welcher Arzt ist über ihre Gesundheitsverhältnisse am besten unterrichtet?
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...
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10. Sind bei anderen Gesellschaften Lebensversicherungsverträge
abgeschlossen oder beantragt worden? Wenn ja, Name der Gesellschaft,
Versicherungssumme
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...
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13. Besteht für Sie schon eine Versicherung für den Fall der Berufsunfähigkeit
bzw. Invalidität oder für den Pflegefall, ist eine solche beantragt oder haben Sie
sonstige Leistungen für den Fall der Berufsunfähigkeit oder den Pflegefall zu
erwarten?
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BU-Jahresrente DM?
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Unternehmen?
16
"
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Auf dem Antragsformular, das die Beklagte erreichte, waren die Fragen 2 und 3 durch
Ankreuzen mit "nein" beantwortet. Die Frage 4 war mit "Dr. T, I" beantwortet. Die Frage
10. war mit "E2 140.000,00 DM" beantwortet und die Frage 13. mit "BU Jahresrente
2.800,00 DM, Unternehmen: E2"
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In dem vorgenannten Antragsformular war ferner im Antragskopf der Beruf des Klägers
mit "Geschäftsführer" und die dazugehörige Branche mit "Wirtschaftsprüfer" angegeben.
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Die Beklagte nahm den Antrag an und erteilte einen entsprechenden
Versicherungsschein, wegen dessen Einzelheiten auf die Ablichtungen Blatt 10 ff der
Akte verwiesen wird. Wegen der zugehörigen Bedingungen wird auf die Ablichtungen
Blatt 58 bis 64 der Akte verwiesen.
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Mit Schreiben vom 14.09.1998 übersandte der Kläger der Beklagten eine ärztliche
Bescheinigung des Neurologen Dr. med. B vom 11.09.1998 mit der Diagnose "multiple
Sklerose", und beantragte Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Im
Rahmen der daraufhin erfolgenden Leistungsprüfung holte die Beklagte ärztliche
Unterlagen ein und brachte in Erfahrung, daß der Kläger erstmals 1976 wegen
krankhafter Zustände behandelt worden ist, die als erster Schub der multiplen Sklerose
angesehen werden können. Sie erklärte deshalb mit Schreiben vom 27.10.1998, wegen
dessen vollständigen Wortlauts auf die Ablichtungen Blatt 17 und 18 der Akte verwiesen
wird, den Rücktritt von Lebensversicherungsvertrag und
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Den Rücktritt stützt sie zusätzlich darauf, daß der
Kläger auch verschwiegen habe, bereits 1981 wegen einer Diskopathie im
Lendenwirbelsäulenbereich (L 4/L 5) behandelt worden zu sein. Im Laufe dieses
Rechtsstreits hat sie außerdem mit Schreiben vom 24.06.1999 (Blatt 65 und 66 der Akte)
die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung erklärt und zur Begründung
ausgeführt, daß dem Kläger bereits seit 1976 die Diagnose "multiple Sklerose" bekannt
gewesen sei. Auch im Jahre 1981 sei er deswegen noch mit Cortison behandelt
worden.
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Ein weiteres Mal hat die Beklagte mit Schreiben vom 24.01.2000, wegen dessen
vollständigen Wortlauts auf die Ablichtungen Blatt 111 ff der Akte verwiesen wird, die
Anfechtung der Verträge wegen arglistiger Täuschung erklärt. Diese Anfechtung hat sie
darauf gestützt, daß der Kläger im Antragsformular seinen Beruf als Geschäftsführer in
der Branche Wirtschaftsprüfer angegeben habe. Tatsächlich sei er aber als Detektiv,
u.a. als Bodyguard, tätig gewesen. Diese Anfechtung wird ferner darauf gestützt, daß
der Kläger noch vor Antragstellung im Jahre 1994 wegen diverser Gefühlsstörungen
über der gesamten Körperoberfläche behandelt worden sei. Auch diese Behandlung
durch den Arzt Dr. U habe der Kläger vorsätzlich verschwiegen. Ferner habe er
hochdosierte Cortisontherapien in den Jahren 1979 und 1994 vor Antragstellung durch
die Neurologin Dr. Riemenschneider zur Behandlung der ihm bekannten multiplen
Sklerose verschwiegen. Verschwiegen habe der Kläger schließlich auch, daß er in den
Jahren 1991 und 1992 was unstreitig ist von dem Psychiater Dr. T2 wegen
Neurosen/Depressionen behandelt worden sei.
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Der Kläger wehrt sich gegen den gegen ihn erhobenen Vorwurf der arglistigen
Täuschung.
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Er hat behauptet, er habe 1976 kurzzeitig als 16jähriger an einer
Rückenmarksentzündung gelitten und im Jahre 1979 an einer Sehnerventzündung.
Beide Erkrankungen hätten unabhängig voneinander bestanden und seien vollständig
ausgeheilt. Es bestehe kein Zusammenhang mit der erst im Jahre 1995 erstmals
diagnostizierten und ihm bekannt gegebenen multiplen Sklerose. Entsprechende
Beschwerden seien auch erstmals im Jahre 1995 aufgetreten.
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Der Kläger hat ferner behauptet, der Zeuge E sei bei Beantragung der Versicherung im
Dezember 1994 über die Behandlung wegen der Depression/Neurose sowie die daraus
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resultierende Arbeitsunfähigkeit vollständig informiert gewesen. Er hat gemeint, die
Kenntnisse des Zeugen E, den er als Agenten der Beklagten ansehe, müsse sich die
Beklagte zurechnen lassen. Er hat ferner die Auffassung vertreten, Rücktritt und
Anfechtung seien gemäß § 10 Abs. 3 der Besonderen Bedingungen zur
Berufsunfähigkeitsversicherung wegen des zwischenzeitlichen Zeitablaufs
ausgeschlossen.
Der Kläger hat beantragt,
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1. festzustellen, daß der Versicherungsvertrag Nr. ##### vom 14.12.1994 nicht
durch einseitige Erklärung der Beklagten, insbesondere nicht durch die
Rücktrittserklärung vom 27.10.1998 oder durch Anfechtung beendet wurde,
sondern über den 27.10.1998 unter Befreiung von der Beitragspflicht ab dem
01.09.1998 weiter fortbesteht, sowie
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2. hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 7.272,37 DM nebst 4 %
Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage im Hauptantrag abzuweisen.
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Sie hat behauptet, dem Kläger sei bei Antragstellung die Diagnose "multiple Sklerose"
bekannt gewesen. Dem Zeugen E, der im übrigen Versicherungsmakler sei, habe der
Kläger auf die entsprechenden Fragen unrichtige Antworten gegeben. Sie ist der
Ansicht, dem Kläger sei jedenfalls unter dem Gesichtspunkt kollusiven Handelns die
Berufung auf die Kenntnis des Agenten verwehrt.
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Das Landgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme Vernehmung der
Zeugen Dr. B, Dr. X, U, C, X2 und E die Klage im Hauptantrag abgewiesen und die
Beklagte verurteilt, an den Kläger 7.262,37 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 26.04.1999
zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die seitens der Beklagten am 24.01.2000
erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung sei begründet. Der Kläger habe
zumindest die Behandlung wegen Depressionen in den Jahren 1991/92 verschwiegen.
Eine etwaige Kenntnis des Zeugen E brauche sich die Beklagte nicht zurechnen zu
lassen; dieser sei Makler. Die bedingungsgemäße Beschränkung auf fünf Jahre in § 10
Nr. 3 der Bedingungen über die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung betreffe nur den
Rücktritt, nicht aber die Anfechtung. Diese sei deshalb auch fristgerecht erfolgt. Dem
Kläger stehe deshalb lediglich der Rückkaufswert der Lebensversicherung zu, den es
dem Kläger auf den Hilfsantrag zugesprochen hat.
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Gegen diese Entscheidung, wegen deren Einzelheiten auch hinsichtlich des weiteren
Vorbringens der Parteien auf ihren Inhalt verwiesen wird, wendet sich der Kläger mit
seiner Berufung, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Er wiederholt und vertieft sein
erstinstanzliches Vorbringen. Er ist der Ansicht, die Beklagte müsse sich die Kenntnisse
des Zeugen E zurechnen lassen, denn sie habe ihn zum Abschluß des Vertrages
eingesetzt. Weder er, der Kläger, noch die H GmbH hätten einen Maklervertrag mit dem
Zeugen E geschlossen. Dem Zeugen E wiederum sei bei Antragsaufnahme bekannt
gewesen, daß der Kläger zuvor im Jahre 1991 wegen Depressionen in Behandlung
gewesen sei. Die weiteren Gesundheitsfragen habe der Zeuge E dem Kläger nicht
gestellt. Gleiches gelte für die Fragen nach weiteren Versicherungen. Der Zeuge E habe
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das Antragsformular bereits fertig ausgefüllt und mit entsprechenden Kreuze versehen
mitgebracht. Er, der Kläger, habe das Formular lediglich überflogen und dann
unterzeichnet.
Ferner behauptet der Kläger, er sei infolge seiner Erkrankung an multipler Sklerose
nicht mehr zu mindestens 50 % in der Lage, seinen Beruf auszuüben.
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Der Kläger beantragt,
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das angefochtene Urteil abzuändern und festzustellen, daß der zwischen den
Parteien bestehende Lebensversicherungsvertrag mit der Versicherungsschein-Nr.
##### nicht durch einseitige Erklärung der Beklagten, insbesondere nicht durch die
Rücktrittserklärung vom 27.10.1998 oder durch Anfechtung beendet wurde,
sondern unter Befreiung von der Beitragspflicht ab dem 01.09.1998 fortbesteht.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Der Kläger habe im
Antragsformular über seinen tatsächlichen Beruf, über seinen Gesundheitszustand und
über anderweitig bestehende Versicherungen wissentlich falsche Angaben gemacht,
um sie zur Übernahme des Risikos zu bewegen. Selbst dann, wenn der Kläger den
Zeugen E insoweit zutreffend informiert haben sollte, komme eine Zurechnung dessen
Kenntnisse nicht in Betracht, weil er nicht ihr Agent, sondern Makler des Klägers
gewesen sei. Ein Agenturvertrag zwischen ihr und dem Zeugen E habe zu keinem
Zeitpunkt bestanden, und zwar auch nicht mit der Firma W.
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Schließlich bestreitet die Beklagte, daß der Kläger seit dem 01.09.1998
bedingungsgemäß berufsunfähig ist.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die in der Akte befindlichen
Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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Der Senat hat den Kläger gemäß § 141 ZPO im Senatstermin vom 06.07.2001
ergänzend angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung des Klägers wird auf den
Berichterstattervermerk verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg; die Klage ist unbegründet.
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Der zwischen den Parteien aufgrund des Antrags des Klägers aus Dezember 1994
zunächst zustandegekommene Versicherungsvertrag (Lebensversicherung mit
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung) ist jedenfalls aufgrund der von der Beklagten mit
Schreiben vom 24.01.2000 abgegebenen Erklärung wirksam wegen arglistiger
Täuschung (§§ 123 BGB, 22 VVG) angefochten worden und deshalb als von Anfang an
nichtig anzusehen (§ 142 BGB). Der Kläger hat gegenüber der Beklagten bei
Antragstellung vorsätzlich falsche Angaben über seinen Gesundheitszustand gemacht,
indem er die Fragen im Antragsformular unrichtig beantwortet hat. Zwischen den
Parteien ist unstreitig, daß der Kläger in den Jahren 1991 und 1992 von dem Psychiater
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Dr. T2 wegen Neurosen und Depressionen behandelt worden ist. Es bedarf keiner
näheren Darlegung, daß es sich dabei sowohl in der Lebensversicherung als auch in
der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung um gefahrerhebliche Umstände handelt. Die
wahrheitsgemäße Offenbarung dieser Behandlung hätte dazu geführt, daß die Beklagte
den Antrag jedenfalls nicht ohne weitere Prüfung angenommen hätte. Dies war dem
Kläger auch bekannt, zumal er wegen dieser Behandlung in der Zeit vom 28.10.1991
bis zum 21.05.1992 bei der T3 im Jahre 1992 Berufsunfähigkeitsrente beantragt und
diese bis ins Jahr 1993 hinein auch ausgezahlt bekam, was er der Beklagten ebenfalls
nicht offenbart hat.
Es ist zwischen den Parteien unstreitig, daß es sich bei der ärztlichen Behandlung
wegen Neurosen/Depression um Umstände handelte, nach denen in der Antragsfrage
zu 3. im Antragsformular gefragt worden sind, nämlich um nicht länger als fünf Jahre
zurückliegende ärztliche Behandlungen. Die Beantwortung der Frage mit "nein" im
Antragsformular ist unrichtig. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang im Senatstermin
folgendes dargelegt: Es treffe zu, daß er in den Jahren 1991 und 1992 wegen derartiger
Beschwerden behandelt worden sei und deswegen auch Leistungen von der T3
bezogen habe. All dies sei dem Zeugen E aber bekannt gewesen. Immerhin sei es der
Zeuge E gewesen, der dem Kläger die Versicherung bei der T3 vermittelt habe und der
ihn darauf hingewiesen habe, daß er dort Ansprüche geltend machen könne. Eine
Besonderheit dieser Versicherung sei es nämlich gewesen, daß eine Berufsunfähigkeit
unwiderleglich vermutet werde, wenn eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit über
mehr als sechs Monate fortdauere. Der Zeuge E sei deshalb genau über das Ausmaß
und die Dauer der Erkrankung informiert gewesen. Er habe dem Kläger damals auch
noch den Leistungsantrag gegenüber der T3 diktiert. Bei der Antragsaufnahme
hinsichtlich des hier streitigen Versicherungsvertrages habe der Zeuge E ihn nicht mehr
danach befragt. Der Zeuge habe ihm die Gesundheitsfragen überhaupt nicht gestellt,
sondern das Formular bereits ausgefüllt mitgebracht. Bei den einzelnen Fragen hätten
sich bereits entsprechende Kreuze befunden. Er habe ihm das Formular nur noch zur
Unterschrift vorgelegt. Er habe es sich dabei nicht mehr genau durchgelesen, sondern
nur überflogen. Dabei sei ihm zwar aufgefallen, daß bei der Frage 13. eigentlich seine
Versicherung bei der T3 hätte angegeben sein müssen. Er habe den Zeugen E auch
noch darauf hingewiesen, daß dort die "T3" fehle. Der Zeuge E habe aber abgewunken
und gesagt, "ach, lassen Sie die "T3" mal weg". Er habe dann unterschrieben und dem
Zeugen E das Formular zurückgegeben. Er habe später festgestellt, daß der Zeuge E
das Formular dann von sich aus weiter ausgefüllt haben müsse. Dies gelte für den
Namen des Arztes "Dr. T, I". Diesen Namen habe er nicht genannt. Der Arzt sei ihm
nicht einmal bekannt. Auch sei er sicher, daß er seinen Beruf nicht als
"Wirtschaftsprüfer" angegeben habe.
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Zur Funktion und zur Person des Zeugen E erklärte der Kläger: Unmittelbar nach
seinem Studium habe er eine Reihe von Versicherungen benötigt, und sich deshalb an
den damals noch tätigen Vater des Zeugen E gewandt. Er sei dort gut beraten worden
und mit einem "bunten Strauß" von Versicherungen versehen worden. Auch später sei
er dort geblieben und nach dem Ausscheiden des Vaters E aus dem Berufsleben weiter
von dessen Sohn, dem Zeugen E, weiter beraten worden, und zwar auch noch,
nachdem dieser den Arbeitgeber gewechselt habe.
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Nach diesen Erklärungen des Klägers bedurfte es keiner weiteren Beweisaufnahme
mehr, denn unter Zugrundelegung der eigenen Angaben des Klägers geht der Senat
von einer arglistigen Täuschung bei Abschluß des Versicherungsvertrages aus.
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Bei der Entgegennahme eines Antrags auf Abschluß eines Versicherungsvertrages
steht dem Antragsteller ein Vermittlungsagent bildlich gesprochen als "Auge und Ohr
des Versicherers" gegenüber. Was ihm in Bezug auf die Antragstellung gesagt und
vorgelegt wird, ist dem Versicherer gesagt und vorgelegt. Darum gelten Angaben des
Antragstellers gegenüber dem Versicherer grundsätzlich auch dann als abgegeben,
wenn sie der Vermittlungsagent es falsch, unvollständig oder gar nicht an den
Versicherer weiterleitet.
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Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Er ist zum einen beschränkt auf
Vermittlungsagenten des Versicherers, zum anderen gilt er nicht bei kollusivem
Handeln.
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Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Zeuge E Agent der Beklagten ist, ein auf
seiten des Klägers stehender Makler oder ob er trotz dieser Stellung zumindest wie ein
Agent zu behandeln ist. Insoweit deuten die näheren Umstände, auch soweit der Kläger
sie geschildert hat, eher auf eine Maklerstellung des Zeugen E hin. Dieser ist in der
Courtagezusage der Beklagten (Bl. 193 f d.A.) als selbständiger Makler bezeichnet. Er
ist bei der Vermittlung von Versicherungsverträgen nicht auf einzelne Versicherer
beschränkt, sondern berät seine Kundschaft umfassender, worauf auch die vom Kläger
erwähnte "bunte Mischung von Versicherungen" hinweist. Schließlich war es auch so,
daß sich der Kläger den Zeugen E bzw. zuvor seinen Vater als "Versicherungsmann"
seines Vertrauens ausgewählt und ihn in diesem Zusammenhang immer wieder
angesprochen hat. Einer abschließenden Entscheidung bedarf es insoweit aber nicht.
Letztlich kann nämlich dahinstehen, ob der Zeuge E ausnahmsweise wie ein Agent zu
behandeln wäre. Denn selbst in diesem Falle brauchte sich die Beklagte das Wissen
und die Kenntnisse des Zeugen E nicht zurechnen zu lassen; denn bereits die
Sachverhaltsdarstellung des Klägers selbst im Senatstermin begründet in
ausreichendem Maße sein arglistiges Verhalten.
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Der Vorwurf arglistigen Verhaltens trifft einen Antragsteller dann, wenn er weiß oder
erkennt und billigt bedingter Vorsatz reicht insoweit aus , der Agent werde erhebliche
Umstände dem Versicherer nicht mitteilen, um diesen zur (uneingeschränkten)
Annahme des Antrags zu bewegen (Senat NJWRR 1996, 406; BGH VersR 1993, 1089;
OLG Köln r+s 1991, 320; OLG Karlsruhe r+s 1997, 38, Prölss/Martin-Kollhosser, Rn. 27
zu § 43 VVG; Römer-Langheid, Rn. 16 zu § 22 VVG). Wenn der Versicherungsnehmer
erkennt, daß der Agent beim Ausfüllen des Antragsformulars unkorrekt zum Nachteil des
Versicherers handelt und Fragen zu gefahrerheblichen Umständen falsch beantwortet
hat, wird ihm deutlich, daß jener sich unmißverständlich von der Wahrung der
Interessen des Versicherers gelöst hat. Damit ist die Grenze der zumutbaren
Zurechnung des Agentenwissens überschritten. Wenn mit Wissen und Billigung des
Versicherungsnehmers dem Versicherer gefahrerhebliche Umstände vorenthalten
werden, ist die Zurechnung der Kenntnisse des Agenten zu Lasten des Versicherers
ausgeschlossen.
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Von einem derartigen kollusiven Zusammenwirken zwischen dem Kläger und dem
Zeugen E ist auf der Grundlage des Klägervortrages auszugehen. Denn danach waren
sowohl dem Kläger selbst als auch dem Zeugen E die gefahrerheblichen Umstände aus
der Behandlung wegen Depression im Jahre 1991/1992 bekannt, die sogar zur
zeitweiligen Berufsunfähigkeit des Klägers geführt hatten. Unterstellt man zugunsten
des Klägers seinen Sachvortrag als richtig, daß der umfassend informierte Zeuge E ihm
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die Antragsfragen gar nicht erst verlesen hat, sondern bereits ausgefüllt mitgebracht hat,
war zumindest dem Zeugen E klar, daß die Antragsfragen zu 2. nach den
Gesundheitsstörungen selbst wie auch die Antragsfrage zu 13., die sich konkret auch
auf die Versicherung bei der T3 bezog, anders als von ihm vorausgefüllt hätten
beantwortet werden müssen. Auch dem Kläger selbst war zumindest aufgefallen, daß
die Angabe hinsichtlich der Versicherung bei der T3 im Antragsformular, wie er es
unterzeichnet hat, falsch gewesen ist. Denn jedenfalls insoweit will er vom
Antragsformular Kenntnis genommen und auch festgestellt haben, daß dort eigentlich
ein anderer Eintrag hätte erfolgen müssen. Nach seinem Vortrag hat er den Zeugen E
auch auf diesen Fehler aufmerksam gemacht. Aufgrund der Reaktion des Zeugen E, der
gesagt haben soll: "Ach, lassen Sie das mal mit der T3", mußte dem Kläger auch klar
sein, daß der Zeuge E das Antragsformular so unrichtig, wie es zumindest in diesem
Punkte war, weiterleiten und nicht auf eine korrekte Ausfüllung dieser Frage hinwirken
würde. Damit nahm er zumindest billigend in Kauf, daß die Beklagte nichts von der
Versicherung bei der T3 erfuhr.
Im Ergebnis gleichermaßen zu beurteilen ist das Verhalten des Klägers in Bezug auf die
nach dem Antragsformular verschwiegenen Behandlungen wegen
Neurosen/Depression in den Jahren 1991 und 1992. Insoweit hat der Kläger zwar
erklärt, von den entsprechenden Fragen im Antragsformular keine Kenntnis genommen
zu haben. Das begründet aber keine andere Beurteilung. Zu berücksichtigen ist
nämlich, daß der Kläger erkannt hatte, daß das Antragsformular zumindest in einem
nicht unwesentlichen Punkt offensichtlich falsch ausgefüllt war. Auch hat der Kläger
erkannt, daß eine Reihe von weiteren Fragen in dem Antragsformular enthalten und
auch bereits ausgefüllt waren. Er will sich aber nicht der Mühe unterzogen haben, diese
Fragen auch zur Kenntnis zu nehmen, obwohl er Gelegenheit dazu hatte, und obwohl
er, nachdem er die unrichtige Beantwortung einer Frage bereits erkannt hatte, auch
dazu Veranlassung gehabt hätte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, als er aus
dem Verhalten des Zeugen E den Eindruck gewonnen hatte, daß dieser von sich aus
keine Änderung mehr vornehmen und das Antragsformular so unrichtig, wie es in
zumindest in einem wesentlichen Punkt schon war und möglicherweise in weiteren
Punkten auch noch war, weiterleiten würde. Der Senat zieht aus diesem Verhalten des
Klägers den Schluß, daß er damit rechnete, daß auch weitere der insgesamt 13 Fragen
und damit auch die Frage nach Vorerkrankungen und früheren Behandlungen unrichtig
beantwortet worden waren und er diese etwaigen Unrichtigkeiten billigend in Kauf
genommen hat. Der damit zumindest bestehende dolus eventualis hinsichtlich etwaiger
falscher Antworten reicht für die Annahme des Täuschungsvorsatzes im Rahmen der
arglistigen Täuschung aus. Bei alledem liegt auf der Hand und steht bei dem vom
Kläger an den Tag gelegten Verhalten zur Überzeugung des Senats fest, daß die
ungeprüfte Übernahme des vom Zeugen E, den er bereits als in sein "Lager"
übergewechselt erkannt haben mußte, zuvor ausgefüllten Antrags, nur dem Zweck
diente, die Beklagte zur Annahme des Antrags zu veranlassen, wozu sie bei einer
anderen richtigen Beantwortung der Antragsfrage nicht bereit gewesen wäre oder
jedenfalls nicht zu den beantragten Konditionen.
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Die Beklagte hat die Anfechtung auch fristgerecht ausgesprochen. Insbesondere gilt die
vom Kläger angeführte Frist von fünf Jahren seit dem Vertragsschluß nicht. § 10 Abs. 3
der von ihm herangezogenen Bedingungen zur Berufsunfähigkeitszusatzversicherung
betrifft ausdrücklich nur den Rücktritt vom Vertrag, nicht auch die Anfechtung. Insoweit
gilt die gesetzliche Frist von einem Jahr nach Kenntniserlangung (§ 124 BGB). Diese
Frist ist gewahrt.
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Auf die Frage, ob die Anfechtung daneben auch wegen falscher Angaben zu seinem
Beruf, was eher für die Berechnung der Prämien bedeutsam sein dürfte, unvollständiger
bzw. falscher Angaben zu anderen Versicherungen oder wegen Verschweigens einer
weiteren Erkrankung, namentlich der multiplen Sklerose, begründet ist, kommt es nach
alledem nicht streitentscheidend an. Auch die Frage, ob der Kläger aufgrund seiner
Erkrankung tatsächlich seit dem 01.09.1998 in seinem zuletzt in gesunden Tagen
ausgeübten Beruf berufsunfähig ist, ist aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos und
bedarf keiner weiteren Klärung.
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Nach alledem war die Berufung des Klägers mit den sich aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711
ZPO ergebenden Nebenfolgen zurückzuweisen.
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Die Beschwer des Klägers übersteigt 60.000,00 DM.
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