Urteil des OLG Hamm vom 14.12.2005
OLG Hamm: treu und glauben, einstweilige verfügung, therapie, private krankenversicherung, schutzwürdiges interesse, hauptsache, bach, behandlungskosten, versicherungsnehmer, arteriosklerose
Oberlandesgericht Hamm, 20 U 198/05
Datum:
14.12.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 U 198/05
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 25 O 334/05
Tenor:
Gemäß § 522 Abs.II Satz 2 ZPO wird dem Berufungskläger folgender
Hinweis erteilt:
Die eingelegte Berufung verspricht keine Aussicht auf Erfolg.
Der Senat beabsichtigt, sie durch Beschluß zurückzuweisen.
I.
1
Der Verfügungskläger will im Wege einer einstweiligen Verfügung durchsetzen, die
Verfügungsbeklagte zur Übernahme der Kosten einer Lipidapherese-Therapie zu
verpflichten.
2
Der Antragsteller ist beihilfeberechtigt (70 %) und unterhält bei der Verfügungsbeklagten
unter der Versicherungsnummer xxxxxxx.x eine private Krankheitskostenversicherung
nach dem Tarif P 30 und Z 30; vereinbart sind die MB/KK 94.
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Der Verfügungskläger leidet an einer koronaren Herzkrankheit und an einer
angeborenen Fettstoffwechselstörung. Er erlitt im Jahr 2002 zwei Herzinfarkte. Sein
ärztlich festgestelltes kardiovaskuläres Risikoprofil ist u.a. durch eine Erhöhung des
Lipoprotein(a) gekennzeichnet, die medikamentös suffizient nicht beeinflußbar ist und
ohne Behandlung zu einer Progression der bei ihm diagnostizierten generalisierten
Arteriosklerose führen kann. Als therapeutische Option zur Senkung des Lipoprotein(a)-
Spiegels steht die LDL-Apherese zur Verfügung, die bei dem Verfügungskläger bereits
einmal im März 2005 im Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen in C P
durchgeführt wurde und damals zu einer signifikanten Absenkung des Lipoprotein(a)-
Wertes geführt hat.
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Dem Verfügungskläger wurde ärztlicherseits die Durchführung einer regelmäßigen
Lipidapherese-Therapie zur Bekämpfung einer Progression der Arteriosklerose und zur
Vermeidung einer Stentrezidivstenose empfohlen.
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Mit Schreiben vom 27.04.2005 teilte die Beihilfestelle dem Verfügungskläger mit,
Aufwendungen für eine Lipid-Apherese seien in der Beihilfe berücksichtigungsfähig.
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Mit Schreiben vom 27.04.2005 teilte die Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger mit,
eine Auswertung des Arztberichtes des Herz- und Diabeteszentrums Nordrhein-
Westfalen vom 01.04.2005 ergebe, daß bei derzeit stabiler koronarer Herzkrankheit die
etablierten Indikationen für eine Durchführung der Lipid-Apherese-Therapie bei ihm
nicht vorlägen. Im übrigen verwies die Verfügungsbeklagte auf einen Beschluß des
Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen vom 24.03.2003, wonach eine LDL-
Apherese bei isolierter Lipoprotein(a)-Erhöhung eine experimentelle Anwendung sei,
die nicht ausreichend wissenschaftlich belegt sei und ausschließlich in kontrollierten
Studien durchgeführt werden solle.
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Der Verfügungskläger hat behauptet, er befinde sich in einem lebensbedrohten Zustand.
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Die Lipidapherese-Therapie müsse pro Woche einmal durchgeführt werden und koste
ca. 1.227,00 €, so daß die Verfügungsbeklagte ihm bedingungsgemäß 30 % (= 368,10
€) zu erstatten habe. Er sei als Rentner wirtschaftlich nicht in der Lage, die Kosten der
Therapie zu verauslagen, besitze auch kein Vermögen, so daß die Realisierung eines
Kredites nicht in Betracht komme.
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Der Verfügungskläger hat beantragt,
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die Verfügungsbeklagte zu verurteilen, ihm die Kosten der regelmäßigen
extrakorporalen Lipidapherese-Therapie im vertraglichen Umfang mit sofortiger
Wirkung zu ersetzen.
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Die Verfügungsbeklagte hat die Zurückweisung des Antrags auf Erlaß einer
einstweiligen Verfügung beantragt.
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Das Landgericht hat das Vorliegen eines Verfügungsgrundes verneint und durch das
am 26.08.2005 verkündete Urteil den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung
zurückgewiesen.
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Der Verfügungskläger greift das Urteil mit der Berufung an.
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Er wiederholt seinen Vortrag aus erster Instanz und verfolgt seinen Antrag weiter.
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II
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Die zulässige Berufung hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
17
Der Verfügungskläger hat keine Umstände glaubhaft gemacht, aus denen sich ein
Erfordernis zur Durchsetzung seines Anspruchs auf eine Lipidapherese-Therapie im
Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ergeben würde.
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1. In der privaten Krankheitskostenversicherung verspricht der Versicherer, dem
Versicherungsnehmer die Aufwendungen für medizinisch notwendige
Heilbehandlungen wegen Krankheit oder Unfallfolgen zu erstatten (§ 1 (1) a MB/KK).
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Die "Aufwendungen", die der Versicherer bedingungsgemäß zu übernehmen hat,
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entstehen in der privaten Krankheitskostenversicherung in aller Regel als vertragliche
Schuld des Versicherungsnehmers für Honorarkosten, Pflegekosten und dergleichen
gegenüber dem Arzt, dem Krankenhaus etc.., mithin als Forderung Dritter gegen den
Versicherungsnehmer (vgl. Bach in Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 3. Aufl. §
178 b VVG, Rn.3).
Ein gerichtlich feststellbarer Anspruch des Versicherungsnehmers auf Leistungen setzt
danach regelmäßig die Vorlage von Belegen ("Nachweisen": § 6 (1) MB/KK) voraus; der
Versicherer ist grundsätzlich nachleistungspflichtig (Bach, aaO., § 6 MB/KK Rn.1).
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Ein Anspruch des Versicherungsnehmers darauf, vor Eingehen eigener
Verbindlichkeiten eine Deckungszusage des Versicherers zu erhalten, besteht nach
allgemeiner Meinung nicht (Bach, aaO, § 6 MB/KK Rn.1; Schoenfeldt/Kalis in
Bach/Moser, aaO., § 1 MB/KK Rn. 88; Prölss in Prölss/Martin, 27. Aufl. § 6 MB/KK 94,
Rn.2 a) oder allenfalls in Ausnahmesituationen (OLG Köln, Urt.v. 20.03.1996 - 5 U
121/95 - r+s 1998, 125; OLG Stuttgart, Urt.v. 19.12.1996 - 7 U 196/98 - OLGR Stuttgart
1998, 23; AG Schöneberg, r+s 1999, 520). Als Ausnahmesituaionen werden Fälle
angesehen, in denen der Versicherungsnehmer geltend machen kann, er könne das
Risiko nicht eingehen, die Kosten einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung ganz
oder auch nur teilweise allein zu tragen (OLG Stuttgart, aaO.). In einem solchen Fall wird
der Anspruch des Versicherungsnehmers auf eine Überprüfung der Kostenübernahme
vorab aus Treu und Glauben abgeleitet.
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Da der Verfügungskläger geltend macht, die Behandlungskosten der extrakorporalen
Lipidapherese-Therapie überstiegen seine finanziellen Verhältnisse, dürfte ein
schutzwürdiges Interesse daran, die Frage der Kostenübernahme ausnahmsweise
vorab zu klären, jedenfalls schlüssig behauptet sein; dem hat sich die
Verfügungsbeklagte bislang auch nicht verschlossen.
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Ob allerdings im Fall des Verfügungsklägers die von der Verfügungsbeklagten
bestrittene medizinische Notwendigkeit der Lipidapherese-Therapie vorliegt, kann nicht
ohne sachverständige Hilfe und schon gar nicht im Eilverfahren entschieden werden.
Die Entscheidung dieser Frage muß offenbleiben und bedarf einer Klärung in einem
Hauptsacheverfahren.
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2. Der Antrag auf Erlaß der begehrten einstweiligen Verfügung ist unbegründet, weil der
Verfügungskläger die Voraussetzungen eines
Verfügungsgrundes
gemacht hat.
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Aus dem oben unter Ziff. II.1 bejahten schutzwürdigen Interesse des Verfügungsklägers
an einer Deckungszusage kann nach Treu und Glauben zwar ein Anspruch auf die
Prüfung der Kostenübernahme vorab abgeleitet werden; ein Verfügungsgrund ist damit
jedoch noch nicht glaubhaft gemacht.
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Ein Antrag auf eine Kostenübernahmeerklärung des Versicherers im Wege einer
einstweiligen Verfügung wird gemeinhin wegen des Befriedigungscharakters der damit
begehrten Leistungsverfügung für unzulässig gehalten (Schoenfeldt/Kalis, aaO. Rn. 87),
vorbehaltlich wiederum ganz besonderer Ausnahmen in Einzelfällen, in denen in einer
akuten Notlage die begehrte einstweilige Verfügung zur Abwendung schwerwiegender
Nachteile und Schäden für Gesundheit, Leib und Leben erforderlich sein kann (vgl.
dazu, im konkreten Fall allerdings verneinend, LG Saarbrücken, VersR 1985, 878).
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Der Verfügungskläger genügt seiner Darlegungslast zum Verfügungsgrund nicht allein
mit der Behauptung, er bedürfe der Lipidapherese-Therapie, um eine Gefährdung für
seine Gesundheit abzuwenden. Diese Behauptung gehört vielmehr schon zum
Verfügungsanspruch, wie bereits unter Ziff.II.1 dargelegt.
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Denn bei der Beurteilung des Verfügungsgrundes kommt es nicht nur auf die
Dringlichkeit der angestrebten Behandlung an, sondern zugleich auf die Frage, ob das
Kostenrisiko eine zu Gunsten des Verfügungsklägers zunächst als medizinisch
notwendig zu unterstellende Behandlung ernstlich verhindert.
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Unter "Kostenrisiko" ist dabei nicht das Risiko zu verstehen, überhaupt und endgültig
die Kosten der Behandlung zu tragen: Denn über diese Frage ist nicht im Eilverfahren
zu entscheiden, sondern im Hauptsacheverfahren. Es geht allein um das Risiko der
vorläufigen Übernahme bis zur Entscheidung in der Hauptsache anfallender
Behandlungskosten, wobei überdies § 945 ZPO in den Blick zu nehmen ist: Sollte die
medizinische Notwendigkeit der angestrebten Behandlung - wie von der
Verfügungsbeklagten behauptet - im Ergebnis zu verneinen sein, bliebe der
Verfügungskläger gleichwohl auch dann mit dem Kostenrisiko der Behandlung belastet,
wenn seinem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung entsprochen würde. Denn
würde sich im Hauptsacheverfahren die einstweilige Verfügung als von Anfang an
unberechtigt herausstellen, etwa weil die medizinische Notwendigkeit der Behandlung
nicht bewiesen würde, wäre der Verfügungskläger der Verfügungsbeklagten zum
Schadenersatz verpflichtet.
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Ein Verfügungsgrund käme danach nur dann in Betracht, wenn der Verfügungskläger
finanziell außerstande wäre, die von der Beihilfe nicht gedeckten Behandlungskosten
bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen - was nicht glaubhaft gemacht
ist - und wenn die behandelnden Ärzte die Durchführung der von ihnen für medizinisch
notwendig erachteten Behandlung von einer Deckungszusage der
Verfügungsbeklagten abhängig machen und sich weigern würden, den
Verfügungskläger zu behandeln. Davon ist jedoch ohne weitere Darlegung nicht
auszugehen, da nach den Erfahrungen des Senats Ärzte in aller Regel die Behandlung
von Privatpatienten nicht von einer Deckungszusage des privaten
Krankheitskostenversicherers abhängig zu machen pflegen.
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Der Verfügungskläger hat seine Einkommens- und Vermögensverhältnissen weder
dargelegt noch glaubhaft gemacht, obwohl er bereits am 16.08.2005 (Vermerk Bl. 18
GA) darauf hingewiesen worden ist, daß es auf seine finanziellen Verhältnisse
ankommt. Mithin ist auch nicht glaubhaft gemacht, daß der Verfügungsbeklagte
außerstande ist, den Anteil von 30% der anfallenden Behandlungskosten jedenfalls für
einen vorübergehenden Zeitraum vorzufinanzieren.
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Ob der Verfügungskläger bereits Klage in der Hauptsache erhoben hat, ist nicht
ersichtlich, so daß auch nicht abzuschätzen ist, welcher Zeitraum zu überbrücken sein
würde. Die Verfügungsbeklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, daß bei einer zeitnah
nach der Ablehnung vom 27.04.2005 erhobenen Klage zur Hauptsache inzwi
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schen ein Sachverständigengutachten vorliegen würde; mittlerweile wäre aller
Voraussicht nach auch schon eine erstinstanzliche Entscheidung ergangen.
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3. Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, daß auch die vom
Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 19.03.2004 (1 BvR 131/04)
herausgestellten Grundsätze nicht zu einer anderen Beurteilung führen.
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Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lag der Fall einer einstweiligen
Anordnung im Sozialgerichtsverfahren gegen einen gesetzlichen Krankenversicherer
zugrunde, in dem zu überprüfen war, ob der negativen Entscheidung des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 24.03.2003 ein
Systemversagen zugrunde lag. Diese Frage stellt sich in der privaten
Krankenkostenversicherung nicht, da die Entscheidungen des Bundesausschusses
nicht maßgebend sind.
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Die sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ergebenden Anforderungen für den vorläufigen
Rechtsschutz, die in Fällen schwerer Belastungen der Betroffenen nicht nur eine
summarische, sondern eine besonders intensive Prüfung der Erfolgsaussichten der
Hauptsache oder aber eine Folgenabwägung gebieten (so auch schon Beschluß vom
22.11.2002 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, 1236), gelten zwar auch in Verfahren, die
Verträge der privaten Krankheitskostenversicherung zum Gegenstand haben. Auf eine
negative Beurteilung der Erfolgsaussichten der Hauptsache stützt der Senat indes seine
Entscheidung nicht.
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Wie oben unter Ziff. II.2 dargestellt, verneint der Senat die Erfolgsaussicht der Berufung,
weil der Verfügungskläger in der gewählten Verfahrensart keine endgültige Klärung des
Kostenrisikos - nicht einmal für einen bis zur Hauptsacheentscheidung begrenzten
Zeitraum erreichen kann und weil er nicht glaubhaft gemacht hat, daß das Kostenrisiko
eine als notwendig unterstellte Behandlung ernstlich verhindert.
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III.
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Der Verfügungskläger erhält Gelegenheit, zu dem erteilten Hinweis binnen einer Frist
von 3 Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.
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Auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (Kostenverzeichnis Nr.
1222) bei einer Berufungsrücknahme sei hingewiesen.
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