Urteil des OLG Hamm vom 27.02.2006

OLG Hamm: wiedereinsetzung in den vorigen stand, einspruch, gerichtsverhandlung, begriff, entschuldigungsgrund, aufklärungspflicht, verdacht, form, höchstgeschwindigkeit, datum

Oberlandesgericht Hamm, 1 Ss OWi 621/05
Datum:
27.02.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
1. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 Ss OWi 621/05
Vorinstanz:
Amtsgericht Dortmund, 91 OWi 213 Js 1132/04 - 8020/04
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Dortmund
zurückverwiesen.
G r ü n d e :
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Durch Bußgeldbescheid der Stadt E vom 12. März 2005 ist gegen den Betroffenen
wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener
Ortschaften um 33 km/h eine Geldbuße von 130,- € verhängt und ein Fahrverbot von
einem Monat angeordnet worden.
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Mit Urteil vom 20. Oktober 2004 hat das Amtsgericht Dortmund den Einspruch des
Betroffenen gegen diesen Bußgeldbescheid verworfen, da er im Termin zur
Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben sei. Im Rahmen des
Wiedereinsetzungsverfahrens hat der Verteidiger des Betroffenen ein ärztliches Attest
der Internistin Frau Dr. U vorgelegt, nach dem der Betroffene aufgrund einer akuten
Erkrankung nicht in der Lage sei, an der Gerichtsverhandlung teilzunehmen. Dem
Betroffenen ist daraufhin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden. Der
Hauptverhandlungstermin vom 21. Februar 2005, zu welchem der Betroffene erschienen
war, musste vertagt werden, weil der erforderliche Eichschein und das Messprotokoll
nicht vorlagen. In der Hauptverhandlung vom 30. März 2005 war der Betroffene nicht
erschienen. Der Verteidiger legte ein ärztliches Attest der Frau Dr. U vor, nach dem der
Betroffene aufgrund einer akuten Erkrankung nicht in der Lage sei, an der
Gerichtsverhandlung teilzunehmen. Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht
Dortmund den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid verworfen mit
der Begründung, der Betroffene sei im Termin zur Hauptverhandlung ohne genügende
Entschuldigung ausgeblieben. Im Einzelnen ist ausgeführt:
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"Die von dem Betroffenen vorgetragenen Gründe, nämlich angebliche erneute
Erkrankung, belegt durch ein Privatattest wird nicht anerkannt. Nur amtsärztliche
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Bescheinigungen über Verhandlungsunfähigkeit werden als Nachweis
unentschuldigten Fehlens akzeptiert."
Den Wiedereinsetzungsantrag des Betroffenen vom 6. April 2005 hat das Amtsgericht
Dortmund mit Beschluss vom 13. Juni 2005 als unbegründet zurückgewiesen, die
dagegen gerichtete sofortige Beschwerde ist durch Beschluss des Landgerichts
Dortmund vom 18. Juli 2005 verworfen worden.
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Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 30. Juni 2005 hat der Betroffene
Rechtsbeschwerde gegen das Urteil eingelegt. Nachdem dem Betroffenen mit
Beschluss des Senats vom 12. September 2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gewährt worden
ist, hat der Betroffene die Rechtsbeschwerde mit Schriftsatz seines Verteidigers vom
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22. Dezember 2005 begründet. Der Betroffene macht geltend, das Urteil gehe zu
Unrecht davon aus, dass er nicht genügend entschuldigt gewesen sei.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den
getroffenen Feststellungen aufzuheben.
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Die Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie
hat auch in der Sache einen - zumindest vorläufigen - Erfolg.
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Die Urteilsgründe leiden an einem Darstellungsmangel, der bereits zur Aufhebung führt.
Der Senat kann diesen nämlich nicht entnehmen, ob das Fernbleiben des Betroffenen
im Termin durch das zu den Akten gereichte ärztliche Attest entschuldigt ist oder aber ob
es zumindest zu weiteren Nachforschungen seitens des Amtsgerichts von Amts wegen
Anlass gegeben hat. Das Amtsgericht teilt im angefochtenen Urteil den Inhalt der
ärztlichen Bescheinigung nämlich nicht mit vollem Inhalt mit. Darüber hinaus wird aus
den Urteilsgründen nicht deutlich, aus welchen Gründen ein Privatattest nicht anerkannt,
sondern vielmehr ein amtsärztliches Attest über die Verhandlungsunfähigkeit als
Nachweis gefordert wird.
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Die Formulierungen im Urteil erwecken zudem den Verdacht, dass das Amtsgericht den
Begriff der genügenden Entschuldigung verkannt hat. Nach § 74 Abs. 2 OWiG ist, wenn
der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung und Belehrung über die Folgen seines
Ausbleibens in der Hauptverhandlung ausbleibt, die Verwerfung seines Einspruchs nur
zulässig, wenn das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Dabei ist nach
übereinstimmender obergerichtlicher Rechtsprechung (BayObLG
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NZV 1998, 426; OLG Düsseldorf VRS 92, 259; OLG Köln DAR 1999, 44; OLG Hamm
VRS 93, 122; OLG Hamm MDR 1997, 686) nicht entscheidend, ob der Betroffene sich
genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist. Das Amtsgericht
muss, wenn ein konkreter Hinweis auf einen Entschuldigungsgrund vorliegt, dem im
Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachgehen (vgl. u.a. OLG Hamm NJW 1965, 410;
OLG Hamm VRS 93, 122). Der Betroffene hat im Hauptverhandlungstermin eine
ärztliche Bescheinigung vorgelegt, die dem Betroffenen aus Gesundheitsgründen die
Fähigkeit, den Termin wahrzunehmen, abspricht. Sie bildet grundsätzlich eine
genügende Entschuldigung. Bestehen mangels näherer Angaben im Attest Zweifel am
Krankheitszustand, so ist das Gericht von Amts wegen verpflichtet, sich die volle
Überzeugung davon zu verschaffen, ob der Betroffene verhandlungsfähig und ihm ein
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Erscheinen in der Hauptverhandlung zumutbar ist. Dies ist vorliegend nicht geschehen.
Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Dortmund zurückzuverweisen.
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