Urteil des OLG Hamm vom 26.04.2002

OLG Hamm: treu und glauben, grundstück, künftige nutzung, rückkaufsrecht, firma, verwirkung, angemessene frist, rückübertragung, gemeinde, grundbuch

Oberlandesgericht Hamm, 34 U 188/00
Datum:
26.04.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
34. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
34 U 188/00
Vorinstanz:
Landgericht Siegen, 5 O 241/99
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 5. Zivilkammer des
Land-gerichts Siegen vom 05. Oktober 2000 abgeändert und die Klage
abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des
jeweils zu voll-streckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beschwer der Klägerin übersteigt 20.000 Euro.
Tatbestand:
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Die Klägerin begehrt von der Beklagten Rückübertragung eines unbebauten
Gewerbegrundstücks unter Ausübung eines ihr eingeräumten Rückkaufsrechtes.
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Im Jahr 1971 siedelte sich die Beklagte im Gewerbegebiet M in X an. Sie erwarb von
der Klägerin die Grundstücksparzelle ##1, an die die streitgegenständliche Parzelle ##2
westlich angrenzt, und errichtete dort eine Betriebsstätte mit vier Mitarbeitern. Im Jahr
1976 gründete die Beklagte die Tochterfirma J, die in den bereits vorhandenen
Gebäuden untergebracht wurde. Der Bedarf der Firma J an zusätzlichen Lager-
kapazitäten führte im Jahre 1978 zum Bau einer Erweiterungshalle auf der Parzelle ##1,
die Unternehmensgruppe der Beklagten beschäftigte zu dieser Zeit ca. 20 Mitarbeiter.
Ebenfalls im Jahre 1978 gründete die Beklagte eine weitere Tochterfirma L, die in den
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vorhandenen Gebäuden der Parzelle ##1 untergebracht wurde. Für die Produktion der
Firma L wurde im Jahr 1980 auf der Parzelle ##1 eine weitere Halle gebaut. Die
Parzelle ##1 hat eine Gesamtgrundstücksgröße von 10.478 m2. Hinsichtlich der Lage
der Grundstücke und der auf der Parzelle ##1 errichteten Gebäude wird auf die
Lagezkizze Bl. 31 d.A. verwiesen.
Mit Schreiben vom 03.03.1980 (Bl. 49 d.A.) teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß sie
zur mittelfristigen Erweiterung der Firma dringend ein ca. 5000 m2 großes und westlich
an die bereits bebaute Parzelle ##1 angrenzendes Grundstück benötige. Die Klägerin
erklärte sich mit Schreiben vom 26.03.1980 (Bl. 50 d.A.) zur Veräußerung eines solchen
Grundstücks, verbunden mit einer Bebauungsverpflichtung der Beklagten und einem
Rückübertragungsanspruch der Klägerin im Falle der Nichterfüllung dieser
Bebauungsverpflichtung, bereit.
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Am 21. November 1980 schlossen die Parteien vor dem beurkundenden Notar Dr. X in
Siegen unter der UR-Nr. 179/1980 einen Grundstückskaufvertrag mit Auflassung, mit
dem die Klägerin der Beklagten das streitgegenständliche Gewerbegrundstück
Gemarkung X, Flur #1, Flurstück ##2 zur Größe von 5001 m2 zum Preis von 110.772,00
DM veräußerte. Gem. § 1 dieses Kaufvertrages erfolgte die Veräußerung des
Grundstücks "für die Errichtung eines Gewerbe- bzw. Industriebetriebes". In § 6 des
Kaufvertrages, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 8 bis 13 d.A.), heißt
es:
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"Die Käuferin verpflichtet sich, binnen zwei Jahren nach Abschluß des notariellen
Grundstückskaufvertrages mit der Errichtung von Gebäuden oder Lager- bzw.
Fabrikationshallen auf dem erworbenen Grundstück zu beginnen. Wird dieser
Verpflichtung nicht nachgekommen, so hat die Gemeinde X das Recht, die steuer-,
lasten- und kostenfreie Rückübertragung des verkauften Grundstückes zu fordern.
Ein evtl. gezahlter Kaufpreis wird ohne Verzinsung zurückgezahlt."
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Zur Sicherung dieses Rückübertragungsanspruches wurde im Grundbuch eine
Rückauflassungsvormerkung zugunsten der Klägerin eingetragen. Die
Eigentumsumschreibung auf die Beklagte erfolgte am 02.07.1981.
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Entgegen der in § 6 des Kaufvertrages vereinbarten Bebauungsverpflichtung bebaute
die Beklagte - bis heute - die Parzelle ##2 nicht. Im Jahre 1985 ließ sie drei
Großgaragen als zusätzlichen Lagerplatz und eine Trafostation auf der Parzelle ##1
errichten. Im selben Jahr gründete die Beklagte die Schwesterfirma L Schneidwerk-
zeuge KG, die 12 weitere Mitarbeiter beschäftigte, wobei diese Schwesterfirma in den
auf der Parzelle ##1 vorhandenen Gebäuden tätig wurde.
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In den Jahren 1985 bis 1987 wurde die Parzelle ##2 im Rahmen der von der Klägerin
alljährlich durchgeführten Kirmes genutzt. In einem dieser Jahre diente die Parzelle ##2
als Kirmesplatz, in den übrigen beiden Jahren zum Abstellen von Kirmeswagen der
Schausteller. Die Klägerin mahnte gegenüber der Beklagten die Erfüllung der
Bebauungsverpflichtung aus dem Vertrag vom 21.11.1980 nicht an.
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Im August 1987 ließ die Beklagte von einem Architekten eine Entwurfsplanung für den
Neubau einer Verladehalle auf der Parzelle ##2 zum Zwecke der Nutzung durch die
Firma J erstellen. Der geplante Neubau der Verladehalle auf dem
streitgegenständlichen Grundstück wurde aber nicht realisiert, da der Klägerin das auf
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der gegenüberliegenden Straßenseite liegende, bebaute Grundstück der Firma X2 zum
Kauf angeboten wurde. Mit Kenntnis der Klägerin erwarb die Beklagte dieses "X2-
Grundstück", E-Straße 5 und stellte es mit den darauf befindlichen Gebäuden der
Tochterfirma J zur Nutzung zur Verfügung. Auf diesem 1988 erworbenen Grundstück
ließ die Beklagte im Jahr 1990 einen Erweiterungsbau errichten, der von Mitarbeitern
der Firma L zu Produktionszwecken genutzt wurde.
Im Frühjahr 1997 oder im Winter 1997/98 - der Zeitpunkt ist zwischen den Parteien
streitig - kam es zu Gesprächen zwischen Vertretern der Parteien über die künftige
Nutzung der Parzelle ##2. Der Eigentümer des westlich an die Parzelle ##2
angrenzenden Grundstücks, T, hatte Interesse bekundet, auf der Parzelle ##2 ein neues
Postgebäude zu errichten. Dieses Vorhaben war Gegenstand der zwischen den
Parteien 1997/98 geführten Gespräche.
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Mit Schreiben vom 13.05.1998, auf das verwiesen wird (Bl. 14 d.A.), teilte die Beklagte
der Klägerin mit, daß sie, wie der Klägerin bekannt sei, beabsichtige, das unbebaute
Grundstück mittelfristig an einen Interessenten abzugeben. Ein Verkauf oder eine
andere Nutzung sei jedoch nach wie vor offen. Eine Reaktion der Klägerin auf dieses
Schreiben erfolgte zunächst nicht. Die Grundstückskaufverhandlungen zwischen der
Beklagten und dem Interessenten T blieben in der Folgezeit ergebnislos. Im Rahmen
unternehmensinterner Umfirmierungen beabsichtigte die Beklagte dann, die Parzelle
##2 mit Grundpfandrechten zu belasten, was in der Folgezeit auch geschah. Am 01.
Februar 1999 bat die Beklagte die Klägerin in diesem Zusammen-hang, um
Zustimmung zur Löschung der im Grundbuch eingetragenen Rückauf-
lassungsvormerkung. Mit Schreiben vom 22.02.1999 (Bl. 32) teilte die Klägerin der
Beklagten mit, daß dies der Beschlußfassung des Rates bedürfe. Mit Schreiben vom
17.03.1999 (Bl. 33/34 d.A.) wiederholte die Beklagte schriftlich ihren Antrag auf
Zustimmung zur Löschung der Rückauflassungsvormerkung und wies darauf hin, daß
die Parzelle ##2 als Baureserve weiterhin dringend benötigt werde.
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Der Rat der Gemeinde X beschloss in nicht-öffentlicher Sitzung am 18.03.1999, das
Rückkaufsrecht aus § 6 des Kaufvertrages vom 21.11.1980 auszuüben und das
Grundstück ##2 von der Beklagten zurückzufordern. Ein anschließendes Ersuchen der
Beklagten an die Klägerin auf Einräumung einer Frist zur Bebauung bis Ende 2000
wurde vom Rat der Gemeinde X abschlägig beschieden. Mit Schreiben vom 03.05.1999
(Bl. 15) forderte die Beklagte die Klägerin zur Rückübertragung auf. In der Folgezeit
bemühte sich die Beklagte vergeblich, die Klägerin umzustimmen.
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Unter dem 04.06.1999 stellte die Beklagte beim Kreis T2 eine Bauvoranfrage zur
beabsichtigten Errichtung einer Produktionshalle auf der Parzelle ##2, in der im
Rahmen der Herstellung von Selbstklebebändern Folien beschichtet werden sollen (Bl.
175 bis 177 d.A.). Die Bauvoranfrage wurde vom Kreis T2 mit Vorbescheid vom
23.09.1999 (Bl. 214 bis 216 d.A.) positiv beschieden und unter dem 26.01.2001 (Bl. 218
d.A.) die Gültigkeitsdauer des Vorbescheides bis zum 23.09.2002 verlängert. Unter dem
30.03.2001 schlossen die Beklagte und die Firma J eine Vereinbarung über die
beabsichtigte Vermietung der geplanten Produktionshalle an die Firmen J und L. Wegen
der Einzelheiten wird auf die schriftliche Vereinbarung (Bl. 205 bis 207 d.A.) verwiesen.
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Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, daß ihr aus dem Vertrag vom 21.11.1980 ein
Rückübertragungsanspruch zustehe, der nicht verwirkt sei. Über die Absichten der
Beklagten zur künftigen Nutzung der unbebauten Parzelle sei sie - die Klägerin - nicht
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bereits im Frühjahr 1997, sondern erst im Rahmen von Gesprächen Anfang 1998
unterrichtet worden. In diesen Gesprächen habe die Beklagte die Absicht geäußert, die
Parzelle ##2 zu veräußern, da man das Grundstück nicht mehr benötige. Die Klägerin
hat weiter behauptet, daß sie auf das Grundstück angewiesen sei, um es ernsthaften
Ansiedlungsinteressenten mit erheblichen Vorteilen für den Arbeitsmarkt und die
örtliche Wirtschaftsentwicklung umgehend zur Verfügung stellen zu können.
Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin den im Grundbuch des Amtsgerichts
Siegen von X Blatt ##1 verzeichneten Grundbesitz lfd. Nr. 2, Gemarkung X, Flur #1,
Flurstück ##2, Gebäude- und Freifläche, Industrie,
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E-Straße, Größe 5001 m2, lastenfrei in Abt. II und Abt. III des Grundbuchs mit
Ausnahme der in Abt. II zu Gunsten der Klägerin eingetragenen Rückauflas-
sungsvormerkung herauszugeben, die Auflassung dieses Grundbesitzes an die
Klägerin zu erklären, die Eigentumsumschreibung dieses Grundbesitzes auf die
Klägerin im Grundbuch zu bewilligen und zu beantragen, Zug um Zug gegen
Zahlung eines Betrages von 110.772,00 DM seitens der Klägerin an die Beklagte.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, daß der Rückforderungsanspruch der
Klägerin aus § 6 des Vertrages verwirkt sei. Dies ergebe sich daraus, daß die Klägerin
in dem Zeitraum zwischen dem Ablauf der zweijährigen Frist zu Bebauung im
November 1982 und der Beschlußfassung des Rates im März 1999 in keiner Weise zu
erkennen gegeben habe, von ihrem Rückübereignungsrecht Gebrauch machen zu
wollen. Im Falle der Wirksamkeit der - verspäteten - Ausübung des Rückkaufrechtes
würde der Beklagten ein erheblicher Zinsschaden entstehen. Die Beklagte hat
behauptet, dem Bürgermeister der Klägerin sei bekannt gewesen, daß die Beklagte die
Bebauung des streitgegenständlichen Grundstücks wegen des Erwerbs des "X2-
Grundstücks" im Jahr 1988 zurückgestellt habe. Die Beklagte habe bereits im Frühjahr
1997 Kontakt zur Klägerin wegen der Frage der künftigen Grund-stücksnutzung
aufgenommen und die Klägerin um Abstimmung gebeten. Eine gewinnbringende
Weiterveräußerung des Grundstücks durch die Beklagte sei nie beabsichtigt gewesen.
Die Beklagte sei nach wie vor zur Realisierung ihrer Bebauungspläne auf das
streitgegenständliche Grundstück angewiesen. Es sei nicht möglich, die bereits seit
Frühjahr 1999 geplante Lagerhalle, auf die sich die Bauvoranfrage beziehe, auf der
Parzelle ##1 zu realisieren. Die Klägerin verfolge letztlich das Ziel, das Grundstück zum
damaligen Kaufpreis und damit nach heutigen Verhältnissen günstig zurückzukaufen,
um es dann mit großem Gewinn weiterzuveräußern. So habe der Bürgermeister der
Klägerin der Beklagten auch mitgeteilt, sie könne das Grundstück anschließend ja zum
heutigen Preis zurückerwerben.
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat das Landgericht in
seinem Urteil ausgeführt, daß sich der Rückübertragungsanspruch wegen
Nichterfüllung der Bebauungsverpflichtung unmittelbar aus dem Kaufvertrag ergebe und
der Anspruch auch nicht verwirkt sei. Das für eine Verwirkung erforderliche sog.
Umstandsmoment sei nicht erfüllt, es fehle insoweit an einem schützenswerten
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Vertrauen der Beklagten auf die Nichtgeltendmachung des Rückforderungsrechts. Eine
ungerechtfertigte Härte auf Seiten der Beklagten sei insoweit nicht erkennbar. Ein Recht
auf Gewährung einer Nachfrist zur Bebauung ergebe sich für die Klägerin weder aus
dem Vertrag noch aus gesetzlichen Vorschriften.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Die Beklagte
wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die Beklagte vertritt die
Auffassung, daß die Klägerin zur zeitnahen Ausübung des Rückkaufsrechtes
verpflichtet gewesen sei. Die nicht zeitnahe Ausübung dieses Rückkaufsrechtes habe
zum Erlöschen des Rückübertragungsanspruchs geführt. In jedem Falle stehe dem
Rückübertragungsanspruch der Einwand der Verwirkung entgegen. Die Treuwidrigkeit
des Rückübertragungsverlangens ergebe sich schon daraus, daß die Beklagte in der
Zeit nach Kaufvertragsschluß zahlreiche Erweiterungsbauten errichtet, das
gegenüberliegende "X2-Grundstück" erworben und eine Vielzahl neuer Mitarbeiter
eingestellt habe, wodurch die örtliche gewerbliche Wirtschaft, wie mit dem Vertrag
angestrebt, in erheblicher Weise gefördert worden sei. Das sogenannte "X2-
Grundstück" sei von der Beklagten mit Gebäuden bebaut worden, die zuvor auf der
Parzelle ##2 geplant gewesen seien. Dies sei der Klägerin auch bekannt gewesen.
Bereits im Jahr 1997 habe ein Mitarbeiter der Beklagten ein Gespräch mit der Klägerin
über die künftige Nutzung der Parzelle ##2 geführt. Die Klägerin habe die bestehenden
Nutzungsabsichten der Beklagten gekannt, ohne seinerzeit auf die Idee zu verfallen,
das Rückforderungsrecht geltend zu machen. Die Beklagte habe dementsprechend
darauf vertraut, daß die Klägerin die Rückübertragung nicht mehr geltend machen
werde. Die Beklagte habe keinesfalls im Frühjahr 1998 die feste Absicht gehabt, die
Parzelle ##2 an den Interessenten T zu veräußern. Die Beklagte beabsichtige vielmehr
gemäß ihrer Bauvoranfrage, auf der streitgegenständlichen Parzelle eine
Produktionshalle zu errichten und dadurch 30 zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Zur
Realisierung dieser Pläne sei die Beklagten auf die Parzelle ##2 angewiesen. In der
Vergangenheit habe die Beklagte ihr gesamtes Investitions- und Erweiterungsvolumen
auf die übrigen Flächen konzentriert, um die Parzelle ##2 für eine solche
Großinvestition, die letztlich auch im Interesse der Klägerin stehe, freizuhalten.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung ihres angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
25
Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Auch sie wiederholt und vertieft ihr
bisheriges Vorbringen. Dem Rückübertragungsanspruch der Klägerin stehe der
Einwand der Verwirkung nicht entgegen, da die Beklagte zu keinem Zeitpunkt auf die
Nichtausübung des Rückkaufsrechtes habe vertrauen dürfen. Ein solches Vertrauen
komme insbesondere deshalb nicht in Betracht, weil die Beklagte dem Vertragszweck
bewußt zuwidergehandelt und das Grundstück als "Baureserve" vorgehalten habe.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird Bezug genommen auf
den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Inhalt der
Sitzungsniederschriften und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils.
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Entscheidungsgründe:
30
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.
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Die Klägerin kann von der Beklagten eine Rückübertragung des Grundstücks wegen
Nichterfüllung der vertraglich übernommenen Verpflichtung, die Parzelle ##2 binnen
zwei Jahren nach Vertragsschluß zu bebauen, nicht (mehr) verlangen. Dem Rück-
übertragungsanspruch aus in § 6 des Kaufvertrages steht vielmehr der Einwand der
Verwirkung entgegen.
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Der Verwirkungseinwand ist ein Anwendungsfall des allgemeinen Einwands aus Treu
und Glauben (§ 242 BGB). Ein Recht ist verwirkt, wenn sich ein Schuldner wegen der
Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver
Beurteilung darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hat, dieser werde sein Recht
nicht mehr geltend machen, und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu
und Glauben verstößt (BGHZ 146, 217, 220; NJW 2002, 669, 670; MünchKomm, 4. Aufl.,
§ 242 Rn. 464). Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von
Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden (BGHZ 25, 47, 51;
NJW 1960, 2331). Dabei genügt der Zeitablauf (sogenanntes "Zeitmoment") für sich
allein nicht, um die Rechtsfolgen der Verwirkung auszulösen; es müssen vielmehr
weitere Umstände hinzukommen (sogenanntes "Umstandsmoment"), die in einer
Gesamtbeurteilung der Interessenlage die einschneidenden Folgen der Verwirkung
gerechtfertigt bzw. im Interesse der Gegenpartei geboten erscheinen lassen (vgl. BGH
WM 1968, 916; 1971, 1084; NJW-RR 1995, 109; 1996, 949; MünchKom, a.a.O. Rn.
469). Dabei besteht eine Wechselwirkung insofern, als der Zeitablauf um so kürzer sein
kann, je gravierender die sonstigen Umstände sind, und daß umgekehrt an diese
Umstände desto geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene
Zeitraum ist (BGH ZIP 2001, 670; MünchKomm a.a.O.).
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Was die Frage der Verwirkung von Gestaltungsrechten betrifft, gilt kein allgemeiner
Grundsatz, daß eine Verwirkung bereits nach einem kurzen Zeitablauf eintritt; Treu und
Glauben können es allerdings bei Gestaltungsrechten verlangen, dass der Berechtigte
im Interesse der anderen Vertragspartei alsbald Klarheit darüber schafft, ob er
beabsichtigt, seine Rechte auszuüben, und damit nicht länger zögert als notwendig,
wobei die Umstände des Einzelfalles letztlich entscheidend sind (vgl. BGH WM 1969,
721, 723; NJW 2002, 670, 671; RGZ 107, 106, 109; 91, 108; 88, 143, 145; MünchKomm,
a.a.O., Rn. 471).
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Bei dem zugunsten der Klägerin in § 6 des notariellen Vertrages vom 21.11.1980
vorgesehenen Rückkaufsrecht, welches der Klägerin zustehen sollte für den Fall, daß
die Beklagte als Käuferin das veräußerte Grundstück nicht binnen zwei Jahren nach
Vertragsschluß bebaut, handelt es sich um ein Gestaltungsrecht oder jedenfalls
gestaltungsähnliches Recht, welches die Klägerin unter Berücksichtigung der in
Rechtsprechung und Rechtslehre entwickelten und dargestellten Grundsätze nach §
242 BGB verwirkt hat. Sowohl das sogenannte Zeitmoment als auch das sogenannte
Umstandsmoment sind vorliegend verwirklicht.
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Das Zeitmoment ist deshalb verwirklicht, weil die Klägerin, obwohl die Frist zur
Bebauung des Grundstücks am 21.11.1982 abgelaufen war und ihr seitdem das
Rückkaufsrecht aus § 6 des notariellen Vertrages zustand, dieses Rückkaufsrecht erst
am 18. März 1999 durch Erklärung gegenüber der Beklagten aufgrund eines
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entsprechenden Ratsbeschlusses vom selben Tage ausübte. Die Klägerin hat damit
das Rückkaufsrecht über einen Zeitraum von mehr als 16 Jahren nicht ausgeübt und
während dieser Zeitspanne auch keine sonstigen Maßnahmen zur Durchsetzung ihres
Rückforderungsanspruchs unternommen. Die Klägerin hat in dieser Zeit weder durch
Aufforderung an die Beklagte, das Grundstück zu bebauen, noch in sonstiger Weise zu
erkennen gegeben, daß sie auf ihrem Rückübertragungsanspruch beharrt. Dies
geschah in Kenntnis des Umstands, daß die Beklagte der eingegangenen Verpflichtung
zur Bebauung des erworbenen Grundstücks binnen zwei Jahren nach Vertragsschluß
nicht nachgekommen war. Zwar war in dem notariellen Vertrag keine Frist für die
Ausübung des Rückkaufsrechtes vorgesehen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die
Klägerin den Rückübertragungsanspruch - im Rahmen der 30jährigen Verjährungsfrist -
nach Gutdünken ohne Rücksicht auf die Interessenlage der Beklagten zeitlich
unbefristet ausüben konnte. Unter Berücksichtigung von Treu und Glauben war vielmehr
das Interesse der Beklagten zu beachten, dem mit Ablauf der zweijährigen Frist zur
Bebauung des Grundstücks geschaffenen unsicheren Rechtszustand, der dadurch
gekennzeichnet war, daß die Klägerin nunmehr ihr Rückkaufsrecht ausüben konnte
aber nicht mußte, in angemessener Weise Rechnung zu tragen. Dabei war die Klägerin
sicherlich nicht gehalten, ihr Rückkaufsrecht zeitlich unmittelbar nach Ablauf der
Bebauungsfrist auszuüben. Es war der Klägerin zunächst unbenommen, die weitere
betriebliche Entwicklung bei der Beklagten abzuwarten, da es angesichts der
räumlichen und auch personellen Expansion der Beklagten nicht ausgeschlossen
erschien, daß diese - wenn auch verspätet - die Bebauungsverpflichtung aus dem
Kaufvertrag noch erfüllen würde. Auch stand es der Klägerin frei, zu sondieren, ob und
mit welchem Erfolg Aussichten auf anderweitige Veräußerung des Grundstücks nach
Rückerwerb von der Beklagten zwecks Ansiedlung von Industriebetrieben im
Gewerbegebiet M bestanden. Die Klägerin durfte unter Berücksichtigung von Treu und
Glauben mit ihrer Entscheidung, das ihr zustehende Rückkaufsrecht auszuüben,
allerdings nicht über einen Zeitraum von fast 17 Jahren warten, ohne der Beklagten in
dieser langen Zeitspanne in irgendeiner Weise zu erkennen zu geben, ob das
Rückkaufsrecht noch ausgeübt werden solle oder nicht. Daran ändert der in der
Vorschrift des § 355 BGB zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke, der auch auf das
vereinbarte Rückkaufsrecht anzuwenden ist, nichts. Danach kann dem zur Ausübung
eines Rücktrittsrechts Berechtigten zwar von dem anderen Teile für die Ausübung eine
angemessene Frist bestimmt werden, um den "Schwebezustand" zu beenden. Von
dieser Möglichkeit hat die Beklagte vorliegend keinen Gebrauch gemacht. Es ist
allerdings letztlich Sache des Berechtigten, durch Ausübung des Rücktrittsrechts (oder
vorliegend des Rückkaufsrechts) in angemessener Zeit klare Verhältnisse zu schaffen.
Dies hat die Klägerin jedoch verabsäumt. Die Beklagte hat in den Jahren ab 1985
weitere Schwesterfirmen gegründet und Erweiterungsbauten errichtet, ohne daß die
Klägerin die Beklagte darauf hingewiesen hätte, daß sie - die Klägerin - auf vorrangige
Bebauung der Parzelle ##2 aufgrund der in § 6 des Kaufvertrages verankerten
Bebauungsverpflichtung der Beklagten bestehe. Selbst als die Beklagte 1987/88 von
dem geplanten Neubau einer Verladehalle zum Zwecke der Nutzung durch die Firma J
auf der Parzelle ##2 Abstand nahm und stattdessen das gegenüberliegende Grundstück
E-Straße 5 der Firma X2 erwarb, reagierte die Klägerin, die hierüber unterrichtet war,
nicht. Vielmehr nutzte die Klägerin zwischenzeitlich, nämlich in den Jahren 1985 bis
1987, das unbebaute Grundstück ##2 in Absprache mit der Beklagten selbst, und zwar
im Rahmen der alljährlich von der Klägerin ausgerichteten Kirmes als Kirmesplatz bzw.
als Abstellplatz für Kirmeswagen.
Die Beklagte durfte sich unter Berücksichtigung dieses Verhaltens der Klägerin und
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auch des Verhaltens der Klägerin in der Folgezeit bei objektiver Beurteilung darauf
einrichten, daß die Klägerin ihr Rückkaufsrecht nicht mehr ausüben würde. Sie hat sich
darauf, wie das Verhalten der Beklagten zeigt, auch eingerichtet, so daß das
sogenannte Umstandsmoment ebenfalls erfüllt ist. Bereits die Tatsache, daß die
Beklagte von dem geplanten Neubau einer Verladehalle zwecks Nutzung durch die
Firma J auf der Parzelle ##2 im Jahr 1988 Abstand nahm und stattdessen das
gegenüberliegende Grundstück der Firma X2 erwarb, zeugt davon, daß die Beklagte mit
der Ausübung des Rückkaufsrechtes seitens der Klägerin nicht (mehr) rechnete. Dabei
mag dahinstehen, ob bereits zu diesem Zeitpunkt das für eine Verwirkung erforderliche
Zeitmoment erfüllt war. Jedenfalls vertraute die Beklagte auch in der Folgezeit aufgrund
der insoweit völligen Untätigkeit der Klägerin darauf, daß diese von ihrem
Rückkaufsrecht keinen Gebrauch mehr machen würde. So ließ die Beklagte im Jahr
1990 einen Erweiterungsbau auf dem von der Firma J genutzten Grundstück E-Straße 5
errichten, obwohl nach dem Wortlaut des Vertrages vom 21.11.1980 die bloße
Errichtung einer Lagerhalle auf der streitgegenständlichen Parzelle ausgereicht hätte,
die Bebauungsverpflichtung - dann allerdings verspätet - zu erfüllen. Insbesondere aber
das Verhalten der Beklagten in dem Jahre 1998/99 zeigt, daß sie angesichts des
inzwischen verstrichenen Zeitraums in keiner Weise mehr mit der Ausübung des
Rückkaufsrechts seitens der Klägerin rechnete, sondern vielmehr darauf vertraue, die
Klägerin werde aus § 6 des Kaufvertrages keine Rechte mehr herleiten. So suchte die
Beklagte spätestens Anfang 1998 (nach ihrer Behauptung bereits im Frühjahr 1997) das
Gespräch mit der Klägerin über die weitere Nutzung des Grundstücks, da der
Grundstücksnachbar T Interesse bekundet hatte, auf der Parzelle ein Postgebäude neu
zu errichten. Im Zuge der in diesem Zusammen-hang geführten Gespräche, an denen
auch Vertreter der Klägerin beteiligt waren, teilte die Beklagte der Klägerin mit
Schreiben vom 13.05.1998 mit, daß sie das unbebaute Grundstück mittelfristig an einen
Interessenten abzugeben beabsichtige. Es ist kaum anzunehmen, daß die Beklagte zu
diesem Zeitpunkt ihre zwischenzeit-liche Überlegung, das Grundstück zu veräußern,
gegenüber der Klägerin schriftlich verlautbart hätte, wenn sie noch mit der Ausübung
des Rückkaufrechtes seitens der Klägerin gerechnet hätte. Noch deutlicher wird das
Vertrauen der Beklagten auf die Nichtausübung des Rückkaufsrechtes in ihrer
gegenüber der Klägerin am 01.02.1999 geäußerten Bitte, der Löschung der
Rückauflassungsvormerkung im Grundbuch zuzustimmen. Gerade auch diese Anfrage
macht deutlich, daß die Beklagte tatsächlich davon ausgegangen war, daß die Klägerin
auf ihr Rücküber-tragungsrecht längst "verzichtet" hatte. In dem Antwortschreiben der
Klägerin vom 12.02.1999, auch dies ist bezeichnend, wird im übrigen nicht auf die noch
unerfüllte Bebauungsverflichtung der Beklagten und auf die evtl. Ausübung des
Rückkaufsrechtes der Klägerin, sondern lediglich auf das Erfordernis der Zustimmung
des Gemeinderates hingewiesen. Der Ratsbeschluß der Gemeinde X vom 18.03.1999,
das Grundstück zurückzufordern, kam daher aus Sicht der Beklagten völlig
überraschend. Allenfalls einige Tage zuvor, darauf deutet der Inhalt des Schreibens der
Beklagten an die Klägerin vom 17.03.1999 hin, könnte es für die Beklagte erkennbare
Hinweise aus kommunalpolitischen Kreisen gegeben haben, daß sich die politischen
Entscheidungsträger der Gemeinde X nunmehr an das Rückkaufsrecht aus § 6 des
Vertrages vom 21.11.1980 "erinnern". Letztlich erscheint es mit den Grundsätzen von
Treu und Glauben aber unvereinbar, wenn die Klägerin die Ausübung des
Rücktrittsrechts über einen Zeitraum von fast 17 Jahren hinaus-schiebt, ohne in dieser
Zeit jemals irgendwelche Vorbehalte oder Absichten zum Rückkauf erklärt zu haben,
und in dieser Zeit die Wertentwicklung des Grundstücks abwartet, um dann in einem ihr
wirtschaftlich günstig erscheinenden oder kommunal- bzw. wirtschaftspolitisch opportun
erscheinenden Moment die Rückübertragung der Parzelle gegen Erstattung des
unverzinsten Kaufpreises zu verlangen.
Auch eine Gemeinde, die sich in Formen des Privatrechts bewegt und privatrechtliche
Verträge mit Grundstückserwerbern abschließt, muß sich in ihrem Verhalten an den im
Privatrechtsverkehr geltenden Grundsätzen von Treu und Glauben einschließlich der
Grundsätze zur Verwirkung von Rechten messen lassen.
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Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten das angefochtene Urteil abzuändern
und die Klage abzuweisen.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711
ZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche
Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung einer Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2
ZPO).
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