Urteil des OLG Hamm vom 12.08.2009
OLG Hamm (wiedereinsetzung in den vorigen stand, zpo, wiedereinsetzung, falsche angabe, faires verfahren, behörde, verfügung, berufungsfrist, stand, berufungsschrift)
Oberlandesgericht Hamm, 30 U 41/09
Datum:
12.08.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
30. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
30 U 41/09
Vorinstanz:
Landgericht Siegen, 5 O 187/08
Tenor:
Die Anträge des Beklagten vom 30.06.2009 auf Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsfrist und vom
13.07.2009 auf Wiedereinset-zung in den vorigen Stand wegen
Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist werden zurückgewiesen.
G r ü n d e :
1
I.
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Mit Urteil vom 22.01.2009 hat das Landgericht Siegen den Beklagten verurteilt, an die
Kläger 11.534,61 € nebst Zinsen zu zahlen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten
des Beklagten am 12.02.2009 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Mit einem
ausweislich der zeitlich leicht divergierenden Faxkennungen am 12.03.2009
(Donnerstag) gegen 14:54 Uhr bzw. 15:15 Uhr an die Faxnummer
#####/####übersandten Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte gegen dieses Urteil
Berufung eingelegt. Das Schreiben ist ausweislich der aufgebrachten Stempel am
selben Tag bei der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm und am Folgetag, dem
13.03.2009, beim Oberlandesgericht in Hamm eingegangen.
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Mit einer seinem Prozessbevollmächtigten am 23.06.2009 gegen Empfangsbekenntnis
zugestellten Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 17.06.2009 ist der Beklagte darauf
hingewiesen worden, dass der Senat beabsichtige, die Berufung wegen Versäumung
der Frist zur Berufungseinlegung gem. § 517 ZPO zu verwerfen, und insoweit eine
Stellungnahmefrist von 2 Wochen einräume. Mit Schriftsatz vom 24.06.2009 hat der
Prozessbevollmächtigte des Beklagten um Fristverlängerung bis zum 17.07.2009
gebeten, da er sich vom 26.06.2009 bis zum 09.07.2009 mit dem T Anwaltsverein auf
einer Norwegenreise befinde. Mit Verfügung vom 26.06.2009 hat der Senatsvorsitzende
die Frist zur Stellungnahme, unter Hinweis darauf, dass die Wiedereinsetzungsfrist nicht
verlängert werden könne, verlängert.
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Am 01.07.2009 ist beim Berufungsgericht ein Schriftsatz eingegangen, in dem der
Beklagte - durch den bestellten Vertreter seines im Urlaub befindlichen
Prozessbevollmächtigten - beantragt, ihm für die abgelaufene Berufungsfrist
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und zur Begründung Folgendes
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ausführt: Die gewählte Faxnummer sei den in der Kanzlei vorhandenen Verzeichnissen
als zutreffende Faxnummer für das Oberlandesgericht Hamm entnommen worden,
weshalb man davon ausgegangen sei, dass es sich hierbei um die Nummer des
Oberlandesgerichts handele. Dass es die Nummer der Generalstaatsanwaltschaft sei,
habe man erst durch das Schreiben vom 17.06.2009 erfahren. Der
Prozessbevollmächtigte des Beklagten sei nicht in der Lage gewesen, die Korrektheit
der Faxnummer nachzuprüfen, da er sich am 12.03.2009 einer Darmspiegelung habe
unterziehen müssen. Schließlich könne es nicht zu seinen Lasten gehen, wenn die bei
der Generalstaatsanwaltschaft eingegangene Berufungsschrift nicht sofort an die
zentrale Annahmestelle des Oberlandesgerichts weitergeleitet worden sei. Die
Generalstaatsanwaltschaft sei dazu schon deshalb verpflichtet gewesen, weil aus der
Berufungsschrift ohne weiteres zu erkennen sei, dass das Urteil des Landgerichts
Siegen am 12.02.2009 zugestellt worden sei, also am 12.03.2009 die Berufungsfrist
ablaufe.
Mit einem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 13.07.2009 hat der Beklagte
erneut Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist
beantragt, wobei er zur Begründung noch Folgendes ausführt: Die Mitarbeiter der
Generalstaatsanwaltschaft seien verpflichtet, Posteingänge auf den richtigen
Adressaten zu überprüfen. Ihnen sei es ohne weiteres möglich, den Schriftsatz noch am
selben Tag an die richtige Adresse weiterzuleiten. Bei der Übersendung der
Berufungsschrift am 12.03.2009 an die Generalstaatsanwaltschaft sei die falsche
Faxnummer gewählt worden, weil die Mitarbeiterin seines Prozessbevollmächtigten,
Frau L2, die bislang fehlerfrei gearbeitet habe, bei der Eintragung der Faxnummer in
den Schriftsatz und bei der Kontrolle des Sendeprotokolls zweimal innerhalb des
kanzleiintern geführten Telefon- und Faxverzeichnisses in die falsche Zeile gerutscht
sei. Dass eine nach seinem Vortrag bestehende Anordnung des
Prozessbevollmächtigten, Faxnummern bei Kontakten mit den jeweiligen Behörden
noch einmal auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, vorliegend von der Mitarbeiterin befolgt
worden wäre, trägt dieser nicht vor. Er selbst habe am 12.03.2009 gegen 15 Uhr alle
vorgelegten Schreiben unterschrieben, eine Kontrolle jedes einzelnen Schreibens sei
ihm wegen unerwarteter Beschwerden nach einer geplant durchgeführten
Darmspiegelung nicht möglich gewesen. Eine schriftliche Mitteilung des
Oberlandesgerichts vom 31.03.2009, dass die Berufung am 13.03.2009 eingegangen
ist, sei versehentlich in eine andere Akte - betreffend außergerichtlichen Schriftwechsel
zwischen den Parteien - eingeheftet und entgegen einer Anweisung des
Prozessbevollmächtigten, ihm jeglichen Posteingang vorzulegen, nicht vorgelegt
worden.
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Auf einen am 17.07.2009 per Fax übermittelten Hinweis der Berichterstatterin hat der
Prozessbevollmächtigte des Beklagten mit Schriftsatz vom 21.07.2009 unter Vorlage
eines Ausdrucks eines Telefon- und Faxverzeichnisses zur Begründung eines Antrags
auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist noch Folgendes ausgeführt: Der
Hinweis des Senats auf die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist sei am 23.06.2009
gegen Mittag mit normaler Post dort eingegangen und nach der Mittagspause bearbeitet
worden. Er selbst sei sofort nach der Mittagspause zu einem Notartermin in L gefahren,
der gegen 14:30 Uhr stattgefunden habe. Die Mitarbeiterin L2 sei am 24.06.2009
urlaubsbedingt nicht erreichbar gewesen. Am 25.06.2009 sei er bereits vor den
Bürostunden zu einem Termin beim Amtsgericht in Siegen gefahren und habe zuvor
noch Nachlassakten einsehen müssen. Sofort nach dem Termin vor dem Amtsgericht
sei er in das Büro von Rechtsanwalt und Notar X gefahren, da er zusammen mit diesem
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noch eine Anmeldung zum Vereinsregister habe beglaubigen müssen. Von dort aus sei
er zu einem auf 12:30 Uhr angesetzten Termin nach Hamm gefahren, der allerdings erst
zwischen 12:45 und 13:00 Uhr begonnen habe. Bei seiner Rückkehr in das Büro
zwischen 15:30 und 16:00 Uhr sei lediglich noch die Mitarbeiterin X2 anwesend
gewesen. Die Urlaubsreise mit dem T Anwaltsverein nach Norwegen habe am
26.06.2009 gegen 7:45 Uhr begonnen. Ihm sei es nicht zuzumuten gewesen, die Reise
zu stornieren. Eine ausführliche Stellungnahme zum Wiedereinsetzungsantrag habe
erst nach Urlaubsrückkehr erfolgen können. Zuvor habe er keine Zeit gehabt, den
Sachverhalt so zu überprüfen, dass ein Schriftsatz ohne falsche Angabe und
Mutmaßungen hätte angefertigt werden können, zumal mehrere Akten in Sachen Y
hätten überprüft werden müssen. Die gerichtliche Mitteilung vom 31.03.2009 über den
Eingang der Berufung am 13.03.2009 sei ihm erstmals vorgelegt worden, als beide
Akten Y ./. Y2 u.a. zur Prüfung des Vorfalls mit den Mitarbeiterinnen am 10.07.2009
besprochen worden seien. Auf die Angaben der Zeugin L2, sie sei zweimal in dem
Verzeichnis verrutscht, könne er sich verlassen. Die nunmehr bestehenden Probleme
hinsichtlich einer Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist wären vermieden
worden, wenn der Senat rechtzeitig und nicht erst drei Monate nach Berufungseingang
auf die Verspätung hingewiesen hätte.
Zur Glaubhaftmachung hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten mehrere
anwaltliche Versicherungen, eine ärztliche Bescheinigung über eine bei ihm am
12.03.2009 vorgenommene Darmspiegelung und einen Ausdruck eines Telefon- und
Faxverzeichnisses "Verzeichnis Gerichte" vorgelegt. Eine eidesstattliche Versicherung
der Mitarbeiterin L2 hat er für einen Zeitpunkt nach deren Urlaubsrückkehr angekündigt.
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II.
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Der Antrag vom 30.06.2009 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der
Versäumung der Berufungsfrist ist zurückzuweisen, da auf glaubhaft gemachter
Tatsachengrundlage nicht zu erkennen ist, dass der Beklagte ohne das ihm gem. § 85
Abs. 2 ZPO zuzurechnende Verschulden seines Prozessbevollmächtigten gehindert
war, die Notfrist zur Einlegung der Berufung (§ 517 ZPO) einzuhalten, § 233 ZPO. In der
Prüfung, ob den Prozessbevollmächtigten kein Verschulden an der Fristversäumnis trifft,
sind berufsbedingt hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen. Eine Fristversäumung ist
regelmäßig verschuldet, wenn sie bei Anwendung der für einen pflichtbewusst und
sorgfältig arbeitenden Rechtsanwalt gebotenen und ihm zumutbaren Sorgfalt
abzuwenden gewesen wäre (BGH, Urt. v. 22.11.1984 - VII ZR 160/84 - NJW 1985, 1710;
Zöller/Greger, 2009, § 233 ZPO Rn. 13).
10
1.
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Auf Grundlage des innerhalb der ab Zugang des Hinweises des Vorsitzenden vom
17.06.2009 laufenden zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 ZPO)
vorgetragenen Sachverhalts kann der Senat nicht feststellen, dass die Versäumung der
Berufungsfrist nicht vom Prozessbevollmächtigten des Beklagten verschuldet wurde.
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Sollte die bei Übersendung der Berufung vom 12.03.2009 gewählte Faxnummer
entsprechend dem ursprünglichen Vortrag in einem kanzleiinternen Verzeichnis als
Faxnummer des Oberlandesgerichts verzeichnet sein, so läge ein dem Beklagten gem.
§ 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Organisationsverschulden seines
Prozessbevollmächtigten vor, da hiernach in dessen Kanzlei kein ordnungsgemäß
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geführtes Telefaxverzeichnis geführt würde. Dass es sich bei der gewählten Faxnummer
um die der Generalstaatsanwaltschaft und nicht des Oberlandesgerichts handelt, wird
vom Beklagten nicht (mehr) ernsthaft bestritten und steht nach Auskunft der
Geschäftsleiterin des Oberlandesgerichts vom 03.07.2009 fest, nach der nicht bekannt
ist, dass die gewählte Faxnummer jemals eine Faxnummer des Oberlandesgerichts war.
Dementsprechend ist die gewählte Faxnummer in dem nunmehr überreichten
"Verzeichnis Gerichte" auch der Generalstaatsanwaltschaft zugeordnet.
Die Ursächlichkeit dieses Organisationsverschuldens für die eingetretene
Fristversäumnis wird auch nicht dadurch unterbrochen, dass die Fristversäumung
dadurch verursacht worden wäre, dass die tatsächlich mit dem Telefax vom 12.03.2009
erreichte Behörde, die Generalstaatsanwaltschaft, das eingegangene Telefax nicht
pflichtgemäß weitergeleitet hätte.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts
führt der aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende
Anspruch auf ein faires Verfahren nicht dazu, dass die unzuständige, aber tatsächlich
angegangene Behörde verpflichtet wäre, durch besondere, außerhalb des üblichen
Geschäftsgangs liegende Maßnahmen zur Heilung des fehlerhaft bei ihr erfolgten
Eingangs beizutragen. Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen
Verfahrensgestaltung an behördlicher/gerichtlicher Fürsorge von Verfassungs wegen
geboten ist, orientiert sich nicht nur an dem Interesse des Rechtsuchenden an einer
möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung, sondern muss auch berücksichtigen,
dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung
geschützt werden muss. Danach muss der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten
die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener
Verfahrenserklärungen - wie auch bei Übersendung per Telefax die Ermittlung des
zutreffenden Telefaxanschlusses - nicht allgemein abgenommen und auf die in der
Sache nicht zuständige Stelle verlagert werden. Bei Abwägung dieser Belange ist
zumindest das Gericht, bei dem das Verfahren anhängig gewesen ist, auf Grund einer
nachwirkenden Fürsorgepflicht zwar gehalten, bei ihm eingereichte fristgebundene
Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren an das zuständige Rechtsmittelgericht
weiterzuleiten. Diese Pflicht führt jedoch nur zu einer Vernachlässigung des
Verschuldens der Partei bzw. ihres Vertreters und damit zur Wiedereinsetzung in den
vorherigen Stand, wenn ein solcher Schriftsatz so zeitig eingereicht wurde, dass bei
Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang ein fristgerechter Eingang beim
Rechtsmittelgericht ohne weiteres erwartet werden konnte (vgl. nur BGH, Beschl. v.
05.10.2005 - VIII ZB 125/04 - NJW 2005, 3776, 3777; BVerfG, Kammerbeschluss v.
17.01.2006 - 1 BvR 2558/05 - NJW 2006, 1579; Kammerbeschluss v. 02.09.2002 - 1
BvR 476/01 - NJW 2002, 3692).
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Selbst wenn man diese Sorgfaltsmaßstäbe an die Generalstaatsanwaltschaft, die in
keiner Weise mit dem vorliegenden Zivilprozess befasst war oder befasst ist, anlegt,
wäre ein dem Beklagten zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten
an der Fristversäumung nicht ausgeschlossen. Auch wenn die am Zentralfax der
Generalstaatsanwaltschaft tätigen Mitarbeiter der dortigen Behörde sicherlich ohne
weiteres feststellen konnten, dass der ausweislich des Eintrags im Adressenfeld an das
Oberlandesgericht gerichtete Schriftsatz vom 12.03.2009 wohl versehentlich an die
Generalstaatsanwaltschaft gefaxt worden war, waren sie nicht verpflichtet, für einen
umgehenden Eingang dieses Schriftsatzes beim Oberlandesgericht zu sorgen, sondern
nur für die Weiterleitung des Schriftsatzes im üblichen Geschäftsgang. Der zentrale
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Faxanschluss #####/####wird nach Auskunft der Verwaltung der
Generalstaatsanwaltschaft von der dortigen Wachtmeisterei überwacht. Nach Auskunft
des Leiters der Wachtmeisterei der Generalstaatsanwaltschaft werden im üblichen
Geschäftsgang nicht ausdrücklich als besonders eilbedürftig gekennzeichnete
Faxeingänge, die an das Oberlandesgericht adressiert sind, über das Gerichtsfach
weitergeleitet. Dieses wird einmal täglich abgetragen, und zwar nach Eingang der Post,
was zu einem Abtrag im regelmäßigen Geschäftsverkehr zwischen 9:30 und 10:00 Uhr
führt. Unabhängig von der genauen Eingangszeit der gefaxten Berufungsschrift (14:54
Uhr oder 15:15 Uhr) erfolgte der Zutrag zum Oberlandesgericht im regelmäßigen
Geschäftsverkehr erst am Folgetag.
Eine besondere Eilbedürftigkeit war dem Schriftsatz vom 12.03.2009 nach dessen
äußerer Gestaltung nicht anzusehen. Insbesondere enthält dieser keinen
ausdrücklichen Hinweis auf einen Fristablauf am 12.03.2009 oder anderweitiges
besonderes Eilbedürfnis. Ohne jegliche äußeren Anhaltspunkte oblag den
Wachtmeistern der Generalstaatsanwaltschaft keine Prüfung, ob sich nicht
gegebenenfalls aus dem Inhalt des Schriftsatzes ein besonderes Eilbedürfnis ergeben
würde. Auch ist nicht ersichtlich, dass den Wachtmeistern der
Generalstaatsanwaltschaft die Vorschriften der ZPO zur Berechnung der Berufungsfrist
bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen (vgl. zur Prüfung der Zuständigkeit
nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG durch die Geschäftsstelle des Landgerichts:
BGH, Urt. v. 05.10.2005 - VIII ZB 125/04 - NJW 2005, 3776).
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Die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des
Bundesverfassungsgerichts stellt erkennbar nicht auf die subjektive Erwartungshaltung
desjenigen ab, der eine fristgebundene Erklärung einer unzuständigen Behörde zuleitet,
sondern auf eine aus der üblichen Behandlungsweise erwachsende, generalisierte
Erwartung an die Weiterleitung von Eingängen, die eine nicht zuständige Behörde
erreichen. Dieser Erwartung entspricht der bei der Generalstaatsanwaltschaft gepflegte
Geschäftsgang. Es genügt den an einen ordentlichen Geschäftsgang zu stellenden
Anforderungen, wenn nicht als eilig gekennzeichnete Faxeingänge zur Weiterleitung an
die zuständige Behörde in ein Postfach gelegt werden, das einmal täglich, und zwar
nicht zwangsläufig zum Dienstschluss, abgetragen wird. Dass nachmittags, wenn auch
vor Dienstschluss, eingehende Faxsendungen, die nicht als eilig gekennzeichnet sind,
so weitergeleitet werden, dass sie noch am selben Tag die zuständige Behörde
erreichen, ist nicht als allgemeiner Standard zu erwarten. Auch aus dem Umstand, dass
das Oberlandesgericht und die Generalstaatsanwaltschaft Räume im selben Gebäude
nutzen, folgt keine erhöhte Pflicht zum unmittelbaren Zutrag von nicht als besonders
eilbedürftig gekennzeichneten Schriftstücken. Insoweit unterscheidet sich der
vorliegende Sachverhalt von dem vom Bundesgerichtshof (Beschl. v. 23.03.2006 - IX ZB
56/05 - zitiert nach juris) entschiedenen Fall: Dort war ein Schriftsatz in einem von
mehreren Gerichten genutzten Gebäude an einen Justizwachtmeister ausgehändigt
worden mit dem Hinweis, dass es sich um einen fristgebundenen Schriftsatz für das
Oberlandesgericht handele, und der Bitte um sofortige Weiterleitung an den im Gebäude
ansässigen 8. Zivilsenat. Im hier zu entscheidenden Fall sind solche für die Mitarbeiter
der Generalstaatsanwaltschaft ohne weiteres erkennbaren Umstände, die Anlass für
einen sofortigen Zutrag geboten hätten, der vorliegenden Faxsendung - wie bereits
ausgeführt - nicht zu entnehmen.
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2.
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Der ergänzende Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Beklagten im Schriftsatz vom
13.07.2009 führt nicht zum Durchdringen des ursprünglichen
Wiedereinsetzungsantrags, da der Vortrag nach Ablauf der nicht verlängerbaren
Wiedereinsetzungsfrist erfolgte und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in
die Wiedereinsetzungsfrist nicht dargetan sind.
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Innerhalb der Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 ZPO müssen mit dem
Wiedereinsetzungsgesuch sämtliche Umstände vorgetragen werden, die für die Frage
der Fristversäumung und des Verschuldens von Bedeutung sind. Ein Nachschieben von
Wiedereinsetzungsgründen ist grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. nur BGH, Beschl. v.
16.08.2000 - XII ZB 136/00 - zitiert nach juris; Musielak/Grandel, 2008, § 234 ZPO Rn.
1). Ein besonderer Ausnahmefall, wie ihn der Bundesgerichtshof in einem Fall
angenommen hat, in dem die Wiedereinsetzungsfrist vom 24.12. bis zum 06.01. lief und
die Prozessbevollmächtigten während der gesamten Dauer der Frist ortsabwesend im
Urlaub waren (Urt. v. 09.11.1978 - VII ZR 145/78 - zitiert nach juris), liegt hier nicht vor.
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Dem Beklagten ist auch nicht gem. § 233 ZPO Wiedereinsetzung in die
Wiedereinsetzungsfrist zu gewähren. Auch wenn man im Schriftsatz vom 13.07.2009
einen stillschweigenden Antrag auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist
sieht, hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nicht dargetan, dass er ohne sein -
dem Beklagten gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes - Verschulden gehindert war, die
spätestens ab dem Zugang der Verfügung des Senatsvorsitzenden am 23.06.2009
laufende Wiedereinsetzungsfrist einzuhalten.
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Der Senat verkennt nicht, dass es für den Prozessbevollmächtigten des Beklagten eines
gewissen Zeit- und Organisationsaufwandes bedurft hätte, noch vor seinem Urlaub die
Umstände der Versendung der Berufungsschrift an das Zentralfax der
Generalsstaatsanwaltschaft aufzuklären. Dass er hierfür allerdings die von einem
sorgfältig arbeitenden Rechtsanwalt zu erwartenden und ihm zumutbaren Maßnahmen
unternommen hat und dass Aufklärung und eine entsprechende Begründung des
Wiedereinsetzungsantrags bei Anwendung dieser Sorgfalt nicht möglich gewesen
wären, kann der Senat nicht erkennen:
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Nach Eingang der Verfügung des Vorsitzenden hätte es der anwaltlichen Sorgfalt
entsprochen, umgehend die Mitarbeiterin, die den Faxversand vorgenommen hatte, zu
eruieren und diese zur Stellungnahme dazu aufzufordern, wie es zu der Versendung an
eine unzuständige Behörde gekommen ist. Auch wenn dem Prozessbevollmächtigten
des Beklagten die Handakte mit der Verfügung des Senatsvorsitzenden nicht noch vor
seiner Abfahrt zu einem Notartermin in L vorgelegt worden sein sollte - was wohl auf
Blatt 3 des Schriftsatzes vom 21.07.2009 vorgetragen wird -, so hätte es dem
Prozessbevollmächtigten des Beklagten oblegen, nach seiner Rückkehr von dem
Notartermin, zu deren Uhrzeit keinerlei Angaben vorliegen, die erforderlichen
Überprüfungsmaßnahmen einzuleiten. Auch wenn die Mitarbeiterin L2 am 24.06.2009
urlaubsbedingt nicht erreichbar war, der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die
Mitarbeiterin L2 auch am Folgetag nicht persönlich im Büro antraf und der
Prozessbevollmächtigte selbst sich am 26.06.2009 bereits gegen 7:45 Uhr auf eine
Urlaubsreise begab, wie vorgetragen und anwaltlich versichert wird, ist nicht erkennbar,
dass eine Aufklärung des letztlich recht einfachen Sachverhalts eines doppelten
Verrutschens in der Telefaxliste nicht durch schriftliche oder telefonische Rücksprache
bei der betreffenden Mitarbeiterin möglich und auch zumutbar gewesen wäre, ohne dass
der Prozessbevollmächtigte des Beklagten gezwungen gewesen wäre, seinen Urlaub
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zu stornieren. Nach einer solchen Aufklärung des Sachverhalts durch den
Prozessbevollmächtigten des Beklagten und ggf. Veranlassung einer eidesstattlichen
Versicherung durch die Mitarbeiterin L2 wäre es dem Prozessbevollmächtigten des
Beklagten oder auch dessen für die Urlaubsabwesenheit bestellten Vertreter ohne
weiteres möglich gewesen, rechtzeitig einen Wiedereinsetzungsantrag mit der zuletzt
erfolgten Begründung zu stellen.
Dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten überhaupt vor Antritt seiner
Urlaubsreise wegen der erfolgten Fristversäumung Maßnahmen unternommen hätte, die
über den am 24.06.2009 gestellten Antrag auf Verlängerung der mit Verfügung des
Vorsitzenden gesetzten Stellungnahmefrist hinausgehen würden, ist nicht erkennbar.
Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten trägt mit Schriftsatz vom 21.07.2009 selbst
vor, er habe sich beide Akten "Y ./. Y2 u.a." erstmals am 10.07.2009 vorlegen lassen.
Sollten diese erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen allein deshalb unterblieben
sein, weil der Prozessbevollmächtigte des Beklagten auf eine Fristverlängerung durch
den Senat entsprechend seinem Antrag vom 24.06.2009 vertraut hat, so könnte dies die
Fristversäumung nicht entschuldigen. Dass die Wiedereinsetzungsfrist nicht verlängert
werden kann, ist allgemeine Auffassung (vgl. nur Zöller/Greger, 2009, § 234 ZPO Rn. 2).
Ein Rechtsirrtum des Anwalts ist grundsätzlich vermeidbar und schließt somit die
Wiedereinsetzung aus (vgl. Musielak/Grandel, 2008, § 233 Rn. 44).
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Dass der Senat nicht bereits unmittelbar bei Eingang der Berufung die Fristeinhaltung
überprüft und erst mit Verfügung vom 17.06.2009 auf die Fristversäumung hingewiesen
hat, kann den Beklagten bzw. dessen Prozessbevollmächtigten nicht entlasten. Einen
bestimmten Zeitpunkt im Berufungsverfahren, bis zu dem das Berufungsgericht die
Zulässigkeit der Berufung überprüfen müsste, sieht die Zivilprozessordnung nicht vor.
Vielmehr muss es die Berufung als unzulässig verwerfen, wenn es bis zum Abschluss
des Berufungsverfahrens deren Unzulässigkeit feststellt.
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Nach alledem kommt es auf die Frage, ob der Senat die in den Schriftsätzen vom
13.07.2009 und 21.07.2009 vorgetragenen Umstände, die zur Versendung an den
falschen Faxanschluss geführt haben sollen, trotz der im Hinweis vom 17.07.2009
genannten Bedenken im Sinne einer Glaubhaftmachung als überwiegend
wahrscheinlich ansehen könnte, nicht mehr an, weshalb auch nicht die Übersendung
einer eidesstattlichen Versicherung der derzeit urlaubsbedingt abwesenden
Mitarbeiterin L2 abzuwarten ist.
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