Urteil des OLG Hamm vom 28.09.2010

OLG Hamm (allgemeine geschäftsbedingungen, verhältnis zwischen, höhe, strom, zpo, verbraucher, begriff, geschäftsbedingungen, entgelt, netz)

Oberlandesgericht Hamm, I-19 U 30/10
Datum:
28.09.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
19. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-19 U 30/10
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 6 O 260/09
Schlagworte:
Inhaltskontrolle, Letztverbraucher, EEG-Aufschlag, KWKG-Aufschlag
Normen:
§§ 305, 307 BGB, 9 KWKG, 14 EEG, 3 Nr. 25 EnWG
Leitsätze:
1. Eine Vereinbarung in allgemeinen Geschäftsbedingungen eines
Energieversorgungsunternehmens, wonach sich das Entgelt für die
Stromlieferung um "einen Aufschlag nach dem Gesetz für den Vorrang
Erneuerbarer Energien (EEG)" und einen "Aufschlag aus dem Gesetz für
die Erhaltung, die Modernisierung und den Ausbau der Kraft-Wärme-
Kopplung (KWKG)" erhöht, unterliegt nicht der Inhaltskontrolle nach §
307 BGB.
2. Die Betreiberin eines Biomassekraftwerks, die selbst Strom erzeugt
und in das Netz einspeist, ist Letztverbraucherin im Sinne von § 9 Abs. 7
S. 1 KWKG, soweit sie selbst für ihren Betrieb Strom bezieht.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 12. Februar 2010 verkündete
Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
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I.
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Nach § 540 Abs.1 Nr.1 ZPO wird wegen der tatsächlichen Feststellungen auf das
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angefochtene Urteil verwiesen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts anderes
ergibt. Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie rügt die fehlerhafte
Anwendung des materiellen Rechts. Sie ist der Ansicht, die Vereinbarung über die zu
zahlenden EEG- und KWKG-Aufschläge nach dem Mittelspannungssondervertrag vom
13.10.2004 sei durch Allgemeine Geschäftsbedingungen der Beklagten erfolgt. Die
Klauseln unter den Ziffern 4 und 5 der Preisvereinbarung unterfielen daher der
Inhaltskontrolle des § 307 BGB. Die Klauseln seien gem. § 307 Abs.1 u. 2 BGB
unwirksam. Die von der Beklagten vorgegebene Preisgestaltung weiche wesentlich von
dem Grundgedanken des EEG und des KWKG ab. Nach der Intention des EEG und des
KWKG könne sie nicht verpflichtet sein, die Aufschläge zu zahlen. Preisaufschläge
könnten nur an Letztverbraucher i.S.d. EEG und des KWKG weitergegeben werden und
seien daher von Kunden zu tragen, die ausschließlich Strom verbrauchten. Sie sei kein
Letztverbraucher in diesem Sinne, da sie im Saldo mehr Strom produziere als
verbrauche.
Sie beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie unter Abänderung des angefochtenen Urteils
12.563,33 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
aus 10.000,00 € seit dem 01.09.2009 und aus weiteren 2.563,33 € seit dem
18.08.2009 zu zahlen;
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sowie hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres
Vorbringens. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf die Erklärungen der Parteien
zu Protokoll verwiesen.
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II.
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Die Berufung hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte
auf Rückzahlung der in dem Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.03.2005 gezahlten
EEG- und KWKG-Aufschläge in Höhe von 12.563,33 € aus § 812 Abs.1 S.1 alt.1 BGB.
Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass die Klägerin nicht ohne Rechtsgrund
geleistet hat. Rechtsgrund für die erbrachten Zahlungen ist der
Mittelspannungssondervertrag vom 13.10.2004 nebst der Anlage "Individuelle
Preisvereinbarung". Die Parteien haben in den Ziffern 4 und 5 der Anlage die Zahlung
der EEG- und KWKG-Aufschläge wirksam vereinbart. Entgegen der Ansicht der
Klägerin ergibt sich die Unwirksamkeit der Vertragsklauseln nicht aus § 307 BGB. Zwar
sind die Klauseln der "Individuellen Preisvereinbarung" gem. § 305 Abs.1 S.1 BGB
Allgemeine Geschäftsbedingungen der Beklagten. Die Gestaltung der
Preisvereinbarung durch die Beklagte erweckt den Beweis des ersten Anscheins, als
habe die Beklagte der Klägerin bei Vertragsschluss vorformulierte Vertragsbedingungen
vorgegeben, die auf eine Vielzahl von Verträgen Anwendung finden können. Dass die
Parteien die Höhe der Preise für die Stromlieferungen der Beklagten entgegen dem
Anscheinsbeweis frei ausgehandelt haben, ist nach dem Vortrag der Beklagten nicht
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erkennbar. Trotzdem sind die streitgegenständlichen Klauseln nicht der Inhaltskontrolle
der §§ 307 ff BGB zugänglich, weil sie gem. § 307 Abs.3 S.1 BGB nicht von
Rechtsvorschriften abweichende oder diese Vorschriften ergänzende Regelungen
enthalten. Keine von Rechtsvorschriften abweichenden oder ergänzenden Regelungen
enthalten nach ständiger Rechtsprechung des BGH solche Klauseln, die die
unmittelbare Höhe des Preises für eine tatsächliche Leistungspflicht bestimmen oder
die maßgeblichen Faktoren für die Preisfindung festlegen (BGH NJW 2001, 2399; BGH
NJW 1999, 2276 m.w.N.; BGH NJW 1998, 383; Palandt-Grüneberg, BGB, 69. A., § 307
Rn.54; Bamberger/Roth-Schmidt, BGB, 18. Ed., § 307 Rn.72 f). Die unter Ziffern 4 und 5
vereinbarten EEG- und KWKG-Aufschläge sind Teil der Vergütung für die Hauptleistung
der Beklagten. Sie legen unmittelbar die Höhe der Gegenleistung der Klägerin für die
Stromlieferungen der Beklagten fest. Die Beklagte ist aufgrund des Vertrages vom
13.10.2004 verpflichtet, die Klägerin gegen Entgelt mit Energie zu beliefern. Dies
entspricht der Konzeption eines Kaufvertrags gem. §§ 453 Abs.1, 433 BGB. Die Höhe
des der Beklagten für die Leistung nach § 433 Abs.2 BGB zustehenden Entgelts wird
durch die "Individuelle Preisvereinbarung" bestimmt. In der Preisvereinbarung werden
unter den Ziffern 1 – 8 die einzelnen Faktoren für die Höhe des vereinbarten
Strompreises definiert und der Höhe nach bemessen. Der geschuldete Gesamtpreis
setzt sich zusammen aus Grundpreis, Leistungspreis, Arbeitspreis, den EEG- und
KWKG-Aufschlägen sowie aus verschiedenen Steuern. Die Beklagte konnte die EEG-
und KWKG-Aufschläge im Rahmen ihrer Preiskalkulation an die Klägerin weitergeben.
Bei den Aufschlägen handelt es sich um Faktoren, die das Entgelt für die
Hauptleistungspflicht der Beklagten mitbestimmen. Die Möglichkeit, die EEG- und
KWKG-Aufschläge bei der Berechnung der Netznutzungsentgelte gegenüber dem
Verbraucher in Ansatz zu bringen, ist gesetzlich geregelt bzw. vom Gesetzgeber
intendiert. Die Aufschläge nach dem KWKG können gem. § 9 Abs.7 S.1 KWKG an den
Verbraucher weitergegeben werden. Aus den Gesetzesmotiven ergibt sich, dass der
Netzbetreiber die aus dem Umlagesystem resultierenden Zahlungen "als Bestandteil
des Nutznutzungsentgelts gegenüber dem Letztverbraucher in Ansatz bringen kann"
(BT Drucks. 14/7024, S.13). Nach § 9 Abs.7 S.1 KWKG ist dabei nicht nur der
Netzbetreiber sondern auch das Versorgungsunternehmen berechtigt, die Aufschläge
an den Letztverbraucher weiter zu geben (Salje, KWKG, 2.A., § 9 Rn.126). Die Klägerin
ist entgegen der von ihr vertretenen Auffassung Letztverbraucherin im Sinne dieser
Vorschrift. Der Letztverbraucher-Begriff wird im Energiewirtschaftsrecht, gleich ob im
KWKG, EEG oder EnWG, einheitlich verwendet. Letztverbraucher ist gem. § 3 Nr.25
EnWG jeder, der Elektrizität bezieht und diese gelieferte Energie unmittelbar für den
Eigenbedarf selbst verbraucht und nicht weiterleitet (Salje, KWKG, 2.A., § 9 Rn.41, 122;
Britz/Hellermann/Heimers-Hellermann, EnWG, 2005, § Rn.44; Salje, EnWG, 2006, § 3
Rn.190). Dies trifft auf die Klägerin zu, die von der Beklagten Strom bezieht, den sie zum
Betrieb ihres Biomasseheizkraftwerks benötigt und verbraucht. Aus der von der Klägerin
zitierten Entscheidung des BGH vom 27.06.2007 (Az.: VIII ZR 149/06, NJW 2007, 3637)
ergibt sich nichts anderes. Der BGH befasst sich in dieser Entscheidung nicht mit dem
Letztverbraucher-Begriff. Vielmehr geht es um die Frage der Weitergabe von
Baukostenzuschüssen im Verhältnis zwischen Netz- und Anlagenbetreiber. Zu
beurteilen war nicht , ob die grundsätzlich gesetzlich gestattete Weitergabe von Kosten
an den Verbraucher unter bestimmten Voraussetzungen unwirksam oder
unangemessen sein kann, sondern ob und wann der Netzbetreiber die ihm originär
obliegenden Unterhaltungs- und Bereitstellungskosten an einen Anlagenbetreiber
weitergeben kann. Nur in diesem Zusammenhang gewinnt die von der Klägerin
entwickelte "Saldo-Theorie" Bedeutung. Netzbereitstellungs- und Unterhaltungskosten
können jedenfalls dann nicht umgelegt werden, wenn ein Ausbau des
Stromversorgungsnetzes nicht erforderlich ist, weil der Anlagenbetreiber mengenmäßig
mehr Strom in das Netz einspeist als er für den Eigenbedarf bezieht (BGH a.a.O., juris
Tz.11). Ein Anlass, diesen tragenden Gedanken der BGH-Entscheidung in Form einer
allgemein gültigen "Saldo-Theorie" zu abstrahieren und auf den vorliegenden, nicht
vergleichbaren Fall zu übertragen, besteht weder nach der genannten Entscheidung
noch aufgrund des Gesetzes und der kommentierenden Literatur. Entsprechendes gilt
für die Behandlung der EEG-Aufschläge aus Ziffer 4 der Preisvereinbarung. Obwohl die
Weitergabe der EEG-Aufschläge nach § 14 EEG an den Verbraucher gesetzlich nicht
geregelt ist, ist der Versorger berechtigt, die ihn nach § 14 Abs.3 S.1 EEG treffende
Umlage als Bestandteil des Nutzungsentgelts gegenüber dem Letztverbraucher geltend
zu machen. Während des Gesetzgebungsverfahrens bestand bei der Beratung des § 14
Abs.3 EEG 2004 Einigkeit, dass Versorgungsunternehmen die ihnen durch die
Regelung nach § 14 Abs.3 S.1 EEG entstehenden Kosten an den Letztverbraucher auf
vertraglicher Grundlage weiterreichen können (BT Drucks. 15/2864 S.49 i.V.m. BGH VIII
ZR 160/02, Urteil v. 22.06.2003 Tz.31 zu § 11 Abs.4 EEG 2000;
Altrock/Oschmann/Theobald, EEG (2006), § 14 Rn.83). Damit handelt es sich bei den
EEG- und KWKG-Aufschlägen um Bestandteile des Entgelts für die Hauptleitungspflicht
der Beklagten. Die Entscheidungen zur Kostentragung und vorläufigen Vollstreckbarkeit
beruhen auf §§ 97 Abs.1, 708 Nr.10, 711, 713 ZPO. Der Senat hat die Revision nicht
zugelassen, weil Gründe nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Frage, ob die
Klägerin Letztverbraucherin im Sinne des Energiewirtschaftsrechts ist, hat keine
grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 543 Abs.2 Nr.1 ZPO. Es handelt sich nicht um eine
allgemein klärungsbedürftige Frage. Die streitige Rechtsfrage ist ausschließlich von der
Klägerin aufgeworfen und in dem anhängigen Verfahren umfassend beantwortet
worden. Die Revision ist auch nicht gem. § 543 Abs.2 Nr.2 ZPO zur Fortbildung des
Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Der Begriff
des Letztverbrauchers ist in § 3 Nr.25 EnWG legal definiert. Rechtsprechung und
Literatur wenden den Begriff einheitlich an. Die von der Klägerin angeführte BGH-
Entscheidung vom 27.06.2007, Az. VIII ZR 149/06, betrifft eine andere rechtliche
Konstellation, die auf den hier entschiedenen Fall keine Auswirkungen hat.