Urteil des OLG Hamm vom 10.12.2001
OLG Hamm: kreditinstitut, auflage, nummer, hauptsache, kreditgeber, initiative, verbraucher, agb, saldo, rückführung
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 31 U 103/99
10.12.2001
Oberlandesgericht Hamm
31. Zivilsenat
Urteil
31 U 103/99
Landgericht Essen, 1 O 40/99
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des
Landgerichts Essen vom 18. März 1999 wird zurückgewiesen, soweit der
Rechtsstreit nicht in der Hauptsache erledigt ist.
Die Kosten der Berufung und der Revision werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer des Klägers übersteigt 60.000,00 DM nicht.
Entscheidungsgründe:
Für den Tatbestand und die Prozeßgeschichte wird vorab auf das Revisionsurteil des
Bundesgerichtshofs vom 29.03.2001 (IX ZR 34/00) sowie das dadurch aufgehobene – erste
– Berufungsurteil des erkennenden Senats vom 22.11.1999 verwiesen (§ 543 Abs. 1 ZPO).
Die Berufung des Klägers bleibt weiterhin unbegründet. Sie wäre es auch insoweit
geblieben, als die Parteien im Senatstermin am 10.12.01 den Rechtsstreit im Umfang von
14.065,70 DM übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Das
Landgericht hat nämlich die gegen die Beklagte auf Zahlung des nicht befriedigten
Betrages von 37.601,25 DM nebst Rechtshängigkeitszinsen aus der Pfändungs- und
Einziehungsverfügung des Finanzamts H vom 02.04.1998 gerichtete Klage im Ergebnis zu
Recht abgewiesen.
I.
Nach Zurückverweisung der Sache durch den IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs war
das Berufungsgericht gehalten, dessen Rechtsansicht dem weiteren Verfahren zugrunde
zu legen, wonach Ansprüche eines Bankkunden gegen sein Kreditinstitut aus einem
vereinbarten Dispositionskredit ("offene Kreditlinie") grundsätzlich pfändbar sind.
Ausweislich seines Aufhebungs-Urteils vom 03.05.2001 (Urteilsgründe Seite 14, 15) hält
der Bundesgerichtshof indessen an seiner vorangegangenen Grundsatzentscheidung vom
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24.01.1985 (BGHZ 93/315 – 325 -) fest, die auch der erkennende Senat in seinem –
aufgehobenen – Urteil (Seite 10, 11 = Blatt 124 R, 125 GA) bereits gebührend
berücksichtigt hatte. Danach soll es dabei verbleiben, daß die Rechtsposition eines
Bankkunden aus einer bloß geduldeten Kontoüberziehung nach wie vor unpfändbar ist,
weil der Schuldner hieraus einen pfändbaren Anspruch gegenüber seinem Kreditinstitut
nicht erwirkt.
Die Abgrenzung zwischen Dispositionskredit aus offener Kreditlinie und geduldeter
Kontoüberziehung ist äußerst schwierig und rechtlich problematisch, da sowohl gesetzliche
Regelungen als auch Regelungen in den AGB-Banken bzw. AGB-Sparkassen fehlen. Die
einzig handhabbare Unterscheidung findet sich in § 5 Verbraucherkreditgesetz (VKG), die
unter der Überschrift "Überziehungskredit" zwischen der "Krediteinräumung" in § 5 Abs. 1
Satz 1 ("Kreditverträge bei denen ein Kreditinstitut einem Verbraucher das Recht einräumt,
sein laufendes Konto in bestimmter Höhe zu überziehen") und der "geduldeten
Kontoüberziehung" nach § 5 Abs. 2 unterscheidet.
Graf von S führen in ihrem Kommentar zum Verbraucherkreditgesetz (2. Auflage 1996) zu
der in § 5 VKG vorgenommenen Differenzierung folgendes aus:
Randnummer 48:
"Von der Entscheidung der Bank zur Krediteinräumung nach § 5 Abs. 1 unterscheidet
sich ihre aus Anlaß der geduldeten Überziehung getroffene Entscheidung dadurch, daß die
Entscheidung nicht im Voraus abstrakt von einem einzelnen Belastungsvorgang getroffen
wird ... Die Bank gewährt dem Kunden insoweit ein Handdarlehen".
Kümpel ("Bank- und Kapitalmarktrecht", 2. Auflage 2000) bemerkt zu der zu treffenden
Unterscheidung folgendes:
Randnummer 5.69:
"Bei Dispositionskrediten beruht die Überziehung typischerweise auf einem darauf
gerichteten Kreditangebot der Bank – eingeräumte Überziehung (Dispo-Rahmen)".
Randnummer 5.70:
"Dagegen liegt eine nur geduldete Überziehung im Sinne der §§ 5 Abs. 2 VKG vor,
wenn die Bank die vom Verbraucher ausgehende, als Kreditantrag zu beurteilende
Überziehung zuläßt. Bei solchen geduldeten Überziehungen ist zwischen der
einvernehmlichen, mit Zustimmung der Bank erfolgenden und der eigenmächtigen, ohne
oder gegen den Willen der Bank eintretenden Kontoüberziehung zu unterscheiden".
II.
Danach ist sowohl ausschlaggebend, von wem – Kreditgeber oder Kreditnehmer – die
Initiative zu der Unterbreitung des Kreditantrags/Kreditangebots ausgeht, als auch der
Umstand, ob die Kreditentscheidung der Bank im Voraus und losgelöst von einem
einzelnen Belastungsvorgang getroffen wird. Nach Baumbach-Hopt ("HGB", 30. Auflage
2000, "(7) Bankgeschäfte", Rn. G/2) muß einem Dispositionskredit ein
Krediteröffnungsvertrag bzw. Rahmenvertrag vorausgehen, durch den sich der Kreditgeber
zur Kreditgewährung bis zu einer bestimmten Höhe (Kreditrahmen) nach Abruf verpflichtet.
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1.)
Die Beklagte hatte sowohl in ihrer Berufungsbeantwortung vom 25.08.1999 (Seite 4 = Blatt
94 GA) als auch in ihrem neuerlichen Schriftsatz (nach Erlaß des Revisionsurteils) vom
15.05.2001 (Seite 5 = Blatt 160 GA) in Abrede gestellt, daß sie dem
Vollstreckungsschuldner Thomas X (nunmehr Thomas Lipp-Blatt 172 GA) eine Kreditlinie
eingeräumt bzw. ihm zielgerichtet eine dauernde debitorische Kontoführung ermöglicht
habe, um ihm trotz der Kontopfändung durch den Kläger die Aufrechterhaltung seines
Geschäftsbetriebs zu ermöglichen.
So hat sie die Bewegungen auf dem Girokonto Nummer 54 ####1 des Thomas X (Lipp) im
Zeitraum vom 02.04. bis 12.06.1998 wie folgt (Seite 4 ihrer Berufungsbeantwortung = Blatt
94 GA) beschrieben:
"Vielmehr hat die Zeugin Q ausschließlich vom Vollstreckungsschuldner X
eingereichte Schecks disponiert und dabei Verfügungen maximal bis zur Höhe des
Scheckgegenwertes zugelassen. Bei jedem einzelnen Scheck ist mit dem Kunden
besprochen worden, welche Barverfügungen bzw. Überweisungen getätigt werden konnten
und welche Anteile zur Rückführung der Kontoüberziehung stehen bleiben sollten.
Kontobelastungen, die nicht abgesprochen waren, sind demzufolge auch zurückgegeben
worden".
2.)
Nahezu deckungsgleich verhält sich die Schilderung des Klägers in seiner
Berufungsbegründung vom 20.07.1999 (Seite 4 = Blatt 63 GA), mit welcher er die
Kontobewegungen wie folgt beschreibt:
"Darüber hinaus ist es in zahlreichen Einzelfällen zu konkreten Kreditvereinbarungen
gekommen. Diese jeweiligen Kreditgewährungen standen stets in unmittelbaren
Zusammenhang mit der Einziehung von Schecks, die dem Konto Nummer 54 ####1 des
Steuerschuldners bei der Beklagten im Zeitraum vom 02.04. bis 12.06.1998
gutgeschrieben wurden."
Die Vorgehensweise war dabei jeweils folgende:
Herr X reichte bei der Beklagten jeweils einen oder mehrere Schecks zur Gutschrift auf
seinem Konto ein. Im Gegenzug gestatteten ihm die Mitarbeiter der Beklagten, Geldbeträge
von seinem Konto als "eigene Bargeschäfte" abzuheben. In mehreren Fällen nahm die
Beklagte gleichzeitig auch Überweisungsaufträge zu Lasten des Steuerschuldners
entgegen und führte diese Aufträge aus. Während das Konto sogleich durch die
Barabhebungen bzw. Überweisungsaufträge belastet wurde, erfolgte die Gutschrift erst mit
einer zeitlichen Verzögerung von einigen Tagen. Auf diese Weise wurde verhindert, daß
das Konto des Steuerschuldners einen positiven Tagessaldo erreichen konnte".
Nach der eigenen Darstellung des Klägers scheidet mithin die Einräumung eines
Dispositionskredits/einer Kreditlinie/eines Kreditrahmens auf Grund eines
vorangegangenen Krediteröffnungsvertrages ersichtlich aus, zudem ist ganz offensichtlich
die Initiative – das Kreditangebot – jeweils von dem Vollstreckungsschuldner – und zwar
von Fall zu Fall – ausgegangen.
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Dies wird auch in äußerst plastischer Weise durch den vom Kläger in seiner
Berufungsbegründung (Seiten 5, 6 = Blatt 64, 65 GA) aufgelisteten zeitlichen Ablauf der
jeweils nur wenige Tage andauernden Scheck-Kreditierungen illustriert:
Danach ist der Vollstreckungsschuldner im Zeitraum vom 03.04. bis 08.06.1998 jeweils mit
diversen Schecks bei der Beklagten vorstellig geworden, über deren Hereinnahme diese
sodann im Einzelfalls ganz punktuell entschieden hat. Wurde sodann ein bestimmter
Scheck zur Gutschrift auf dem Girokonto angenommen, hat die Beklagte allerdings noch
am jeweils selbigen Tag ein "eigenes Bargeschäft" des Vollstreckungsschuldners
zugelassen. Auffällig ist hierbei, daß diese "eigenen Bargeschäfte" niemals die Höhe des
Scheckbetrages erreicht haben, sondern mit jeweils einem erheblichen "Abschlag vom
Scheckwert" bewilligt wurden. Jedes einzelne "Bargeschäft" ist wenige Tage später durch
den zu einem höheren Betrag erfolgten Scheckeinzug vollständig kompensiert worden.
Nur so ist überhaupt nachvollziehbar, daß trotz der im streitgegenständlichen Zeitraum von
der Beklagten zugelassenen Verfügungen, die unstreitig eine Summe von 146.959,82 DM
erreicht haben, der Debet-Saldo des Girokontos Nummer 54 ####1 von anfänglich
32.563,10 DM (Blatt 121 R GA) auf 22.956,51 DM zurückgeführt worden ist (Blatt 131, 146
GA). Dabei ist ebenfalls unstreitig, daß dem Kläger in diesem Zeitraum insgesamt
18.000,00 DM aus der Kontopfändung zugeflossen sind (Blatt 146 GA).
In Anbetracht dieses übereinstimmenden Vortrags beider Parteien hatte der Senat keine
Veranlassung, zu der Frage der Einräumung einer Kreditlinie/eines Dispositionskredits
noch Beweis durch Vernehmung der geladenen Zeugen Q und G zu erheben.
III.
Zu den vorerwähnten 18.000,00 DM addieren sich weitere 14.065,70 DM, die den mithin
noch auszugleichenden Soll-Saldo auf nunmehr 23.535,55 DM abgeschmolzen haben.
Dementsprechend haben beide Parteien im Senatstermin am 10.12.2001 den Rechtsstreit
im Umfang von 14.065,70 DM übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Da der Kläger auch im Umfang der Teil-Erledigungs-Erklärung unterlegen wäre
(§ 91 a ZPO), waren ihm insgesamt die Kosten der Revision sowie der beiden
Berufungsverfahren aufzuerlegen (§ 97 Abs. 1 ZPO). Der Ausspruch über die vorläufige
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.