Urteil des OLG Hamm vom 12.06.1996
OLG Hamm (1995, vvg, fahrzeug, zeuge, zeitpunkt, versicherungsschutz, kenntnis, objektiv, richtigkeit, anfang)
Oberlandesgericht Hamm, 20 U 20/96
Datum:
12.06.1996
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 20/96
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 3 O 286/95
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 20. Oktober 1995 verkündete
Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
1
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einer Kaskoversicherung auf Gewährung
bedingungsgemäßer Leistungen aus Anlaß einer Entwendung des versicherten
Fahrzeugs VW Golf Cabriolet in Anspruch.
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Sie behauptet, das Fahrzeug sei in der Nacht vom 26.01. auf den 27.01.1995 von
seinem Abstellort vor ihrer Wohnung in ... gestohlen worden.
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Der Beklagte verweigert Versicherungsschutz. Er bestreitet den Diebstahl und beruft
sich überdies auf Leistungsfreiheit wegen Aufklärungsobliegenheitsverletzung, da ihm
gegenüber falsche Angaben zur Laufleistung des Fahrzeugs und zur Zahl der beim
Erwerb erhaltenen Fahrzeugschlüssel gemacht worden seien.
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Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die
hiergegen gerichtete zulässige Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Der Beklagte
ist ihr nicht gemäß §§1, 49 VVG, 12 Nr. 1 I lit. b AKB zur Diebstahlsentschädigung
verpflichtet.
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Es bedurfte keiner Entscheidung dazu, ob die Klägerin den behaupteten
Fahrzeugdiebstahl hinreichend beweisen kann, da der Beklagte jedenfalls wegen
Aufklärungsobliegenheitsverletzung nach §§7 V Nr. 4 i.V.m. I Nr. 2 Satz 3 AKB, 6 Abs. 3
VVG leistungsfrei geworden ist.
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Unstreitig ist der in der Schadenanzeige vom 29.01.1995 zur Rubrik
"Gesamtfahrleistung des Kfz" enthaltene Eintrag: "ca. 46.000 km" objektiv falsch. Die
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Klägerin räumt ein, richtig seien "reichlich 90.000 km".
Die Schadenanzeige ist vom Lebensgefährten der Klägerin, dem Zeugen ... ausgefüllt
und von der Klägerin unterschrieben worden. Sie stellt deshalb eine eigene
Auskunftserklärung der Klägerin in ihrer Eigenschaft als Versicherungsnehmerin
gegenüber dem Beklagten da (BGH VersR 1995, 281; Senat VersR 1994, 802, 804).
Die Klägerin behauptet, sie habe die Unterschrift unter das ihr vom Zeugen ...
vorgelegte, bereits ausgefüllte Formular im Vertrauen auf die Richtigkeit der von ihrem
Lebensgefährten gemachten Einträge geleistet; durchgelesen habe sie das Schriftstück
zuvor nicht. Ob damit die gesetzliche Vorsatzvermutung (§6 Abs. 3 Satz 1) ausgeräumt
ist, kann offenbleiben. Selbst wenn dies zugunsten der Klägerin unterstellt würde,
könnte ihr das nicht helfen, da sie sich die Kenntnis des Zeugen ... von der Unrichtigkeit
seines Falscheintrags zur Gesamtfahrleistung des versicherten Kfz zurechnen lassen
muß (§79 Abs. 1 VVG). Es handelt sich nämlich um eine Fremdversicherung zugunsten
der Fahrzeugeigentümerin, der Firma ... deren Geschäftsführer ... der Zeuge ... ist.
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Soweit die Klägerin sich im Senatstermin selbst als zum Zeitpunkt des
Versicherungsfalls aktuelle Fahrzeugeigentümerin bezeichnet hat, ist dies zur
Überzeugung des Senats widerlegt. Das versicherte Fahrzeug war ursprünglich ein
Leasingfahrzeug. Vertragspartner der Leasinggeberin ... war die Leasingnehmerin ...
vertreten durch ihren Geschäftsführer .... Nach Beendigung des Leasingvertrages hat die
... das Fahrzeug von der Leasinggeberin nach Zahlung eines Ablösebetrages
übernommen und auch den Fahrzeugbrief erhalten (vgl. Rechnung der Leasinggeberin
vom 23.01.1995 - Bl. 8 d.A.). Die Behauptung der Klägerin, der Zeuge ... habe ihr das
Fahrzeug, das ihr unstreitig von der ... von Anfang an zur privaten Nutzung zur
Verfügung gestellt worden ist, nach Ablösung des Leasingvertrages geschenkt und
damit zu Eigentum übertragen, ist unrichtig. Nähere Einzelheiten zum angeblichen
Schenkungsakt und dessen Zeitpunkt hat die Klägerin nicht zu nennen vermocht.
Bereits dies spricht maßgeblich gegen die Richtigkeit ihres Sachvortrages, da als
Zeitpunkt der Schenkung maximal 5 Tage (Ablösung des Leasingvertrages am
21.03.1995 bis zum Diebstahl am 26./27.01.1995) in Betracht kommen. Hinzu tritt
entscheidend, daß der Zeuge ... glaubhaft bekundet hat, die Schenkung des
Fahrzeuges an die Klägerin sei zwar beabsichtigt gewesen, wegen des Diebstahls aber
nicht mehr vollzogen worden; zum Entwendungszeitpunkt sei deshalb
Fahrzeugeigentümerin die ... gewesen. Diese Bekundung wird gestützt durch die
unstreitige Tatsache, daß auch am 27.01.1995 der Fahrzeugbrief sich noch im Besitz
des Zeugen ... befand und der Zeuge auch der Polizei gegenüber als Geschädigte die ...
angegeben hat.
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War somit zum Schadens Zeitpunkt Versicherter die ... muß sich die Klägerin die
Kenntnis und das Verhalten des Geschäftsführers ... der Versicherten zurechnen lassen,
da nach §79 Abs. 1 VVG der Versicherte dem Versicherungsnehmer gleichsteht, soweit
nach den Vorschriften des VVG die Kenntnis und das Verhalten des
Versicherungsnehmers von rechtlicher Bedeutung ist. Unerheblich ist insoweit, daß der
Zeuge ... die Schadenanzeige, die die Falschangabe enthält, nicht selbst
unterschrieben hat. Auch vom Versicherten gewissermaßen in "mittelbarer Täterschaft"
gemachte Falschangaben schaden (vgl. Bruck/Möller/Sieg, VVG, 8. Aufl., §79 Anm. 8).
Der Sache nach kann es keinen Unterschied machen, ob der Versicherte selbst dem
Versicherer gegenüber als Erklärender auftritt oder ob er sich dafür des gutgläubigen
Versicherungsnehmers bedient. Im einen wie dem anderen Fall verdient der Versicherte
keinen Versicherungsschutz.
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Daß den Zeugen ... der Vorwurf zumindest bedingt vorsätzlichen Handelns trifft, kann
nicht zweifelhaft sein. Unstreitig hat er das von der Klägerin genutzte versicherte
Fahrzeug von Anfang an gewartet und gepflegt. Er war es auch, der sämtlichen das
Fahrzeug betreffenden Schriftverkehr erledigt hat. Bereits am 23.06.1994 hatte er aus
Anlaß des Diebstahls der Innenaussstattung des versicherten Fahrzeuges gegenüber
einem früheren Kaskoversicherer eine Schadenanzeige ausgefüllt und darin den
Kilometerstand zutreffend mit "ca. 72.000 km" angegeben. Danach gab es noch eine
Inspektionsrechnung vom 02.08.1994, die als Kilometerstand 75.890 km auswies.
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Durchaus zu Recht hat das Landgericht auch darauf hingewiesen, selbst bei einfachste
Überlegung sei eine Laufleistung von 46.000 km offensichtlich falsch: Nach eigenen
Angaben der Klägerin betrage ihr täglicher Weg zur Arbeitsstätte hin und zurück 120 km;
bereits nach drei Jahren ergebe sich danach bei Zugrundelegung von 200 Arbeitstagen
pro Jahr die Summe von 72.000 km.
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Der Zeuge ... selbst hat vor dem Landgericht bekundet, bei der Schadensmeldung habe
er die Kilometerangabe "ziemlich wahllos herausgegriffen"; "bei der Frage nach der
Kilometerleistung habe er sich überhaupt keine Gedanken gemacht". Auch wenn dies
zutreffend wäre, läge eine Erklärung ins Blaue hinein vor, die auf bedingten Vorsatz
hinsichtlich einer Falschangabe schließen läßt (Senat Urteil vom 06.05.1994 - 20 U
366/93).
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Die Voraussetzungen der sog. Relevanzrechtsprechung sind gegeben. Die gravierende
Falschangabe war weder objektiv noch subjektiv bedeutungslos. Die erforderliche
Belehrung darüber, daß bewußt unwahre oder unvollständige Angaben zum Verlust des
Anspruchs auf Versicherungsschutz auch dann führen, wenn dem Versicherer dadurch
kein Nachteil entsteht, ist im Schadenanzeigeformular in Fettdruck unmittelbar über der
Unterschriftenleiste enthalten.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.
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Die Beschwer der Klägerin beträgt 20.000,00 DM.
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