Urteil des OLG Hamm vom 19.12.1997

OLG Hamm (treu und glauben, kläger, aufrechnung, 1995, betrag, einkommen, höhe, berechnung, bad, zpo)

Oberlandesgericht Hamm, 5 UF 111/97
Datum:
19.12.1997
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
5. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 UF 111/97
Vorinstanz:
Amtsgericht Bad Oeynhausen, 17 F 513/96
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung ihres
weitergehenden Rechtsmittels das am 16. April 1997 verkündete Urteil
des Amtsgerichts - Familiengericht - Bad Oeynhausen abgeändert und
wie folgt neu gefaßt:
Unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom
14. Februar 1996 (17 a F 202/95) wird der Kläger verurteilt, an die
Beklagte ab 30.11.1996 monatlich im voraus 1.509,15 DM und ab
Januar 1997 monatlich 1.922,59 DM Elementarunterhalt und 117,13 DM
Altersvorsorgeunterhalt zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den in erster Instanz entstandenen Kosten des Rechtsstreits tragen
der Kläger 54 % und die Beklagte 46 %. Die Kosten der Berufung tragen
zu 42 % der Kläger und zu 58 % die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
1
Die zulässige Berufung der Beklagten hat, soweit sie sich gegen die
Unterhaltsherabsetzung für die Zeit ab Januar 1997 richtet, teilweise Erfolg. Im übrigen
bleibt ihr der Erfolg versagt.
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I.
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Grundlage des Unterhaltsanspruchs der Beklagten ist zwar - insoweit ist dieser
zuzustimmen - weiterhin die zwischen den Parteien außergerichtlich getroffene
vertragliche Regelung vom 04.03.1994, deren Abänderbarkeit nach § 242 BGB zu
beurteilen ist. Danach ist ein Abänderungsbegehren dann gerechtfertigt, wenn sich die
der Vereinbarung zugrunde gelegten Verhältnisse zwischenzeitlich derart geändert
haben, daß der betroffenen Partei ein Festhalten am bisherigen Vertrag nach Treu und
Glauben nicht länger zugemutet werden kann (vgl. BGH NJW 1986, 2054, 2055 m.w.N.),
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was das Überschreiten einer Opfergrenze voraussetzt. Diese Grenze ist nach der
Rechtsprechung des Senats regelmäßig dann überschritten, wenn sich bei einer
Neuberechnung des Unterhalts unter Beachtung der Vertragsgrundlagen eine
mindestens 10-%ige Erhöhung bzw. Minderung der bislang geschuldeten Beträge
ergibt.
Bei der Auslegung der Scheidungsvereinbarung sind aber entgegen der Auffassung der
Beklagten diejenigen Festlegungen hinsichtlich der Vertragsgrundlagen zu beachten,
die sich aus dem abzuändernden Urteil vom 14.02.1996 ergeben, mit welchem der
vertragliche Anspruch unter gleichzeitiger Anpassung an bereits damals veränderte
Einkommensverhältnisse tituliert worden ist.
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Grundlage für die Unterhaltsbemessung im jetzigen Abänderungsverfahren ist die
Scheidungsvereinbarung nunmehr so, wie sie im abzuändernden Urteil ausgelegt
worden ist.
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Soweit die Beklagte meint, die nach ihrer Auffassung fehlerhafte Auslegung der
Scheidungsvereinbarung im abzuändernden Urteil könne sie als Abänderungsbeklagte
nicht binden, folgt der Senat ihr nicht.
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Zwar kann sich eine Abänderungsbeklagte zur Verteidigung des Ergebnisses der
Vorentscheidung auch auf solche Tatsachen stützen, die bereits in dem Vorverfahren
hätten vorgetragen werden können, dort aber nicht vorgetragen wurden und
infolgedessen unberücksichtigt geblieben sind (vgl. BGH NJW 1987, 1201). Darum geht
es im vorliegenden Fall jedoch nicht.
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Die Beklagte beruft sich nicht auf neue Tatsachen. Was sie hinsichtlich der
Einkommensverhältnisse zur Zeit der Scheidungsvereinbarung vorträgt, war bereits im
Vorverfahren bekannt. Sie stützt sich insoweit gerade auf die in diesem Verfahren
vorgelegten Einkommensunterlagen. Sie trägt mithin nicht sogenannte Alttatsachen vor,
sondern beanstandet lediglich, das Familiengericht habe auf der Grundlage der damals
schon bekannten Tatsachen die Rechtslage im Vorverfahren falsch beurteilt. Damit
kann sie auch als Abänderungsbeklagte, die am Ergebnis der Vorentscheidung
festhalten will, nicht gehört werden. Tatsachen, die in dem abzuändernden Urteil bereits
eine rechtliche Beurteilung erfahren haben, sind angesichts der materiellen Rechtskraft
der Entscheidung einer abweichenden rechtlichen Bewertung nicht mehr zugänglich.
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Auszugehen ist daher entsprechend den Festlegungen im abzuändernden Urteil davon,
daß der Unterhaltsanspruch der Beklagten auf der Grundlage der jeweiligen
tatsächlichen Einkünfte des Klägers zu bestimmen und fortzuschreiben ist.
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II.
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Soweit das Familiengericht auf der vorgenannten Grundlage den Unterhaltsanspruch
der Beklagten für 1996 mit monatlich 1.509,15 DM bemessen hat, wird die Berechnung
mit der Berufung im Detail lediglich insoweit angegriffen, als
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- die im Jahre 1996 geflossene Einkommenssteuererstattung für 1995 mit dem
tatsächlichen Zahlbetrag von 1.789,44 DM in Ansatz gebracht ist und
13
- eine auf Ausgleich der Nachteile des steuerlichen Realsplittings gerichtete Forderung
14
der Beklagten in Höhe von 5.593,16 DM als durch Aufrechnung getilgt behandelt und
deshalb einkommensmindernd berücksichtigt worden ist.
Beide Berufungsangriffe haben keinen Erfolg, so daß es für 1996 bei dem
erstinstanzlich titulierten Betrag bleibt.
15
1.
16
Eine höhere als die tatsächlich erzielte Steuererstattung ist nicht anzusetzen.
17
Ein solch fiktiver Ansatz würde voraussetzen, daß der Kläger in unterhaltsrechtlich
vorwerfbarer Weise mögliche Steuervorteile nicht wahrgenommen hat.
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Ein derart schuldhaftes Verhalten ist nicht festzustellen. Zwar hat der Kläger
Unterhaltsleistungen an die Beklagte lediglich in Höhe von 18.000,00 DM
steuermindernd geltend gemacht, obwohl seine tatsächlichen Zahlungen darüber lagen.
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Die Gründe hierfür sind aber ungeklärt. Fest steht nur, daß die Beklagte für 1995 auf der
Anlage U lediglich 18.000,00 DM Unterhaltsleistungen bestätigt hatte. Ob sie sich - wie
vom Kläger behauptet - geweigert hatte, einem höheren Betrag zuzustimmen oder ob -
wie von der Beklagten behauptet - der Kläger selbst angeregt hatte, es bei 18.000,00
DM zu belassen, ist offen.
20
2.
21
Die einkommensmindernd berücksichtigte Ausgleichsforderung der Beklagten in Höhe
von 5.593,16 DM hat das Familiengericht zu Recht als durch Aufrechnung getilgt
gewertet.
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Der vom Kläger zur Aufrechnung gestellte Anspruch ergibt sich als
Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO. Stellt man den im Zeitraum von Januar
1995 bis September 1996 geschuldeten Unterhaltsbeträgen die für diesen Zeitraum
gezahlten bzw. im Wege der Pfändung beigetriebenen Beträge gegenüber, so ergibt
sich zugunsten des Klägers ein Überschuß von mehr als 8.000,00 DM. Wie sich aus
den vom Kläger vorgelegten und inhaltlich unbestrittenen Aufstellungen der
geschuldeten bzw. gezahlten/gepfändeten Beträge ergibt, resultiert diese Überzahlung
nicht aus den im Zeitraum von Januar bis August 1995 freiwillig geleisteten Zahlungen,
sondern allein aus den in der Folgezeit erfolgten Pfändungen aufgrund des
Versäumnisurteils vom 07.06.1995, welches im abzuändernden Urteil vom 14.02.1996
teilweise wieder aufgehoben worden ist.
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In Höhe des überschießenden, letztendlich zu Unrecht im Wege der
Zwangsvollstreckung beigetriebenen Betrages besteht daher ein
Schadensersatzanspruch gemäß § 717 Abs. 2 BGB, dem der von der Beklagten
eingewandte Wegfall der Bereicherung nicht entgegengehalten werden kann.
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Mit dieser Forderung hat der Kläger wirksam gegen die Ausgleichsforderung der
Beklagten aufgerechnet.
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Dabei kann die Streitfrage, ob es sich bei dieser Ausgleichsforderung um eine
Unterhalts"rente" im Sinne des § 394 BGB in Verbindung mit § 850 b Abs. 1 Nr. 2 ZPO
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handelt (vgl. dazu BGH FamR 97, 544 und SchlHOLG, OLGR 1997, 113 m.w.N.)
dahingestellt bleiben.
Selbst wenn man dies bejaht, ist bei der hier vorliegenden Fallgestaltung die
Aufrechnung als wirksam anzusehen.
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Das sich aus § 394 BGB ergebende Aufrechnungsverbot ist nämlich mit Rücksicht auf
den Schutzzweck der Norm zu begrenzen. Das Aufrechnungsverbot bezweckt im
öffentlichen Interesse die Vermeidung einer Notlage auf Seiten des
Unterhaltsgläubigers durch Entziehung der für den Lebensunterhalt erforderlichen Mittel.
Dieser Zweck wird bei der hier vorliegenden Fallgestaltung durch eine Aufrechnung
nicht vereitelt.
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Zu berücksichtigten ist nämlich, daß der Anspruch des Klägers daraus resultiert, daß die
Beklagte im Wege der Zwangsvollstreckung mehr an Unterhalt beigetrieben hat, als ihr
materiellrechtlich zustand. Versteht man den Anspruch auf Ausgleich der Nachteile des
steuerlichen Realsplittings als Pflicht zur Auffüllung des durch Steuern geschmälerten
Unterhaltsanpruches und mithin als den eigentlichen Unterhaltsanspruch in neuer
Gestalt (so OLG Bamberg, FamRZ 1987, 1047, 1049), so steht rückständigem Unterhalt
einerseits ein Anspruch auf Rückzahlung von zuviel beigetriebenem Unterhalt
andererseits gegenüber. Durch die Aufrechnung wird bei dieser Fallgestaltung lediglich
der für vergangene Zeiträume tatsächlich geschuldete Zustand hergestellt. Das
Aufrechnungsverbot muß bei dieser Sachlage nach Treu und Glauben zurücktreten (im
Ergebnis ebenso OLG Schleswig, FamRZ 1986, 707).
29
III.
30
Für 1997 ist die familiengerichtliche Berechnung hinsichtlich der Einkünfte des Klägers
zu aktualisieren.
31
Beim Vergleich der inzwischen vorliegenden Verdienstabrechnung für Oktober 1997 mit
derjenigen für Oktober 1996 ergibt sich, daß das Einkommen des Klägers im laufenden
Jahr wieder angestiegen ist.
32
Für Oktober 1997 ergibt sich ein bis dahin aufgelaufenes
Jahreseinkommen von
71.284,76 DM
(76.054,32 DM Nettoeinkommen abzgl.
4.246,76 DM
Eigenanteil Krankenversicherung und
Eigenanteil Pflegeversicherung).
522,80
DM.
Der entsprechende Vorjahreswert beläuft sich auf
64.259,75 DM
(106.924,74 DM brutto - 4.050,00 DM Krankenversicherung - 384,00
DM Pflegeversicherung - 2.551,12 DM Arbeitslosenversicherung -
25.525,31 DM Lohnsteuer - 1.794,29 DM Solidaritätszuschlag - 825,36
DM Kirchensteuer).
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Das bis Oktober 1997 aufgelaufene Jahreseinkommen liegt damit um ca. 11 % über
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demjenigen des bis Oktober 1996 aufgelaufenen Einkommens.
Geht man von einer entsprechenden Steigerung des
Gesamtjahreseinkommens aus, so ist statt des vom Familiengericht
berücksichtigten
Betrages von
78.065,33 DM
ein Betrag von
in die Berechnung einzustellen.
86.652,52 DM
Der Mehrbetrag von
8.587,19 DM
entspricht einen monatsanteiligen Betrag v.
715,60
DM.
Entsprechend erhöht sich das vom Familiengericht mit
6.574,78 DM
angesetzte Einkommen des Beklagten auf
7.290,38 DM.
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Damit ergibt sich folgende Unterhaltsberechnung:
36
Einkommen des Klägers
7.290,38
DM
Einkommen der Beklagten
2.187,21
DM
Einkommensdifferenz
5.103,17
DM
Altersvorsorge (2.187,07 DM; 139; 20,3) -
617,13
DM
Differenz
4.486,04
DM
davon 3/7
1.922,59
DM.
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Im Hinblick auf 500,00 DM Altersvorsorgeunterhalt gilt die vertragliche
Verrechnungsabrede. Zu titulieren sind daher die aus dem Tenor ersichtlichen Beträge.
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Im Hinblick auf alle anderen Einkommenspositionen folgt der Senat den zutreffenden
Ausführungen im angefochtenen Urteil, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen
verwiesen wird.
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Steuerliche Erstattungen und/oder Nachzahlungen für 1996 sind derzeit verläßlich noch
nicht zu beurteilen. Gegenwärtig ist insbesondere auch noch offen, ob die Möglichkeiten
des steuerlichen Realsplittings, dessen Durchführung die Beklagte nunmehr von der
schriftlichen Ausgleichszusage des Klägers abhängig macht, ausgeschöpft werden.
Etwaige Erstattungen/Nachzahlungen werden nach dem Zu-/Abflußprinzip
unterhaltsrechtlich erst zukünftig zu berücksichtigen sein.
40
IV.
41
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
42