Urteil des OLG Hamm vom 18.02.2010

OLG Hamm (örtliche zuständigkeit, wichtiger grund, grundsatz der perpetuatio fori, kind, zuständigkeit, perpetuatio fori, grund, abgabe, mutter, androhung)

Oberlandesgericht Hamm, 2 Sdb (FamS) Zust. 2/10
Datum:
18.02.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Sdb (FamS) Zust. 2/10
Tenor:
Örtlich zuständig ist das Amtsgericht – Familiengericht – Bochum.
Gründe
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I.
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Gegenstand des dem Zuständigkeitsstreit zugrundeliegenden Verfahrens ist ein Antrag
des Kindesvaters (Antragstellers) auf Androhung von Zwangsgeld gegen die
Kindesmutter (Antragsgegnerin) wegen Zuwiderhandlung gegen eine im Verfahren 59 F
59/06 (AG Bochum) getroffene Umgangsregelung mit dem gemeinsamen Kind.
Außerdem begehrt der Antragsteller die Abänderung der Umgangsregelung
dahingehend, dass eine andere Umgangspflegerin bestellt wird.
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Der an das Amtsgericht – Familiengericht – Bochum gerichtete Antrag des Kindesvaters
ist am 6.5.2009 beim Amtsgericht in Bochum eingegangen. Am 1.7.2009 ist die
Antragsgegnerin mit dem gemeinsamen Kind von C2 nach E verzogen. Dort hat sie –
ausweislich einer Melderegisterauskunft der Stadt E - bis zum 29.9.2009 gewohnt. Am
29.9.2009 ist sie mit dem gemeinsamen Kind nach C2 zurückgezogen. Dort wohnen
Mutter und Kind auch heute noch unter der Anschrift W-Strasse.
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Nach dem Umzug der Antragsgegnerin von C2 nach E hat das Familiengericht die
Beteiligten angehört und das Verfahren mit Beschluss vom 28.8.2009, entsprechend
dem Antrag des Antragstellers, an das Amtsgericht – Familiengericht – Duisburg
abgegeben. In der Begründung des Beschlusses nimmt das Amtsgericht Bochum auf
den Wohnortwechsel des Kindes und auf die Vorschrift des § 46 FGG a. F. Bezug.
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Das Amtsgericht – Familiengericht – Duisburg hat die beteiligten Eltern zur Einreichung
der Prozesskostenhilfeunterlagen aufgefordert und einen Termin zur Anhörung der
Beteiligten und des betroffenen Kindes auf den 3.11.2009 bestimmt.
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Nach Mitteilung über den Rückzug des Kindes mit seiner Mutter nach C2 hat das
Amtsgericht – Familiengericht – Duisburg den Termin vom 3.11.2009 aufgehoben und
die Beteiligten angehört. Mit Beschluss vom 14.12.2009 hat es das Verfahren unter
Berufung auf die Vorschrift des § 46 FGG a. F. an das Amtsgericht – Familiengericht –
Bochum zurückgegeben und um Übernahme des Verfahrens ersucht. Aus der
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Begründung des Beschlusses geht hervor, dass sich das Familiengericht Duisburg an
die Übernahme des Verfahrens nicht gebunden hält, weil die Mutter mit dem Kind
wieder nach C2 verzogen sei.
Mit Beschluss vom 6.1.2010 hat das Amtsgericht – Familiengericht – Bochum die
erneute Übernahme des Verfahrens abgelehnt und die Sache dem Senat zur
Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts vorgelegt.
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II.
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Die Bestimmung der Zuständigkeit richtet sich nach altem – bis zum 31.8.2009
geltenden – Recht, da das Verfahren auf Androhung von Zwangsgeld und Änderung der
Umgangsregelung durch Antragsschrift vom 5.5.2009 vor dem 1.9.2009 eingeleitet
worden ist (Art. 111 I 1 FGGRG).
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Die Voraussetzungen für die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 I Nr. 6 ZPO sind
gegeben. Der Senat ist gemäß den §§ 621a I ZPO, 46 Abs. II 1, III, 64 Abs. III 2 FGG a.
F. als übergeordnetes Gericht desjenigen Familiengerichts zur Entscheidung berufen,
an welches das Verfahren abgegeben werden soll, weil sich die beteiligten Gerichte
nicht über die Übernahme des Verfahrens durch das Familiengericht Bochum einigen
können.
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Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts – Familiengericht – Bochum folgt daraus,
dass das betroffene Kind seinen Wohnsitz in C2 hat und ein wichtiger Grund für eine
Abgabe des Verfahrens durch das Familiengericht Duisburg an das Familiengericht
Bochum gegeben ist.
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1.
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Ursprünglich zuständig für das Verfahren war das Amtsgericht – Familiengericht –
Bochum.
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Sowohl das Verfahren auf Androhung von Zwangsgeld nach § 33 FGG a. F. als auch
das Verfahren zur Bestimmung oder Änderung einer Umgangsregelung nach § 1684 III
BGB sind selbständige Verrichtungen im Sinne des § 43 I FGG a. F. Die örtliche
Zuständigkeit für eine solche Maßnahme bestimmt sich daher nach Maßgabe der §§ 43
I, 36 I, 64 III 2 FGG a. F.. Danach ist dasjenige Gericht örtlich zuständig, in dessen
Bezirk das betroffene Kind zu der Zeit, in die Anordnung der begehrten Maßnahme
erforderlich wird, seinen Wohnsitz oder bei Fehlen eines inländischen Wohnsitzes
seinen Aufenthalt hat.
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Die vom Antragsteller begehrten Maßnahmen wurden spätestens im Zeitpunkt seiner
Antragstellerung erforderlich. Zu diesem Zeitpunkt wohnte das betroffene Kind
gemeinsam mit seiner Mutter in C2. Die Verlegung seines Wohnsitzes im anhängigen
Verfahren von C2 nach E berührte die einmal begründete örtliche Zuständigkeit des
Amtsgerichts – Familiengericht - Bochum nach dem Grundsatz der perpetuatio fori nicht
(vgl. OLG Brandenburg OLGR 2005, 819 f.).
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2.
17
Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts – Familiengericht – Duisburg ist erst
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nachträglich gem. den §§ 46 I, 64 III 2 FGG a. F. durch die Übernahme des beim
Amtsgericht – Familiengericht – Bochum anhängigen Verfahrens begründet worden.
Darauf, ob im Zeitpunkt der Übernahme des Verfahrens die Voraussetzungen für eine
Abgabe aus wichtigem Grund nach § 46 I FGG a. F. gegeben waren, kommt es für die
Begründung der Zuständigkeit des Amtsgerichts – Familiengericht - Duisburg nicht an.
Die Abgabe ist ein einseitiger Akt. Zum Vollzug derselben ist die Übernahmeerklärung
des übernehmenden Gerichts erforderlich. Diese kann auch stillschweigend abgegeben
werden. Sind Abgabe- und Übernahmeerklärung erfolgt, sind sie nicht mehr abänderbar.
Dies gilt auch für eine auf einer irrtümlichen Annahme der örtlichen Zuständigkeit
beruhende Abgabeerklärung (vgl. Keidel/Kunze/Winkler-Engelhardt, FGG, 15. Aufl. § 46
Rz. 28 m. w. N.).
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Vorliegend hat das Amtsgericht – Familiengericht – Duisburg das Verfahren
stillschweigend übernommen, indem es in der Sache selbst tätig geworden ist (vgl.
BayObLG BtPrax 1998, 237 f.; Keidel/Kunze/Winkler-Engelhardt, a. a. O., Rz. 16) und
Termin zur mündlichen Verhandlung und zur Anhörung der Beteiligten anberaumt hat.
Damit ist seine örtliche Zuständigkeit begründet worden.
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3.
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Die gem. den §§ 46 I, 64 III 2 FGG a. F. begründete Zuständigkeit des Amtsgerichts –
Familiengericht – Duisburg hindert dieses jedoch nicht daran, das Verfahren aus
wichtigem Grund an das Amtsgericht – Familiengericht – Bochum zurückzugeben, denn
die Übernahme nach § 46 I FGG a. F. stellt keine Verweisung dar, an die das
übernehmende Gericht gebunden ist. Insbesondere die Vorschrift des § 281 II ZPO ist
nicht entsprechend anwendbar (vgl. OLG Brandenburg, a. a. O.; Keidel/Kunze/Winkler-
Engelhardt, a. a. O., Rz 28).
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Die Rückübertragung des Verfahrens auf das Amtsgericht – Familiengericht - Bochum
ist durch Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Duisburg vom 14.12.2009
erfolgt. Sie führt zur Ersetzung der fehlenden Übernahmeerklärung des Familiengerichts
Bochum durch den Senat, denn es liegt ein wichtiger Grund im Sinne des § 46 I FGG a.
F. vor, der eine Über- bzw. Rücknahme des Verfahrens durch das Amtsgericht –
Familiengericht – Bochum rechtfertigt.
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Ein wichtiger Grund liegt dann vor, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls unter
Berücksichtigung des Kindeswohls zweckmäßig erscheint, dass nicht das örtlich
zuständige, sondern das um Übernahme ersuchte Gericht mit der Sache befasst wird.
Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das betroffene Kind seinen Aufenthalt
dauerhaft in den Bezirk eines anderen Gerichts verlegt und der Aufenthaltswechsel mit
Erschwernissen für das laufende Verfahren verbunden ist, die es notwendig erscheinen
lassen, dass das Verfahren am Gericht des neuen Wohnortes des Kindes weitergeführt
wird. Dabei ist in erster Linie auf das Wohl des betroffenen Kindes abzustellen (vgl.
Senat FamRZ 2007, 567 f.).
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Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
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Vorliegend ist ein dauerhafter Wechsel des Aufenthalts des betroffenen Kindes von C2
nach E nicht erfolgt. Die Antragsgegnerin hat mit dem Kind nur knapp 3 Monate in E
gewohnt. Heute hat das betroffene Kind seinen Wohnsitz nach wie vor der Übernahme
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des Verfahrens durch das Familiengericht Duisburg in C2. Das hat zur Folge, dass
sowohl das betroffene Kind als auch die in C2 lebenden Kindeseltern für die
notwendigen Anhörungstermine beim Amtsgericht Duisburg eine nicht unerhebliche
Entfernung zurücklegen müssten. Da die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten,
insbesondere der nicht erwerbstätigen Kindesmutter, als schlecht zu beurteilen sind, ist
die Durchführung des weiteren Verfahrens beim Familiengericht in Duisburg mit
besonderen Erschwernissen für die Beteiligten und für das betroffene Kind verbunden.
Hinzu kommt, dass das der Androhung von Zwangsmitteln vorausgegangene Verfahren
auf Regelung der Umgangskontakte vor dem Familiengericht Bochum verhandelt und
entschieden worden ist. Das Familiengericht Bochum hat sich daher bereits intensiv mit
dem Gegenstand des Umgangsverfahrens auseinandergesetzt. Der Senat geht davon
aus, dass es aufgrund seiner im Vorverfahren erworbenen Sachkunde in zeitlich
kürzerer Frist in der Lage ist, sich in die Sache einzuarbeiten und das Verfahren einer
sachgerechten Entscheidung zuzuführen als das Familiengericht Duisburg, zumal das
Verfahren noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass eine Entscheidung des
Familiengerichts Duisburg unmittelbar bevorsteht. Das entspricht dem übergreifenden
Interesse des Kindes an der gebotenen Beschleunigung des Verfahrens, welches durch
den Zuständigkeitsstreit der beteiligten Gerichte bereits erhebliche Verzögerungen
erfahren hat.
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