Urteil des OLG Hamm vom 16.07.2008
OLG Hamm: wohl des kindes, gefährdung, hauptsache, jugendamt, zeugnis, benotung, kindeswohl, realschule, persönlichkeitsrecht, wechsel
Oberlandesgericht Hamm, 10 WF 87/08
Datum:
16.07.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
10. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 WF 87/08
Schlagworte:
einstweilige Anordnung, Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts,
Beschwerdeverfahren
Normen:
§ 1671 BGB, §§ 620c, 621g, 621 ZPO
Leitsätze:
Wird die Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts durch
einstweilige Anordnung mit der Beschwerde angegriffen, entspricht es
zur Vermeidung eines erneuten Ortswechsels in der Regel nicht dem
Wohl des Kindes, diese Entscheidung ohne schwerwiegende Gründe
abzuändern.
Tenor:
1.
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des
Amtsgerichts - Familiengericht - Dortmund vom 04.06.2008 wird auf
seine Kosten zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 500 Euro festgesetzt (§ 24 S. 1 RVG).
2.
Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für
das Beschwer-deverfahren wird zurückgewiesen.
Gründe:
1
I.
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Die gemäß §§ 620 c S. 1, 621 g, 621 I 1 Nr. 1 ZPO zulässige Beschwerde des
Antragstellers (Vater) ist in der Sache nicht begründet.
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Aus zutreffenden Erwägungen hat das Familiengericht das
Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsame minderjährige Tochter der Parteien,
B, geb. 13.06.1997, im Wege der einstweiligen Anordnung ab Beginn der Sommerferien
bis zur Entscheidung über die Hauptsache auf die Antragsgegnerin (Mutter) übertragen.
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Das Beschwerdevorbringen nötigt zu keiner abweichenden Entscheidung.
1.
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Für die einstweilige Anordnung zur vorläufigen Regelung des
Aufenthaltsbestimmungsrechts besteht ein Regelungsbedürfnis, weil sich die Parteien
nicht darüber verständigen können, bei welchem der beiden Elternteile B leben soll, in
der Sache selbst aber noch nicht endgültig entschieden werden kann, weil das
Familiengericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens veranlasst hat.
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Gemäß § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB ist einem Elternteil auf seinen Antrag hin ein
Teil der elterlichen Sorge allein zu übertragen, wenn zu erwarten ist, dass die
Aufhebung des in Frage stehenden Teils der elterlichen Sorge und deren Übertragung
auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am Besten entspricht. Insoweit unterliegt die
Regelung eines Teilbereichs der elterlichen Sorge den gleichen Voraussetzungen wie
die Regelung der elterlichen Sorge insgesamt. Mit dem Familiengericht ist der Senat der
Auffassung, dass das Aufenthaltsbestimmungsrechts einstweilen, d.h. ab Beginn der
Sommerferien, auf die Mutter zu übertragen ist.
7
2.
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Für diese Auffassung sind bei der im Rahmen der einstweiligen Anordnung gebotenen
summarischen Betrachtung der Verhältnisse letztlich zwei Gesichtspunkte
entscheidend:
9
a.
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Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass vollzogene
familiengerichtliche Eilentscheidungen zur elterlichen Sorge, die - wie vorliegend - nach
Anhörung aller Verfahrensbeteiligten, einschl. Jugendamt und Verfahrenspflegerin,
ergangen sind, im Beschwerdeverfahren nur dann abgeändert werden dürfen, wenn die
Beschwerde Umstände aufzeigt und glaubhaft macht, aus denen sich für den
verbleibenden Zeitraum bis zur abschließenden Klärung im Hauptsacheverfahren eine
Gefährdung des Wohls des Kindes oder die Gefahr sonstiger schwerwiegender
Unzulänglichkeiten für dessen Versorgung ableiten lassen (so auch OLG Brandenburg
FamRZ 2004, 210; OLG Dresden FamRZ 2003, 1306; OLG Köln FamRZ 1999, 181).
Denn die Abänderung einer einstweiligen Anordnung zur Regelung des Aufenthalts im
Beschwerdeverfahren entspricht in der Regel nicht dem Wohl des betroffenen Kindes:
Diesem ist ein mehrfacher Wechsel zwischen den Eltern nicht zuzumuten. Dies gilt
gerade im hier zu entscheidenden Fall, in dem B bis zum 30.03.2008 bei der Mutter in T
gelebt hat, dann zum Vater nach E gewechselt ist (ob als vorübergehende oder
dauerhafte Lösung ist zwischen den Parteien streitig), am 18.05.2008 zur Mutter, am
23.05.2008 aus schulischen Gründen wieder zum Vater und mit Beginn der
Sommerferien erneut zur Mutter zurückgekehrt ist. Der Umstand, dass der Vater mit
seiner zweiten Ehefrau und deren Kindern nunmehr ab dem 01.07.2008 von E nach H
verzogen ist und B demzufolge auch bei einem Aufenthalt beim Vater wie geplant die
Realschule in H besuchen könnte, würde an der Fortsetzung des ständigen Hin und Her
nichts ändern.
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Schwerwiegende Gründe, die bei einem Verbleib Bs bei der Mutter eine Gefährdung
des Kindeswohls befürchten lassen, zeigt die Beschwerde nicht auf. Ob – wie der Vater
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behauptet - B bei der Mutter tatsächlich nicht die erforderliche Unterstützung im
schulischen Bereich erfährt, ist auf der Grundlage der bisherigen Erkenntnisse für den
Senat derzeit nicht überschaubar. Zwar hat B von der Schule in E ein besseres Zeugnis
erhalten als zuvor von der Schule in T; worauf die Verbesserung der schulischen
Leistungen letztendlich zurückzuführen ist (bessere Förderung durch den Vater,
wohlwollendere Benotung) ist derzeit ebenfalls nicht überschaubar.
Auch aus den vom Senat im Beschwerdeverfahren eingeholten Stellungnahmen des
Jugendamtes und der Verfahrenspflegerin ergibt sich kein Bild, das die Prognose
rechtfertigt, bei einem Nichteingreifen des Gerichts wäre das Wohl von B beeinträchtigt.
Zwar tendiert das Jugendamt eher dazu, dass der Vater mehr Gewähr für die Förderung
der schulischen Leistungen bietet, während die Verfahrenspflegerin auch der Mutter
eine angemessene Förderung zutraut und eine Abänderung des angefochtenen
Beschlusses nicht für notwendig erachtet. Wie dem auch sei: Für den verbleibenden
Zeitraum bis zur abschließenden Klärung im Hauptsacheverfahren ist auf dieser
Grundlage nicht ersichtlich, dass die Aufhebung der getroffenen Entscheidung aus
Gründen der Gefährdung des Wohls des Kindes erforderlich ist.
13
b.
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Zu Recht hat das Amtsgericht auch den ausdrücklich geäußerten Wunsch des Kindes,
bei der Mutter bleiben zu wollen, mitentscheidend berücksichtigt. Schon das
Persönlichkeitsrecht des Kindes erfordert es, dass sein Wille im Rahmen seines
wohlverstandenen Interesses Gehör findet, wobei die Entwicklung seiner Persönlichkeit
und die Gründe, die das Kind zu seiner Haltung veranlassen, zu prüfen sind. B ist 11
Jahre alt, sodass ihr Wille – mag er in der Vergangenheit auch zeitweise schwankend
gewesen sein - durchaus ernst zu nehmen ist. Jedenfalls zur Zeit kann nicht festgestellt
werden, dass der geäußerte Wille des Kindes sich nicht mit dem Kindeswohl
vereinbaren lässt. Falls sich die negativen Befürchtungen des Vaters, z.B. die
schulischen Leistungen des Kindes betreffend (was allerdings für das endgültige
Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht allein ausschlaggebend sein dürfte), bestätigen
sollten, wird sich dies bald zeigen und kann bei der bevorstehenden Begutachtung und
der Entscheidung in der Hauptsache berücksichtigt werden.
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3.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a I 2 FGG.
17
II.
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Aus den vorgenannten Gründen ist dem Antragsteller auch die für das
Beschwerdeverfahren nachgesuchte Prozesskostenhilfe mangels hinreichender
Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung (§ 114 ZPO) zu versagen.
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