Urteil des OLG Hamm vom 23.02.2010
OLG Hamm (werbung, verbraucher, tarif, teil, irreführung, kunde, leistung, uwg, beratung, ort)
Oberlandesgericht Hamm, 4 U 169/09
Datum:
23.02.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 U 169/09
Vorinstanz:
Landgericht Dortmund, 19 O 8/09
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des
weitergehenden Rechtsmittels das am 23. Juni 2009 verkündete Urteil
der V. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund teilweise
abgeändert.
1.
Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, geschäftlich handelnd für
ihren Tarif „direkt+“ mit der Aussage zu werben
„Volles Konto – volle Leistung: direkt+. Sie werden online und
telefonisch vom Service-Team direkt+ betreut und erhalten alle
Leistungen der Verei-nigten J – ohne Wenn und Aber.“,
wie geschehen mit dem Werbeflyer „Dicker Fisch!“, Anlage zur Klage-
schrift, wenn die Versicherten dieses Tarifes von der Beklagten nur
online und telefonisch betreut werden und nicht die Möglichkeit haben,
ihre Versicherungsangelegenheiten in persönlichem Kontakt mit einem
Sachbearbeiter der Beklagten zu regeln.
2.
Für jeden Fall zukünftiger schuldhafter Zuwiderhandlung gegen die
Unterlassungsverpflichtung gemäß Ziffer 1. wird ein Ordnungsgeld in
Höhe von bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder
Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten gegenüber der Beklagten
angedroht, wobei die Ordnungshaft an den Vorständen der Beklagten zu
vollziehen ist.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
1
A.
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Die Beklagte verbreitete im Januar 2009 einen Werbeflyer für ihren "Tarif direkt+". Hierin
findet sich u.a. die folgende Aussage:
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"Volles Konto - volle Leistung: direkt+ ... Sie werden online und telefonisch vom
Service-Team direkt+ betreut und erhalten alle Leistungen der Vereinigten J - ohne
Wenn und Aber."
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Wegen des näheren Inhaltes des Flyers wird auf das vorlegte Original hiervon (Anl. B 7)
verwiesen.
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Die Klägerin hat hierin einen Verstoß gegen § 5 UWG, zumindest aber gegen § 5 a
UWG gesehen und die Beklagte mit Schreiben vom 05.02.2009 – allerdings unter dem
Gesichtspunkt der zusätzlich versprochenen Prämie – erfolglos abgemahnt.
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Sie hat gemeint, die Beklagte täusche die angesprochenen Verkehrskreise darüber,
dass sie nicht durch einen persönlichen Kontakt mit Mitarbeitern der Beklagten in einer
Filiale vor Ort betreut würden. Eine solche persönliche Betreuung sei bei gesetzlichen
Krankenversicherungen üblich. Der potentielle Kunde gehe insoweit von einer
persönlichen Betreuungsmöglichkeit aus.
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Die Klägerin hat beantragt,
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die Beklagte – unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel – zu verurteilen,
es zu unterlassen, geschäftlich handelnd für ihren Tarif "direkt+" mit der Aussage
zu werben "Volles Konto - volle Leistung: direkt+·. Sie werden online und
telefonisch vom Service-Team direkt+ betreut und erhalten alle Leistungen der
Vereinigten J - ohne Wenn und Aber." wie geschehen mit dem Werbeflyer "Dicker
Fisch!", Anlage zur Klageschrift, wenn die Versicherten dieses Tarifes von der
Beklagten nur online und telefonisch betreut werden und nicht die Möglichkeit
haben, ihre Versicherungsangelegenheiten in persönlichem Kontakt mit einem
Sachbearbeiter der Beklagten zu regeln; ferner die Beklagte zu verurteilen, an sie
208,65 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu
zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat gemeint, die von ihr mit dem Flyer vorgenommene Werbung sei zulässig. Der
Verbraucher werde über alle wesentlichen Punkte aufgeklärt. Eine Täuschung über die
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Vornahme einer persönlichen Beratung in einer Filiale liege schon deshalb nicht vor,
weil im Rahmen der Werbung positiv angegeben werde, dass eine Betreuung "online
und telefonisch" erfolge. Der angesprochene potentielle Kunde mache sich auch schon
deshalb keine falschen Gedanken über die Art der Betreuung, weil bei der Beklagten als
Innungskrankenkasse ein ausgebautes Filialnetz wie etwa bei der B typischerweise
nicht bestehe. Im Übrigen bringe der für den beworbenen Tarif gewählte Begriff "direkt"
das Fehlen persönlicher Betreuung vor Ort hinreichend zum Ausdruck, da er inzwischen
für Versicherungen etc., die nur eine online-Betreuung zur Verfügung stellten, üblich sei.
Zudem sei es bei den Betriebs- und Innungskrankenkassen gerade nicht üblich, ein
landes- bzw. bundesweit ausgebautes Filialnetz anzubieten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und einen Verstoß der Beklagten gegen die
§§ 5 und 5 a UWG verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt, die gerügte Flyer-
Werbung der Beklagten enthalte weder zur Täuschung geeignete Angaben über
wesentliche Merkmale der Dienstleistung der Beklagten noch würden hiermit
wesentliche Umstände verschwiegen. Der durchschnittlich informierte und verständige
Verbraucher, auf den bei der Frage der Irreführung im Sinne des UWG abzustellen sei,
werde durch die vorliegende Werbung nicht darüber getäuscht, dass die Beklagte ihn im
Rahmen des Tarifes "direkt+" tatsächlich nicht persönlich in einer ihrer Filialen betreue.
Das ergebe sich schon aus dem Wortlaut der gerügten Werbung, in welcher
ausdrücklich darauf hingewiesen sei, dass durch ein Service-Team online und
telefonisch betreut werde. Dabei werde im Weiteren deutlich gemacht, dass zwischen
der Betreuungsleistung und der Leistung aus dem Krankenversicherungsvertrag
unterschieden werde. Im Übrigen verweise die Beklagte im Rahmen der Flyer-Werbung
auf weitere Infos zu dem hier beworbenen Tarif auf ihrer Internetseite (Anl. K 8), auf
welcher sich unter der Überschrift "wo ist der Haken?" ausdrücklich der Hinweis finde,
dass auf die Betreuung in Geschäftsstellen verzichtet werde. Auch sei ein
Verschweigen wesentlicher Umstände durch die gerügte Werbung der Beklagten nicht
gegeben. Durch die ausdrückliche Nennung der Art der Betreuung werde gegenüber
dem potentiellen Kunden vielmehr deutlich gemacht, wie die Betreuungsleistung der
Beklagten aussehe. Insgesamt werde der die Werbung mit situationsadäquater
Aufmerksamkeit aufnehmende Verbraucher nach dem bestehenden Gesamteindruck
des Flyers nicht über den Inhalt des Tarifes direkt+·und über deren Serviceleistungen
getäuscht.
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Ein Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten stehe der Klägerin auch deshalb nicht
zu, weil die insoweit streitgegenständlich abweichende Abmahnung unberechtigt
gewesen sei. Die dort gerügte Werbeaussage – zu einem Prämienvorteil vermeintlich
bei jedem Neumitglied - wolle die Klägerin offensichtlich selbst nicht mehr verfolgen. Im
Übrigen bestehe ein solcher Unterlassungsanspruch nicht, da eine Täuschung der
angesprochenen Verkehrskreise nicht vorliege. Die Werbung kläre hinreichend darüber
auf, dass eine Prämie nur für den Fall versprochen werde, dass der Tarif direkt+ gewählt
werde.
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Die Klägerin wehrt sich hiergegen mit der von ihr eingelegten Berufung. Sie meint
weiterhin, dass der Kunde in der Werbung nicht darauf hingewiesen werde, dass er
beim Tarif direkt+ ausdrücklich oder in sonstiger Weise nur oder ausschließlich online
oder telefonisch betreut werde. Eine solche Aussage mit den Worten "nur" oder
"ausschließlich" finde sich in der Werbung nicht. Die Betreuung "online oder
telefonisch" werde zwar erwähnt. Das müsse der Adressat aber nicht von vornherein als
ausschließlich verstehen, sondern könne es auch als weiteres, zusätzliches
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Leistungsangebot begreifen. Das gelte umso mehr, als die Beklagte in ihrer Werbung
mehrfach darauf hingewiesen habe, dass der Kunde die "volle Leistung" bzw. "alle
Leistungen" der Vereinigten J erhalte und das "ohne Wenn und Aber". Dass
Betreuungsleistungen nicht hierzu gehörten, erschließe sich hieraus nicht. Die vom
Landgericht angenommene Eindeutigkeit lasse sich auch nicht damit begründen, dass
die Beklagte in der Werbung darauf hinweise, dass es weitere Informationen zum Tarif
direkt+ unter "Internetadresse" (Anl. B 8) gebe und dort erst die fraglichen Informationen
gegeben würden. Streitgegenstand sei allein der Werbeflyer der Beklagten. Weitere
Informationen an ganz anderer Stelle seien nicht geeignet, der Hinweis- oder
Aufklärungspflicht der Beklagten zu genügen. Der Wortlaut stelle keineswegs
Betreuungsleistungen und etwa Versicherungsleistungen gegenüber. Die Werbung sei
insoweit keineswegs eindeutig. Das Publikum werde beim Unterbleiben des Hinweises,
dass es eine persönliche Betreuung nicht gebe, in einem wesentlichen Punkt, der die
Vertragsentschließung zu beeinflussen geeignet sei, getäuscht. Bei einer insoweit
gebotenen Interessenabwägung müsse eine Irreführung bejaht werden. Ob persönliche
Betreuungsleistungen im Filialnetz der Beklagten in Anspruch genommen werden
könnten, sei ein für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers wesentlicher
Umstand. Es handele sich nach den eigenen Ausführungen der Beklagten um einen
sog. Nicht-Inanspruchnahme-Tarif nach § 53 VIII SGB V. Diese Terminologie besage
eigentlich alles. Es sei eben eine Besonderheit des Tarifes, dass der Kunde nicht alle
Leistungen der Kasse in Anspruch nehmen könne. Über solche Besonderheiten zum
üblichen Tarifwerk müsse aufgeklärt werden. Unter der Überschrift in der Darstellung
Anl. B8 "Wo ist der Haken?" werde dann ausgeführt, dass der Kunde des Tarifs auf die
Betreuung durch die Geschäftsstellen verzichte. Angesichts des Inhalts der
Flyerwerbung komme aber kein Adressat auf den Gedanken, dass er auf etwas
verzichte. Dieser Verzicht werde von der Beklagten selbst als ein Haken angesehen.
Demgegenüber heißt es in der Flyer-Werbung blickfangmäßig hervorgehoben "ohne
Haken!". Sodann werde die besondere Preisgünstigkeit des Tarfis direkt+ auch im
Vergleich zu anderen Krankenkassen hervorgehoben, die doch eigentlich gleich teuer
sein müssten. Dadurch werde ein völlig unzutreffender, irreführender Eindruck vermittelt,
da die Beklagte tatsächlich nicht preisgünstiger sei. Tatsächlich gewähre sie wegen des
Verzichts auf die Betreuung in den Geschäftsstellen nur weniger Leistung.
Die Klägerin beantragt,
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in Abänderung des landgerichtlichen Urteils nach ihren Schlussanträgen erster
Instanz zu erkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das Urteil mit näheren Ausführungen. Sie erläutert zunächst ihren sog.
Nichtinanspruchnahmetarif direkt+, bei dem der Versicherte gerade für die
Nichtinanspruchnahme der Beratungsleistung in Geschäftsstellen eine
Bonifikation/Geldprämie erhalte, die in der Satzung näher geregelt sei. Die Beklagte
führt sodann aus, dass der Kern der Auseinandersetzung ihrer Ansicht nach eher eine
sozialversicherungsrechtliche, nicht aber wettbewerbsrechtliche Frage sei. Sie meint
von daher, dass die fehlende Möglichkeit von Versicherten, sich in Geschäftsstellen
beraten zu lassen, keine wesentliche Eigenschaft i.S.v. § 5 a II, III UWG darstelle. Es
handele sich hierbei um keinen Verzicht bzw. keine Inanspruchnahme von Leistungen
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im Sinne des SGB V. Eine Irreführung liege nicht vor. Es gebe keine Erwartungshaltung
des angesprochenen Verkehrs, in Geschäftstellen persönlich vor Ort beraten werden zu
können. Der Flyer enthalte keine Informationen, die dem angesprochenen Verkehr
suggerierten, dass eine solche Beratung vor Ort in Anspruch genommen werden könne.
Der Flyer weise vielmehr ausdrücklich darauf hin, dass es sich um einen Direkttarif, also
um eine Direktversicherung handele, und die Beratung telefonisch oder per eMail über
ein zentrales Service-Center erfolge. Außerdem könne der angesprochene Verbraucher
überhaupt nur irregeführt werden, wenn er positiv wisse, dass sie, die Beklagte, in
einzelnen Regionen auch über Geschäftsstellen verfüge.
B.
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Die zulässige Berufung ist begründet und führt hinsichtlich der Hauptforderung zur
Abänderung des angefochtenen Urteils. Die Klägerin kann von der Beklagten aus §§ 8 I,
III Nr. 2; 3; 5 I Nr. 1; 5 a II UWG die Unterlassung der beanstandeten Werbeaussage
verlangen. Die geltend gemachten Abmahnkosten können im Übrigen nicht erstattet
verlangt werden. Insoweit hat das landgerichtliche Urteil Bestand.
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Dem angesprochenen Verkehr wird in dem streitgegenständlichen Flyer, auch wenn es
sich nicht um eine Irreführung durch positives Tun handeln mag, eine wesentliche
Information über den beworbenen Versicherungstarif vorenthalten. Die Werbung
verschleiert jedenfalls für einen erheblichen Teil des angesprochenen Verkehrs, dass
der Versicherte nur online und telefonisch betreut wird und dabei keine Möglichkeit
direkter persönlicher Kontaktaufnahme besteht. Die Darstellung offenbart nicht in der
nötigen Weise, dass der hervorgehobene "dicke Fisch" in Form einer Prämie von "bis zu
200, €" pro Kalenderjahr "auf die Flossen" dadurch erkauft wird, dass eben keine volle
Leistungen auch mit Bezug auf die Beratungsleistungen erbracht werden und insoweit
eine "Nichtinanspruchnahme" zugrunde gelegt wird.
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Eine Angabe ist dann irreführend, wenn sie den angesprochenen Verkehrskreisen
einen unrichtigen Eindruck vermittelt. Dabei genügt es, dass die Werbung zur
Irreführung und Beeinflussung derer geeignet ist. Auf eine tatsächliche Irreführung
kommt es nicht an. Dabei muss der Werbende im Falle einer Mehrdeutigkeit die
verschiedenen Bedeutungen gegen sich gelten lassen. Insbesondere genügt es auch,
wenn ein erheblicher Teil der durchschnittlich informierten und verständigen
Verbraucher insoweit irregeführt wird. Das ist vorliegend auch unter Berücksichtigung
einer Abwägung zwischen dem Interesse der getäuschten Verbraucher an dem Schutz
vor Irreführung, dem Informationsinteresse der kundigen Verkehrsteile und dem
Interesse der Allgemeinheit an der Erhaltung und Förderung eines funktionsfähigen
Wettbewerbs der Fall. Der Verzicht auf persönliche Beratungsleistungen, die ein
relevanter Teil des Verkehrs weiterhin erwartet, ist für die Beurteilung des angebotenen
Tarifs und den Abschluss wesentlich und durfte nach dem Gesamteindruck der
Werbung nicht vorenthalten werden.
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Der Interessent benötigt die Information über nicht geleistete persönliche
Beratungsleistungen, um nach den Umständen des Streitfalls eine informierte und
zutreffende Entscheidung über die beworbene Krankenversicherung treffen zu können.
Bei der Beurteilung, ob eine Information wesentlich und somit ihr Verschweigen
irreführend ist, sind insbesondere deren Bedeutung für die geschäftliche Entscheidung
und die Eignung des Verschweigens zur Beeinflussung der Entscheidung zu
berücksichtigen. Vor allem bedarf es dann eines aufklärenden Hinweises, wenn es um
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Abweichungen vom Üblichen geht, mit denen der Verbraucher nicht ohne weiteres
rechnet. Das ist vorliegend der Fall. Der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen
findet jedenfalls auch über die Serviceleistungen statt. Und gerade bei einer
Krankenversicherung, bei der mitunter prekäre Entscheidungen zu treffen und
maßgebliche Unterlagen zu erörtern sind, geht ein erheblicher Anteil der Verbraucher
nach wie vor davon aus, dass im Einzelfall auch eine persönliche Beratung und
Überprüfung in einer Geschäftsstelle seiner Krankenkasse erfolgen kann. Der
Verbraucher muss insofern für sich selbst prüfen und entscheiden können, ob er nach
seinen Bedürfnissen auf eine solche Beratungsleistung in einer Geschäftsstelle Wert
legt oder nicht.
Durch die beanstandete Werbung wird jedenfalls für einen erheblichen Teil des
angesprochenen Verkehrs verschwiegen, dass diese persönliche Beratungsleistung
nicht erbracht wird. Zwar wird mitgeteilt, dass die Kundenbetreuung bei dem Tarif
direkt+ online oder telefonisch erfolge, was im Umkehrschluss auch implizieren könnte,
dass keine persönliche Beratung oder Betreuung angeboten wird. Nicht
unberücksichtigt bleiben kann in dieser Hinsicht auch die Bezeichnung für den Tarif
"direkt+". Direktbanken und Direktversicherungen zeichnen sich bekanntermaßen
dadurch aus, dass die Beratungs- und Betreuungsebene durch Geschäfts- und
Betreuungsstellen fehlt. Indes lässt der vorliegende Flyer insoweit maßgeblich auch
eine andere Lesart zu, der vor allem mit dem Internet nicht oder weniger vertraute
Verbraucher unterliegen mögen. Die Angabe, dass eine Betreuung online und
telefonisch geleistet wird, besagt noch nicht, ob dies ausschließlich oder ergänzend so
erfolgt. Dafür, dass es sich danach um zusätzliche Leistungen handelt, jedenfalls
insoweit keine Verkürzung des Leistungsangebots stattfindet, spricht zum einen, dass
im dortigen Zusammenhang gerade die Vorteile des Tarifs dargestellt werden. An dieser
Stelle rechnet der durchschnittliche Verbraucher nicht damit, dass hier ein
entsprechender Verzicht versteckt ist. Die Einschränkung der Beratungsleistung stellt
sich gerade in diesem Zuge nicht als vorteilhaft dar. Zum anderen wird explizit die "volle
Leistung" versprochen. Dies bezieht ein erheblicher Teil der Verbraucher auch auf die
Beratungsleistungen. Hiervon werden die Leistungen aus der Versicherung, nämlich
"alle Leistungen – ohne Wenn und aber", nicht hinreichend klar abgegrenzt. Es mag
einen beachtlichen Teil an Verbrauchern geben, die sich die "vollen" Leistungen allein
als die Versicherungsleistungen vorstellen. Ein ebenso maßgeblicher Anteil der
Verbraucher kann dies aus den gemachten Informationen wegen des Zusammenhangs
mit der Darstellung der Vorteile der Krankenversicherung und des Eindrucks, dass es
"volle" Leistungen geben soll ohne Leistungseinschränkungen, so nicht herauslesen.
Dieser Teil geht nach wie vor davon aus, dass zusätzlich Beratungen in
Geschäftsstellen erfolgen können und dass als Vorteil hierzu noch ein "24 Stunden
erreichbares Service-Team" existiert, das per Mail und Telefon erreichbar ist. Hinzu
kommt, dass es sich bei dem Flyer um eine Postwurfsendung handelte mit einer
Antwortkarte, nicht um ein Online-Angebot oder ähnliches, die nicht nur eine technisch
versierte Generation erreicht hat, sondern das gesamte Spektrum der Verbraucher.
Erreicht werden ebenfalls die, die weiterhin auf eine persönliche Betreuung vor Ort Wert
legen und durch die Werbung aufgrund ihrer diesbezüglichen Erwartungshaltung so in
die Irre geführt werden. Dabei ist das Bedürfnis nach einer persönlichen Beratung in
Bezug auf die Erörterung von persönlichen Krankheiten und Behandlungen wohl auch
höher zu bewerten als etwa bei alltäglichen Bankgeschäften oder allgemeinen
Sachversicherungen im Direktvertrieb. Schließlich verfügt die Beklagte, wie im
Senatstermin erörtert worden ist, auch über eine beträchtliche Anzahl von
Geschäftsstellen. Kunden, die diese kennen oder diese über verschiedenste Medien
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ausfindig machen, gehen insoweit auch nach Studium des streitgegenständlichen
Flyers nicht ohne weiteres davon aus, dass sie diese Geschäftstellen nun nicht mehr in
Anspruch nehmen können, möglicherweise sogar bei einem Tarifwechsel bei der
Beklagten selbst. Dass sich die Werbung bezogen auf die Beklagte insgesamt nur an
Nichtmitglieder richten soll, kann nicht festgestellt werden und wäre im Übrigen auch
belanglos. Hiervon sind, wie sich aus der Formulierung "jeder Arbeitnehmer und
Selbständige kann den Tarif wählen" ergibt, letztlich alle angesprochen.
Die Irreführung ist keineswegs durch die Informationen hierzu im Internet behoben. Dort
heißt es zwar ganz zum Schluss nach einer Reihe anderer Fragen: "Wo ist der Haken?
Es gibt keinen, sondern zwei klare Voraussetzungen: Wenn Sie direkt+-Kunde (…)
werden möchten, verzichten Sie auf Betreuung in unseren Geschäftsstellen und binden
sich für drei Jahre (…). Im Gegenzug erhalten Sie Ihre jährliche Prämie (…)". Diese
Information müsste sich aber bereits aus dem Flyer selbst ergeben, der hier
Streitgegenstand ist. Der insofern für einen jedenfalls beachtlichen Teil der
Interessenten sehr wohl bestehende "Haken" müsste schon vorher mit der Werbung
ausgeräumt werden.
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Die verbleibende Vorstellung, dass in Geschäftsstellen eine persönliche
Beratungsleistung möglich wäre, ist falsch und von daher in relevanter Weise
irreführend.
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Die geltend gemachten Abmahnkosten sind allerdings nicht berechtigt, und zwar schon
deshalb, weil die Abmahnung vom 05.02.2009 auf einen ganz Gesichtspunkt gestützt
war, der überhaupt nicht Streitgegenstand ist und von der Klägerin im vorliegenden
Rechtsstreit nicht weiterverfolgt wird.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 II, 708 Nr. 10 ZPO.
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Eine Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, § 543 ZPO.
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