Urteil des OLG Hamm vom 12.02.2008
OLG Hamm: vollstreckung der strafe, schwurgericht, lokal, zustellung, beweiswürdigung, körperverletzung, rücktritt, versuch, kauf, musiker
Oberlandesgericht Hamm, 3 Ws 41/08
Datum:
12.02.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ws 41/08
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 14 Ns 63 Js 279/07 - 89/07
Schlagworte:
Zulässigkeit einer Berufung des Nebenklägers
Normen:
StPO §§ 328, 400
Leitsätze:
Die bloße Behauptung eines nebenklagefähigen Deliktes reicht noch
nicht zur Zulässigkeit einer vom Nebekläger eingelegten Berufung aus.
Vielmehr muss zumindest die entfernte rechtliche Möglichkeit einer
Verurteilung nach dem nebenklagefähigen Straftatbestand bestehen
(Fortführung von OLG Hamm NZV 2003, 150). Bei dieser Prüfung muss
das Berufungsgericht den gesamten Akteninhalt berücksichtigen und
darf sich nicht auf eine Bewertung anhand des erstinstanzlichen Urteils
und der Berufungsbegründung des Nebenklägers beschränken.
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des
Nebenklägers werden dem Angeklagten auferlegt.
Gründe
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I.
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur
Bewährung ausgesetzt. Zum Tatgeschehen hat das Amtsgericht folgende
Feststellungen getroffen:
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"Am ######### begab der Angeklagte sich gegen 18.30 Uhr in das Restaurant
###### in der I-Straße in C. Er trank dort zusammen mit seinem Bruder circa
eineinhalb Flaschen Raki. Gegen 21.30 Uhr traf der Geschädigte B in der
Gaststätte ein. Der Zeuge ist der ehemalige Arbeitgeber des Angeklagten.
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Als der Geschädigte B gegen 00.10 Uhr am ####### das Lokal verlassen wollte,
trat der Angeklagte auf ihn zu und fragte diesen, ob er schlecht über ihn, den
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Angeklagten, gesprochen habe. Der Angeklagte war offenbar der Meinung, daß der
Geschädigte B private lnterna, von denen nur er und der Geschädigte Kenntnis
hatten, an Dritte weitergegeben hatte. Der Geschädigte B drehte sich halb zur Seite
um, um einen auf der Bühne des Restaurants befindlichen Musiker auf
Wiedersehen zu sagen, als der Angeklagte ein mitgeführtes Messer aus seiner
Tasche zog und damit mehrfach auf den Geschädigten einstach, wobei er ihn
mindestens dreimal am Arm und einmal im Gesicht traf. Der Geschädigte wurde
durch die Messerstiche ganz erheblich verletzt (eine 15 cm lange Schnittwunde mit
Trizepssehnenteildurchtrennung am linken Oberarm, zwei je 1 cm lange
Schnittwunden am linken Ellenbogen sowie am linken Oberarm, eine 2 cm lange,
tiefe Schnittwunde am linken Mundwinkel mit Hautnervenverletzung, die bis zum
heutigen Tage andauert, sowie Bruch der oberen Schneidezahnprothese). Von
weiteren Messerstichen konnte der Angeklagte durch das sofortige Eingreifen
weiterer Personen, die sich im Lokal aufhielten und ihn überwältigten, gehindert
werden.
Der Angeklagte nahm eventuelle Verletzungen des Angeklagten billigend in Kauf."
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In der Beweiswürdigung heißt es, dass der Angeklagte die Tat eingeräumt, aber keine
Angaben zu seiner Motivation gemacht habe.
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Gegen das Urteil hat der mit Beschluss vom 04.06.2007 zugelassene Nebenkläger
fristgerecht Berufung eingelegt. Nach Zustellung des Urteils am 28.06.2007 hat der
Nebenkläger, der bereits in der Hauptverhandlung wegen Vorliegen eines versuchten
Tötungsdeliktes die Verweisung der Sache an das Schwurgericht beantragt hatte, mit
Schriftsatz vom 10.08.2007 erneut ausgeführt, dass der Angeklagte wegen versuchten
Mordes zu verurteilen und deswegen die Sache an das Schwurgericht zu verweisen sei.
Das Landgericht hat die Berufung des Nebenklägers als unzulässig verworfen, weil das
Rechtsmittel formal zwar mit dem Ziel der Verurteilung wegen eines (anderen)
Nebenklagedeliktes eingelegt worden sei, indes dies allein nicht ausreiche, sondern
zumindest die entfernte Möglichkeit einer Verurteilung nach dem schwerwiegenderen
nebenklagefähigen Straftatbestand bestehen müsse, was hier nicht der Fall sei,
insbesondere die Berufungsbegründung dies nicht ergebe.
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II.
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Die statthafte (§ 322 Abs. 2 StPO) und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist
begründet. Das Landgericht hat zu Unrecht die Berufung des Nebenklägers als
unzulässig verworfen.
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1. Die Berufung ist nicht etwa deswegen unzulässig, weil die Berufung nicht innerhalb
der Frist des § 317 StPO näher begründet worden ist. Nach § 322 StPO kann das
Berufungsgericht das Rechtsmittel als unzulässig verwerfen, wenn es die Vorschriften
über die Einlegung der Berufung für nicht beobachtet ansieht. Schon der Wortlaut
(Einlegung der Berufung) macht deutlich, dass die hier verspätete
Berufungsbegründung ( § 317 StPO) nicht zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels führt.
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2. Auch ist das Rechtsmittel nicht unzulässig, weil der Nebenkläger die
Voraussetzungen des § 400 Abs. 1 StPO nicht beachtet hätte. Der Nebenkläger erstrebt
hier mit seiner Berufung vielmehr die Aburteilung wegen einer (schwereren)
Anschlussbefugnis gebenden Tat, nämlich wegen versuchten Mordes (§ 395 Abs. 1 Nr.
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2 StPO). Dieses Ziel ist auch erreichbar, wenn das Berufungsgericht unter Aufhebung
des amtsgerichtlichen Urteils die Sache an das Schwurgericht verweisen würde
(§ 328 Abs. 2 StPO).
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Zutreffend führt das Landgericht allerdings aus, dass die bloße Behauptung eines
nebenklagefähigen Deliktes noch nicht zur Zulässigkeit des Rechtsmittels führt.
Vielmehr muss zumindest die entfernte rechtliche Möglichkeit einer Verurteilung nach
dem nebenklagefähigen Straftatbestand bestehen (OLG Hamm NZV 2003, 150, 151;
OLG Köln NZV 2004, 656). Diese Möglichkeit besteht hier.
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Unzutreffend ist es bereits, wenn sich das Landgericht in seiner Beschlussbegründung
allein auf die amtsgerichtlichen Feststellungen sowie die Berufungsbegründung stützt.
Anders als bei einem vom Nebenkläger eingelegten Rechtsmittel der Revision kommt
es insoweit nicht darauf an, dass sich diese Möglichkeit allein aus der
Rechtsmittelbegründung ergibt. Vielmehr ist im Berufungsverfahren der gesamte
bisherige Verfahrensstoff zur Prüfung dieses Umstandes heranzuziehen. Das ergibt sich
aus den unterschiedlichen Zwecken der beiden Rechtsmittel (Berufung: Überprüfung in
tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, Revision: Überprüfung nur in rechtlicher Hinsicht)
und den unterschiedlichen Begründungsanforderungen (§ 317 StPO einerseits und §
344 Abs. 2 StPO andererseits).
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Unter Zugrundelegung des gesamten bisherigen Verfahrensstoffes besteht jedenfalls
mehr als die bloß entfernte Möglichkeit einer Aburteilung des Angeklagten wegen
versuchten Totschlags oder versuchten Mordes. Ein entsprechender Tötungsvorsatz ist
nicht völlig fernliegend, wenn man die objektiven Umstände betrachtet. Der Angeklagte
hat mehrfach auf den Nebenkläger eingestochen und ihm dabei eine 15 cm lange
Schnittwinde am linken Oberarm mit Trizepssehnendurchtrennung sowie mehrere
kleinere Schnittwunden am linken Arm zugefügt, ferner eine zwei cm lange, tiefe
Schnittwunde am linken Mundwinkel sowie einen Bruch der oberen
Schneidezahnprothese. Angesichts dieser zahlreichen Stichhandlungen, die zum Teil
(linker Oberarm) in Herznähe bzw. gegen den Kopf stattfanden und mit Wucht
durchgeführt wurden, angesichts des Umstandes, dass der Angeklagte nur durch das
Eingreifen Dritter von weiteren Stichen abgehalten werden konnte (was ggf. dann auch
einen freiwilligen Rücktritt vom Versuch, § 24 StGB, zunichte machen könnte) und dabei
sogar noch Dritte (wenn auch nur im Gerangel) verletzte und angesichts des
Umstandes, dass er Zeugenaussagen zufolge nach der Tat noch gedroht habe, es solle
ihm keiner zu nahe kommen, er würde jeden umbringen, liegt ein Tötungsvorsatz nicht
fern.
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III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 S. 1 StPO (vgl.
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KK-Franke StPO 5. Aufl. § 473 Rdn. 12).
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