Urteil des OLG Hamm vom 29.11.2007

OLG Hamm: vorläufiger rechtsschutz, verfügung, erlass, befreiung, arrest, gesetzesänderung, entstehungsgeschichte, rechtspflege, reform, verfahrensablauf

Oberlandesgericht Hamm, 8 W 40/07
Datum:
29.11.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
8. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
8 W 40/07
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 10 O 208/07
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 26. Juni 2007 gegen
den seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung
zurückweisenden Beschluss des Landgerichts Münster vom 08. Juni
2007 wird verworfen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach
einem Streitwert von 10.000,- €.
G r ü n d e
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Die vom Antragsteller selbst eingelegte sofortige Beschwerde war wegen fehlender
Postulationsfähigkeit gemäß § 572 Abs.2 S.2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
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Der Antragsteller ist nicht postulationsfähig, weil sich die Parteien gemäß § 78 Abs.1
ZPO vor den Oberlandesgerichten durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen
(Anwaltsprozess). Dies hat der Antragsteller nicht beachtet.
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Der Ausnahmetatbestand nach § 78 Abs. 5 ZPO greift hier nicht ein. Der Anwaltszwang
gilt danach nicht für Prozesshandlungen, die vor dem Urkundsbeamten der
Geschäftsstelle vorgenommen werden können. Zu diesen Handlungen gehört gemäß §
569 Abs.3 Nr.1 ZPO unter anderem die Einlegung einer sofortigen Beschwerde, wenn
der Rechtsstreit im ersten Rechtszug nicht als Anwaltsprozess zu führen ist oder war.
Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
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Allerdings kann der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im ersten
Rechtszug beim Landgericht gemäß §§ 936, 920 Abs.3 i.V.m. § 78 Abs.5 ZPO auch
ohne Vertretung durch einen Rechtsanwalt wirksam erklärt werden. Soweit das
Landgericht über den Antrag – wie hier - im Beschlussverfahren ohne mündliche
Verhandlung entscheidet (§§ 937 Abs.2, 936, 922 Abs.1 Satz 1 2.Fall ZPO), kann das
Verfahren dann in erster Instanz zulässigerweise ohne anwaltliche Beteiligung
abgeschlossen werden.
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Aus diesem Grund wird in Rechtsprechung und Schrifttum zum Teil die Ansicht
vertreten, die Befreiung vom Anwaltszwang nach § 569 Abs.3 Nr.1 ZPO i.V.m. § 78
Abs.5 ZPO finde auch für die Beschwerde gegen die Ablehnung einer einstweiligen
Verfügung durch das Landgericht im Beschlussverfahren Anwendung (so etwa: OLG
München, BauR 1995, 875; OLG Karlsruhe, GRUR 1993, 697; KG, NJW-RR 1992,576;
OLG Köln, NJW-RR 1988, 254; OLG Frankfurt a.M. (6. ZS), NJW-RR 1987, 1257; OLG
Düsseldorf (5. ZS), FamRZ 1987, 611; Zöller/Vollkommer, 26. Aufl., § 922 ZPO Rn.13;
sämtlich mit weiteren Nachweisen).
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Nach anderer Auffassung ändert demgegenüber die nur für den Arrest- oder
Verfügungsantrag als einzelne Prozesshandlung geltende Befreiung vom
Anwaltszwang gemäß §§ 936, 920 Abs.3 ZPO nichts daran, dass das Verfahren über
den Erlass eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung, wenn es vor dem
Landgericht anhängig sei, gemäß § 78 Abs.1 ZPO grundsätzlich ein Anwaltsprozess sei
und deshalb von § 569 Abs.3 Nr.1 ZPO nicht erfasst werde (so etwa: OLG Saarbrücken,
NJW-RR 1998, 611; OLG Frankfurt a.M. (17. ZS), MDR 1983, 233; OLG Hamm (6. ZS),
NJW 1982, 1711, OLG Düsseldorf (9. ZS), OLGZ 1983, 358; Zöller/Gummer, 26. Aufl., §
569 Rn.14; Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, Bd. II, 3.
Aufl., § 569 ZPO Rn.20; Bergerfurth NJW 1981, 353).
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Der Senat folgt in Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. Beschluss vom
29. April 1996, 8 W 8/96, NJW-RR 1997, 763) aus folgenden Gründen der letzteren
Auffassung:
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Der Begriff des Anwaltsprozesses ist in § 78 Abs.1 ZPO gesetzlich definiert. Er umfasst
danach alle Verfahren vor den Landgerichten und den Oberlandesgerichten. Dieser
Charakter des Verfahrens vor den Landgerichten und den Oberlandesgerichten als
Anwaltsprozess ändert sich nicht dadurch, dass für einzelne Prozesshandlungen, die in
den Verfahrensablauf eingebettet sind, Ausnahmen vom Anwaltszwang vorgesehen
sind. Die auf einzelne Prozesshandlungen beschränkte Befreiung vom Anwaltszwang
verwandelt den Rechtsstreit nicht in einen Parteiprozess. Das muss auch dann gelten,
wenn die Freistellung vom Anwaltszwang die das Verfahren einleitende Erklärung
betrifft und das Verfahren, wenn das Gericht von einer mündlichen Verhandlung absieht,
im schriftlichen Verfahren beendet wird, ohne dass auf Seiten der antragstellenden
Partei ein Anwalt beteiligt werden müsste. Ob das Gericht eine mündliche Verhandlung
anberaumt oder nicht, ist nämlich von Umständen abhängig, die nicht notwendig im
inneren Zusammenhang mit der Frage des Anwaltszwanges stehen.
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Auch der Sinn und Zweck der Regelung in §§ 569 Abs.3 Nr.1, 78 ZPO spricht für das
dargelegte Verständnis dieser Vorschriften. Der Anwaltszwang dient einer geordneten
Rechtspflege und der Sorge für eine interessengerechte Geltendmachung der
Parteibelange. Beide Gesichtspunkte kommen auch in der vorliegenden Konstellation
zum Tragen und sprechen für die Geltung des Anwaltszwanges im vorliegenden Fall.
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Dieses Verständnis der in § 569 Abs.3 Nr.1 ZPO enthaltenen Regelung wird schließlich
auch gestützt durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Sie entspricht inhaltlich
der vor der Reform der Zivilprozessordnung bis zum 31. Dezember 2001 geltenden
Vorschrift des § 569 Abs.2 S.2 ZPO in der Fassung der Familienrechtsnovelle vom 14.
Juni 1976. Vor dieser Novelle ordnete § 569 Abs.2 S.2 ZPO eine Ausnahme vom
Anwaltszwang für die Einlegung der Beschwerde nur an, "wenn der Rechtsstreit bei
einem Amtsgericht anhängig ist oder anhängig war". Der Anwaltszwang für
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Beschwerden gegen die im Beschlusswege ergangenen, ablehnenden Entscheidungen
der Landgerichte in Arrest- oder Verfügungsverfahren war demzufolge außer Streit. Mit
der Familienrechtsnovelle ist § 569 Abs.2 S.2 ZPO in die inhaltlich bis heute geltende
Fassung geändert worden, weil die Zuweisung der Familiensachen zum Amtsgericht
statt zum Landgericht dies wegen der unverändert beabsichtigten Ausklammerung
dieser Sachen aus den in § 569 Abs.2 S.2 ZPO geregelten Ausnahmen vom
Anwaltszwang erforderlich machte. Die Gesetzesänderung bezweckte also die
unveränderte Aufrechterhaltung des Anwaltszwangs in Beschwerdesachen auch in den
Familiensachen. Dazu musste der Anwaltszwang auch auf Beschwerden in diesen
nunmehr vor dem Amtsgericht durchzuführenden Verfahren ausgedehnt werden. Eine
Einengung des Anwaltszwanges in Beschwerdesachen war mit der Gesetzesänderung
demgegenüber gerade nicht beabsichtigt. Eine Auslegung der Vorschrift, die in
Teilbereichen eine Einengung des Anwaltszwanges zur Folge hätte, ist daher mit dem
Gesetzeszweck nicht zu vereinbaren.
Nach alledem bleibt es dabei, dass der Anwaltszwang auch für Beschwerden gegen die
Ablehnung einer einstweiligen Verfügung im Beschlussverfahren durch das Landgericht
gilt.
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Die Verpflichtung des Antragstellers, die Kosten der unzulässigen Beschwerde zu
tragen, folgt aus § 97 Abs.1 ZPO.
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