Urteil des OLG Hamm vom 20.01.2005
OLG Hamm: eigenes verschulden, vorzeitige auflösung, deckung, verwertung, prozesskosten, scheidungsverfahren, rückkaufswert, invalidität, alter, grundeigentum
Oberlandesgericht Hamm, 2 WF 8/05
Datum:
20.01.2005
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 WF 8/05
Vorinstanz:
Amtsgericht Essen, 102 F 125/04
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 12.11.2004 wird
der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Essen vom
29.10.2004 insoweit aufgehoben, als damit die der Antragstellerin
bewilligte Prozesskostenhilfe aufgehoben worden ist, mit der Maßgabe,
dass die spätere Anhebung der festgesetzten Prozesskostenhilferaten,
die Anordnung einer Einmalzahlung oder die Festsetzung von
Teilbeträgen aus ihrem Vermögen dem Familiengericht vorbehalten
bleibt.
Gründe
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I
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Mit Beschluss vom 27.5.2004 in der Fassung des Abhilfebeschlusses vom 2.7.2004 hat
das Familiengericht der Antragstellerin für das Scheidungsverfahren Prozesskostenhilfe
bewilligt und monatliche Raten in Höhe von 60 € festgesetzt. Nachdem sich
herausgestellt hat, dass die Angaben der Antragstellerin in ihrer
Prozesskostenhilfeerklärung vom 30.4.2004 unvollständig waren, hat es mit der
angefochtenen Entscheidung die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufgehoben.
Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde.
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II
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Die gem. § 127 II 2, 3 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
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Zwar liegen die in § 124 Nr. 2 ZPO genannten Voraussetzungen für die Aufhebung der
Prozesskostenhilfe vor. Die Antragstellerin hat unrichtige Angaben über ihre
wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht, indem sie weder das Eigentum an ihrem ca. 10
Jahre alten PKW Mazda, noch das Recht an ihren beiden Lebensversicherungen bei
der T (Rückkaufswert: 1.371,88 €) und bei der B-Versicherung (Rückkaufswert:
16.512,20 €) angegeben hat. Sofern man ihren Angaben folgt, dass sie eine fehlerhafte
Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht bewirken wollte, hat sie dabei zumindest grob
nachlässig gehandelt, da für sie schon anhand der konkreten Fragestellungen im
Prozesskostenhilfevordruck ohne weiteres erkennbar gewesen war, dass die
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Lebensversicherungen und der PKW einen aktuellen Verkehrswert darstellen, den
anzugeben sie verpflichtet war.
Das Familiengericht hat jedoch von dem ihm gemäß § 124 ZPO zustehende Ermessen
nicht in der gebotenen Weise Gebrauch gemacht. Bei der Entscheidung nach § 124 Nr.
2 ZPO handelt es sich um eine kostenrechtliche Maßnahme, die verhindern soll, dass
derjenige, der durch eigenes Verschulden unberechtigt in Genuss von
Prozesskostenhilfe gelangt ist, die dadurch geschaffenen Vorteile weiterhin für sich
nutzen kann. Deshalb ist die Aufhebung der Prozesskostenhilfe nur dann
verhältnismäßig und geboten, wenn und soweit die fehlerhaften Angaben ursächlich für
deren Bewilligung gewesen sind. (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozeßkostenhilfe
und Beratungshilfe, 3. Aufl. 2003, S. 323, Rz. 840 m.w.N in Fn. 30). Daran fehlt es im
Fall der Antragstellerin. Weder das Eigentum am PKW, noch die Lebensversicherungen
stellen verwertbare Vermögensbestandteile im Sinne von § 115 Abs. 2 ZPO dar, die die
Antragstellerin zur Deckung ihrer Prozesskosten einzusetzen hat.
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Hinsichtlich des PKW Mazda scheitert die Zumutbarkeit der Verwertung schon daran,
dass sie ihn zur Aufrechterhaltung und Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit benötigt und
dass sie angesichts seines nur noch geringen Restwertes auch nicht auf die
Veräußerung und Anschaffung eines kostengünstigeren Fahrzeugs verwiesen werden
kann.
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Die Lebensversicherungen sind – unabhängig davon, ob es sich um Kapital- oder
Rentenversicherungen handelt – nur dann zur Deckung der Prozesskosten einzusetzen,
wenn der Partei die vorzeitige Auflösung des Versicherungsvertrages rechtlich möglich
und im Hinblick auf die bisherige Absicherung für den Fall des Alters und der Invalidität
zumutbar ist (OLG Hamburg FamRZ 2001, 925; OLG Stuttgart FamRZ 1999, 598). Dabei
ist zu berücksichtigen, dass angesichts der fortschreitenden Rentenreform heute nicht
mehr ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass durch die Abführung von
Pflichtversicherungsbeiträgen in die Rentenkasse im Rahmen einer bestehenden
Arbeitstätigkeit im Alter eine ausreichende Absicherung erreicht werden kann. Jeder
Partei ist daher in angemessenem Umfang die Schaffung einer privaten Altersvorsorge
anrechnungsfrei zu ermöglichen (vgl. auch BGH FamRZ 2003, 1179, 1182 m. Anm. von
Klinkhammer). Gemessen an der relativ geringen Höhe des Restkaufwertes handelt es
sich bei beiden von der Antragstellerin abgeschlossenen Lebensversicherungen um
eine angemessene Altersvorsorge, zu deren vorzeitiger Verwertung sie nicht verpflichtet
ist. Dem steht nicht entgegen, dass die Versicherungssumme der Allianz (nach dem
Sachvortrag der Antragstellerin) dazu bestimmt ist, Vermögen zu bilden, weil damit die
auf ihrem Hausgrundstück lastenden Schuldverbindlichkeiten zu einem späteren
Zeitpunkt getilgt werden sollen. Auch die Schaffung von Grundeigentum stellt eine
besondere Form der Alterssicherung dar, die zumindest dann, wenn es – wie im
vorliegenden Fall - von der Partei selbst bewohnt wird, in angemessenem Umfang
schutzwürdig ist.
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Vor diesem Hintergrund erscheint die Aufhebung der der Antragstellerin bewilligten
Prozesskostenhilfe unverhältnismäßig und war aufzuheben.
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Der deklaratorische Vorbehalt der späteren Abänderung der bewilligten
Prozesskostenhilfe beruht auf § 120 Abs. 4, S. 1 ZPO, für den Fall dass die
Antragstellerin im Scheidungsverfahren mit ihrem Antrag auf Zahlung von
Zugewinnausgleich gegen den Antragsgegner ganz oder teilweise obsiegt.
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