Urteil des OLG Hamm vom 30.01.2008

OLG Hamm: verwahrung, gegen die guten sitten, auszahlung, auflage, aktienzertifikat, anschrift, schwager, sicherheit, aktienregister, einzahlung

Oberlandesgericht Hamm, 11 U 159/06
Datum:
30.01.2008
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 U 159/06
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 18 O 150/06
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 28.09.2006 verkündete Urteil
der 18. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
1
I.
2
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Schadensersatz in Höhe von annähernd
18.500, € (= 36.000, DM) wegen der Verletzung notarieller Amtspflichten im
Zusammenhang mit der Auszahlung dieses auf dessen Notaranderkonto hinterlegten
Betrages sowie mit der nach ihrer Ansicht bereits zu Unrecht erfolgten Einrichtung
dieses Notaranderkontos.
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Der Beklagte beurkundete am 26.02.1999 zu seiner UR-Nr. ###/99 einen Vertrag
zwischen Herrn Prof. Dr. Dr. Heinrich I als alleinigem Gesellschafter und
Geschäftsführer der I1 GmbH (ITE) und I2 AG (IUI). Die Beteiligten erklärten unter
Ziffer 1, dass Prof. I der ITE ausschließliche Nutzungsrechte auf eigene Erfindungen
und Entwicklungen von denaturierenden Wärmetauschern und Elektrofiltern mit
denaturierender Niederschlagselektrode eingeräumt habe. In der Urkunde, auf die im
Übrigen Bezug genommen wird (Anlage 18), heißt es u.a. wörtlich:
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"Die Parteien beabsichtigten, daß sämtliche Geschäftsanteile an der nunmehr mit
diesen Lizenzen ausgestatteten ITE in die IUI gegen Ausgabe von Aktien an der
IUI eingebracht werden. Die vormalige G Investment AG wurde in die I2 AG
umbenannt. Diese Umbenennung ist jedoch nicht im Handelsregister registriert.
Nach der Einbringung der Anteile der ITE soll die IUI eine weitere Emission an
Aktien auflegen, die außerbörslich plaziert werden sollen. Die Erlöse aus dieser
Emission sollen über die ITE zur weiteren Entwicklung der oben genannten
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Technologien bis zur Marktreife und zur anschließenden Vermarktung verwendet
werden. Forschungen und Vergütungen, die durch Dritte bezahlt worden sind,
müssen diesen durch Lizenzzahlungen vergütet werden."
Gleichzeitig trat Prof. I sämtliche Geschäftsanteile an der ITE an die IUI ab, die die
Abtretung annahm. Weiter heißt es, dass sich die IUI als Gegenleistung verpflichtet, an
Prof. I 26.000.000 Aktien (common shares) auszugeben, der somit 75 % der
Stimmrechtsanteile innehabe. Die Erschienen gewährleisteten jeweils nur den
Rechtsbestand der übertragenen Geschäftsanteile bzw. der auszugebenden Aktien,
nicht jedoch einen irgendwie gearteten Wert der Beteiligungen bzw. der ihnen zugrunde
liegenden Unternehmen. Den Wert dieser Vereinbarung gaben die Beteiligten in der
Urkunde mit 100.000, DM an.
6
Zuvor hatte sich Dr. I3 als Präsident der IUI AG mit Schreiben vom 01.02.1999 an den
Beklagten gewandt. In dem Adressfeld dieses Schreibens war die Anschrift mit "T-Tor 1,
###19 E" angegeben. In dem eigentlichen Briefkopf war als Anschrift des "Main office"
###48 D, USA angegeben, während die Anschrift in E unter der Überschrift "Rep.
Office" angegeben war. In dem Schreiben heißt es:
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"Nach dem Verkaufsprospekt der I2 AG ist von den Interessenten der
Zeichnungspreis ausschließlich auf ein Konto bei der Commerzbank zu zahlen.
8
Die Aktienausstellungen oder aber die Aufnahme in das Aktionärsregister erfolgen
nur unter befreiender Wirkung nach Zahlungseingang der gesamten Zeichnung für
die Aktien auf dem Konto der I2 AG.
9
Bei dieser Vorgehensweise ist ersichtlich, daß die Zeichner zunächst Zahlungen
leisten und alsdann erst den Gegenwert in Form der Eintragung in das
Aktienregister oder aber auf Wunsch durch Ausstellung des Aktienzertifikates
erhalten.
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In das Aktienzertifikat wird die gesamte Summe der Zeichnung eingesetzt, so daß
nicht Einzelaktien vorgesehen sind.
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Es ist deshalb den Zeichnern Sicherheit zu gewähren für den Zeitraum ab
Einzahlung bzw. Zahlung ihrer Beträge bis zum Erhalt der Aktien bzw. bis zum
Nachweis der Eintragung in das Aktienregister.
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Diesem Sicherungsinteresse entsprechend ersuche ich Sie um Einrichtung eines
Notaranderkontos bei der Commerzbank.
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Dieses Anderkonto soll möglichst umgehend eingerichtet werden und bis Ende
November 2000 bestehen bleiben.
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In diesem Zeitraum ist mit Eingängen auf dem Notaranderkonto zu rechnen.
15
Die Auszahlungen der auf dem Anderkonto eingezahlten Beträge ist entsprechend
vorzunehmen, sobald der Nachweis der Eintragung in das Aktienregister oder aber
die Übersendung der Aktienzertifikate geführt ist.
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Die Auszahlungen selbst sind dann an die I2 AG oder aber an entsprechend von
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ihr bezeichnete Empfänger vorzunehmen.
Ich ersuche Sie demgemäß um umgehende Einrichtung eines entsprechenden
Notaranderkontos und um Annahme dieses Hinterlegungsantrages."
18
Mit Schreiben an die Commerzbank C vom 03.03.1999 bat der Beklagte anschließend
um Einrichtung eines Notaranderkontos. Als Beteiligte gab er die I1 GmbH und die I2
AG und deren Postanschrift mit "C-Straße ##-## in ###64 H" an.
19
Nachdem der Beklagte den Antrag auf Einrichtung eines Notaranderkontos mit
Schreiben vom 05.03.1999 ergänzt hatte – es gab offensichtlich ein Rückschreiben der
Commerzbank C, in dem diese um Mitteilung des Namens und der Anschrift desjenigen
bat, für dessen Rechnung er handele – bestätigte ihm die Commerzbank C mit
Schreiben vom 11.03.1999, dass sie für ihn ein "Notaranderkonto mit der Nummer
######80 I1 GmbH/I2 AG als Einzelanderkonto für I1 GmbH, C-Str. ##-##, ###64 H und
I2 AG, C-Str. ###-##, ###64 H (Name und Anschrift des/der wirtschaftlich Berechtigten)
führen" werde.
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Mit Schreiben vom 11.06.1999 teilte Dr. I3 in seiner Eigenschaft als Präsident der IUI
dem Beklagten mit, dass die Gesellschaft entsprechende Beschlüsse gefasst habe, die
eine Neuausgabe von Stammaktien der Gesellschaft an neue Investoren vollumfänglich
gewährleisteten. Insofern sei die unmittelbare Ausgabe von Aktien zugunsten
derjenigen Investoren sichergestellt, deren Zahlung er bereits auf dem Anderkonto habe
verbuchen können. Demzufolge bat Dr. I3 um Weiterleitung der Gelder auf das näher
bezeichnete Konto der ITE GmbH bei der E1 Bank AG in E1. Unter dem Briefkopf der I4
GmbH teilte ein Herr L dem Beklagten am 25.06.1999 dann per Telefax mit, dass er die
Gelder, sobald sie von ihm freigegeben werden könnten, auf das näher bezeichnete
Konto der ITE GmbH bei der E1 Bank S überweisen wolle.
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Mit Telefax vom 14.06.1999 wurde dem Beklagten durch das Sekretariat von Prof. I ein
(nicht unterzeichneter) Verkaufsprospekt der IUI übersandt. Wegen des Inhalts im
Einzelnen wird auf den unter dem 05.05.1999 erstellten Verkaufsprospekt über eine
Emission von 6.000.000 Aktien mit einem Nennwert von 6.000 US$ zu einem
Ausgabepreis von 12.000.000 US$ Bezug genommen (Anlage 23).
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Die Klägerin und ihr Ehemann T wurden durch ihren Schwager, Herrn T1, der wiederum
Prof. I im September/Oktober 1999 kennengelernt hatte, auf die Anlagemöglichkeit bei
der I2 AG (IUI AG) aufmerksam gemacht. Kenntnis von dem gerade erwähnten
Verkaufsprospekt der IUI will die Klägerin nicht gehabt haben.
23
Am 14.10.1999 unterzeichneten die Klägerin und ihre Schwester, Frau T2, einen
Kaufvertrag über den Ankauf von 100.000 Stammaktien der I2 AG zu einem
Ausgabepreis von 0,40 US$. In dem Kaufvertrag verpflichteten sich die Käufer, den
Kaufpreis in Höhe von 40.000 US$ (Gegenwert in DM) bis zum 25.10.1999 auf das
näher bezeichnete Konto einzuzahlen. Das Konto war in der Kaufvertragsurkunde wie
folgt bezeichnet: "Empfänger: Notar H1, Commerzbank AG H, Kto.-Nr.: ######80, BLZ
######93, Verwendungszweck: I2 AG". Ob dem Beklagten diese Bezeichnung in der
Kaufvertragsurkunde bekannt war, ist zwischen den Parteien streitig.
24
Ebenfalls am 14.10.1999 unterzeichneten der Ehemann der Klägerin sowie ihr
Schwager einen Kaufvertrag über den Ankauf von 500.000 Stammaktien der IUI zu
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einem Kaufpreis von 200.000 US$ bzw. den nach einem Kurs von 1,80 DM/US$ zu
beurteilenden Gegenwert in D-Mark. Der Kaufpreis sollte bis zum 18.10.1999 wiederum
auf dem zuvor bezeichneten Konto eingezahlt werden.
Schließlich kauften die beiden vorgenannten Personen mit Kaufvertrag vom 09.11.1999
weitere 1.000.000 Stammaktien der IUI zu einem Kaufpreis von insgesamt 400.000 US$
bzw. den nach wiederum einem Kurs von 1,80 D-Mark/US$ zu beurteilenden
Gegenwert. Der Kaufpreis sollte bis zum 12.11.1999 auf dem bereits genannten Konto
eingezahlt werden.
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Auf dem vom Beklagten eingerichteten Anderkonto zahlten der Ehemann der Klägerin
und ihr Schwager am 21.10.1999 für den Ankauf der 500.000 Aktien einen Betrag von
360.000, DM und am 17.11.1999 für den Ankauf der 1.000.000 Aktien einen Betrag von
779.793,35 DM ein. Die mit der zuletzt genannten Einzahlung einhergehende
Überzahlung in Höhe von 59.793,35 DM zahlte der Beklagte am 07.12.1999 wieder an
die Käufer zurück.
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Ferner zahlten die Klägerin und ihre Schwester am 27.10.1999 einen Betrag in Höhe
von 72.000, DM auf das Anderkonto des Beklagten unter der Bezeichnung "Erbengem.
T/T1" ein.
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Nach Einzahlung des Betrages durch die Klägerin und ihre Schwester befanden sich
zum 27.10.1999 insgesamt 763.685,59 DM auf dem Anderkonto des Notars.
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Nach Einzahlung erhielten die Klägerin und ihre Schwester – so jedenfalls die
Darstellung im unstreitigen Teil der angefochtenen Entscheidung – das Aktienzertifikat
mit der Nummer ##89, das – offensichtlich aufgrund eines Versehens – ihren Ehemann
und ihren Schwager als Inhaber der Aktien ausweist. Das Aktienzertifikat selbst trägt
das Datum des 27.03.2001.
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Der Beklagte wurde im Folgenden durch Herrn L angewiesen, von dem Anderkonto
einen Betrag in Höhe von 360.000, DM auf ein näher bezeichnetes Konto der I4 GmbH
zu zahlen. Die Überweisung nahm der Beklagte am 28.10.1999 vor. Weiter wurde der
Beklagte wiederum telefonisch durch Herrn L angewiesen, weitere 360.000, DM von
dem Anderkonto auszuzahlen und zwar 160.000, DM auf ein näher bezeichnetes Konto
der I4 GmbH bei der Commerzbank H sowie 200.000, DM auf ein näher bezeichnetes
Konto ebenfalls der I4 GmbH bei der Sparkasse H. Diese Überweisungen wurden von
dem Beklagten am 03.11.1999 veranlasst.
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Insgesamt flossen rund 12.400.000, DM von dem Notaranderkonto ab. Davon erhielt die
IUI AG zur Förderung der ITE GmbH lediglich 100.000, DM.
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Mit Schreiben vom 18.02.2000 teilte der Beklagte schließlich dem Ehemann der
Klägerin mit, dass er die auf dem Anderkonto eingezahlten Beträge in Höhe von
360.000, DM, 72.000, DM und 720.000, DM entsprechend dem ihm erteilten Auftrag an
die Firmengruppe I weitergeleitet habe, weil nach den ihm erteilten Informationen sein
Name in das Aktionärsregister der Gesellschaft aufgenommen und die entsprechende
Aktienzahl gemäß dem Zeichnungsschein ebenfalls eingetragen worden sei. Auch sei
das erforderliche Aktienzertifikat ausgestellt worden. Ein gleich lautendes Schreiben
erhielt der Schwager der Klägerin. Von dem Inhalt dieses Schreibens wurde die
Klägerin durch ihren Ehemann in Kenntnis gesetzt. Darüber hinaus hat die Klägerin in
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erster Instanz mit Schriftsatz vom (Bl. 165) ausdrücklich vorgetragen, dass sie und ihre
Schwester von ihren Ehemännern das irrtümlich ausgestellte Aktienzertifikat übertragen
erhalten hätten.
Am 22.12.2002 wurde die IUI AG insolvent bzw. ist das Insolvenzverfahren über ihr
Vermögen mangels Masse nicht eröffnet worden.
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Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer des Landgerichts ist
ausweislich des Protokolls der Prozessbevollmächtigte der Klägerin "im Beistand von
Rechtsanwalt T2" erschienen. Letzterer erklärte auf Befragen des Gerichts:
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"Das Schreiben des Beklagten vom 18.02.2002 (Anlage K 33 A) ist zwar an Herrn
T gerichtet. Es ist über ihn aber auch der Klägerin bekannt gemacht worden. Ein
gleichartiges Schreiben ist an mich gerichtet worden."
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Die Klägerin hat behauptet, dass der Beklagte bei der Auszahlung des von ihr (und ihrer
Schwester) auf dem Notaranderkonto eingezahlten Betrages die ihm obliegenden
Treuhandpflichten nicht beachtet habe. Zum einen seien Auszahlungen auf Anordnung
von dazu nicht befugten Personen – wie z.B. dem Mitarbeiter der I-Firmengruppe, Herrn
L – ausgeführt worden. Ein großer Teil der Beträge, die auf Anweisung von Herrn L vom
Beklagten vom Anderkonto ausgekehrt worden seien, seien (daher) rechtsgrundlos an
die I4 GmbH geflossen. Aber selbst wenn entsprechende mündliche oder schriftliche
Bevollmächtigungen vorgelegen hätten, wären diese wegen Verstoßes gegen die guten
Sitten unwirksam gewesen. Zum anderen seien die Gelder nicht der IUI zugute
gekommen. Hierzu hat die Klägerin die Ansicht vertreten, dass die
Hinterlegungsvereinbarung der IUI mit dem Beklagten durch den Verkaufsprospekt
weiter konkretisiert worden sei.
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Sie hat ferner behauptet, dass dem Beklagten die "geschilderten Zusammenhänge"
gemeint ist insbesondere die schlechte finanzielle Situation der I Firmengruppe –
"sicherlich in groben Zügen bekannt gewesen sein" dürfte. Insofern hätte der Beklagte
nach ihrer Ansicht das Treuhandkonto erst gar nicht eröffnen dürfen, weil er hätte
erkennen können und müssen, dass dieses der Durchsetzung rechtlich zu
beanstandender Ziele dienen sollte.
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Dem Beklagten hätte bereits bei dem Schreiben der IUI vom 01.02.1999, in dem diese
um Eröffnung eines Notaranderkontos gebeten habe, auffallen müssen, dass unter der
Anschrift "I2 AG", E nur eine deutsche Aktiengesellschaft habe verstanden werden
können, die aber in Widerspruch zu der im Briefbogen oben rechts genannten Anschrift
in den USA stehe.
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Darüber hinaus habe der Beklagte aufgrund seiner notariellen Tätigkeit davon Kenntnis
gehabt, dass der Geschäftssitz der IUI faktisch in der C-Straße in H und nicht – wie in
ihren Schreiben angegeben – in E gewesen sei.
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Darüber hinaus hätten dem Beklagten das Fehlen der Unterschriften unter dem
Verkaufsprospekt und die damit einhergehende fehlende Übernahme der
Verantwortung für die in dem Prospekt gemachten Angaben auffallen müssen.
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Ferner hätte der Beklagte erkennen müssen, dass sich der Wert des Aktienpaketes von
Prof. I in der Zeit vom 26.02.1999 (Zeitpunkt der Beurkundung) bis zum 05.05.1999
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(Zeitpunkt der Erstellung des Verkaufsprospektes) von 100.000, DM (so die Angabe in
der vom Beklagten gefertigten Urkunde UR-Nr. ###/99) auf 52.000.000, US$ (nach dem
Verkaufsprospekt) erhöht hätte, ohne dass die ITE, die einziger Vermögenswert der IUI
gewesen sei, irgendwelche Investitionen oder Umsätze getätigt hätte.
Schließlich hätte der Beklagte erkennen können und müssen, dass eine
Privatplatzierung von Aktienneuemissionen zunächst einen von der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht freigegebenen Prospekt nach §§ 8 ff. des
Wertpapierverkaufsgesetzes voraussetze, der nicht vorgelegen habe. Dazu hat die
Klägerin behauptet, dass der von der IUI vorgelegte Prospekt mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit von der Bundesanstalt nicht zur Veröffentlichung
freigegeben worden wäre.
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Im Übrigen hat sie darauf verwiesen, dass die Aktien an der Börse gehandelt werden
sollten, so dass die Aktienemission statt über ein Treuhandkonto des Beklagten
genauso gut von einer Bank, die normalerweise für die Neuemission von Aktien
zuständig sei, hätte durchgeführt werden können.
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Sie hat ferner vorgetragen, dass es ihr besonders vertrauenserweckend erschienen sei,
dass der Zahlungsverkehr für den Aktienkauf durch einen deutschen Notar abgewickelt
werde. Sie habe auch darauf vertrauen dürfen, dass der Beklagte bei Einrichtung des
Notaranderkontos für die IUI alle gesetzlichen Voraussetzungen geprüft und
berücksichtigt hätte. Sie hat schließlich behauptet, dass ihr der Schaden dadurch
entstanden sei, dass sie zu der Anlage unter anderem dadurch bewogen worden sei,
dass mit seiner Tätigkeit als Notar und der damit vorhandenen vermeintlichen Sicherheit
für die Anleger geworben worden sei.
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Die Klägerin hat behauptet, erst Anfang August 2005 durch ihren Schwager darüber in
Kenntnis gesetzt worden zu sein, dass die Staatsanwaltschaft Bochum festgestellt habe,
dass von den auf dem Notaranderkonto des Beklagten eingezahlten Anlagegeldern von
insgesamt fast 12.500.000, DM dem eigentlichen Gesellschaftszweck der IUI AG
(Förderung der ITE GmbH) nur 100.000, DM zugeflossen seien, während die Gelder im
Übrigen zweckentfremdet verwandt worden seien. Genauere Kenntnis habe sie erst
durch Einschaltung ihres Prozessbevollmächtigten am 24.06.2006 erhalten. Da sie und
ihre Schwester von ihren Ehemännern das irrtümlich ausgestellte Aktienzertifikat
übertragen erhalten hätten, sei für sie zunächst kein nachweisbarer Schaden
entstanden.
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Die Klägerin hat schließlich unter Bezugnahme auf ein Urteil des OLG Frankfurt vom
17.09.2003 (4 U 12/03 – vgl. Anlage 69) die Ansicht vertreten, dass eine
Amtspflichtverletzung bereits darin zu sehen sei, dass sich der Beklagte überhaupt als
Treuhänder zur Verfügung gestellt habe, obwohl eine ordnungsgemäße
Mittelverwendungskontrolle nicht gewährleistet gewesen sei.
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Die Klägerin hat mit ihrer am 05.04.2006 anhängig gemachten Klage beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 18.406,51 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit
dem 03.11.1999 zu zahlen Zug um Zug gegen die Übertragung von 50.000
Namensaktien der I2 AG.
49
Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat bestritten, von den Vorgängen innerhalb der Firmengruppe I etwas gewusst zu
haben. Die Spekulation der Klägerin, ihm seien die geschilderten Zusammenhänge
"sicherlich zumindest in groben Zügen bekannt gewesen", sei nicht zutreffend. Nicht die
Einrichtung eines Anderkontos sei – wie die Klägerin meine – für einen
"verhängnisvollen Verlauf" ursächlich, sondern der Umstand, dass sie ein
hochspekulatives Geschäft getätigt habe, ohne zu überprüfen, ob sie sich auf ihren
Geschäftspartner verlassen könne. Soweit die Klägerin behaupte, dass in der fraglichen
Zeit lediglich Dr. I3 Präsident/Vorsitzender der IUI gewesen sei, treffe dies nicht zu. Herr
L sei ebenfalls bevollmächtigt gewesen, für die IUI Weisungen zu erteilen. Soweit die
Vermerke in den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten davon sprächen, dass
Zahlungen ohne Rechtsgrund erfolgt seien, beziehe sich dies lediglich auf das
Verhältnis der IUI zu den Empfängern der Zahlungen, nicht jedoch auf das Verhältnis
zum Beklagten. Unzutreffend sei auch die Ansicht der Klägerin, die
Hinterlegungsvereinbarung sei im Verkaufsprospekt konkretisiert worden. Es finde sich
in dem Prospekt auch nicht ansatzweise ein Hinweis darauf, dass er es als Treuhänder
übernommen hätte, die Verwendung der Gelder zu kontrollieren. Er hat bestritten, den
Eindruck erweckt oder zugelassen zu haben, dass er bei der Führung des Kontos
weitergehende Pflichten übernehmen und treuhänderisch tätig werden würde. Der
Beklagte hat bestritten, dass die Angabe seines Namens und seine Berufsangabe
"Notar" in dem Kaufvertrag mit ihm abgestimmt worden sei; hiervon habe er auch nichts
gewusst. Es habe im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Notar
als Kontoinhaber auch den wirtschaftlichen Erfolg der Anlage habe sicherstellen und die
Geschäftspolitik der IUI AG habe überwachen sollen. Der Beklagte bestreitet daneben,
dass – wie die Klägerin behauptet – einziger Vermögensgegenstand der IUI die ITE
GmbH gewesen sei.
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Hilfsweise hat sich der Beklagte auf die Einrede der Verjährung berufen, da für die
Klägerin aufgrund des Schreibens vom 18.02.2000 erkennbar gewesen sei, dass die
Überweisungen nicht direkt an die IUI, sondern lediglich an die "Firmengruppe I" erfolgt
seien. Damit habe die Klägerin aber gewusst, dass er keine weitere Kontrolle über die
Verwendung der Gelder habe vornehmen können.
53
Durch das der Klägerin am 31.10.2006 zugestellte Urteil vom 28.09.2006 hat das
Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung, auf die Bezug genommen wird,
hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass zwar eine schuldhafte Amtspflichtverletzung
des Beklagten aufgrund eines Treuhandverstoßes anzunehmen sei, der bei der
Klägerin auch zu einem Schaden in Höhe von 36.000, DM geführt habe, der danach
gem. § 19 Abs. 1 BNotO bestehende Schadensersatzanspruch jedoch gem. § 852 BGB
a.F. verjährt sei. Weitere Amtspflichtverletzungen seitens des Beklagten lägen nicht vor.
Dem Beklagten sei nicht vorzuwerfen, dass er auf der Grundlage des Schreibens der IUI
vom 01.02.1999 überhaupt ein Treuhandkonto eingerichtet habe. Auch ließen sich aus
dem Umstand, dass es sich bei der IUI AG um eine amerikanische Gesellschaft mit der
deutschen Bezeichnung "Aktiengesellschaft" handelte, unredliche Ziele der
Gesellschaft nicht ableiten, da ansonsten eine Eintragung in das amerikanische
Aktienregister nicht möglich gewesen wäre. Darüber hinaus habe dem Beklagten auch
nicht die Prüfung oblegen, welchen wirtschaftlichen Zweck die IUI AG und Prof. I mit der
Einbringung der ITE GmbH am 26.02.1999 verfolgt hätten. Dem Beklagten als Notar die
Verpflichtung auferlegen zu wollen, von sich aus überprüfen zu müssen, ob ein
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vorgelegter Verkaufsprospekt den Anforderungen der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht genüge, würde die Anforderungen an die treuhänderische
Tätigkeit des Notars überspannen. Auch habe der Beklagte aus dem Umstand, dass ihm
später nur der Entwurf des Verkaufsprospektes zugesandt worden sei, nicht schließen
müssen, dass den Anlegern ein solcher im Rahmen des Vertriebs nicht vorgelegt
werden würde. Ein unredliches Geschäftsgebaren der IUI habe sich dem Beklagten
aufgrund der Diskrepanz der Wertangabe im Übertragungsvertrag vom 26.02.1999 mit
100.000, DM und dem ungleich höheren Wert der auf Herrn I übertragenen
Geschäftsanteile nach den im Verkaufsprospekt gemachten Angaben ebenfalls nicht
aufdrängen müssen.
Hiergegen richtet sich die am 29.11.2006 eingelegte und mittels am 28.12.2006 beim
Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatzes begründete Berufung der Klägerin.
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Sie trägt vor, dass das Landgericht zu Unrecht ihren ansonsten als gegeben
angesehenen Schadensersatzanspruch als verjährt angesehen habe. Das Gericht gehe
zu Unrecht davon aus, dass sie bereits im Februar 2000 von dem Eintritt des Schadens
und der damit einhergehenden Schadensersatzpflicht des Beklagten Kenntnis erlangt
habe. Soweit das Landgericht auf die Kenntnis dieser Umstände aus dem Schreiben
des Beklagten vom 18.02.2000 schließe, in dem er mitgeteilt habe, dass der Kaufpreis
vom Notaranderkonto ausgezahlt worden sei, werde nicht berücksichtigt, dass das
Schreiben nur an ihren Ehemann gesandt worden sei. Dieser habe es aber nur zu
seinen Akten genommen und ihr davon nichts mitgeteilt. Aus nicht nachvollziehbaren
Gründen habe das Landgericht auch unterstellt, sie habe das Aktenzertifikat mit der
Nummer ##89 erhalten, so dass sie habe wissen müssen, dass eine Auszahlung erfolgt
sei. Diese Annahme sei aber nicht zutreffend, da dieses Aktienzertifikat ebenfalls
(irrtümlich) auf ihren Ehemann ausgestellt worden sei, so dass es auch nicht an sie
adressiert gewesen sei. Sie habe erst aufgrund der Nachforschungen ihres Schwagers
T1 im Jahr 2005 nachvollziehbare Kenntnis davon erlangt, dass der Beklagte
weisungswidrig verfügt habe.
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Darüber hinaus hält die Klägerin an ihrer rechtlichen Bewertung erster Instanz fest, dass
der Beklagte – entgegen der Einschätzung des Landgerichts – schon kein Anderkonto
hätte einrichten dürfen, da es der Durchsetzung und Abwicklung rechtlich zu
beanstandender Ziele gedient habe. Auch nach Errichtung des Anderkontos hätte sich
diese von dem Beklagten pflichtgemäß vorzunehmende Einschätzung verdichten
müssen. Der Beklagte hätte unschwer feststellen können, dass die Einrichtung eines
Notaranderkontos nur eine seriöse Situation mit Sicherungsfunktion für die Anleger
habe vorgaukeln sollen. So habe der Beklagte die Auszahlungen auch wahllos und
quasi auf Zuruf verschiedener Personen vorgenommen.
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Es sei erkennbar und absehbar gewesen, dass die sogenannte Sicherheit für den
Zeitraum ab Einzahlung bis zum Erhalt der Aktien bzw. bis zum Nachweis der
Eintragung in das Aktienregister überhaupt keine Sicherheit der Kunden habe bewirken
können. Wenn man dies gleichwohl annehmen wolle, hätte eine Auszahlung der
hinterlegten Gelder nur an die IUI AG erfolgen dürfen, weil nur dann die Leistung (Erhalt
der Aktien) mit der Gegenleistung (Zufluss zum Gesellschaftsvermögen der IUI)
korrespondiere.
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Da in dem Auftragsschreiben vom 01.02.1999 der Verkaufsprospekt ausdrücklich
benannt worden sei, sei der Beklagte als Notar auch verpflichtet gewesen, die daraus
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ersichtlichen Rahmenbedingungen und Grundlagen in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht zu überprüfen. Da es an einer Freigabe des Verkaufsprospektes gem. § 8 des
Wertpapierverkaufsgesetzes gefehlt habe, hätte der Beklagte die Einrichtung eines
Anderkontos verweigern müssen.
Soweit das Landgericht die Diskrepanz aus der Wertangabe im Übertragungsvertrag
vom 26.02.1999 und dem ungleich höheren Wert der an Herrn I übertragenen
Geschäftsanteile nach dem Verkaufsprospekt damit erkläre, dass die Angabe des
Wertes in dem Übertragungsvertrages nur der Bemessung des Gegenstandswertes zur
Berechnung der notariellen Kosten diene, werde übersehen, dass jeder bei Errichtung
einer notariellen Urkunde verpflichtet ist, die Wahrheit zu sagen und ein derartiges
Vorgehen letztlich dazu führen würde, dass ein Notar um seine Gebühren betrogen
werde.
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Soweit sich das Landgericht bei der Bestimmung des Inhalts des Treuhandauftrags auf
das Schreiben vom 01.02.1999 beschränke, sei dies nicht gerechtfertigt. Insoweit hätte
auch der Inhalt des Verkaufsprospektes Berücksichtigung finden müssen. Der Beklagte
sei daher verpflichtet gewesen, das Geld auch an die als Empfänger bestimmte IUI AG
auszuzahlen. Dementsprechend sei auch das von ihr in erster Instanz zitierte Urteil des
OLG Frankfurt einschlägig.
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Mit Schriftsatz außerhalb der Berufungsbegründungsfrist weist die Klägerin darauf hin,
dass der "Zeuge" T1 in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht lediglich
informell befragt worden sei; dieser habe offensichtlich altersbedingt die Frage nicht
richtig verstanden. Sie habe – da sie persönlich erst später zu dem Termin erschienen
sei – keine Kenntnis von dessen Angaben gehabt. Im Übrigen beziehe er sich auf ein
Schreiben vom 18.02.2002 und nicht auf das vom 18.02.2000.
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Die Klägerin beantragt,
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die angefochtene Entscheidung abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an
sie 18.406,51 € nebst 4 % Zinsen seit dem 03.11.1999 zu zahlen, Zug um Zug
gegen Übertragung von 50.000 Namensaktien der I2 AG.
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Der Beklagte beantragt,
65
die Berufung zurückzuweisen.
66
Der Beklagte weist darauf hin, dass für das Landgericht keine Veranlassung bestand,
über die Frage, ob die Klägerin bereits im Frühjahr 2000 Kenntnis von den
anspruchsbegründenden Umständen hatte, Beweis zu erheben. Zum einen sei sein
Vortrag, dass die Klägerin aufgrund des Schreibens vom 18.02.2000 im Frühjahr 2000
Kenntnis von der Weiterleitung des Kaufpreises gehabt habe, unbestritten geblieben
und zum anderen habe die Klägerin im Rahmen der Anhörung vor dem Landgericht
erklärt, über den Inhalt des Schreibens durch ihren Ehemann in Kenntnis gesetzt
worden zu sein. Entsprechendes gelte, soweit die Klägerin nunmehr erkläre, kein
Aktienzertifikat erhalten zu haben, während sie in erster Instanz vorgetragen habe, dass
sie und ihre Schwester "das irrtümlich ausgestellte Aktienpaket" übertragen erhalten
hätten. Im Übrigen habe das Landgericht zu Recht das Vorliegen weiterer
Amtspflichtverletzungen abgelehnt.
67
II.
68
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin hat
in der Sache keinen Erfolg.
69
Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Schadensersatz gem. § 19
Abs. 1 BNotO wegen der Verletzung notarieller Amtspflichten zu.
70
1.
71
Die vom Beklagten übernommene und durchgeführte Verwahrung der hinterlegten
Gelder ist unzweifelhaft dem notariellen Bereich zuzuordnen.
72
Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 BNotO ist anzunehmen, dass ein zugleich als Rechtsanwalt
zugelassener Notar dann als Notar tätig wird, wenn er Betreuungshandlungen der in
§ 24 Abs. 1 BNotO bezeichneten Art vornimmt, die ihrerseits dazu bestimmt sind,
Urkundsgeschäfte (§§ 20-22 BNotO) oder notarielle Verwahrungsgeschäfte (§ 23
BNotO) vorzubereiten oder auszuführen. Die vom Beklagten allein übernommene
Verwahrung, zu deren Übernahme er als Notar gem. § 23 BNotO auch ohne vorherige
Beurkundungstätigkeit befugt war (Sandkühler in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO,
5. Auflage, § 23 Rdn. 4), steht jedoch nicht mit einer der in § 24 Abs. 1 BNotO genannten
Betreuungshandlungen in Zusammenhang. Zwar hat der Beklagte am 26.02.1999 unter
seiner UR-Nr. 116/99 den Vertrag hinsichtlich der Einbringung der Gesellschaftsanteile
zwischen der ITE GmbH und der IUI AG beurkundet, jedoch war dies kein
Urkundsgeschäft, an dem auch die Klägerin beteiligt war.
73
Liegen – wie hier – die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 S. 1 BNotO nicht vor, ist nach
§ 24 Abs. 2 Satz 2 BNotO im Zweifel anzunehmen, dass der Anwaltsnotar als
Rechtsanwalt tätig geworden ist. Derartige Zweifel bestehen jedoch nicht, wenn nach
den objektiven Umständen, insbesondere der Art der Tätigkeit, eine Aufgabe zu erfüllen
ist, die in den Bereich notarieller Amtstätigkeit fällt (vgl. BGH WM 1992, 1533 (1537);
WM 1996, 30 (32); DNotZ 1997, 221 (223)); OLG Hamm, DNotZ 1956, 154 (156); DNotZ
1977, 49 (52)). Dies trifft zu, wenn nicht eine einseitige Interessenwahrnehmung in Rede
steht, sondern eine neutrale, unparteiische Berücksichtigung der Belange sämtlicher
Beteiligter (BGH WM 1996, 30 (32); Senat, DNotZ 1997, 228 (229 f.); Sandkühler in
Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 5. Auflage, § 23 Rdn. 5). Auch wenn der vom Beklagten
übernommenen Verwahrung nur die einseitige Verwahrungs- bzw.
Hinterlegungsanweisung der IUI vom 01.02.1999 zugrunde liegt, sollte die Verwahrung
auch und gerade den Interessen der Zeichner der Aktien dienen. Nach der in dem
Schreiben der IUI vom 19.02.1999 enthaltenen Hinterlegungsanweisung sollte das
Anderkonto durch den Beklagten gerade deswegen eingerichtet werden, um "den
Zeichnern Sicherheit zu gewähren für den Zeitraum ab Einzahlung bzw. Zahlung ihrer
Beträge bis zum Erhalt der Aktien bzw. bis zum Nachweis der Eintragung in das
Aktienregister". Damit sollten die Erwerber der Aktien vor der Erbringung einer
ungesicherten Vorleistung bewahrt werden. Als weiteres – die Zweifel des § 24 Abs. 2
S. 2 BNotO beseitigendes – Indiz für ein notarielles Tätigwerden des Beklagten ist auch
der Umstand anzusehen, dass die IUI AG ausdrücklich um die Einrichtung eines
Notaranderkontos gebeten hat und der Beklagte dementsprechend mit Schreiben vom
03.03.1999 an die Commerzbank um die Eröffnung eines Notaranderkontos
nachgesucht hat. Darüber hinaus ist auch der Beklagte selbst von einem Tätigwerden in
seiner Eigenschaft als Notar ausgegangen, da er für die Durchführung der Verwahrung
74
notarielle Kostenrechnungen erstellt hat.
2.
75
Mit der Übernahme der Verwahrung und der Einrichtung des Anderkontos hat der
Beklagte keine notariellen Amtspflichten verletzt.
76
a)
77
Gem. § 14 Abs. 2 BNotO hat der Beklagte in seiner Eigenschaft als Notar seine
Amtstätigkeit zu versagen, wenn sie mit seinen Amtspflichten nicht vereinbar wäre,
insbesondere wenn seine Mitwirkung bei Handlungen verlangt wird, mit denen
erkennbar unerlaubte oder unredliche Zwecke verfolgt werden. Auch eine Verwahrung,
die diesen Zwecken dienen soll, ist unzulässig (Senat, DNotZ 1997, 228 (230)). Im
Zeitpunkt der Übernahme der Verwahrung und der Einrichtung des Anderkontos waren
derartige Umstände für den Beklagten jedoch nicht erkennbar.
78
aa)
79
Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang vorträgt, dass dem Beklagten die
bedenkliche finanzielle Situation der I-Firmengruppe "sicherlich in groben Zügen
bekannt gewesen sein" dürfte, ist sie für diesen – spekulativen – Vortrag beweisfällig
geblieben, da der Beklagte dem entgegengetreten ist und bestritten hat, von den
Vorgängen innerhalb der Firmengruppe etwas gewusst zu haben. Indizien, die auf eine
solche Kenntnis des Beklagten schließen ließen, sind nicht vorgetragen und auch sonst
nicht ersichtlich.
80
bb)
81
Der Notar muss eine Verwahrung weiterhin auch dann ablehnen, wenn dadurch eine
tatsächlich nicht bestehende Sicherheit vorgetäuscht wird (Senat, DNotZ 1997, 228
(230) – noch vor Einführung der §§ 54a BeurkG am 08.09.1998) bzw. es für die
Übernahme der Verwahrung an einem berechtigten Sicherungsinteresse i.S.d. § 54a
BeurkG fehlt.
82
Anlass für eine entsprechende Prüfung hat der Notar vornehmlich in den Fällen, in
denen die Verwahrung gerade nicht im Zusammenhang mit einer Beurkundung erfolgt.
Die Möglichkeit der Vortäuschung einer Sicherheit besteht regelmäßig bereits dann,
wenn der Zweck der Verwahrung ebenso gut durch Einschaltung einer anderen
Institution – etwa einer Bank oder eines Rechtsanwalts – hätte erreicht werden können,
so dass die Verwahrung durch den Notar dem Geschäft lediglich den Anstrich der
Seriosität geben soll (Senat, DNotZ 1997, 228 (230)).
83
Der Klägerin ist zuzugeben, dass die Ausgabe von Aktien im Regelfall über eine Bank
vorgenommen wird. Jedoch ist dies nicht zwingend. Gerade in diesem Fall lässt sich der
Zweck der Verwahrung nicht ebenso gut durch Einschaltung einer anderen Institution
erreichen. Denn anders als in dem vom Senat im Jahr 1997 entschiedenen Fall (DNotZ
1997, 228 ff.) erfordert die hier vom Beklagten übernommene Tätigkeit eine
eigenverantwortliche Überprüfung. So ist in dem Treuhandantrag der IUI vom
01.02.1999 ausdrücklich vorgesehen, dass der Beklagte die Auszahlungen der auf dem
Anderkonto eingezahlten Beträge (erst) vornehmen darf, wenn der Nachweis der
84
Eintragung in das Aktienregister oder aber die Übersendung der Aktienzertifikate geführt
ist. Der Beklagte war mithin insoweit nicht – wie eine Bank – bloße Zahl- oder
Geldsammelstelle.
cc)
85
Soweit die Klägerin die Ansicht vertritt, dem Beklagten hätte sich auch aufgrund des
Widerspruchs in dem Anschreiben vom 01.02.1999, das in dem Adressfeld eine
Anschrift in E enthält, während als "main office" eine Anschrift in den USA genannt ist,
aufdrängen müssen, dass von ihm eine Handlung verlangt werde, die erkennbar
unerlaubten Zwecken diene, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Es ist durchaus
nicht unüblich, dass eine im Ausland ansässige Firma mit einer Niederlassung in
Deutschland im Adressfeld die Anschrift der Niederlassung nennt. Widersprüchlich ist
dies nicht, zumal in dem Briefbogen sehr deutlich klargestellt wird, wo der Hauptsitz und
wo die Niederlassung der Gesellschaft ansässig sind.
86
dd)
87
Auch der Umstand, dass der Beklagte nach dem Vortrag der Klägerin wusste, dass die
Niederlassung der IUI AG in Deutschland ansonsten unter einer Adresse in H auftrat,
während in dem Anschreiben vom 01.02.1999 und dem darin enthaltenen
Treuhandauftrag eine Anschrift in E genannt wird, führt nicht dazu, dass der Beklagte
ersichtlich davon auszugehen hatte, er wirke mit der Einrichtung des Anderkontos an
unerlaubten Zwecken mit.
88
ee)
89
Allein der Umstand, dass es sich bei der IUI AG um eine Gesellschaft (Incorporated)
amerikanischen Rechts handelt, die den deutschen Zusatz "Aktiengesellschaft" trägt,
musste bei dem Beklagten nicht den Eindruck erwecken, dass die IUI AG unredliche
Ziele verfolgt. Insoweit wird in der angefochtenen Entscheidung zu Recht darauf
hingewiesen, dass die Gesellschaft nach amerikanischem Recht den deutschen Zusatz
haben durfte, da deren Eintragung in das amerikanische Aktienregister ansonsten nicht
möglich gewesen wäre. Dem ist die Klägerin mit der Berufung auch nicht
entgegengetreten.
90
ff)
91
Auch wenn in dem Schreiben vom 01.02.1999, in dem der an den Beklagten gerichtete
Treuhandauftrag enthalten ist, auf einen Verkaufsprospekt der IUI hingewiesen wird, war
der Beklagte – entgegen der Ansicht der Klägerin – nicht gehalten, den
Verkaufsprospekt daraufhin zu untersuchen, ob er den Anforderungen der
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht genügt. Insoweit ist der Notar zu einer
eigenen Nachforschung ohne besonderen Anlass nicht verpflichtet (Hertel in
Eylmann/Vaasen, BNotO/BeurkG, 2. Auflage, § 54d BeurkG, Rdn. 7; Weingärtner, Das
notarielle Verwahrungsgeschäft, 2. Auflage, Rdn. 223/229). Anhaltspunkte, die den
Beklagten zu einer näheren Nachprüfung hätten veranlassen müssen, sind nicht
ersichtlich. Würde man von dem Notar eine derartige Überprüfung ohne jeden äußeren
Anlass verlangen, läge darin – worauf das Landgericht zu Recht hingewiesen hat – eine
Überspannung der notariellen Prüfungspflicht.
92
3.
93
Ebenso wenig hat der Beklagte dadurch gegen seine notariellen Amtspflichten
verstoßen, dass er nach Eröffnung des Anderkontos nicht generell von einer
Auszahlung der hinterlegten Beträge abgesehen hat. Denn der Notar hätte nur dann
Anlass, von einer Auszahlung abzusehen, wenn er gem. § 54d BeurkG bei der
Befolgung der unwiderruflichen Weisung an der Erreichung unerlaubter oder
unredlicher Zwecke mitwirken würde oder einem Auftraggeber im Sinne des § 54a
BeurkG durch die Auszahlung des verwahrten Geldes erkennbar ein
unwiederbringlicher Schaden droht. Auch wenn Gewissheit nicht erforderlich ist und
eine fundierte Gefahr genügt (Hertel in Eylmann/Vaasen, BNotO/BeurkG, 2. Auflage,
§ 54d BeurkG, Rdn. 7), liegen diese Voraussetzung ersichtlich nicht vor.
94
a)
95
Soweit die Klägerin hier darauf abstellt, dass der Beklagte die Unredlichkeit des
Geschäfts jedenfalls aufgrund der Diskrepanz der Wertangabe in dem
Übertragungsvertrag hätte erkennen müssen, in dem der Wert der von der ITE in die IUI
eingebrachten Gesellschaftsanteile mit 100.000, DM angegeben worden war, während
der Wert der dafür auszugebenden Aktien nach dem Verkaufsprospekt ungleich höher
war, musste dieser Umstand den Beklagten ebenfalls nicht zu der Annahme
veranlassen, dass mit der Durchführung des Verwahrungsgeschäftes unredliche
Zwecke verfolgt werden. Vielmehr durfte er davon ausgehen, dass die Wertangabe in
dem von ihm beurkundeten Übertragungsvertrag letztlich von den Beteiligten in ihrem
Kosteninteresse erfolgt und nicht zwangsläufig zutreffen musste. Wenn sich dann aus
anderen Umständen – wie hier etwa aus dem Verkaufsprospekt – ergibt, dass die
Übertragung der Gesellschaftsanteile unter Umständen einen viel höheren Wert hatte,
als die Beteiligten zuvor angegeben hatten muss der Notar hieraus nicht zwangsläufig
schlussfolgern, dass damit die fehlende Seriosität des Geschäftes einhergeht, dem die
Hinterlegung dient.
96
b)
97
Auch der Umstand, dass der dem Beklagten übersandte Verkaufsprospekt der IUI nicht
unterschrieben war, musste bei dem Beklagten nicht zu der Annahme führen, mit der
von ihm durchgeführten Hinterlegung würden unredliche Zwecke verfolgt oder drohe
den Hinterlegern ein unwiederbringlicher Schaden. Insoweit standen für den Beklagten
die in dem Prospekt enthaltenen Informationen im Vordergrund und nicht die Frage, ob
jemand durch seine Unterschrift unter dem Prospekt zum Ausdruck bringt, für den Inhalt
des Prospektes verantwortlich zu sein.
98
4.
99
Entgegen der Ansicht der Klägerin war der Beklagte nach dem ihm erteilten
Treuhandauftrag auch nicht verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die von den
Aktienerwerbern hinterlegten Gelder auch ihrem Sinn entsprechend verwandt werden.
Soweit sich die Klägerin in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des OLG Frankfurt
vom 17.09.2003 (4 U 12/03 – vgl. Anlage 69) beruft, ist der dort zugrunde gelegte
Sachverhalt mit dem hier zu beurteilenden nicht vergleichbar. Denn nach dem dort dem
Notar erteilten Treuhandauftrag hatte er als Treuhänder über das Zeichnungskapital
gemäß dem Mittelverwendungsplan für die Gesellschaft zu verfügen, wobei das OLG
100
den Mittelverwendungsplan, der Regelungen und Anweisungen für die Auszahlung der
Gelder vorsah, als unzureichend ansah, so dass die Verwahrung von vornherein
unzureichend war, um dem angestrebten Zweck der Anleger zu dienen. Eine derartige
Überwachungspflicht hatte der Beklagte hier gerade nicht übernommen.
5.
101
Soweit der Beklagte auf Anweisung des Empfängers die zur Auszahlung anstehenden
Beträge nicht an diesen, sondern an von diesem benannte Dritte vorgenommen hat, war
er dazu nach dem ihm erteilten Treuhandauftrag ebenfalls berechtigt. Denn der dem
Beklagten mit Schreiben vom 01.02.1999 erteilte Treuhandauftrag sah ausdrücklich vor,
dass die Auszahlungen selbst an die I2 AG oder aber an entsprechend von ihr
bezeichnete Empfänger vorzunehmen sind. Eine solche Anweisung des
Empfangsberechtigten wäre im Übrigen auch nachträglich noch möglich gewesen. Dass
die hier bekannt gewordenen Auszahlungsanweisungen vom 28.10.1999 und
03.11.1999 telefonisch erfolgten und von dem Beklagten auch so hingenommen worden
sind, stellt zwar einen Verstoß gegen das Schriftlichkeitsgebot des § 54a Abs. 4 BeurkG
dar, jedoch dient diese Vorschrift lediglich Dokumentationszwecken und hat insoweit
keinen die Klägerin schützenden Charakter. Soweit die Klägerin in diesem
Zusammenhang weiter behauptet, dass der die Anweisung erteilende Herr L von der
Empfangsberechtigten IUI AG dazu nicht bevollmächtigt gewesen sei, hat sie für diesen
vom Beklagten bestrittenen Vortrag keinen Beweis angetreten und ist insofern
beweisfällig geblieben. Unabhängig davon würde aber auch der zwischen einer
möglichen Amtspflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden erforderliche
Zurechnungszusammenhang fehlen. Hätte nämlich der Beklagte – wie die Klägerin
meint – pflichtgemäß nur an die IUI AG auszahlen können, muss nach den
Gesamtumständen unter Zugrundelegung des eigenen Vortrags der Klägerin als
überwiegend wahrscheinlich angesehen werden, dass diese dann ihrerseits die ihr
überwiesenen Gelder entsprechend den erteilten Anweisungen verteilt hätte, so dass
das Verhalten des Beklagten für einen etwaigen Schaden der Klägerin nicht ursächlich
geworden wäre. Denn insoweit ist auch der Vortrag des Beklagten unbestritten
geblieben, dass sich am Kausalverlauf dann nichts geändert hätte, wenn er die
Auszahlung unmittelbar auf ein Konto der IUI AG vorgenommen hätte, da die Gelder
dann von diesem Konto an die Empfänger weitergeleitet worden wären (Bl. 284 GA).
102
6.
103
Eine Amtspflichtverletzung des Beklagten ist jedoch anzunehmen, soweit er den von der
Klägerin (und ihrer Schwester) am 27.10.1999 hinterlegten Betrag in Höhe von
72.000, DM jedenfalls bis zum 18.02.2000 – wie sich aus dem von ihm unter diesem
Datum gefertigten Schreiben ergibt – ausgezahlt hat. Denn die Auszahlung erfolgte
entgegen dem Treuhandauftrag, der dem Beklagten am 01.02.1999 von der IUI erteilt
worden ist und den zumindest konkludent durch die Eröffnung des Anderkontos
angenommenen hat. Nach dem erteilten Treuhandauftrag durfte der Beklagte eine
Auszahlung der auf dem Anderkonto eingezahlten Beträge nur vornehmen, sobald – zu
ergänzen ist: ihm gegenüber – der Nachweis der Eintragung in das Aktienregister oder
aber die Übersendung der Aktienzertifikate geführt ist. Diese Voraussetzungen lagen im
Zeitpunkt der Verfügung jedoch nicht vor. Zwar hat eine Übersendung eines
Aktienzertifikates stattgefunden, jedoch war das übersandte Zertifikat nicht auf den
Namen der Klägerin (und ihrer Schwester), sondern irrtümlich auf den Namen ihres
Mannes und ihres Schwagers ausgestellt. Bei einer entsprechenden Kontrolle durch
104
den Beklagten hätte ihm dieser Umstand auffallen und ihn zunächst von der Auszahlung
des von der Klägerin hinterlegten Betrages abhalten müssen.
Dabei steht der Umstand, dass die Klägerin dem Beklagten selbst keinen
Treuhandauftrag erteilt hat, der Annahme einer auch ihr gegenüber wirkenden
Amtspflicht nicht entgegen. Auch wenn der Notar die Eröffnung des Anderkontos auf
Ersuchen eines Dritten vornimmt, der nicht selbst hinterlegt oder einzahlt, wird der Notar
auch gegenüber den Personen, die anschließend die Einzahlung vornehmen – mögen
sie ihm auch unbekannt sein – als Treuhänder tätig (Haug, Die Haftung des Notars,
2. Auflage, Rdn. 688). Treugeber oder materiell Beteiligte sind umgekehrt auch
diejenigen Personen – wie hier die Klägerin –, in deren Interesse die Verwahrung erfolgt
und die durch sie – unabhängig davon, wer als formell Beteiligter die Hinterlegung
vorgenommen hat – geschützt werden sollen (OLG Hamm – 15. Zivilsenat –,
DNotZ 2000, 379 (380); Sandkühler in Arndt/Lerch/Sandkühler, 5. Auflage, § 23
Rdn. 16)).
105
a)
106
Für den von der Klägerin vorliegend geltend gemachten Schaden, der sich gerade
daraus ergibt, dass sich die Aktien nach der Insolvenz der IUI offensichtlich als (nahezu)
wertlos erweisen, ist die weisungswidrige Auszahlung des Beklagten jedoch nicht
ursächlich geworden.
107
Bei der Feststellung der Ursächlichkeit der Amtspflichtverletzung für den eingetretenen
Schaden ist zu prüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des
Notars genommen hätten und wie die Lage des Betroffenen wäre, wenn der Notar die
Pflichtverletzung nicht begangen, sondern pflichtgemäß gehandelt hätte (Sandkühler in
Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 5. Auflage, § 19 Rdn. 125). Bei der Prüfung dieser
sogenannten natürlichen Kausalität sind solche Umstände hinzuzudenken, deren
Unterlassung gerade Gegenstand des Vorwurfs der Amtspflichtverletzung ist
(Sandkühler in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 5. Auflage, § 19 Rdn. 125). D.h. weiter,
dass bei einem Notar, der – wie hier – durch positives Tun gegen seine Amtspflicht
verstoßen hat, seine Handlung hinweggedacht und geprüft werden muss, wie sich die
Dinge ohne die pflichtwidrige Handlung entwickelt hätten (BGH DNotZ 1989, 48 (51);
Sandkühler in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 5. Auflage, § 19 Rdn. 126).
108
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist zunächst davon auszugehen, dass der
Beklagte, mit der Feststellung der fehlerhaften Ausstellung des Aktienzertifikates den
von der Klägerin hinterlegten Betrag nicht ausgezahlt hätte. Allerdings muss dann mit
einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit auch davon ausgegangen werden, dass der
Beklagte diesen Umstand der IUI AG mitgeteilt hätte, die dann ihrerseits zeitnah ein
entsprechend geändertes, auf die Klägerin lautendes Zertifikat zur Übersendung an
diese erstellt hätte, so dass sich eine danach erfolgte Auszahlung des Beklagten dann
nicht mehr als pflichtwidrig erwiesen hätte. Für die Annahme, dass die IUI in diesem
bereits für sich genommen als lebensnah anzusehenden Sinne reagiert hätte, spricht
insbesondere auch der Umstand, dass es der IUI nach dem eigenen Vortrag der
Klägerin gerade darauf ankam, in betrügerischer Absicht Gelder zu vereinnahmen, so
dass nahezu mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass die Gesellschaft
alles getan hätte, damit das hinterlegte Geld an sie ausgekehrt wird.
109
b)
110
Soweit darüber hinaus ein Schaden oder die Anlage eines Schadens darin gesehen
werden kann, dass in dem übersandten Aktienzertifikat nicht die Klägerin und ihre
Schwester, sondern ihr Ehemann und ihr Schwager als dessen Inhaber ausgewiesen
sind, wird dies von der Klägerin nicht geltend gemacht, da ihr (und ihrer Schwester) das
Aktienzertifikat nach ihrem eigenen Vorbringen erster Instanz zwischenzeitlich durch
ihren Ehemann und ihren Schwager übertragen worden ist.
111
Unabhängig davon hat sich der Beklagte hinsichtlich eines sich möglicherweise aus der
fehlenden Berechtigung der Klägerin ergebenden Schadens mit Erfolg auf die Einrede
der Verjährung berufen.
112
Gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1, Abs. 4 S. 2 EGBGB bemessen sich vorliegend Dauer und
Beginn der Verjährung nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches in der bis
zum 31.12.2001 geltenden Fassung. Nach § 852 Abs. 1 BGB a.F. verjährt der Anspruch
auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens in drei Jahren
von dem Zeitpunkt an, in dem der Verletzte von dem Schaden und der Person des
Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Diese Kenntnis hatte die Klägerin jedenfalls im Laufe
des Jahres 2001 erlangt, so dass die am 05.04.2006 anhängig gemachte Klage die
bereits im Jahr 2004 abgelaufene Verjährungsfrist nicht mehr hemmen konnte, § 204
Abs. 1 Nr. 1 BGB, Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 2 EGBGB.
113
aa)
114
Die Klägerin hatte spätestens im Laufe des Jahres 2001 Kenntnis davon, dass nicht sie
und ihre Schwester in dem übersandten Aktienzertifikat als Berechtigte ausgewiesen
waren, sondern ihr Ehemann und ihr Schwager. Dies ergibt sich bereits daraus, dass
die Klägerin in erster Instanz selbst ausdrücklich mit Schriftsatz vom 09.08.2006 hat
vortragen lassen, dass sie und ihre Schwester von ihren Ehemännern das irrtümlich
ausgestellte Aktienzertifikat übertragen erhalten hätten, so dass ihnen kein
nachweisbarer Schaden entstanden sei (Bl. 165 GA). Selbst wenn man zugunsten der
Klägerin davon ausgeht, dass die Übersendung des Zertifikates nicht bereits zeitnah
zum Zeitpunkt der Auszahlung des hinterlegten Betrages, sondern erst zu dem auf dem
Zertifikat vermerkten Datum (27.03.2001) erfolgt ist, hatte sie jedenfalls im Jahr 2001
Kenntnis von der Schadensanlage.
115
Soweit die Klägerin diese Kenntnis mit der Berufung bestreitet, indem sie in Abrede
stellt, das "fehlerhafte" Zertifikat überhaupt erhalten zu haben, da es ebenso fehlerhaft
an ihren Ehemann adressiert worden sei, steht dies im Widerspruch zu ihrem
ausdrücklichen Vorbringen in erster Instanz und ist daher nicht zu berücksichtigen. Die
hierzu von der Klägerin vor dem Senat abgegebene Erklärung, dass der Inhalt der
Schriftsätze in erster Instanz durch Herrn T2 vorgegeben worden sei, vermag sie
insoweit nicht zu entschuldigen.
116
bb)
117
Darüber hinaus hatte die Klägerin bereits im Frühjahr 2000 Kenntnis davon, dass der
Beklagte auch das von ihr hinterlegte Geld von dem Anderkonto ausgezahlt hatte. So
war es in erster Instanz unstreitig, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von
dem Inhalt des an ihren Ehemann und ihren Schwager gerichteten Schreibens des
Beklagten vom 18.02.2000 hatte. Der diesbezügliche Vortrag des Beklagten (Bl. 117
118
GA) ist von ihr nicht bestritten worden. Zudem hatte Rechtsanwalt T2, der im Termin zur
mündlichen Verhandlung als Beistand des Prozessbevollmächtigten der Klägerin
aufgetreten war, ausdrücklich erklärt, dass das Schreiben des Beklagten vom
"18.02.2002 (Anlage K 33 A)" zwar an den Ehemann der Klägerin gerichtet gewesen
sei, es aber auch der Klägerin bekannt gemacht worden sei. Soweit sie nunmehr mit der
Berufung ebenfalls bestreitet, von dem Inhalt des Schreibens vom 18.02.2000 Kenntnis
gehabt zu haben, steht dies nicht nur zu dem in erster Instanz unbestritten bebliebenen
Vortrag des Beklagen in Widerspruch, sondern widerspricht auch den von Rechtsanwalt
T2 ausdrücklich gemachten Angaben. Die Klägerin kann sich insoweit auch nicht darauf
zurückziehen, dass Herr T2 nur informell und nicht als Zeuge befragt worden sei. Denn
dies berücksichtigt nicht, dass er ausweislich des Protokolls ausdrücklich als Beistand
der Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufgetreten ist. Keinen Erfolg hat auch der
Hinweis der Klägerin, dass Rechtsanwalt T2 Bezug auf ein Schreiben vom 18.02.2002
genommen und gerade nicht erklärt habe, dass sie Kenntnis von dem Schreiben vom
18.02.2000 habe. Denn allein schon die weitere Bezugnahme auf die "Anlage K 33"
identifiziert das tatsächlich gemeinte Schriftstück in eindeutiger Weise.
cc)
119
Ein hiervon abweichender Beginn der Verjährung, der den Besonderheiten der Haftung
nach § 19 Abs. 1 BNotO Rechnung trägt, ist nicht anzunehmen. Ein solcher wäre nur
dann gegeben, wenn sich nicht von vornherein ausschließen ließe, dass der Notar
subsidiär haftet und somit eine anderweitige Ersatzmöglichkeit in Betracht kommt. In
diesem Fall beginnt die dreijährige Verjährung erst mit Kenntnis oder der grob
fahrlässigen Unkenntnis des Geschädigten, dass eine anderweitige Ersatzmöglichkeit
nicht besteht (Sandkühler in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 5. Auflage, § 19 Rdn. 227).
Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Geschädigte – wie hier – sicher davon ausgehen
kann, dass er auch bei nur fahrlässiger Amtspflichtverletzung nicht auf eine
anderweitige Ersatzmöglichkeit verwiesen werden kann, weil er Auftraggeber eines
Amtsgeschäfts der in § 23 BNotO bezeichneten Art war (vgl. Sandkühler in
Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 5.Auflage, § 19 Rdn. 226). Auch wenn es der BGH
(ZNotP 1999, 247 (250)) ausdrücklich offengelassen hat, ob als Auftraggeber auch dritte
Personen anzusehen sind, mit denen der Notar zwar nicht in Kontakt kommt, deren
Interessen er aber nach dem Inhalt seiner Amtstätigkeit zugrunde liegenden Ansuchens
wahrnehmen soll, ist nach Ansicht des Senats davon auszugehen, dass der Kreis der
"Autraggeber" auch die Personen umfasst, die – wie hier die Klägerin – nach der
Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter auch zum Kreis der
geschützten Personen gehören (vgl. Sandkühler in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO,
5. Auflage, § 19 Rdn. 195b).
120
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
121