Urteil des OLG Hamm vom 29.06.2010
OLG Hamm (fahrverbot, amtliches kennzeichen, freies ermessen, geschwindigkeitsüberschreitung, umstände, erhöhung, staatsanwaltschaft, dauer, höchstgeschwindigkeit, monat)
Oberlandesgericht Hamm, III-3 RBs 120/10
Datum:
29.06.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
III-3 RBs 120/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Bielefeld, 37 OWi 63 Js 1442/09 (628/09)
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
Die Betroffene wird wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41
km/h zu einer Geldbuße in Höhe von 100,- Euro verurteilt.
Der Betroffenen wird für die Dauer von einem Monat verboten, im
Straßenver¬kehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen.
Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein nach
Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens
jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.
Die Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten
der Rechtsbeschwerde.
Verstoß gegen §§ 41 Abs. 1 (Zeichen 274); 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24
StVG
Gründe:
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I.
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Das Amtsgericht Bielefeld hat gegen die Betroffene mit Urteil vom 16. März 2010 wegen
fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb
geschlossener Ortschaft eine Geldbuße in Höhe von 400,- Euro festgesetzt, von der
Verhängung eines Fahrverbotes gegen sie allerdings abgesehen.
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Nach den zugrundeliegenden Feststellungen hat die Betroffene, die von Beruf
Schauspielerin ist, am 20. Januar 2009 um 7.01 Uhr auf der BAB A 2 in Fahrtrichtung I
bei Kilometer ### mit dem PKW - amtliches Kennzeichen ##-## ##, die dort durch 3
beidseitig aufeinanderfolgende Verkehrszeichen – teils mit Zusatz "Radarkontrolle" -
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angeordnete Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h missachtet.
Die Messung des von ihr geführten Fahrzeuges mittels der stationären
Geschwindigkeitsmessanlage des Typs Traffipax Traffistar S 330 ergab eine
gemessene Geschwindigkeit von 146 km/h, die nach Abzug eines Toleranzwertes von 5
km/h eine der Betroffenen vorwerfbare Geschwindigkeit von 141 km/h und damit eine
Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 41 km/h ergibt. Von der
Verhängung des bei einer derartigen Geschwindigkeitsüberschreitung gemäß § 4 Abs.
1 Nr. 1, lfd. Nr. 9.3 i.V.m. Tabelle 1, Buchstabe c) BKatV in der Regel in Betracht
kommenden Fahrverbotes hat das Amtsgericht mit folgenden Erwägungen abgesehen:
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"Bei der verhängten Rechtsfolge hat sich das Gericht an den Regelfolgen des
Bußgeldkatalogs orientiert, wobei unter Wegfall des Fahrverbots die Geldbuße
(Regelsatz 100,- Euro) deutlich erhöht wurde. Dafür waren folgende Erwägungen
maßgeblich:
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Der Grenzwert für ein Fahrverbot ist nur soeben erreicht. Einschlägige Voreintragungen
liegen mehrere Jahre zurück und waren praktisch nicht mehr zu berücksichtigen, da nur
durch einen nicht einschlägigen und auch bereits ca. 2 Jahren zurückliegenden "Handy-
Verstoß" die Tilgungsfrist durchbrochen wurde.
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Die Betroffene ist als Schauspielerin beruflich auf die Fahrerlaubnis zwar vermutlich
nicht existenziell gefährdend angewiesen. Jedoch wäre das Fahrverbot zumindest eine
erhebliche Einschränkung ihrer Mobilität und Flexibilität, da sie an wechselnden
Einsatzorten und durchweg in erheblicher Entfernung von ihrem Wohnort Termine
wahrzunehmen hat. Es kommt hinzu, dass der Verstoß inzwischen deutlich mehr als ein
Jahr zurückliegt, ohne dass die Betroffene die Verzögerung zu vertreten hat. Die mit
einem Fahrverbot bezweckte besondere Mahn- und Warnfunktion erscheint bei
Berücksichtigung der gesamten Umstände und auch des Zeitablaufs nicht mehr
angebracht.
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Die Betroffene erschien auch, wie sie durch ihren Verteidiger vermitteln konnte, durch
das Verfahren und die Aussicht auf ein mögliches Fahrverbot deutlich beeindruckt. Es
kann daher erwartet werden, dass sie sich schon eine erheblich erhöhte Geldbuße zur
Mahnung dienen lässt und es der weiteren Warnfunktion durch ein Fahrverbot nicht
bedarf. Im Hinblick auf die eher überdurchschnittlichen Einkommensverhältnisse der
Betroffenen war die Erhöhung der Regelgeldbuße auf
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400,- Euro angemessen und ausreichend."
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Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Bielefeld am 22. April 2010
Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts
begründet. Das Urteil ist der Staatsanwaltschaft am 21. April 2010 zugestellt worden. Mit
der am 23. April 2010 eingegangenen Rechtsbeschwerdebegründung, mit der die
Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wurde, rügt die
Staatsanwaltschaft Bielefeld, dass das Amtsgericht zu Unrecht von der Verhängung
eines Fahrverbotes unter Erhöhung der Geldbuße abgesehen. Die von dem Amtsgericht
insoweit angeführten beruflichen Nachteile, die sich aus der Verhängung des
Fahrverbotes für die Betroffene ergeben würden, rechtfertigten das Absehen von der
Verhängung des Fahrverbotes nicht, da solche Nachteile in der Regel mit dem
Fahrverbot verbunden seien und das Amtsgericht nicht geprüft habe, ob die Betroffene
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die während der Dauer des Fahrverbotes anfallenden Fahrten nicht durch die
Inanspruchnahme von Fahrdiensten seitens der Produktionsfirmen oder durch
öffentliche Verkehrsmittel zurücklegen könne oder ob es der Betroffenen nicht
zuzumuten sei, für diese Fahrten vorübergehend einen Fahrer einzustellen.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Rechtsbeschwerde beigetreten.
12
II.
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Die form und fristgerecht eingelegte und wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch
beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld ist zulässig und hat
auch in der Sache Erfolg. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch.
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Weiterhin hat der Senat von der sich aus § 79 Abs. 6 OWiG ergebenden Möglichkeit
Gebrauch gemacht, in der Sache selbst zu entscheiden, da der Sachverhalt auch
hinsichtlich der Bemessung der Rechtsfolgen hinreichend geklärt erscheint und neue
oder ergänzende tatsächliche Feststellungen erkennbar nicht getroffen werden können,
zumal dem Senat die Umstände der Berufstätigkeit eines Schauspielers als
allgemeinkundig bekannt sind.
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Das angefochtene Urteil war im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben, weil das Absehen
von der Verhängung des Regelfahrverbotes gegen Erhöhung der Geldbuße gemäß § 4
Abs. 4 BKatV rechtsfehlerhaft war.
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Im Unterschied zu dem Regelfahrverbot in den Anwendungsfällen des § 24 a StVG, in
denen nur Härten ganz außergewöhnlicher Art oder sonstige, das äußere und innere
Tatbild beherrschende, außergewöhnliche Umstände ein Absehen von der Verhängung
des Regelfahrverbotes rechtfertigen können, reichen in den Fällen des
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§ 4 Abs. 1 BKatV zwar möglicherweise schon erhebliche Härten oder eine Vielzahl für
sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände aus, um eine
Ausnahme zu begründen (BGH NZV 1992, 117, 119; OLG Hamm, JMBl NW 1996, 77;
Senat, Beschluss vom 7. März 1996 3 Ss OWi 1304/95 und Beschluss vom 30.09.1996
3 Ss OWi 972/96 ; vgl. auch OLG Naumburg, NZV 1995, 161). Die Entscheidung, ob
trotz der Verwirklichung des Regeltatbestandes der konkrete Einzelfall
Ausnahmecharakter hat, unterliegt dabei in erster Linie der Würdigung des Tatrichters
(BGHSt 38, 231, 237; OLG Hamm, NZV 1997, 185; OLG Karlsruhe,
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VRS 1988, 476). Ihm ist insoweit aber kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen
eingeräumt ist (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). Vielmehr ist der dem Tatrichter verbleibende
Entscheidungsspielraum durch die gesetzlich niedergelegten oder von der
Rechtsprechung herausgearbeiteten Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt
insofern hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen
Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere
hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder
Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der
Verhängung des Regelfahrverbotes nach der BKatV zu zählen ist.
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Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Amtsgericht hier zu Unrecht von der
Verhängung des Regelfahrverbotes gegen die Betroffene abgesehen.
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Das Amtsgericht hat zwar herausgearbeitet, dass die Betroffene als Schauspielerin
vertraglich verpflichtet sei, an wechselnden Einsatzorten und durchweg in erheblicher
Entfernung von ihrem Wohnort berufliche Termine wahrzunehmen.
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Es hat aber die naheliegende Erwägung nicht angestellt, inwieweit der Betroffenen die
Durchführung der hierfür erforderlichen Fahrten unter Zuhilfenahme von z.B. Taxen
möglich und inwieweit ihr ggf. die Einstellung eines Fahrers für die Dauer des
Fahrverbotes zumutbar ist. Die Berücksichtigung dieser Umstände in Verbindung mit
dem erheblichen Umfang der von der Betroffenen begangenen
Geschwindigkeitsüberschreitung, bei der im Hinblick auf das 3-malige Übersehen von
geschwindigkeitsbegrenzenden Verkehrsschildern die Annahme eines grob
verkehrswidrigen Verhaltens offensichtlich ist, führt hier zur Anordnung der Verhängung
eines Fahrverbotes durch den Senat unter Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs des
angefochtenen Urteils.
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Die Betroffene verfügt als Schauspielerin über weit überdurchschnittliche Einkünfte.
Solche Einkünfte sind, was allgemeinkundig ist, bei Schauspielern, die in der
Publikumsgunst zurzeit hoch angesehen und kontinuierlich in den TV-Medien präsent
sind, üblich. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass hier für die Betroffene etwas
anderes gelten sollte. Der Senat konnte daher von einem überdurchschnittlichen
Einkommen der Betroffenen ausgehen. Bei einer derartigen Einkommenshöhe ist aber
jedenfalls angesichts der erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung auch die
Anstellung eines Fahrers für die Betroffene ohne weiteres zumutbar, und zwar auch
eines Fahrers, der bereit wäre, rund um die Uhr für Fahrten der Betroffenen zur
Verfügung zu stehen, wobei diese Erwägungen ggf. auch die Anstellung eines zweiten
Fahrers noch als zumutbar erscheinen lassen. Die hierdurch auftretenden finanziellen
Belastungen hat jeder Verkehrsteilnehmer – so auch die Betroffene - hinzunehmen,
notfalls durch Aufnahme eines Kredits. Im Hinblick auf die verhältnismäßig kurze Dauer
des Fahrverbots von einem Monat, bewegen sich eventuelle finanzielle Belastungen
ohnehin in einem überschaubaren und grundsätzlich zumutbaren Rahmen (OLG
Frankfurt, Beschluss vom 30.10.2009 - 2 Ss OWi 239/09).
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Angesichts der ebenfalls allgemein bekannten Verhältnisse von erfolgreichen
Schauspielern erscheint es dem Senat auch abwegig, in der Verhängung des
Fahrverbotes eine Bedrohung der beruflichen Existenz der Betroffenen zu sehen. Es ist
allgemein bekannt, dass das berufliche Schicksal von Schauspielern in allererster Linie
von ihrem beruflichen Können abhängt. Dass ein Schauspieler allein wegen der
Verhängung eines einmonatigen Fahrverbotes infolge einer
Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr in seiner beruflichen Existenz
gefährdet werden könnte, erscheint vor diesem Hintergrund lebensfremd.
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Zu berücksichtigen ist schließlich auch, dass die Betroffene in den Genuss der
sogenannten 4MonatsFrist des § 25 Abs. 2 a StVG kommt, wodurch sie die
Vollstreckung des Fahrverbotes längerfristig planen und auch – zumindest teilweise - in
eine drehfreie Zeit legen kann.
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Im Ergebnis kann damit ausgeschlossen werden, dass die Verhängung des
einmonatigen Fahrverbotes zu einer erheblichen Härte für die Betroffene führt.
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Der Verhängung des Fahrverbotes steht auch keine Vielzahl für sich genommen auch
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nur gewöhnlicher oder durchschnittlicher Milderungsgründe zugunsten des Betroffenen
gegenüber. So hat die Betroffene das Geschehen durch ihren Verteidiger jedenfalls in
der Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter eingeräumt.
Demgegenüber steht aber das weit überdurchschnittliche Ausmaß der
Geschwindigkeitsüberschreitung und der sich daraus ergebende, besonders gewichtige
Fahrlässigkeitsvorwurf, der der Betroffenen hier zu machen ist. Auch der Umstand, die
Betroffene habe bei der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung lediglich den
Grenzwert, ab der ein Fahrverbot regelmäßig verhängt wird, erreicht, vermag eine
andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. In objektiver Hinsicht beschreiben nämlich die
Tatbestände, für die § 4 Abs. 1 BKatV in Verbindung mit der Anlage und der Tabelle das
Fahrverbot als Regelsanktion vorsieht, ausnahmslos Verhaltensweisen, die besonders
gravierend und Gefahr tragend sind.
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Gegen die Betroffene war daher das Regelfahrverbot von einem Monat gemäß lfd. Nr.
9.3 Tabelle 1 Buchstabe c) BKatV zu verhängen. Gleichzeitig war gegen sie die in den
genannten Bestimmungen ebenfalls vorgesehene Regelbuße von 100, Euro
festzusetzen. Die im angegriffenen Urteil enthaltenen Voreintragungen sind
zwischenzeitlich getilgt und konnten keine Berücksichtigung mehr finden. Angesichts
der Verhängung des Regelfahrverbotes bestand für eine Erhöhung dieser Regelbuße
kein Anlass.
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Andererseits schied hier aus den dargelegten Gründen eine Unterschreitung des
Regelsatzes ebenso aus.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 OWiG, 465 StPO.
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