Urteil des OLG Hamm vom 15.03.2017

OLG Hamm (stpo, strafkammer, beschwerde, sache, akten, haftprüfung, untersuchungshaft, zuständigkeit, falle, oldenburg)

Oberlandesgericht Hamm, 4 Ws 124/74
Datum:
10.06.1974
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ws 124/74
Tenor:
Die Sache wird an das Landgericht Siegen zurückgegeben.
Gründe:
1
Das Amtsgericht hat gegen den Angeklagten am 20. November 1973 Haftbefehl
erlassen unter dem dringenden Tatverdacht des Diebstahls und mit dem Haftgrund der
Fluchtgefahr. Das Amtsgericht - Schöffengericht - Bad Berleburg hat mit Urteil vom 5.
April 1974 gegen den Angeklagten wegen Diebstahls in Tateinheit mit Fahren ohne
Fahrerlaubnis - §§ 242, 243, 17 StGB, § 21 StVG - auf eine Freiheitsstrafe von einem
Jahr drei Monaten erkannt und mit dem danach verkündeten Beschluß auf Haftfortdauer
"aus den Gründen der Anordnung" entschieden. Gegen das Urteil hat der Angeklagte,
am 8. April 1974 Berufung eingelegt.
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Die Akten sind durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft der zuständigen 2.
Strafkammer des Landgerichts Siegen am 16. Mai 1974 zugegangen.
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Unter dem 8. Mai 1974 hatte der Angeklagte gegen die Haftfortdauerentscheidung
Beschwerde eingelegt, die beim Amtsgericht am 14. Mai 1974 eingegangen und von
diesem zu den beim Landgericht befindlichen Akten nachgesandt worden ist.
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Mit Beschluß vom 28. Mai 1974 hat die Strafkammer der Beschwerde mit der
Begründung nicht abgeholfen, der Angeklagte sei aus den Gründen des angefochtenen
Urteils der ihm angelasteten Tat dringend verdächtig und es bestehe nach wie vor der in
der Haftanordnung zutreffend begründete Haftgrund der Fluchtgefahr. Die Strafkammer
hat die Akten dem Senat zur Entscheidung über die Beschwerde des Angeklagten
übersandte.
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Für eine solche Entscheidung das Senats ist kein Raum; die Sache war der
Strafkammer zurückzugeben. Die Präge, wie die Haftbeschwerde in solchen Fällen des
Übergangs auf ein anderes, zu erstinstanzlichen Haftentscheidungen berufenes Gericht
verfahrensrechtlich zu behandeln ist, wird von obergerichtlicher Rechtsprechung und
der Literatur nicht einhellig beantwortet.
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Entgegen OLG Karlsruhe, NJW 1972, 1723, hat das OLG Frankfurt mit Beschluß vom
26.10.1972 (NJW 1973, 478) dem hat sich die Strafkammer hier ersichtlich
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angeschlossen ein Beschwerderecht des Beschuldigten gegen die
Haftfortdauerentscheidung des Amtsgerichts auch nach Erhebung der Anklage zum
Landgericht bejaht und nicht das Landgericht, sondern das Oberlandesgericht in
solchem Fall für sachentscheidungsbefugt gehalten. Es hat im wesentlichen hierin
ausgeführt, aus §§ 117 Abs. 2, 304, 305 StPO ergebe sich zwingend, daß der
Beschuldigte in jedem Stadium des Verfahrens das Haftbeschwerderecht habe; das
könne mit dem Übergang der Haftkontrolle auf ein anderes Gericht nicht verlorengehen.
Zuständig zur Entscheidung sei das OLG gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 2 GVG, weil die
Strafkammer nur zu erstinstanzlichen Haftentscheidungen, nicht gleichzeitig aber zu hier
infrage kommenden Beschwerdeentscheidungen befugt sein könne, ohne daß dies zur
Instanzenverwischung und zur Gefahr der Doppelzuständigkeit führe. Weil so die
Zuständigkeit des Landgerichts entfallen sei, trete deshalb an seine Stelle das ihm
übergeordnete Oberlandesgericht (so auch Dünnebier in MDR 1968, 185; Löwe-
Rosenberg (-Dünnebier), § 125 Anm. 1 a.E.).
Es bedarf keiner Erörterung, daß auch im hier gegebenen Fall, des Übergangs durch
das Rechtsmittel der Berufung das Landgericht für erstinstanzliche Haftentscheidungen
zuständig wird, da insoweit auch für diesen Fall des Übergangs § 126 Abs. 2 StFO
anwendbar ist, Mit der nach § 221 StPO bewirkten Obergabe der Akten an don
Vorsitzenden den Berufungsgerichte ist dieses als "mit der Sache befaßt" in Sinne von §
126 Abs. 2 S. 1 StPO anzusehen.
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Der Senat vermag sich aber der Ansicht des OLG Frankfurt nicht anzuschließen. Er idt
vielmehr mit dem OLG Karleruhe (vgl. Beschluß vom 11.4.1972 in NJW 1972, 1723 -
OLGSt zu § 117 StPO, Seite 3) der Auffassung, daß die Beschwerde des
Untersuchungshäftlings in solchen Fällen des Übergangs als verfahrensrechtlich
überholt anzusehen ist (vgl. ferner OLG Oldenburg, in NJW 1957, 233; OLG Hamm vom
1.3.1957 in 3 Ws 71/57; dasselbe vom 27.1.1967 in 3 Ws 82/67). Maßgebend hierfür ist
in erst er. Linie der Wortlaut des § 126 Abs. 2 S. 1 und 2 StFO, wonach für weitere
erstinstanzliche Haftentscheidungen das jeweils mit der (Haupt-) Sache befaßte Gericht
zuständig ist, außer im Falle der Einlegung der Revision, für den es bei der Haft
Zuständigkeit des iudex a quo verbleibt; ganz ersichtlich soll nach dem Willen des
Gesetzgebers das Revisionsgericht als Beschwerdegericht für weitere erstinstanzliche
Haftentscheidungen erhalten bleiben. Der Übergang der erstinstanzlichen
Haftentscheidungen beinhaltet, daß anstelle des Amtsgerichts nunmehr die
Strafkammer für Maßnahmen nach § 119 StPO zuständig wird, ebenso für die
Durchführung der Haftprüfung - § 117 Abs. 1 StFO -, wenn der Untersuchungshäftling
dies beantragt, Hierbei wäre die Strafkammer befugt zu entscheiden, ob die Aufhebung
des Haftbefehls (§ 120 StPO) oder Maßnahmen nach § 116 StPO verantwortet werden
können oder ob die Untersuchungshaft - unter eventueller Ergänzung der
Haftvoraussetzungen wie der Haftgründe - fortzudauern habe. Bei dieser Lage ist eine
Beschwerde gegen die Haftfortdauerentscheidung des Amtsgerichte in einen Antrag auf
Haftprüfung nach § 117 Abs. 1 StPO umzudeuten, der nach § 117 Abs. 2 StPO ohnehin
vor der Beschwerde den Vorrang hat (so auch OLG Karlsruhe a.a.O.; OLG Oldenburg
a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.).
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Eine solche Haftprüfung hat ... im vorliegenden Falle die Strafkammer, ersichtlich, wenn
auch unter anderer Ansicht über die Verfahrenslage, vorgenommen. Sie hat sich Mit
dem Beschluß von 28. Mai 1974 - unter Ergänzung der Haftvoraussetzungen durch
Bezugnahme auf die Gründe des Urteils erster Instanz und unter besonderem Hinweis
auf die fortdauernden Haftgründe - für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft
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entschieden, damit zum Ausdruck gebracht, daß sie nach Lage der Sache weder eine
Aufhebung des Haftbefehls noch eine Aussetzung der Untersuchungshaft für geboten
erachtet. Diese als Ergebnis ihrer nach § 117 Abs. 1 StPO erfolgten Haftprüfung
anzusehende Entschuldung hat die Strafkammer, weil sie eine
Nichtabhilfeentscheidung zu treffen meinte, daß Angeklagten aber noch nicht zugestellt.
Das ist mit Bedacht auf § 117 Abs. 2 S. 2 StPO nachzuholen.