Urteil des OLG Hamm vom 23.06.2000

OLG Hamm: wohl des kindes, enkelkind, kindeswohl, selbstmord, tod, gespräch, meinung, kinderhort, jugendamt, verdacht

Oberlandesgericht Hamm, 11 UF 26/00
Datum:
23.06.2000
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
11. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 UF 26/00
Vorinstanz:
Amtsgericht Warendorf, 9 F 553/99
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden den Antragstellern
auferlegt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde der Antragsteller ist zulässig, aber nicht begründet.
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1.
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Der Sohn der Antragsteller S L war mit der Mutter des Kindes V verheiratet. Nach der
Geburt der gemeinsamen Tochter V am 09.02.1997 kamen deren Eltern überein, daß
die besserverdienende Mutter weiter erwerbstätig bleiben sollte und der Vater des
Kindes Erziehungsurlaub nehmen sollte, um das Kind zu betreuen und den Haushalt zu
versorgen. Bei dieser Aufgabe wurde er von den Verfahrensbeteiligten zu 1) unterstützt.
V war oft bei den Großeltern, von 1998 an an zwei Tagen in der Woche, nachdem der
Vater des Kindes eine Tätigkeit im Geringverdienerbereich aufgenommen hatte.
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Am 29.03.1999 verstarb der Vater des Kindes V. Nach der Einschätzung der
Antragsteller handelte es sich um Selbstmord, nach den Angaben der Mutter des Kindes
V um einen Unfall.
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In der Folgezeit wurde Viola von Montag bis Freitag während der berufsbedingten
Abwesenheit ihrer Mutter von den Großeltern betreut. Seit dem 02.08.1999 besucht V
auf Wunsch der Mutter eine Kindertagesstätte, und zwar zunächst von 08.00 bis
11.00 Uhr. Dann wurde das Kind von den Großeltern abgeholt und bis zur Rückkehr der
Mutter von der Arbeit von diesen betreut. Die Großeltern waren mit dem Besuch der
Kindertagesstätte durch V nicht einverstanden. Wegen der Meinungsverschiedenheiten
über die Erziehung des Kindes und weil der Mutter von V von den Großeltern
vorgeworfen worden ist, sie trage Verantwortung am Tod ihres Mannes, kam es zu so
schweren Spannungen zwischen den Großeltern und der Mutter, daß sich die Mutter
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von V entschloß, den Kontakt zu den Schwiegereltern abzubrechen und V nicht mehr zu
den Großeltern zu lassen. Seit dem 20.08.1999 finden Besuchskontakte nicht mehr statt.
Die Antragsteller haben daraufhin beim Amtsgericht beantragt, ihnen ein Besuchsrecht
mit ihrem Enkelkind einzuräumen. Das Amtsgericht hat eine Stellungnahme des
Jugendamtes eingeholt und die Antragsteller, die Antragsgegnerin angehört. Sodann
hat es das Begehren der Antragsteller zurückgewiesen und den Umgang der Großeltern
mit ihrem Enkelkind für die Dauer eines Jahres ausgeschlossen. Zur Begründung hat es
im wesentlichen ausgeführt, die Besuchskontakte entsprächen nicht dem Wohl des
Kindes V, da das Verhältnis zwischen den Großeltern und der Mutter von V
schwerwiegend gestört sei. Die Durchführung der Besuchskontakte in einer
ungestörten, das Kind nicht belastenden Atmosphäre sei daher nicht möglich.
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Gegen diese Entscheidung wenden sich die Antragsteller mit der Beschwerde, mit der
sie erreichen möchten, daß ihnen ein Umgangsrecht mit dem Enkelkind an zwei
Nachmittagen in der Woche eingeräumt wird. Zur Begründung tragen sie im
wesentlichen vor, die Besuchskontakte zwischen den Großeltern und ihrem Enkelkind
entsprächen schon deshalb dem Kindeswohl, weil der Umgang von V mit seinen
Großeltern für die Entwicklung des Kindes förderlich sei. Zwischen den Großeltern und
dem Enkelkind hätten sich bis August 1999 enge Bindungen entwickelt und häufige
Kontakte stattgefunden, die nicht abgebrochen werden dürften. Den Großeltern dürfe nur
ausnahmsweise das Recht auf den Umgang mit dem Kind versagt werden, wenn das
Kindeswohl sonst gefährdet wäre.
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Die Mutter verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie wirft den Antragstellern vor,
sich in die Erziehung einzumischen. Deshalb und wegen der Vorwürfe bezüglich des
Todes ihres Ehemannes sei das Verhältnis so schwerwiegend gestört, daß im Interesse
des Kindeswohls Besuche nicht stattfinden könnten.
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Wegen des Sachverhalts im übrigen wird auf die Akte Bezug genommen.
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2.
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Die Voraussetzungen für Besuchskontakte der Großeltern mit ihrem Enkelkind V sind
nicht gegeben. Gemäß § 1685 I BGB haben Großeltern nur dann ein Recht auf Umgang
mit dem Kind, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient. Das Umgangsrecht der
Großeltern soll somit nach der gesetzlichen Regelung in verhältnismäßig engen
Grenzen gehalten werden. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern und
den Großeltern über den Umgang ist zu beachten, daß das Erziehungsrecht der
personensorgeberechtigten Eltern grundsätzlich Vorrang hat (Johannsen/Henrich,
Eherecht, 3. Aufl., § 1685, Rn. 5). Der Nachweis, daß die Besuchskontakte dem
Kindeswohl dienen muß von den Großeltern geführt werden (Palandt/Diederichsen,
BGB, 59. Aufl., § 1685, Rn. 9).
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Die Feststellung, daß im Interesse des Kindes V Besuche mit den Großeltern stattfinden
sollen, läßt sich hier nicht treffen. Zwar liegt es im Normalfall im Interesse des Kindes,
zwischenmenschliche Beziehungen zu seinen Großeltern aufzubauen und diese durch
Besuche weiter zu pflegen. Durch die häufigen Besuche des Kindes bei den Großeltern
in der Vergangenheit und die Mithilfe der Großeltern bei der Betreuung und Versorgung
des Kindes sind zweifellos auch Bindungen entstanden. Inzwischen ist es aber zu einer
nachhaltigen und tiefgreifenden Störung in der Beziehung der Großeltern zur Mutter von
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V gekommen. Es bestehen schwere Meinungsverschiedenheiten über die richtige
Erziehung des Kindes. Die Entscheidung der Mutter, daß das Kind einen Kinderhort
besucht, ist von den Großeltern nicht akzeptiert worden. Sie halten diesen Besuch nicht
für richtig. Die Mutter ist auch der Meinung, daß sich die Großeltern in anderen Fragen
in die Erziehung einmischen und ihre Erziehungsziele nicht akzeptieren. Schwere
Meinungsverschiedenheiten bestehen auch bezüglich der Frage, wie mit dem Tod des
Vaters von V umgegangen werden soll. Während die Großeltern die Erinnerung von V
an den Vater wachhalten möchten, ist die Mutter der Meinung, das Kind solle zunächst
mit dieser Erinnerung nicht konfrontiert werden. Der von den Großeltern erhobene
Vorwurf, die Mutter von V sei für den Tod ihres Mannes mitverantwortlich, hat in
besonders schwerwiegender Weise zur Störung des Verhältnisses beigetragen. Der
Großvater hält auch an diesem Vorwurf fest. Er hat noch bei der Anhörung durch das
Amtsgericht geäußert, sein Sohn habe Selbstmord begangen. Er hat den Verdacht
geäußert, daß die Mutter von V dafür die Verantwortung trage. Diese Verdächtigung ist
für die Mutter von V um so schwerer hinzunehmen, weil die Großmutter bei ihrem
Gespräch mit den Mitarbeitern des Jugendamts im April 2000 erklärt hat, die Vermutung,
daß es sich um Selbstmord handele, sei durch nichts belegt. Als Folge dieser
tiefgreifenden Differenzen ist das Verhältnis der Großeltern zu ihrer Schwiegertochter so
schwerwiegend gestört, daß es nach der Einschätzung des Jugendamtes in seinem
Bericht vom 02.05.2000 nahezu keine Möglichkeit einer Annäherung gibt. Schon in dem
ersten Bericht vom 19.10.1999 hat das Jugendamt festgestellt, daß ein konfliktfreies
Gespräch zwischen den Großeltern und der Mutter nicht möglich sei und daß sich die
Mutter ein gemeinsames Gespräch mit den Großeltern zur Zeit nicht vorstellen könne.
Zu Recht ist das Amtsgericht zu dem Ergebnis gelangt, daß bei einem derartig
gespannten Verhältnis nicht angenommen werden kann, daß die Besuche von V bei
den Großeltern für das Kind konfliktfrei verlaufen. Vielmehr ist zu erwarten und zu
befürchten, daß die Großeltern und die Mutter nicht in der Lage sind, die zwischen ihnen
bestehenden schweren Differenzen von dem Kind fernzuhalten. Es spricht vieles dafür,
daß das Kind die Meinungsverschiedenheiten merken wird und durch die
Besuchskontakte in eine Konfliktsituation gelangen wird. Die Durchführung von
Besuchskontakten in einer so spannungsgeladenen und für das Kind belastenden
Situation sind für das Kindeswohl nicht förderlich.
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Da sich somit nicht feststellen läßt, daß die von den Großeltern angestrebten
Besuchskontakte dem Kindeswohl dienen, war die Beschwerde zurückzuweisen und
die Entscheidung des Amtsgerichts zu bestätigen.
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3.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a I FGG.
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