Urteil des OLG Hamm vom 15.03.2017

OLG Hamm (ddr, antragsteller, avg, rente, zpo, trennung, scheidung, härte, grund, versicherungsträger)

Oberlandesgericht Hamm, 3 UF 239/79
Datum:
25.10.1979
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Senat für Familiensachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 UF 239/79
Vorinstanz:
Amtsgericht Recklinghausen, 45 F 124/77
Tenor:
Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 4. Mai 1979
verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Recklinghausen
wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
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Der jetzt 72 Jahre alte Antragsteller und die 71-jährige Antragsgegnerin haben am ... die
Ehe miteinander geschlossen, aus der zwei inzwischen volljährige Kinder
hervorgegangen sind. Nach 1945 fand die Antragsgegnerin mit den Kindern in der Nähe
von ... (DDR) eine neue Heimat, während der Antragsteller in der Bundesrepublik Fuß
faßte. Spätestens seit 1949 lebten beide voneinander getrennt. Mehrere
Scheidungsklagen des Antragstellers, der inzwischen Beziehungen zu einer anderen
Frau aufgenommen hatte, blieben in der Folgezeit wegen des Widerspruchs der
Antragsgegnerin ohne Erfolg.
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Beide Parteien sind Rentner. Der Antragsteller bezieht zur Zeit eine Knappschaftsrente
in Höhe von 1.538,70 DM monatlich und eine Unfallrente wegen einer Berufskrankheit.
Die Antragsgegnerin erhält vom Sozialversicherungsträger der DDR, dem ... - Abt.
Sozialversicherung -, eine Altersrente in Höhe von 290,- DM monatlich. Außerdem zahlt
ihr der Antragsteller monatlich 50,- DM Unterhalt auf Grund eines Urteils in ... AG ...;
dieser Betrag wird von der Knappschaftsrente abgezogen.
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Mit Schriftsatz vom 07.09.1977 nat der Antragsteller die Scheidung der Ehe beantragt.
Dieser Antrag ist der Antragsgegnerin am 29.08.1978 zugestellt worden. In der
mündlichen Verhandlung am 25.04.1979 hat der Antragsteller einen nachehelichen
Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin in Höhe von 350,- DM monatlich anerkannt.
Diese hat dem Scheidungsbegehren nicht länger widersprochen. Durch Urteil vom
04.05.1979 hat daraufhin das Familiengericht die Ehe der Parteien geschieden und den
Antragsteller gemäß seinem Anerkenntnis zur Zahlung von Unterhalt an die
Antragsgegnerin verpflichtet. Das Verfahren bezüglich des Versorgungsausgleichs hat
es hingegen nach § 628 Abs. 1 Nr. 3 ZPO abgetrennt. Zur Begründung hat das
Familiengericht ausgeführt: Der Versorgungsausgleich sei zur Zeit in Fällen der
vorliegenden Art nicht durchführbar. Außerdem sei ein Hinauszögern der Scheidung für
den Antragsteller, der ein schwerkranker, hilfsbedürftiger Mensch sei, nach 30-jähriger
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Trennung von der Antragsgegnerin eine unzumutbare Härte.
Gegen diese Entscheidung, die der Antragsgegnerin zu Händen ihrer
Verfahrensbevollmächtigten in ... am 09.05.1979 zugestellt worden ist, richtet sich ihre
Berufung vom 29.05.1979, deren Begründung am 15.06.1979 bei Gericht eingegangen
ist. Darin führt sie aus: Das Familiengericht habe fälschlich die Voraussetzungen der
Abtrennung nach § 628 Abs. 1 Nr. 3 ZPO angenommen. § 1317 RVO sei auf einen
Rentenanspruch, der wegen eines Versorgungsausgleiches übergeleitet sei, nicht
anzuwenden.
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Auch die Gestaltung des vorliegenden Falles schließe die Annahme einer
unzumutbaren Härte aus. Es liege somit ein Verfahrensmangel i.V. des § 539 ZPO vor.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht
zurückzuverweisen mit der Maßgabe, einheitlich über Scheidung und
Versorgungsausgleich zu entscheiden.
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Der Antragsteller beantragt,
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die Berufung der Antragsgegnerin zurückzuweisen.
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Er meint, daß hier der typische Fall für eine Abtrennung des
Versorgungsausgleichsverfahrens vorliege, und hält die Maßnahme i.S. des § 628 Abs.
1 Nr. 3 ZPO für rechtens.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen
Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung der Antragsgegnerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht
eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel hat aber in der Sache keinen Erfolg,
weil die Abtrennung des Verfahrens bezüglich des Versorgungsausgleichs im
angefochtenen Urteil keinen Verfahrensmangel i.S. des § 539 ZPO darstellt.
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1)
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Zwar darf gemäß § 628 ZPO dem Scheidungsantrag vor Regelung der Folgesachen nur
in bestimmten Fällen, die als Ausnahme zu betrachten sind, entsprochen werden. Dies
erfordert der Sinn der gesetzlichen Regelung, weil sonst der mit der Einführung des
Verfahrensverbundes erstrebte Erfolg nicht zu erreichen wäre. Zu den Zielen, die mit
dem Prinzip der Entscheidungskonzentration erstrebt werden, gehört nämlich einmal,
den Eheleuten bereits während des Scheidungsverfahrens vor Augen zu führen, welche
tatsächlichen Auswirkungen ihre Trennung mit sich bringt. Zum anderen soll der
Verfahrensverbund den sozial schwächeren Ehepartner, der sich der Ehescheidung
selbst nach der Neuregelung der Scheidungsvoraussetzungen nicht mehr mit Erfolg
widersetzen kann, schützen. Er soll durch den grundsätzlichen Zwang zur einheitlichen
Erledigung der Scheidung und der Folgesachen davor gesichert sein, daß ein
Scheidungsausspruch ohne die Entscheidung über seine Rechte und deren
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Sicherstellung ergeht. Letztlich soll durch den Entscheidungsverbund auch vermieden
werden, daß die Parteien sich nach der Ehescheidung noch jahrelang mit Prozessen,
u.a. über die wirtschaftlichen Folgen der Ehescheidung, befassen müssen (so der
erkennende Senat in seinem Urteil vom 05.10.1978 - 3 UF 501/78 - veröffentlicht in
FamRZ 1979, 165).
2)
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Im vorliegenden Fall widerspricht jedoch die Vorwegentscheidung über den
Scheidungsantrag nicht dem Sinn und Zweck des Entscheidungsverbundes.
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a)
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Soweit indes das Familiengericht die Abtrennung des
Versorgungsausgleichsverfahrens damit begründet hat, daß der Versorgungsausgleich
zur Zeit effektiv nicht durchführbar sei, vermag ihm der Senat nicht zu folgen.
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Zutreffend ist zwar die Auffassung des Familiengerichts, daß eine Rentenzahlung durch
einen Rentenversicherungsträger der Bundesrepublik an die in der DDR lebende
Antragsgegnerin nicht erfolgt. Denn nach §§ 1317 RVO, 96 AVG ruht die Rente eines
Deutschen i.S. des Artikels 116 Abs. 1 GG oder eines früheren deutschen
Staatsangehörigen i.S. des Artikels 116 Abs. 2 Satz 1 GG, solange er sich außerhalb
des Geltungsbereichs dieser Gesetze aufhält. Nicht im Anwendungsgebiet der RVO und
AVG liegt auch die DDR (so die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts,
vgl. NJW 1977, 1935), da die Aufspaltung des einheitlichen
Sozialversicherungsgebietes Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg in mehrere
eigenständige Sozialversicherungssysteme dazu geführt hat daß man nun jeden
Anspruchsberechtigten als schicksalsmäßig verhaftet mit der Entwicklung des
Sozialversicherungsrechts an seinem Wohnsitz angesehen und ihn für die
Geltendmachung von Sozialversicherungsansprüchen an die jeweils zuständigen
Versicherungsträger verwiesen hat (so BSG a.a.O., unter Hinweis auf BSG E 3, 290 ff).
Würde im Gegensatz dazu dem deutschen Rentenberechtigten, der in der DDR lebt und
in das dortige Rentensystem eingegliedert ist, auch von den Sozialversicherungsträgern
in der Bundesrepublik die Rente gezahlt, bekäme er zwei Renten. Diese
Doppelversorgung soll durch §§ 1317 RVO, 96 AVG ausgeschlossen werden (BVerf.GE
28, 104/114).
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Entgegen der Aussicht des Familiengerichts verbieten jedoch §§ 1317 RVO, 96 AVG
nicht eine fiktive Durchführung des Versorgungsausgleichs, der im Falle einer
Übersiedlung der Antragsgegnerin in den Geltungsbereich von RVO und AVG voll zur
Wirkung käme. Denn das Ruhen der Rente berührt den Anspruch nicht, sondern setzt
ihn voraus; das Rentenstammrecht bleibt also erhalten, nur die während des Ruhens
jeweils fällig werdenden Einzelleistungen entstehen nicht (so BSG in SozR Nr. 12, 13
zu § 1302 RVO) Grundlage der Rentenanwartschaft der Antragsgegnerin bei der
Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz, dem für sie zuständigen
Rentenversicherungsträger in der Bundesrepublik sind bis 1945 ihre Beiträge, die sie an
die Sozialversicherungsträger des Deutschen Reiches entrichtet hat und nach 1945 die
nach dem Fremdrentengesetz zu berücksichtigenden Beschäftigungszeiten in der DDR.
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Soweit diese Beitrags Zeiten bei einem DDR-Versicherungsträger zurückgelegt sind,
stehen sie gemäß §§ 15, 17 Abs. 1 lit. a des Fremdrentengesetzes (FRG) vom
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25.02.1960 (BG Bl. I S 93) den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich;
die den Beiträgen zugrunde liegende Beschäftigung oder Tätigkeit steht einer
rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit im Geltungsbereich des
Fremdrentengesetzes gleich. Damit wird der Ehegatte, der sich in der DDR aufhält, über
das FRG so gestellt, als ob er Beiträge im Bundesgebiet entrichtet hätte. Er besitzt ein
Konto in der gesetzlichen Rentenversicherung (die Antragsgegnerin also bei der LVA
Rheinprovinz); ihm stehen Leistungsansprüche zu (die allerdings während seines
Aufenthalts in der DDR ruhen).
Der Ehegatte, der sich in der DDR aufhält, hat demnach für den gleichen Zeitraum
(während der Ehe) zwei Anwartschaften erworben: die bei dem
Rentenversicherungsträger der Bundesrepublik nach § 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB und
eine nach § 1587 a Abs. 2 Nr. 4 BGB gegen den Versicherungsträger der DDR. Da die
Anwartschaften dem Ehegatten aber nur alternativ, nicht kumulativ zustehen, kann er
entweder Leistungen vom Sozialversicherungsträger der DDR oder vom
Rentenversicherungsträger der Bundesrepublik erhalten. Dies hängt davon ab, in
welchem Gebiet er sich aufhält (so auch Schmeiduch in: amtl. Mitt. LVA Rheinprovinz
10/78 S 454).
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Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg in seinem sorgfältig
begründeten Urteil vom 26.10.1978 - 146 F 6494/78 - (veröffentlicht in Fam RZ 1979,
143) verstößt die Durchführung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs nicht
gegen die Schutzvorschriften der §§ 1304 a Abs. 4 Satz 2 und 3 RVO, 83 a Abs. 4 Satz
2 und 3 AVG. Der Schutz dieser Bestimmungen kommt dem Antragsteller der schon
eine Altersrente bezieht, auch nach Durchführung des Versorgungsausgleichs zugute,
solange die Antragsgegnerin nicht im Geltungsbereich von RVO/AVG lebt und daher
von der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik keine Rente bezieht. Erst
wenn die Antragsgegnerin ihre Rente von der ... - und allein darauf ist in diesem
Zusammenhang abzustellen - erhält, tritt die Minderung der Rente des verpflichteten
Antragstellers ein Maßgebend für den Zeitpunkt der Minderung der Rente des
Antragstellers ist also im vorliegenden Fall nicht nur der Eintritt der Rechtskraft der
Entscheidung des Familiengerichts, sondern auch der Beginn der Rentenzahlung an
die Antragsgegnerin aus "ihrer" Versicherung, d.h. von Seiten der .... Eine andere
Auslegung, die den Schutz der §§ 1304 a Abs. 4 Satz 2 und 3 RVO, 83 a Abs. 4 Satz 2
und 3 AVG bereits entfallen läßt, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte außerhalb
des Geltungsbereichs der RVO/AVG eine Altersrente erhält, würde das alternative
Nebeneinander der Sozialversicherungssysteme in der Bundesrepublik und der DDR
sowie die grundsätzliche Unvergleichbarkeit der jeweils gezahlten Renten außer acht
lassen.
25
b)
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Soweit allerdings das Familiengericht im vorliegenden Fall die Abtrennung damit
begründet hat, daß ein weiteres Hinauszögern der Scheidung für den Antragsteller eine
unzumutbare Härte darstellen würde, pflichtet dem der Senat bei.
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Nach den Umständen des vorliegenden Falles ist zum einen davon auszugehen, daß
die gleichzeitige Entscheidung über den Versorgungsausgleich den
Scheidungsausspruch außergewöhnlich verzögern würde. Es ist also damit zu rechnen,
daß hier die Verzögerung, die durch den Entscheidungsverbund normalerweise eintritt
oder leicht eintreten kann, überschritten wird (so OLG Frankfurt, NJW 1978, 1389).
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Diese außergewöhnliche Verzögerung beruht darauf, daß von der zuständigen ...
zunächst die gesamten Versicherungszeiten der Antragsgegnerin zu erfassen und zu
einer entsprechenden "Biographie" zusammenzustellen sind. Dabei tauchen nicht nur
Schwierigkeiten für den Zeitraum vor 1945 auf, sondern gerade auch für die Zeiten ab
1945/46, weil über die Versicherungszeiten Nachweise zu erbringen sind. Grundsätzlich
besitzen zwar die Versicherten selbst, nicht die Sozialversicherungsträger der DDR
Nachweise über die ausgeübten Beschäftigungen für Zeiten ab 1945/46 (so
Schmeiduch a.a.O.,). Soweit jedoch die Sozialversicherungsträger Auskunft geben
müssen, was auch im vorliegenden Fall zumindest für die Zeit bis 1945 anzunehmen ist,
kann nach Mitteilung der LVA Rheinprovinz auf Grund der bisherigen Praxis in
anhängigen Rentenverfahren schwerlich mit einer Auskunfterteilung gerechnet werden,
solange sich der Berechtigte noch in der DDR aufhält. Die Daten aus dem bereits
vorhandenen Rentenbescheid des ...-Abteilung Sozialversicherung - sind jedenfalls
nicht ausreichend für die Erstellung eines vollständingen Versicherungsverlaufs, wie die
mit Schreiben vom 02.02.79 dem Familiengericht auf Anfrage mitgeteilt hat.
Nach den Umständen des vorliegenden Falles, stellt zum anderen die zu erwartende:
Verzögerung für den Antragsteller auch unter Berücksichtigung der Belange der
Antragsgegnerin eine unzumutbare Härte dar. Insoweit weist der Antragsteller zu Recht
auf sein Alter, seinen schlechten Gesundheitszustand und die 30-jährige Trennung der
Parteien hin. Zwar ist eine mehrjährige Trennung zwischen Eheleuten für sich allein
noch kein Grund, eine unzumutbare Härte anzunehmen (so mit Recht OLG Oldenburg,
FamRZ 1979/616/618). Je länger aber eine Trennung andauert und je nachhaltiger
dadurch die eingetretene Entfremdung fühlbar wird, um so mehr kann für den
scheidungswilligen Ehepartner das Bedürfnis dringend werden, seine persönlichen
Verhältnisse entsprechend der über viele Jahre hinweg bestehenden tatsächlichen
Sachlage auch rechtlich geordnet zu wissen. Der Zeitfaktor kann somit schließlich, ohne
daß weitere Umstände hinzutreten müssen, den Charakter der Unzumutbarkeit
annehmen. Wann das eintritt, läßt sich nur bezogen auf den Einzelfall sagen. Bei einer
jahrzehntelangen Trennung indes ist dieser Zeitpunkt jedenfalls erreicht, zumal wenn
sich der Antragsteller wie hier in einem Alter und einem Gesundheitszustand befindet, in
dem seine Lebenserwartung begrenzt ist (so auch OLG Oldenburg a.a.O.,). Die Belange
der Antragsgegnerin werden hingegen durch die Vorwegentscheidung über den
Scheidungsausspruch nicht beeinträchtigt. Solange sie sich in der DDR aufhält, kann ihr
ein möglicher Rentenzuwachs nicht ausgezahlt werden. Und eine Verbesserung ihrer
wirtschaftlichen Situation tritt schon ab Rechtskraft des Scheidungsurteils durch die
Verurteilung des Antragstellers zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 350,- DM ein.
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Die Berufung der Antragsgegnerin ist daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO
zurückzuweisen.
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