Urteil des OLG Hamm vom 30.09.1981

OLG Hamm: schutz der gesundheit, absicht, eingriff, täuschung, scheidungsverfahren, verlöbnis, anfang, wohnung, abweisung, pressemeldung

Oberlandesgericht Hamm, 8 U 186/79
Datum:
30.09.1981
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
8. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 U 186/79
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 22 O 142/79
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 12. Juni 1979 verkündete
Urteil der 22. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abgeändert.
Der Beklagte wird - unter Abweisung, der Klage im übrigen - verurteilt,
an die Klägerin 5.000,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 12. Mai 1979 zu
zahlen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/4, der Beklagte
3/4 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer beträgt für beide Parteien je 5.000,- DM.
Tatbestand
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Die Parteien lernten einander Anfang 1971 kennen und unterhielten bald darauf auch
intime Beziehungen zueinander. Der Beklagte war verheiratet, was die Klägerin wußte.
Im Januar 1977 trennten sich die Parteien wieder.
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Die Klägerin hat den Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch
genommen, weil dieser wahrheitswidrig die Scheidung seiner Ehe in Aussicht gestellt
und ihr die anschließende Eheschließung versprochen habe.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie eine angemessene, der Höhe nach in das
Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung zu zahlen, mindestens jedoch 10.000,-
DM.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat bestritten, der Klägerin die Ehe versprochen und ihr vorgespiegelt zu haben, daß
ein Scheidungsverfahren anhängig sei.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf das Urteil wird Bezug genommen.
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Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist im wesentlichen begründet.
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1.
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Der Klägerin steht ein Schadensersatzanspruch aus Verletzung ihres allgemeinen
Persönlichkeitsrechts zu (§§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB). Der Beklagte hat die
Individual- und Privatsphäre der Klägerin verletzt, denn er hat ihre Möglichkeit zur freien
Entfaltung und Entschließung über lange Zeit dadurch beschränkt, daß er zumindest die
Absicht einer Scheidung vorgetäuscht und damit die Klägerin in der Erwartung einer
demnächstigen Eheschließung bestärkt hat (vgl. zu den Grundlagen des Anspruchs
Palandt/Thomas, BGB, 40. Aufl., § 823, 15 B m.w.N.).
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1.1
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Der gebotene Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist für den vorliegenden
Fall nicht bereits durch spezielle - und deshalb vorrangige - Normen gewährt:
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Ein Anspruch aus § 1300 Abs. 1 BGB kommt unabhängig von den Fragen, ob der
Beklagte der Klägerin die Ehe versprochen hat und ob die Klägerin unbescholten war,
was beides der Beklagte bestreitet, nicht in Betracht. Wegen des Fortbestehens der Ehe
des Beklagten konnte nämlich jedenfalls kein gültiges Verlöbnis zwischen den Parteien
Zustandekommen. Ein möglicherweise denkbarer Ausnahmefall, in dem von dem
Erfordernis eines gültigen Verlöbnisses abgesehen werden könnte, liegt, wie auch das
Landgericht ausführt, nicht vor. Die von der Berufung erwähnten Fällen betreffen
"Verlöbnisse", die eingegangen worden sind, nachdem die Ehe eines der Partner
bereits zerrüttet und ein Scheidungsverfahren bereits eingeleitet worden war. Auch der
Schutzzweck der Norm gestattet keine entsprechende Anwendung auf den
vorliegenden Fall. Die Norm soll nach heutiger Auffassung den immateriellen Schaden
ausgleichen, der durch die Auflösung des Verlöbnisses entsteht. Ein von der
Rechtsordnung nicht anerkanntes "Verlöbnis" kann nicht zu den an seine Wirksamkeit
geknüpften Ansprüchen führen.
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Ansprüche aus §§ 825, 847 Abs. 2 BGB oder wegen Gesundheitsverletzung aus §§ 823
Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB - die nach den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts,
denen die Berufung nichts Erhebliches entgegensetzt, aus tatsächlichen Gründen
ausscheiden - betreffen den Schutz der Geschlechtsehre der Frau bzw. den Schutz der
Gesundheit, währen der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wesentlich
weiter reicht.
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Insofern liegt in den §§ 1300, 825, 847 Abs. 2, 823 Abs. 1 (Gesundheitsverletzung) BGB
auch keine abschließende Regelung.
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1.2
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In tatsächlicher Hinsicht hat der Beklagte von den in zahlreichen Einzelheiten streitigen
Vorgängen jedenfalls folgendes eingeräumt: Die Frage, ob er sich von seiner Frau
scheiden lassen werde, sei ständig zwischen den Parteien erörtert worden. Einmal sei
er zu einer Scheidung bereit gewesen, einmal nicht. Im November 1974 habe er der
Klägerin wahrheitswidrig erklärt, er sei nun entschlossen, sich scheiden zu lassen.
Tatsächlich habe er keine solche Absicht gehabt und daher auch nicht die Absicht, mit
der Klägerin anschließend die Ehe einzugehen. Daß ein Scheidungsverfahren
anhängig sei, habe er der Klägerin nicht vorgespiegelt. Das habe man lediglich Dritten
vorgespiegelt, weil der Klägerin daran gelegen gewesen sei, in ihrem Freundes- und
Bekanntenkreis nicht den Eindruck zu erwecken, sie habe sich mit einem nicht einmal in
Scheidung lebenden verheirateten Mann eingelassen.
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Nach diesen Zugeständnissen des Beklagten hat er die Klägerin nicht nur über seine
Scheidungsabsicht getäuscht und in ihr das Vertrauen geschaffen, daß er sich von
seiner damaligen Frau auch rechtlich lösen wolle, sondern er hat in der Klägerin den
von ihm erkannten unzutreffenden Eindruck erweckt, er werde nach der Scheidung die
Ehe mit ihr eingehen. Selbst wenn der Beklagten nämlich der Klägerin nicht
ausdrücklich die Ehe versprochen haben sollte, wie es die Klägerin behauptet, so war
ihm doch klar, daß die Scheidungsabsicht nur unter dem Gesichtspunkt einer
anschließenden Eheschließung erörtert worden ist. In dieser Erwartung hat der Beklagte
die Klägerin mindestens von November 1974 bis Ende 1976/Anfang 1977 gehalten und
bestärkt. Dabei kann es dahinstehen, ob er sich dazu der von der Klägerin behaupteten
gefälschten Indizien bedient hat. Jedenfalls hat der Beklagte der Klägerin in dieser Zeit
nicht die Wahrheit eröffnet, daß er sich nicht scheiden lassen wolle.
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1.3
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In diesem Verhalten des Beklagten liest ein auch angesichts seiner Dauer von
mindestens über 2 Jahren schwerwiegender und verwerflicher Eingriff in die
Entschließungsfreiheit der Klägerin. Die Auffassung des Landgerichts, der Tatbestand
der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts setze Eingriffe von dritter Seite
voraus, betreffe jedoch nicht die Spannungen und Schwierigkeiten, die sich zwei
Partner in ihrer Beziehung zueinander bereiten, trifft nicht zu. Der Eingriff muß nicht von
einem Fernstehenden kommen, er kann z.B. von einem Ehegatten gegen den anderen
gerichtet sein (Überwachung durch einen heimlich in die Wohnung gebrachten Dritten,
BGH NJW 1970, 1848). Es geht auch nicht um Spannungen und Schwierigkeiten in der
Beziehung der Parteien, sondern darum, daß der Beklagte diese Beziehung durch
Vortäuschen einer Scheidungsabsicht aufrechtzuerhalten oder zumindest sichern zu
müssen glaubte. Wenn es der Klägerin gleichgültig gewesen wäre, ob die Ehe des
Klägers fortbestand, wäre die Täuschung nicht erforderlich gewesen. Das diese
Täuschung für die Fortsetzung der Beziehung der Parteien ursächlich war, ergibt sich
daraus, daß die Klägerin diese Beziehung abgebrochen hat, als ihr die Täuschung
bekannt wurde. Der Beklagte hat die Klägerin durch Vorspiegeln einer jetzt
zugegebenermaßen nicht vorhandenen Scheidungsabsicht in der ohnehin
problematischen Entscheidung bestärkt, ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann
über lange Zeit fortzusetzen. Darüber hinaus sollte dieses Verhältnis nach der Absicht
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des Beklagten nie zu der von der Klägerin berechtigterweise erwarteten Eheschließung
führen. Dieser Eingriff in die Entschließungsfreiheit der Klägerin und damit in ihr
allgemeines Persönlichkeitsrecht rechtfertigt die Zubilligung eines Schmerzensgeldes in
entsprechender Anwendung des § 847 Abs. 1 BGB.
1.4
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Für die Bemessung des Schmerzensgeldes auf 5.000,- DM fiel ins Gewicht: Der
Beklagte hat nicht nur in die innere Persönlichkeitssphäre der Klägerin eingegriffen,
sondern sie darüber hinaus in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis dem Gespött
ausgesetzt. Dazu hat auch die seinem Verhalten der Klägerin gegenüber
entsprechende bigamische Eheschließung am 5.6.1980 in ... beigetragen, die durch
Pressemeldung weite Publizität erfahren hat. Andererseits war zu berücksichtigen, daß
der Beklagten jetzt in schwierigen finanziellen Verhältnissen lebt. Im übrigen war zu
Lasten der Klägerin nicht zu verkennen, daß in dem Verhältnis zu einem verheiraten
Mann stets ein beträchtliches Risiko liegt und daß die Klägerin sich recht lange hat
hinhalten lassen, ohne mißtrauisch zu werden.
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2.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 2 ZPO.
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Verkündet am 30. September 1981
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Mainzer, Justizobersekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des
Oberlandesgerichts
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