Urteil des OLG Hamm vom 15.03.2017

OLG Hamm (rechtliches gehör, rechtskräftiges urteil, strafkammer, beschwerde, meinung, stpo, protokoll, verhalten, sitzung, essen)

Oberlandesgericht Hamm, 2 Ws 53/78
Datum:
04.04.1978
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ws 53/78
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 08.02.1978
Tenor:
Die Beschwerde wird verworfen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; jedoch hat der
Angeklagte die Auslagen der Staatskasse im Beschwerdeverfahren zu
tragen
Gründe
1
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Essen vom 4. Oktober 1977 wegen
Betruges zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 35,00 DM verurteilt worden.
Seine gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat die X. kleine Strafkammer des
Landgerichts Essen durch noch nicht rechtskräftiges Urteil am 8. Februar 1978
verworfen.
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Nachdem der Vorsitzende der Strafkammer in der Sitzung am 8. Februar 1978 den
Urteilstenor verlesen hatte, verließ der Angeklagte unter lautem Protest und mit den
Worten "das Scheißgericht" den Sitzungssaal - der Staatsanwalt hatte auch den
Ausdruck "Idioten" gehört - und trat danach von außen heftig gegen die Tür des
Sitzungssaales, die dadurch aufsprang. Da der Angeklagte nach Verlassen des
Sitzungssaales nicht mehr erreichbar war - ein Sitzungswachtmeister war nicht
anwesend -, setzte die Strafkammer nach Beratung auf Antrag des Sitzungsvertreters
der Staatsanwaltschaft, ohne dem Angeklagten das rechtliche Gehör zu gewähren, eine
Ordnungshaft von drei Tagen gegen ihn fest, weil er, "wie oben festgestellt, sich einer
groben Ungebühr in der Sitzung schuldig gemacht hat". Dieser Beschluß und seine
Veranlassung sind in das Protokoll aufgenommen worden. Anschließend wurde das
Urteil mündlich begründet. Der Ordnungsmittelbeschluß und - in Ablichtung - seine
protokollierte Veranlassung sind dem Angeklagten am 13. Februar 1978 mit
Rechtsmittelbelehrung zugestellt worden.
3
Gegen diesen Ordnungsmittelbeschluß hat der Angeklagte rechtzeitig das als
"Einspruch" bezeichnete Rechtsmittel der Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat
er ausgeführt, er sei über den Ausgang der Berufung enttäuscht gewesen. Er habe den
Saal mit den Worten verlassen, er halte das Gericht für ein Scheißgericht. Das sei seine
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persönliche, freiheitliche Meinung, die er nicht ändere. Es sei aber keine Person
gemeint. Lediglich zu seiner Ehefrau habe er geäußert: "Was sind wir doch für Idioten."
Die Beschwerde ist gemäß § 181 Abs. 1 GVG zulässig, sachlich jedoch unbegründet.
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Grundsätzlich ist dem Betroffenen vor Verhängung des Ordnungsmittels rechtliches
Gehör zu gewähren; eine Anhörung erübrigt sich jedoch ausnahmsweise, wenn der
äußere Tathergang und auch der Ungebührwille außer jedem Zweifel stehen, etwa bei
Roheitsausschreitungen und gröbsten unflätigen Beleidigungen, und eine Anhörung
nicht nur nichts zur Klärung des Falles beitragen kann, sondern nach dem bisherigen
Verhalten des Täters bei Gewährung des rechtlichen Gehörs mit weiteren groben
Ausfällen gerechnet werden muß (vergl, OLG Hamm, Beschluß vom 18. Februar 1977 -
1 Ws 41/77; Löwe - Rosenberg, GVG, 22. Auflage, § 178 Anm. IV 4 mit weiteren
Nachweisen). Äußerer Tathergang und die Motivation des Angeklagten für sein
Verhalten stehen hier zweifelsfrei fest, wie sich auch aus der Beschwerdebegründung
ergibt. Hinzukommt auch, daß der Angeklagte die Möglichkeit, ihm rechtliches Gehör zu
gewähren, dadurch selbst vereitelt hat, daß er sich nach seinem Verhalten aus dem
sitzungspolizeilichen Bereich der Strafkammer entfernte und nicht mehr erreichbar war.
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Grundsätzlich ist der Ordnungsmittelbeschluß zu begründen (§ 34 StPO) und mit den
Gründen in das Protokoll aufzunehmen. Das Fehlen einer Begründung und ihre
Ersetzung durch eine ausdrückliche Bezugnahme auf den Protokollvermerk über die
Veranlassung - wie hier - ist jedoch dann unschädlich, wenn nach der Darstellung im
Protokoll die Gründe der Entscheidung für den Betroffenen außer Zweifel stehen und
auch für das Beschwerdegericht voll erkennbar sind (vergl. OLG Celle in MDR 58, 265
mit weiteren Nachweisen). Vorliegend ist dem Angeklagten der Protokollvermerk über
die Veranlassung in Ablichtung mit dem Ordnungsmittelbeschluß zugestellt worden,
sodaß dem Angeklagten wie auch dem Senat die Gründe der Entscheidung zweifelsfrei
erkennbar sind.
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Nach dem Protokollvermerk steht fest - und der Angeklagte räumt dies auch im
wesentlichen ein -, daß der Angeklagte beim Verlassen des Sitzungssaales
"Scheißgericht" gesagt und danach, von außen heftig gegen die Tür getreten hat, sodaß
sie aufsprang. Es bedarf keiner näheren Darlegung, daß diese Äußerung, die nicht aus
dem grundgesetzlich garantierten Recht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1
GG) gerechtfertigt oder entschuldigt werden kann (Art. 5 Abs. 2 GG), eine grobe
Beleidigung des Gerichts und das heftige Treten gegen die Tür eine Tätlichkeit
darstellen, die nur als grobe Ungebühr in der Sitzung bezeichnet und gewertet werden
können. Daß die Verhaltensweise des Angeklagten auch von Ungebührwillen getragen
ist und nicht, wie er behauptet, auf einem "Enttäuschungsschock" wegen des Ausgangs
der Berufungsverhandlung beruht, ergibt sich auch aus der Beschwerdebegründung, in
der er an seiner Äußerung festhält und seine Meinung nicht zu ändern gedenkt.
Demnach hat die Strafkammer zu Recht gemäß § 178 Abs. 1 GVG ein Ordnungsmittel
gegen den Angeklagten festgesetzt.
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Zweifelhaft ist jedoch, ob die Strafkammer den Ordnungsmittelbeschluß auch auf den
Ausdruck "Idioten" gestützt hat, da diese Äußerung lediglich vom Sitzungsvertreter der
Staatsanwaltschaft gehört worden ist. Sollte dies der Fall sein, so wäre das Vorliegen
einer Ungebühr insoweit zweifelhaft, weil nicht auszuschließen ist, daß der Angeklagte,
wie er behauptet, aus Verägerung diesen Ausdruck lediglich auf sich und seine Ehefrau,
nicht aber auf das Gericht bezogen hat und beziehen wollte.
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Die Art und die Höhe des festgesetzten Ordnungsmittels sind nicht zu beanstanden,
wobei der Senat allein den Ausdruck "Scheißgericht" und die Tätlichkeit zugrunde legt.
Das Ausmaß der begangenen Ungebühr wiegt schon objektiv schwer. Hinzukommt
aber auch, daß der Angeklagte, wie er in seiner Beschwerdeschrift ausgeführt hat, an
seiner Äußerung festhält und seine Meinung nicht zu ändern beabsichtigt.
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Nach alledem war die Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO, bezogen
auf die Auslagen der Staatskasse (§ 464 a Abs. 1 StPO) im Beschwerdeverfahren zu
verwerfen.
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