Urteil des OLG Hamm vom 03.05.2002
OLG Hamm: pauschalpreis, auflage, verrechnung, werkvertrag, vergütung, sicherheitsleistung, vorauszahlung, herausgabe, abrechnung, ergänzung
Oberlandesgericht Hamm, 12 U 155/01
Datum:
03.05.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
12. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 U 155/01
Vorinstanz:
Landgericht Bochum, 14 O 169/00
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 28.06.2001 verkündete
Vorbehalts- und Teilurteil der Vorsitzenden der 14. Zivilkammer -
Kammer für Handels-sachen - des Landgerichts Bochum wird mit der
Maßgabe zurückgewiesen, daß Zinsen wie folgt geschuldet werden:
Aus 181.876,75 EUR (= 355.720,-- DM) in Höhe von 5 % ab 20.04.2000
bis 30.04.2000 und aus 486.136,32 EUR (= 950.800,-- DM) in Höhe von
1 % über dem SRF-Zinssatz der Europäischen Zentralbank ab
01.05.2000 bis 28.11.2000 und in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz
seit dem 29.11.2000.
Wegen des weitergehenden Zinsanspruchs wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden,
wenn nicht die Kläge-rin vor der Vollstreckung Sicherheit in glei-cher
Höhe leistet.
Die Sicherheitsleistung kann auch durch Vorlage einer unbeding-ten
und un-befri-steten selbstschuldnerischen Bürgschaft einer im Gebiet
der Bundes-republik Deutschland als Zoll- und Steuer-bürgin
zugelassenen Bank oder Sparkasse er-bracht werden.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Restwerklohn für ihre Bauarbeiten auf dem
Grundstück I 4/X-Straße 14 bis 16 in X.
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Auf diesem Grundstück sollte in einem ersten Bauabschnitt ein Verwaltungsgebäude an
der X-Straße für die M schlüsselfertig errichtet werden. In einem zweiten Bauabschnitt
sollte ein weiteres Geschäftsgebäude, alternativ ein Hotel, an der Straße I 4 erstellt
werden. Ferner zählte zum 1. Bauabschnitt noch eine Tiefgarage für beide Gebäude.
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Die Parteien schlossen für den ersten Bauabschnitt auf der Grundlage eines Angebots
der Klägerin vom 29.07.1998 am 21.08.1998 einen schriftlichen
Werkvertrag/Generalübernehmervertrag, wonach die Klägerin die Arbeiten zum
Pauschalfestpreis von 5.950.800,00 DM ausführen sollte. Ein Betrag von 5 Millionen DM
wurde der Beklagten gegen Gestellung einer Anzahlungsbürgschaft in dieser Höhe als
Vorauszahlung geleistet. Weiter wurde vereinbart, daß eine Zahlung von 355.720,00
DM brutto bei Rohbauabnahme, die am 25.10.1999 erfolgt ist, zu leisten war.
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Die Klägerin erteilte der Beklagten am 22.02.2000, bei dieser eingegangen am
03.03.2000, über ihre ausgeführten und abgenommenen Arbeiten im ersten
Bauabschnitt ihre Schlußrechnung, in der sie den Pauschalpreis laut Werkvertrag vom
21.08.1998 zuzüglich 23 Nachträgen abrechnet.
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Die Parteien streiten über die Frage der Berechtigung der von der Klägerin
abgerechneten Nachträge, die Herausgabe von Bürgschaften durch die Beklagte, sowie
über von der Beklagten gegenüber der ihrer Auffassung nach berechtigten restlichen
Vergütung der Klägerin von 950.800,00 DM aufgerechneten Vertragsstrafen- und
Schadensersatzansprüche von insgesamt 1.632.040,00 DM.
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Das Landgericht hat durch Vorbehalts- und Teilurteil vom 28.06.2001, auf dessen Inhalt
im einzelnen zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, die
Beklagte verurteilt, an die Klägerin 950.800,00 DM nebst 5 % Zinsen aus 355.720,00
DM für die Zeit vom 26.10.1999 bis 30.04.2000 und weiteren Zinsen in Höhe von 5 %
über dem Basiszinssatz aus 950.800,00 DM seit dem 01.05.2000 zu zahlen. Ferner hat
das Landgericht der Beklagten die Aufrechnung mit im Urteilstenor im einzelnen
genannten Gegenforderungen vorbehalten. Zur Begründung hat das Landgericht im
wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe aus der Pauschalpreisvereinbarung
unstreitig einen fälligen Restwerklohnanspruch in Höhe von 950.800,00 DM, der durch
die streitigen, nicht entscheidungsreifen Gegenforderungen der Beklagten nicht berührt
werde.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerechte Berufung der Beklagten, die
unter Vertiefung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens den Erlaß des
Teilurteils für unzulässig hält und sich auf ihre streitigen Gegenforderungen in die
restliche Vergütung der Klägerin übersteigender Höhe beruft.
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Die Beklagte beantragt,
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1.
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die Klage abzuweisen,
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12
2.
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den Rechtsstreit unter Aufhebung des Vorbehalts- und Teilurteils sowie des
Verfahrens an das Landgericht Bochum zurückzuverweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und tritt unter Vertiefung sowie
Ergänzung ihres Vorbringens aus erster Instanz dem Vortrag der Beklagten entgegen.
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Wegen der Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen in den
Akten verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist bis auf einen Teil der zugesprochenen
Zinsforderung der Klägerin nicht begründet.
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Ein Verstoß des Landgerichts gegen § 148 ZPO und die streitige Frage der
Vorgreiflichkeit des damals noch anhängigen Rechtsstreits zwischen der jetzigen
Klägerin (dortigen Beklagten) und der J GbR X und O- 17 O 176/00 LG Köln - können
dahinstehen. Dieses Verfahren ist inzwischen durch rechtswirkamen Vergleich vom
19.11.2001 erledigt. Im übrigen stand die Anordnung der beantragten Aussetzung im
Ermessen des Gerichts (vgl. Zöller, ZPO, 23. Auflage 2002, § 148 Rdn. 7).
Ermessensfehler des Landgerichts sind nicht ersichtlich.
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Der Erlaß des Vorbehaltsurteils ist zulässig.
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Die Beklagte erhebt zu Recht keine Einwendungen mehr gegen die grundsätzliche
Zulässigkeit eines Vorbehaltsurteils gemäß § 302 Abs. 1 ZPO in der ab 01.05.2000
gültigen Fassung. Diese ist hier anwendbar, weil neue Prozeßgesetze mit Inkrafttreten
auch für anhängige Verfahren wirksam werden, soweit sie nichts abweichendes
bestimmen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO, 60. Auflage 2002,
Einleitung III Rdn. 78) und die entsprechenden Überleitungsvorschriften zum Gesetz zur
Beschleunigung fälliger Zahlungen zu § 302 Abs. 1 ZPO nichts abweichendes bestimmt
haben.
23
Die zuerkannte Restwerklohnforderung von 950.800,00 DM aus der Schlußrechnung
der Klägerin vom 22.02.2000 über 5.623.617,84 DM über ihre fertig gestellten
Leistungen aus dem Werkvertrag der Parteien vom 21.08.1998 über die Errichtung des
Wohn- und Geschäftshauses (1. Bauabschnitt M) X-Straße/I in X ist nach wie vor
unstreitig und entscheidungsreif.
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Insoweit liegen die Voraussetzungen eines prozessualen Geständnisses der Beklagten
im Sinne von § 288 Abs. 1 ZPO vor, weil die Beklagte sich gegenüber dieser Forderung
nur mit ihrer Primäraufrechnung verteidigt hat (vgl. BGH NJW-RR 1996, 699;
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Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO § 288 Rdn. 5).
Anspruchsgrundlage für den Restwerklohn der Klägerin sind §§ 2, 16 VOB/B, § 631
BGB. Die Parteien haben wirksam die Geltung der VOB/B vereinbart. Nach § 2 Ziffer 3
des Werkvertrages vom 21.08.1998 ist die VOB/B nachrangig Vertragsbestandteil.
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Gegen die Fälligkeit und die Höhe des zuerkannten Restwerklohns von 950.800,00 DM
bestehen keine Bedenken.
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Die Klägerin verlangt hinsichtlich der Abrechnung des Hauptauftrages vom 21.08.1998,
um den es im Berufungsverfahren ausschließlich geht, die vereinbarte
Pauschalvergütung von brutto 5.950.800,00 DM abzüglich erhaltene Vorauszahlung von
5 Millionen DM.
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Dieser volle Restbetrag aus dem Hauptauftrag wird zu Recht verlangt. Der Anspruch der
Beklagten auf Sicherheitsleistung ist entfallen. Die Beklagte hat den Bareinbehalt nicht
auf die Aufforderung der Klägerin gemäß § 17 Nr. 6 Abs. 1, 3 VOB/B auf ein Sperrkonto
eingezahlt (vgl. dazu Jagenburg NJW 2000, 2629 ff, 2643; OLG Jena BauR 1999, 1332).
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Die Klägerin hat ihre Leistungen gemäß § 14 VOB/B mit Schlußrechnung vom
22.02.2000 prüfbar abgerechnet. Auf die prüfbare Abrechnung der streitigen
Zusatzforderungen nach § 14 VOB/B, die im übrigen zu bejahen ist, kommt es in diesem
Zusammenhang nicht an, da diese nicht Gegenstand des angefochtenen Urteils sind.
Außerdem ergibt sich aus dem Schreiben der Beklagten vom 07.11.2000, daß sie die
Schlußrechnung der Klägerin inhaltlich überprüft hat. Der zuerkannte Teil-Restwerklohn
bezieht sich ausschließlich auf erbrachte Leistungen der Klägerin, die zum genannten
Pauschalpreis auszuführen waren. Eine Berechnung der Forderung nach der bekannten
Rechtsprechung zum vorzeitig durch Kündigung beendeten Pauschalpreisvertrag
brauchte daher nicht vorgenommen zu werden. Zur Zeit der Kündigung der Beklagten
vom 31.03.2000 waren sämtliche zum Pauschalpreis geschuldeten Leistungen bis auf
einzelne Mängel erledigt und auch abgenommen, wie die Klägerin zutreffend und
unwidersprochen darlegt. Die M hat den Neubau unbestritten ab Anfang 2000
bestimmungsgemäß in Gebrauch genommen (§ 12 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B). Die in der
Abnahmebescheinigung vom 30.03.2000 aufgeführten Mängel stehen der Annahme
einer Abnahme nicht entgegen. Ausdrücklich wird in diesem Protokoll die Abnahme der
Leistungen bescheinigt.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei den geltend gemachten
streitigen und noch nicht entscheidungsreifen Gegenforderungen nicht um den Fall der
Verrechnung nach der Differenztheorie, sondern um echte Aufrechnungen. Hierzu kann
auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils, die mit der
Senatsrechtsprechung übereinstimmen, verwiesen werden. Danach kann eine
gegenüber der Vergütung des Unternehmers zulässige "Verrechnung" nach der
Differenztheorie mit einem Schadensersatzanspruch grundsätzlich nur dann erfolgen,
wenn der Bauherr die mangelhafte Werkleistung insgesamt zurückweist und
Schadensersatz wegen Nichterfüllung des ganzen Vertrages verlangt. Sie ist dagegen
ausgeschlossen, wenn der Bauherr die Werkleistung ganz oder teilweise behält und
Schadensersatz wegen einzelner Mängel geltend macht (vgl. Senatsurteile in OLGR
Hamm 1995, 196; 1998, 58; ferner Urteil vom 09.01.2002 - 12 U 146/00; ebenso OLG
Düsseldorf BauR 2001, 290, 291 m.w.N.). Diese Voraussetzungen für eine Verrechnung
nach der Differenztheorie liegen im vorliegenden Falle nicht vor.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Erlaß des Teilurteils gemäß § 301 Abs. 1
ZPO ebenfalls zulässig, weil es sich um keinen einheitlichen Anspruch handelt. Die
Entscheidung über den restlichen Teil, den weiteren streitigen Anspruch der Klägerin
aus rechtlich selbständigen Zusatzaufträgen und die streitigen
Aufrechnungsforderungen der Beklagten, hat keinen Einfluß auf das Vorbehaltsteilurteil.
Da es sich um keinen einheitlichen Werklohnanspruch der Klägerin handelt und die
noch offene Restforderung selbständige Zusatzaufträge betrifft, besteht im Hinblick auf
das Teilurteil nicht die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen (vgl. dazu BGH NJW
1996, 395).
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Die vorbehaltene Aufrechnung der Beklagten mit ihren streitigen Gegenforderungen und
die Forderung der Klägerin auf Herausgabe von Bürgschaften sind nicht Gegenstand
des Berufungsverfahrens.
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Hinsichtlich der vom Landgericht zugesprochenen Zinsforderung hat die Berufung der
Beklagten in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfange geringen Erfolg.
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Die Zahlung des Teilbetrages von 355.720,00 DM war gemäß § 3 Nr. 1, Abs. 3 des
Werkvertrages der Parteien zwar zahlbar bei Rohbauabnahme, die am 25.10.1999
erfolgt ist. Gegenüber §§ 353, 352 Abs. 1 HGB ist aber bei einem VOB-Vertrag dazu §
16 Nr. 5 Abs. 3 VOB/B die einschlägige Sondervorschrift (vgl. Beck'scher VOB-
Kommentar, Band 2, VOB/B 1997, § 16 Nr. 5 Rdn. 28). Es ist anerkannt, daß nach der
VOB/B keine Fälligkeitszinsen verlangt werden können (vgl. auch Ingenstau/Korbion
VOB, 14. Auflage, B § 16 Nr. 5 Rdn. 277). Die erforderliche Nachfristsetzung nach § 16
Nr. 5 Abs. 3 Satz 1 VOB/B ist nicht dargelegt. Sie ist gemäß § 242 BGB allerdings
entbehrlich geworden durch Schreiben der Beklagten vom 18.04.2000, mit dem die
Beklagte definitiv Zahlungen ablehnt. Dieses Schreiben ist mangels anderweitiger
Anhaltspunkte am 19.04.2000 der Klägerin zugegangen, so daß sie Zinsen seit dem
20.04.2000 in der zugesprochenen Höhe von 5 % verlangen kann. Die Schlußrechnung
der Klägerin ist der Beklagten am 03.03.2002 zugegangen, wie sich aus deren
Schreiben vom 18.04.2000 ergibt. Damit lief die Höchstfrist von 2 Monaten gemäß § 16
Nr. 3 Abs. 1 VOB/B nach dem Stichtag 01.05.2000 ab, so daß die Zinsregelung des §
288 Abs. 1 BGB n.F. eingreift. Da der Vertrag vom 21.08.1998 vor dem Inkrafttreten der
VOB 2000 abgeschlossen worden ist, hat die Klägerin Anspruch auf 1 % Zinsen über
dem SFR-Satz (vgl. Ingenstau/Korbion B § 16 Nr. 5 Rdn. 276) vom 01.05.2000 bis zum
28.11.2000. Prozeßzinsen kann die Klägerin wegen der am 28.11.2000 erfolgten
Zustellung gemäß § 291 BGB n.F. in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem
29.11.2000 verlangen. Die Befugnis des Auftragnehmers, Prozeßzinsen gemäß § 291
BGB zu verlangen, bleibt durch die VOB-Regelung unberührt (vgl. Ingenstau/Korbion
aaO Rdn. 303).
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Wegen der weitergehenden Zinsforderung war das Urteil entsprechend abzuändern und
die weitergehende Zinsklage abzuweisen.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 708 Ziffer 10, 711 ZPO. Die
Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO liegen nicht vor.
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