Urteil des OLG Hamm vom 13.08.2009
OLG Hamm (absehen von strafe, vollstreckung der strafe, ablauf der frist, erwerb, stgb, strafe, stpo, beginn, verteidigung, täter)
Oberlandesgericht Hamm, 3 Ss 323/09
Datum:
13.08.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
3. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 Ss 323/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Bielefeld, 35 Ds 1318/08
Schlagworte:
Doppelverwertungsverbot, Strafzumessung
Normen:
StGB § 47; StGB § 46 Abs. 3; BtMG § 29 Abs. 5
Leitsätze:
1. Wird ein Absehen von Strafe (§ 29 Abs. 5. BtMG) wegen unerlaubten
Erwerbs von Betäubungsmitteln vom Tatrichter mit der Begründung
abgelehnt, dass der Täter durch den regelmäßigen Erwerb von
Marihuana die kriminelle Handlung des Verkäufers unterstützt und auch
erst möglich gemacht habe, so verstößt dies gegen § 46 Abs. 3 StGB.
2. Die Verhängung kurzzeitiger Freiheitsstrafen i.S.v. § 47 StGB kommt
auch beim Erwerb von Betäubungsmitteln in geringer Menge zum
Eigenverbrauch in Betracht, wenn der Täter wegen der über einen
langen Zeitraum hinweg ständig wiederholten Erwerbstaten nicht mehr
als "Probierer" oder "Gelegenheitstäter" eingestuft werden kann. Sie
kommen grundsätzlich auch bei den zeitlich ersten Taten einer Tatserie
in Betracht, wenn bereits diese Taten auf Wiederholung über einen
längeren Zeitraum angelegt waren. Dies muss der Tatrichter aber näher
darlegen.
Tenor:
1. Das angefochtene Urteil wird im Strafausspruch mit den zugehörigen
Fest-stellungen aufgehoben
a) hinsichtlich der Einzelstrafenaussprüche zu den Taten 1 bis 169,
b) im Gesamtstrafenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung
und Ent¬scheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
1
I.
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von
Betäubungsmitteln in 169 Fällen und wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit
vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs
Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
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Nach den Feststellungen des Amtsgerichts erwarb der Angeklagte in der Zeit von
Januar 2005 bis Juni 2008 ca. einmal wöchentlich, mindestens jedenfalls in 168 Fällen
von dem gesondert verfolgten D. jeweils 2 Gramm Marihuana zum Preis von je 20 Euro
zum Eigenkonsum, obwohl er – wie er wußte – die hierfür erforderliche Erlaubnis nicht
besaß. Weitere 2,6 Gramm erwarb er kurz vor dem 24.07.2008 von einem Unbekannten
in einem Park in C, von denen noch ein Rest von
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0,22 Gramm bei ihm gefunden werden konnte. Schließlich befuhr er am 30.10.2008 die
W-Straße in C mit einem PKW, obwohl er – wie er wußte – nicht im Besitz einer
Fahrerlaubnis war. Bei einer Polizeikontrolle legte er einen gefälschten schwedischen
Führerschein vor.
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Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Sprungrevision und rügt die
Verletzung materiellen Rechts, insbesondere bei der Strafzumessung.
6
II.
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Die Revision hat teilweise Erfolg.
8
1.
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Verfahrenshindernisse liegen nicht vor.
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Dass die Anklage einen Zählfehler hinsichtlich der Gesamtzahl der dem Angeklagten
vorgeworfenen Erwerbstaten enthält, begründet noch keinen funktionellen Mangel in
dem Sinne, dass die ihm vorgeworfenen Taten nicht mehr hinreichend identifizierbar
sind. Diese sind vielmehr durch den Anklagesatz und die daraus rechnerisch zutreffend
ermittelbare Gesamtzahl der Taten hinreichend konkretisiert.
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Der Senat legt den gerichtlichen Einstellungsbeschluss gem. § 154 StPO so aus, dass
das Verfahren insoweit eingestellt wurde, als dem Angeklagten mehr als eine
Erwerbstat pro Woche des Tatzeitraums mit der Anklage zur Last gelegt wurde, so dass
eine Erwerbstat pro Woche, höchstens aber – insgesamt – 169 Erwerbstaten
Verfahrensgegenstand geblieben sind (und nicht etwa so, dass etwa die Verfolgung
bzgl. aller Taten ab bzw. bis zu einem bestimmten Zeitpunkt entgestellt worden ist).
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2.
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a) Im Strafausspruch war das angefochtene Urteil in dem aus dem Tenor ersichtlichen
Umfang aufzuheben und insoweit zurückzuverweisen (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO),
da die Erwägungen, mit denen das Amtsgericht in den Fällen 1 bis 169 ein Absehen
von Strafe nach § 29 Abs. 5 BtMG ablehnt, durchgreifenden rechtlichen Bedenken
begegnen.
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Das Amtsgericht führt aus, dass es von der Möglichkeit, von Strafe abzusehen, keinen
Gebrauch gemacht hat, (u.a.) weil der Angeklagte durch den regelmäßigen über 3 ½
Jahre währenden Erwerb von Marihuana die kriminelle Handlung des Verkäufers
unterstützt und auch erst möglich gemacht hat.
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Hierin liegt ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB, da zum Nachteil des Angeklagten
Umstände strafschärfend verwertet wurden, die schon Merkmal des gesetzlichen
Tatbestandes sind. Mit dem Erwerb von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG
ist zwangsläufig die Ermöglichung der Hingabe des Betäubungsmittels durch einen
Dritten verbunden, denn der Tatbestand setzt voraus, dass der Täter die eigene
tatsächliche Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel auf abgeleitetem Wege, das
heißt im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Vorbesitzer durch ein
Rechtsgeschäft erlangt und die Verfügungsgewalt ausüben kann (vgl. Körner BtMG 6.
Aufl. § 29 Rdn. 1276). Dieser Umstand kann daher nicht strafschärfend berücksichtigt
werden. Selbst wenn man, was sich schon aus den Ausführungen des Amtsgerichts
allerdings nicht zweifelsfrei entnehmen lässt, darauf abstellen wollte, dass durch den
Erwerb – der nicht zwangsläufig entgeltlich sein muss – im vorliegenden Fall der
kriminell handelnde Veräußerer wirtschaftlich unterstützt wurde, wäre eine
Strafschärfung deswegen nicht frei von rechtlichen Bedenken. Angesichts des
Umstandes, dass im Regelfall der Erwerb entgeltlich sein wird und der unentgeltliche
Erwerb eher eine Ausnahme darstellen dürfte, wird man eher den unentgeltlichen
Erwerb als strafmildernd und nicht den entgeltlichen Erwerb als strafschärfend zu
bewerten haben (vgl. auch Körner BtMG 6. Aufl. § 29 Rdn. 1329).
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Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht das Urteil. Auch wenn hier angesichts der
Vielzahl von Taten und der Dauer des Tatzeitraums ein Absehen von Strafe eher
fernliegend erscheint, weil der Angeklagte kaum ein "Probierer" oder
Gelegenheitskonsument sein dürfte (vgl. dazu BVerfG NJW 1994, 1477) kann der Senat
seine Wertung nicht an die Stelle des Tatrichters setzen, so dass die Sache insoweit zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen war.
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Da die Einzelstrafenaussprüche in den Fällen 1 – 169 keinen Bestand haben, konnte
auch der Gesamtstrafenausspruch nicht bestehen bleiben.
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b) Der Senat weist darauf hin, dass der neue Tatrichter auch zu prüfen haben wird, ob
(jedenfalls) für die ersten Erwerbstaten tatsächlich die Verhängung einer einmonatigen
Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung nach § 47 StGB unerlässlich ist.
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Grundsätzlich ist dies bei Bagatelltaten im Betäubungsmittelbereich – wie hier – im
Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und unter Berücksichtung der
verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung hinsichtlich der sog. "Probierer" und
Gelegenheitskonsumenten (vgl. BVerfG NJW 1994, 1477) nur unter erhöhten
Voraussetzungen möglich (vgl.: OLG Karlsruhe NJW 2003, 1825). Bei einer sich über
dreieinhalb Jahre hinweg erstreckenden ständigen Wiederholung von Straftaten kann
das allerdings – da hier von einem "Probierer" oder Gelegenheitstäter kaum mehr die
Rede sein dürfte - durchaus der Fall sein. Bei der Verteidigung der Rechtsordnung
kommt es darauf an, welche Bedeutung die Tat und Taten dieser Art als Verletzung der
Rechtsordnung vor allem für den Rechtsgüterschutz haben, inwieweit
Wiederholungsgefahr besteht und wie die Allgemeinheit auf eine Geldstrafe reagieren
würde (BGH Beschl. v. 13.06.1979 – 3 StR 127/79 – juris). Die Ahndung der Taten mit
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bloßen Geldstrafen würde in der Allgemeinheit den Eindruck eines bloßen
"Kavaliersdelikts" bestärken, obwohl doch aufgrund des langen Tatzeitraums und der
Vielzahl der Taten in solchen Fällen eine nachhaltige Gefährdung der durch § 29 BtMG
geschützten Volksgesundheit (vgl. BGH Urt. v. 10.10.1997 – 2 StR 520/97 – juris) zu
gewärtigen ist.
Allerdings gilt dies nicht zwingend für die anfänglichen Taten des Angeklagten zu
Beginn des Tatzeitraums. Hier wird die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur
Verteidigung der Rechtsordnung unter Hinweis auf Tatzeitraum und Vielzahl der Taten
nur dann zu rechtfertigen sein, wenn bereits bei diesen Taten feststand, dass der
Angeklagte kein bloßer "Probierer" oder "Gelegenheitskonsument" mehr war. Dass
wäre z. B. der Fall, wenn sich feststellen ließe, dass der Angeklagte die Phase des
"Probierers" oder "Gelegenheitskonsumenten" bereits vor Beginn des Tatzeitraums
hinter sich gelassen hatte oder er schon mit Beginn des Tatzeitraums eine auf
dauerhafte, regelmäßige Belieferung angelegte "Geschäftsbeziehung" zu dem
Betäubungsmittellieferanten aufgebaut hatte.
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3.
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Im übrigen ist die Revision offensichtlich unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO,
da die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keine
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
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III.
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Der Senat konnte vor Ablauf der Frist gem. § 349 Abs. 3 StPO entscheiden, da die
Gegenerklärung des Angeklagten bereits eingegangen und eine weitere Stellungnahme
nicht angekündigt war.
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