Urteil des OLG Hamm vom 25.09.2002

OLG Hamm: zulässigkeit der auslieferung, spanien, faires verfahren, auslieferungshaft, straftat, haftbefehl, festnahme, entziehen, rechtshilfe, untersuchungshaft

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Oberlandesgericht Hamm, (2) 4 Ausl. 251/02 (101/02)
25.09.2002
Oberlandesgericht Hamm
2. Strafsenat
Beschluss
(2) 4 Ausl. 251/02 (101/02)
Der Antrag auf Erlass eines förmlichen Auslieferungshaftbefehls wird
abge-lehnt.
G r ü n d e :
Ihren Antrag, gegen den Verfolgten die förmliche Auslieferungshaft anzuordnen, hat die
Generalstaatsanwaltschaft wie folgt begründet:
"Die spanischen Behörden haben mit Verbalnote ihrer Botschaft vom 15.08.2002 - Nr.
146 - um Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der ihm in
dem Haftbefehl des Strafgerichts in K vom 16.07.2002 - 282/99 - zur Last gelegten Straftat
ersucht.
Dem Verfolgten wird zur Last gelegt, am 08.09.1998 gegen 22.30 Uhr in X im Hotel X2
der Geschädigten N mehrmals mit der Faust in das Gesicht geschlagen und sie getreten zu
haben, so dass die Geschädigte einen Nasenbeinbruch, eine Platzwunde auf der Nase
und Prellungen am Arm erlitten habe. Außerdem habe der Verfolgte mehrmals den
Hotelwächter N2 geschlagen, als dieser in die Schlägerei eingegriffen habe. Aufgrund der
Schläge habe der Geschädigte N2 eine Verrenkung des rechten Knöchels und
Schürfwunden am rechten Arm erlitten.
Zuvor hatte bereits X3 Spanien durch Vermittlung des Bundeskriminalamtes mit
Funkspruch vom 24.05.2002 um die Festnahme des Verfolgten zum Zwecke der
Auslieferung zur Strafverfolgung wegen der oben bezeichneten Straftat ersucht (Bl. 1 ff der
ursprünglichen Akten 4 Ausl. 167/02 GStA Hamm).
Der Verfolgte war aufgrund des spanischen Festnahmeersuchens am 10.07.2002 unter
seiner Wohnanschrift festgenommen worden und befand sich aufgrund der
Festhalteanordnung des Amtsgerichts Dortmund vom 11.07.2002 - 77 Gs 1021/02 - bis zum
22.07.2002 in Auslieferungshaft in der Justizvollzugsanstalt Dortmund. Hintergrund der
sofortigen Entlassung des Verfolgten am 22.07.2002 war, dass aufgrund des seinerzeit von
den spanischen Behörden mitgeteilten Sachverhalts von der Beantragung eines
vorläufigen Auslieferungshaftbefehls abgesehen wurde.
Die Voraussetzungen für die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft liegen nach
diesseitiger Auffassung nunmehr vor.
Die dem Verfolgten zur Last gelegte Straftat ist sowohl nach spanischem als auch nach
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deutschem Recht zumindest als Körperverletzung strafbar und mit Freiheitsstrafe im
Höchstmaß von mindestens einem Jahr bedroht.
Die Auslieferung des Verfolgten nach Spanien erscheint nicht von vornherein
unzulässig. Die Auslieferungsfähigkeit der ihm vorgeworfenen Straftat ergibt sich aus
Artikel 2 Abs. 1 des EuAlÜbk. Anhaltspunkte dafür, dass der Verfolgte deutscher
Staatsangehöriger sein könnte, liegen nicht vor. Die Auslieferung erscheint auch sonst
nicht von vornherein unzulässig.
Die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft ist geboten, weil der Verfolgte im Falle
der Auslieferung mit der Verhängung einer empfindlichen Freiheitsstrafe in Spanien zu
rechnen hat. Ausweislich des Gerichtsbeschlusses zur Untersuchungshaft des Gerichts in
K vom 16.07.2002 wird gegen den Verfolgten für die ihm zur Last gelegten Straftaten eine
Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten sowie eine Geldstrafe von zwei Monaten
zu einem Tagessatz von 2000 Pta beantragt. Diese Straferwartung stellt einen Fluchtanreiz
dar.
Soweit der Beistand des Verfolgten mit Schriftsatz vom 15.07.2002 (Bl. 36 ff der
ursprünglichen Akte 4 Ausl. 167/02) darauf verweist, der Verfolgte sei Student und habe in
Deutschland einen festen Wohnsitz, vermag dies kein anderes Ergebnis zu begründen, da
sich der Verfolgte seit über drei Jahren der Strafverfolgung in Spanien entzieht. Dabei
stehen gerade die familiären und sozialen Bindungen des Verfolgten in Deutschland der
Erwartung entgegen, er werde sich freiwillig wegen der erhobenen Vorwürfe in spanische
Untersuchungshaft begeben. Dies gilt umso mehr, als der Verfolgte nach Mitteilung seines
Verteidigers nicht davon ausgeht, in Spanien auf ein faires Verfahren hoffen zu können,
weil die Entlastungszeugen nicht bereit wären, zu einer Hauptverhandlung nach Spanien
zu reisen. Es ist daher zu erwarten, dass sich der Verfolgte ohne die Anordnung und den
Vollzug der Aus-
lieferungshaft auch dem weiteren Verfahren durch Flucht entziehen wird.
Die Auslieferungshaft steht schließlich nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache
und der in Spanien zu erwartenden Strafe. Nach Verkündung des beantragten Haftbefehls
wird ggfls. zu prüfen sein, ob und unter welchen Auflagen eine Außervollzugsetzung des
Haftbefehls in Betracht kommt."
Diesen Ausführungen vermag der Senat bei vorläufiger Bewertung insoweit noch
beizutreten, als die Auslieferung nicht von vornherein als unzulässig erscheint.
Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass es sich bei dem Verfolgten, der nach
Ermittlungen der deutschen Polizei mit Vornamen X4 und mit Familiennamen X5 heißt, um
die von den spanischen Behörden gesuchte Person handelt. Zwar haben die spanischen
Behörden insoweit Vor- und Familiennamen vertauscht und sich nach entsprechendem
Hinweis durch das Landeskriminalamt außerstande gesehen, insoweit eine Änderung
vorzunehmen, da die Personalien damals bei der Festnahme nach der Tat in Spanien so
aufgenommen worden seien; doch hat der Vergleich des von den spanischen Behörden
übermittelten erkennungsdienstlichen Materials mit den im Juli 2002 durch die
Kriminalpolizei in Dortmund genommenen Fingerabdrücken zweifelsfrei ergeben, dass es
sich bei dem zunächst im Juli 2002 festgenommenen Verfolgten um die gesuchte Person
handelt.
Der Senat vermag jedoch nicht der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft zu folgen,
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dass die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft derzeit geboten ist, um die weitere
Durchführung des Auslieferungsverfahrens und die Auslieferung des Verfolgten nach
Spanien sicherzustellen.
Zwar kann dem Haftbefehl des Strafgerichts in K vom 16. Juli 2002 entnommen werden,
dass die Anklageschrift vom 23. November 1998 und der Eröffnungsbeschluss zur
Hauptverhandlung vom 30. November 1998 dem Verfolgten am 22. Juli 1999 im Wege der
Rechtshilfe über die Staatsanwaltschaft in Dortmund persönlich zugestellt worden ist mit
der Aufforderung, einen Rechtsanwalt bzw. einen Prozess-
bevollmächtigten zu stellen. Da er dieser Aufforderung nicht gefolgt war, wurde durch das
Gericht in K ein Rechtsanwalt gestellt, der am 13. Oktober 1999 eine entsprechende
Verteidigungsschrift eingereicht haben soll. Zu der auf den 10. Mai 2000 anberaumten
Hauptverhandlung in K ist der Verfolgte nicht erschienen, obwohl er wiederum im Wege der
Rechtshilfe über die Staatsanwaltschaft in Dortmund geladen worden ist. Auf Antrag der
Staatsanwaltschaft wurde die mündliche Gerichtsverhandlung sodann ausgesetzt, weil
eine Verhandlung in Abwesenheit aufgrund der beantragten Strafhöhe nicht möglich war.
Am 24. Mai 2002 wurde ein erster Steckbrief mit Haftbefehl erlassen, der sodann durch den
nunmehr erlassenen Haftbefehl des Gerichts in K vom 16. Juli 2002 ersetzt worden ist.
Gleichwohl ist ein Haftgrund i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG derzeit nicht gegeben. Der
Verfolgte lebt seit rund 20 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland, ist hier zur Schule
gegangen, wohnt weiterhin in E bei seinen Eltern und studiert Telekommunikationstechnik.
Er lebt also in jeder Hinsicht sozial integriert, so dass nicht davon ausgegangen werden
kann, dass er sich dem Auslieferungsverfahren entziehen wird. Nach seinen Angaben vor
dem Amtsgericht Dortmund anlässlich seiner Festnahme im Juli 2002 hat er zudem zum
Ausdruck gebracht, vor etwa drei Jahren von den spanischen Behörden Briefe bekommen
zu haben, die er jedoch seinem Rechtsanwalt übergeben habe, worauf er davon
ausgegangen sei, dass die Sache erledigt worden ist, zumal er auch Geld gezahlt und
lange Zeit nichts mehr von dieser Sache gehört habe.
Zudem hat der Beistand des Verfolgten in der von der Generalstaatsanwaltschaft
erwähnten Schutzschrift vom 15. Juli 2002 zum einen zwar darauf hingewiesen, dass nicht
davon ausgegangen werden könne, dass die Entlastungszeugen bereit wären zu einer
Hauptverhandlung nach Spanien zu reisen. Gleichzeitig hat der Verfolgte jedoch erklären
lassen, dass er im Falle der Zulässigkeit der Auslieferung einen Hauptverhandlungstermin
in Spanien wahrnehmen werde und in diesem Falle auch bereit wäre, sich strengen
Meldeauflagen zu unterwerfen und seine Personalpapiere zu hinterlegen.
Unter den gegebenen Umständen ist nicht ersichtlich, wohin sich der Verfolgte angesichts
seiner festen sozialen Bindungen an seinen deutschen Wohnort und an
seine Familie begeben sollte, um sich dem weiteren Auslieferungsverfahren zu entziehen.
Es erscheint vielmehr naheliegend, dass sich der Verfolgte nunmehr - mit Hilfe seines
Beistands und evtl. eines spanischen Rechtsanwalts - mit dem Gericht in K in Verbindung
setzen wird, um evtl. eine Klärung im Hinblick auf eine künftige Hauptverhandlung und den
Fortbestand des spanischen Auslieferungs-
ersuchens zu erreichen.
Der Senat geht daher derzeit davon aus, dass sich der Verfolgte für das weitere
Auslieferungsverfahren zur Verfügung halten wird, so dass der Antrag der
Generalstaatsanwaltschaft auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls abzulehnen war.