Urteil des OLG Hamm vom 04.07.2001
OLG Hamm: treu und glauben, unrichtige angabe, arglistige täuschung, lieferung, eintrag, verjährung, irrtum, versicherer, kauf, gewinnsucht
Oberlandesgericht Hamm, 20 U 24/01
Datum:
04.07.2001
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 U 24/01
Vorinstanz:
Landgericht Bielefeld, 8 O 258/00
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 13. November 2000
verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird
zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe
1
I.
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Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Sturmversicherung vereinbart sind die AStB
Fassung Dezember 1986 (Bl. 212 ff der Akten) – auf Zahlung einer
Entschädigungsleistung in Anspruch.
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Er behauptet, am 22./23.01.1995 sei es durch versicherten Sturm im Tanzsaal des
versicherten Gebäudes zu einem Dachschaden mit Wassereinbruch gekommen, bei
dem neben dem Dach auch der Fußbden (aufgequollenes Parkett) und Wände zu
Schaden gekommen seien.
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Die Beklagte verweigert Versicherungsschutz. Sie hat den behaupteten
Versicherungsfall und die Schadenhöhe bestritten und sich überdies auf Verjährung
berufen.
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Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage wegen Verjährung
abgewiesen. Hiergegen richtet sich die zulässige Berufung des Klägers.
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Die Beklagte macht im Berufungsrechtszug auch Leistungsfreiheit wegen arglistiger
Täuschung nach § 15 Abs. 2 AStB geltend, weil der Kläger ihr kommentarlos
Handwerkerrechnungen vorgelegt habe, ohne kenntlich zu machen, daß diese nicht nur
Reparaturarbeiten zur Beseitigung der behaupteten Sturmschäden enthalten.
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II.
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Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Beklagte ist dem Kläger nicht nach §§ 1, 49
VVG; 1, 16 AStB zur Entschädigungsleistung verpflichtet.
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Ob – wie das Landgericht angenommen hat – die Verjährungseinrede der Beklagten
durchgreift, kann offenbleiben. Insoweit bedurfte es der Durchführung einer klärenden
Beweisaufnahme nicht.
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Die Beklagte ist nämlich jedenfalls wegen arglistiger Täuschung bei den
Verhandlungen über die Ermittlung der Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AStB
leistungsfrei geworden.
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1)
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Der Kläger hat zur Regulierung des behaupteten Sturmschadens vom 22./23.01.1995
dem Versicherungsagenten N der Beklagten im Jahre 1999 insgesamt vier
Handwerkerrechnungen übergeben (Parkett Waschkau vom 15.07.1997 über
7.498,74 DM netto; Holzhandlung N vom 22.07.1997 über 156,00 DM netto;
Malermeister Q vom 19.08.1997 über 8.228,78 DM netto; Tischlerei Q vom 13.03.1998
über 2.872,60 DM netto). Im Laufe des Deckungsprozesses, in dem der Kläger zunächst
die Netto-Summe dieser vier Handwerkerrechnungen in Höhe von 18.756,12 DM
einklagte, ist unstreitig geworden, daß berechnete Arbeiten in Höhe von insgesamt
4.769,47 DM nicht auf den Sturmschaden zurückzuführen sid. Aus der Malerrechnung Q
vom 19.08.1997 sind dies Arbeiten im Rechnungswert von 3.284,47 DM netto
(Malerarbeiten in der Küche), aus der Tischlerrechnung Q vom 13.03.1998 solche im
Rechnungswert von 1.485,00 DM netto (Lieferung von drei Fenstern).
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Durch die kommentarlose Vorlage der Rechnungen vom 19.08.1997 und 13.03.1998 hat
der Kläger eine arglistige Täuschung im Sinne des § 15 Abs. 2 AStB begangen. Aus
Sicht der Beklagten konnte diese Rechnungseinreichung nur dahin verstanden werden,
daß die darin ausgewiesenen Arbeiten sich allesamt auf die Beseitigung des Schadens
aus dem Versicherungsfall vom 22./23.01.1995 bezogen. Tatsächlich war dies für
Rechnungsarbeiten im Wert von 4.769,47 DM nicht der Fall.
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2)
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Diese objektive Zuvielforderung war der Versuch einer arglistigen Täuschung zum
Nachteil der Beklagten. Arglist setzt voraus, daß der Versicherungsnehmer sich bewußt
ist, daß sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise
beeinflussen kann (BGH VersR 1987, 149). Unter Berücksichtigung des gesamten
Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Anhörung des Klägers nach § 141
ZPO ist der Senat mit der erforderlichen Sicherheit davon überzeugt, daß der Kläger ein
derartiges Täuschungsbewußtsein hatte. Seine im Senatstermin vorgebrachte
Erklärung, er habe bei Übergabe der Rechnungen an den Agenten nicht daran gedacht,
daß sie auch nicht von der Beklagten zu entschädigende Positionen enthielten, stellt
eine bloße Schutzbehauptung dar. Dabei ist nicht verkannt worden, daß nicht jede
objektiv unrichtige Angabe eines Versicherungsnehmers gegenüber seinem Versicherer
zwangsläufig auf Arglist beruht. Im Streitfall kommen jedoch indizielle Umstände hinzu,
die für den Senat zweifelsfrei ein Täuschungsbewußtsein belegen.
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Ein vom Kläger behaupteter Irrtum ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil die zu
Unrecht geltend gemachten Malerarbeiten bzw. die Fensterlieferung kaum zu
übersehen waren. Immerhin handelt es sich insoweit um Beträge von 3.284,47 DM und
1.485,00 DM. Selbst wenn man bedenkt, daß die Handwerkerarbeiten zum Zeitpunkt
der Rechnungseinreichung schon einige Zeit zurücklagen, ist dies aber keine plausible
Erklärung dafür, daß der Kläger Rechnungspositionen, die offensichtlich nicht
entschädigungsfähig waren, übersehen haben will.
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Daß nicht ein Irrtum, sondern Täuschungsabsicht gegeben war, belegt auch das
prozessuale Verhalten des Klägers: Nachdem die Beklagte bereits in der
Klagerwiderung die Schadenshöhe substantiiert bestritten und dabei auch explizit die
Malerrechnung Q vom 19.08.1997 beanstandet hatte, nahm der Kläger seine Klage um
einen Betrag von 3.284,47 DM mit der nicht näher erläuterten Begründung zurück, diese
Rechnung beruhe nur in Höhe von 4.944,31 DM auf dem Sturmschaden vom
22./23.01.1995. Unerwähnt ließ er, daß die Tischlerrechnung Q vom 13.03.1997 die
Lieferung von drei Fenstern im Gesamtwert von 1.485,00 DM aufwies, die ebenfalls
ohne jeglichen Bezug zum hier in Rede stehenden Versicherungsfall stand. Auch
insoweit bedurfte es erst einer kritischen Nachfrage der Beklagten in der
Berufungserwiderung, bevor der Kläger mit Schriftsatz vom 25.06.2001 endlich
einräumte, daß die Lieferung dieser drei Fenster "nichts mit dem Sturmschaden zu tun"
hatte. In der Berufungsbegründung war demgegenüber noch unmißverständlich
vorgetragen worden, auch die Tischlerei Q habe konkret nur den Schaden behoben und
in Rechnung gestellt, der im großen Saal auf Grund des Wasserschadens verursacht
worden sei.
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Nicht ohne indiziellen Wert für die Wahrheitsliebe des Klägers ist schließlich auch die
Tatsache, daß er auf eindringlichen Vorhalt des Senats einräumen mußte, daß seine
erstinstanzliche Behauptung, die Zeiteinträge des Agenten N in der Schadenanzeige
vom 03.04.1996 zu Tag und Stunde des Schadens (Eintrag: "22./23.01.1996") sowie zur
Erstunterrichtung der Gesellschaft bzw. des Vertreters (Eintrag: "28.01.1996")
hinsichtlich der Jahreszahl 1996 irrtümlich erfolgt richtig und gemeint gewesen sei nur
die Jahreszahl 1995 – und falsch war. Nunmehr trug er erstmals vor, über den
Sturmschaden vom 22./23.01.1995 hinaus habe es am 22./23.01.1996 einen weiteren
Sturmschaden gegeben, über den sich die Schadenanzeige vom 03.04.1996 verhalte.
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Nach alledem hat der Senat keinen vernünftigen Zweifel daran, daß der Kläger die vier
Handwerkerrechnungen der Beklagten vorgelegt hat, obwohl er wußte, daß darin auch
Positionen enthalten waren, die mit dem Versicherungsfall vom 22./23.01.1995 nichts zu
tun hatten. Dabei nahm er zumindest billigend in Kauf, daß die Beklagte dies nicht
bemerken und deshalb eine um insgesamt 4.769,47 DM überhöhte
Entschädigungsleistung erbringen werde.
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3)
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Bei dieser Sachlage kann der Beklagten die Berufung auf völlige Leistungsfreiheit auch
nicht nach Treu und Glauben als unverhältnismäßig verwehrt werden. Die versuchte
Täuschung in zwei Fällen bezieht sich nicht auf einen nur geringen Teil des
eingetretenen Schadens; die Entschädigungsforderung war vielmehr um ca. 34 %
unberechtigt überhöht. Außerdem kann der Kläger nicht nachweisen, daß er subjektiv
nicht aus Gewinnsucht gehandelt hat. Schließlich vermag der Senat auch nicht zu
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erkennen, daß ein vollständiger Anspruchsverlust eine Existenzgefährdung des Klägers
zur Folge hätte.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.
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Die Beschwer des Klägers beträgt 13.986,65 DM.
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