Urteil des OLG Hamm vom 22.07.2010

OLG Hamm (kläger, zpo, form und inhalt, tätigkeit, verhandlung, bestätigung, urkunde, höhe, anwaltskanzlei, vereinbarung)

Oberlandesgericht Hamm, I-28 U 237/09
Datum:
22.07.2010
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
28. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
I-28 U 237/09
Vorinstanz:
Landgericht Arnsberg, 3 O 16/09
Schlagworte:
Vergütungsvereinbarung; deklaratorisches Schuldanerkenntnis,
richterliche Hinweispflicht, Urkundenprozess
Normen:
RVG § 4 (a.F.); ZPO § 139, § 322, § 533, § 596
Leitsätze:
Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis einer anwaltlichen
Honorarforderung, dem keine anwaltlichen Honorarrechnungen
vorausgehen, genügt dem Bestimmtheitserfordernis des § 4 RVG a.F.
nur dann, wenn sich anhand konkreter Angaben ergibt, für welche
anwaltliche Tätigkeiten des Rechtsanwalts der Mandant das
Versprochene zahlen will bzw. welche anwaltlichen Honorarforderungen
damit außer Streit gestellt werden sollen.
Vereinbartes und gesetzliches Anwaltshonorar sind nicht verschiedene
Streitgegenstände, weil sie auf derselben anwaltlichen Leistung
beruhen.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 25. November 2009
verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Arnberg
einschließlich des zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten des Berufungsverfahrens, einschließlich der vom Beklagten
zurückgenommenen Widerklage, an das Landgericht Arnsberg
zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e:
1
I.
2
Der Kläger ist Namensgeber einer Rechtsanwaltskanzlei in N. Er beriet den Beklagten
mehrere Jahre außergerichtlich. Im Zusammenhang mit der Auflösung eines
Bankkontos des Beklagten in der Schweiz gerieten die Parteien in Streit, weil der
Beklagte das ihm vom Kläger ausgezahlte Guthaben für zu gering hielt. Der Kläger
verlangte daraufhin Anwaltshonorar für außergerichtliche Tätigkeit. Die Klage hat er in
erster Linie auf mehrere Urkunden, von ihm sogenannte "Schuldanerkenntnisse",
gestützt. In zweiter Instanz macht der Kläger hilfsweise gesetzliche Gebührenansprüche
geltend, die er aus 65 Anwaltsmandaten herleitet. Im Einzelnen:
3
Der Beklagte war 2003 Geschäftsführer mehrerer, zum Teil spanischer Gesellschaften.
Außerdem war er an weiteren Gesellschaften beteiligt. Er war Eigentümer von
Immobilien in Spanien und Deutschland und hielt Beteiligungen an Immobilienfonds.
Der Kläger bearbeitete zahlreiche Mandate für den Beklagten. Zum Teil erteilte der
Beklagte die Aufträge im eigenen Namen, zum Teil im Namen seiner Gesellschaften.
4
Wesentliche Grundlage der Klage ist eine sogenannte "Vergleichsvereinbarung bzgl.
Vergütungsansprüche per 15.05.2006" vom 17. Mai 2006, wobei streitig ist, ob die
Unterschrift vom Beklagten stammt. Zuvor hatten die Parteien weder
Honorarvereinbarungen getroffen noch hatte der Kläger Honorarabrechnungen erteilt.
Der vom Kläger entworfene Text der Urkunde lautet im Wesentlichen (Anlage K 1):
5
"...[Der Beklagte]…, handelnd für sich persönlich wie auch für die Firma …TM und
…[der Kläger] …, handelnd für sich selbst wie auch für die Kanzlei [des Klägers]
und Kollegen, vereinbaren, dass die per 15.05.2006 aufgelaufenen und
anerkannten Vergütungen pauschal auf € 250.000 vergleichen werden [gemeint:
verglichen werden].
6
Der Betrag ist zur Zahlung fällig.
7
Der Betrag wird seitens …[des Klägers] … widerruflich auf unbestimmte Zeit
gestundet.
8
Im Gegenzug sollen die hier vereinbarten und hiermit (nochmals) anerkannten
Ansprüche gesichert werden.
9
Ibiza, den 17. Mai 2006…"
10
Mit der Klage hat der Kläger ferner mehrere auf den 31. März 2008 datierte Urkunden
vorgelegt, aus denen er Gebührenansprüche herleitet, insbesondere aus einer
sogenannten "Bestätigung bzgl. aufgelaufener Vergütungen" vom 31. März 2008
(Anlage K 2). Der Urkundentext lautet im Wesentlichen:
11
"Hiermit bestätige ich, …[Beklagter] …, handelnd für mich persönlich wie auch für
die Firma …[des Beklagten] … dass seitens der Kanzlei [des Klägers] & Kollegen
aus anwaltlicher Tätigkeit seit dem 15. Mai 2006 Vergütungsansprüche von
12
mindestens € 40.000 … per 30. März 2008 aufgelaufen sind.
Diese Erfassung ist nicht abschließend.
13
Ich, handelnd für mich persönlich wie auch für die Firma … [des Beklagten] …,
anerkenne die gesamtschuldnerische Haftung, die Richtigkeit dieser
Vergütungsansprüche dem Grunde wie der Höhe und nach und insbesondere,
dass die Vergütungsansprüche zur Zahlung fällig sind.
14
Ich bestätige weiterhin, dass die Begleichung dieser Vergütungsansprüche seitens
der Kanzlei [des Klägers] & Kollegen bis auf Weiteres gestundet ist.
15
Unabhängig davon soll die Kanzlei [des Klägers] & Kollegen berechtigt sein, mit ihr
etwaig zur Verfügung überlassenen Geldern Beleg führend zu verrechnen und
auszugleichen und im Übrigen nach eigenem Ermessen gemäß eingeräumter
Vollmachten Sicherheiten zur Besicherung gestundeter und (absehbar) anfallender
Vergütungen zu bestellen.
16
Die Bestellung von Sicherheiten erfolgt zur Besicherung der gewährten Stundung,
damit liquide Mittel nicht über Gebühr in Anspruch genommen werden müssen.
17
Ibiza, den 31. März 2008…"
18
Ferner hat der Kläger eine "Bestätigung bzgl. geleisteter Auslagen" vom 31. März 2008
vorgelegt, wonach "seitens der Kanzlei … [des Klägers] … per 31. Mai 2008 ein
pauschalierter Gesamtbetrag von € 25.000 zu meinen/unseren Gunsten verauslagt ist
und dieser Betrag zur Erstattung fällig ist" (K 3). Die Auslagenforderung ist nicht
Gegenstand der Berufungsinstanz.
19
Die mit der Klage erhobene Umsatzsteuerforderung stützt der Kläger auf eine Urkunde
mit der Bezeichnung "Bestätigung/ Anerkenntnis/ Bevollmächtigung/
Vergleichsvereinbarung", die ebenfalls vom 31. März 2008 datiert (K 4). Der Text lautet:
20
"Die Anwaltskanzlei [des Klägers] & Koll, einerseits und ich, …[Beklagter] …
andererseits haben uns über die per 15. Mai 2006 aufgelaufenen
Vergütungsansprüche der Anwaltskanzlei aus bis dahin für mich und die Firma …
[des Beklagten] … geleisteter anwaltlicher Tätigkeit mit Vereinbarung vom 17. Mai
2006 verglichen (vgl. Anlage).
21
Die Anwaltskanzlei [des Klägers] & Koll. und die von ihr beauftragte Firma U… D…
GmbH einerseits und ich, …[Beklagter] …,. haben uns über die im Rahmen des
Erwerbs und der Abwicklung der Immobilie E… T2… separat aufgelaufenen
Vergütungsansprüche aus Unternehmensberatung, Vermittlung und Betreuung mit
Bevollmächtigung vom 26. Mai 2006 auf einen Pauschalbetrag verständigt (vgl.
Anlage). Mit Bestätigung vom 26. Mai 2006 habe ich diesen Anspruch dem Streit
entzogen.
22
Des Weiteren habe ich mit Bestätigung vom 17. Mai beziehungsweise 26. Mai
2006 die von der Anwaltskanzlei [des Klägers] & Koll. geleisteten Auslagen
bestätigt und zur Auszahlung beziehungsweise zum Einzug freigegeben.
23
Aufgrund meiner ausdrücklichen Bitte im Nachgang zu den Absprachen vom 15.
Mai, 17. Mai und 26. Mai 2006 wurden weder die Vergütungs- und/ oder
Erstattungsansprüche der Anwaltskanzlei [des Klägers] & Koll. noch die der Firma
V…F… GmbH befriedigt und/oder trotz bestehender Bevollmächtigung von …[dem
Kläger] … eingezogen.
24
Vor vorstehendem Hintergrund bestätige ich hiermit nochmals ausdrücklich die von
mir anerkannten Ansprüche beziehungsweise meine diesbezüglichen
Verpflichtungen sowie die der von mir vertretenen … SL gegenüber der
Anwaltskanzlei [des Klägers] & Koll. und der U… D… GmbH. Die vorgenannten
Ansprüche verstehen sich zzgl. gesetzlicher Mehrwertsteuer und sind zur Zahlung
fällig.
25
Für die von der Anwaltskanzlei [des Klägers] & Koll. vom 5. Mai 2006 bis 30. März
2008 erbrachten Leistungen bestätige ich, …[Beklagter] … gegenüber der
Anwaltskanzlei [des Klägers] & Kollegen per 31. März 2008 einen Betrag in Höhe
von pauschal netto € 40.000 zur Zahlung fällig, zu schulden.
26
Ibiza, den 31. März 2008…"
27
Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten schrieb den Kläger am 21. November 2008
an, weil der Beklagte den Überblick über die Entwicklung seiner Vermögenswerte
verloren habe, insbesondere habe er keine Unterlagen über die Konten bei den
Schweizer Banken. Nach weiterem Schriftwechsel forderte der Prozessbevollmächtigte
des Beklagten den Kläger mit Schreiben vom 11. Dezember 2008 auf, die Tätigkeit der
vergangenen drei Jahre abzurechnen. Mit Schreiben vom 27. März 2009 überreichte der
Kläger dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten eine mehrseitige Aufstellung,
welche Mandate noch nicht abgerechnet seien ("Alle Konten des Mandanten …
[Beklagter]…, Stand 27.03.2009"). Als Saldo ist "0.00" angegeben.
28
Am 24. April 2009 fertigte der Kläger Kostenrechnungen. In erster Instanz hat der Kläger
zwei Kostenrechnungen unter diesem Datum zu den Akten gereicht, eine Rechnung
betreffend "steuerfreie Auslagen per 31. Mai 2008" in Höhe von 25.000 € netto sowie
eine weitere Rechnung betreffend Vergütung vom 15. Mai 2006 bis 31. März 2008 über
insgesamt 47.600 € brutto.
29
In zweiter Instanz legt der Kläger unter dem Datum des 24. April 2009 eine dritte
Kostenrechnung vor, und zwar über "Vergütung per 15.05.2006". Den geforderten
Betrag beziffert er mit 290.000 € brutto. Der Beklagte behauptet dazu, dass der Kläger
diese Rechnung erst jetzt erstellt habe.
30
Mit Schreiben vom 27. April 2009 legte der Kläger seine Mandate nieder. Ferner
widerrief er - nach seinen Angaben - gewährte Stundungen. Er forderte den Beklagten
auf, "anliegende Kostennoten" unter Fristsetzung zum 31. Mai 2009 zu begleichen.
31
Der Kläger hat zunächst Klage im Urkundenprozess erhoben. Er hat einen
Zahlungsantrag über 374.850 € nebst Verzugszinsen gestellt:
32
Anerkenntnis/Vergleich vom 17. Mai 2006
250.000
33
Mehrwertsteuer, wobei der Kläger auch für den Zeitraum vor dem 1. Januar
2007 schon 19% ansetzen will
47.500 €
Anerkenntnis/Bestätigung vom 31. März 2008
40.000 €
19% Mehrwertsteuer
7.600 €
Auslagen gemäß Anerkenntnis/Bestätigung vom 31. März 2008 nebst
Mehrwertsteuer [insoweit nicht Gegenstand der Berufung]
25.000 €
4.750 €
Erstinstanzliche Hauptforderung
374.850
Der Beklagte hat die Vergütungsvereinbarungen als unwirksam erachtet. Er hat sich
darauf berufen, dass die formellen Voraussetzungen des § 4 RVG a.F nicht gegeben
seien. Ferner hat er Bestimmtheitsmängel geltend gemacht. Außerdem hat er behauptet,
dass er dem Kläger 233.086,69 € gezahlt habe, wovon er 133.086,69 € durch
Zahlungsbelege untermauern könne. 100.000 € habe er dem Kläger in bar übergeben.
34
In der mündlichen Verhandlung erster Instanz hat der Beklagte die Echtheit der der
Klage zugrunde liegenden Urkunden bestritten. Die Kammer hat darauf hingewiesen,
dass der Inhalt der urkundlichen Erklärungen zu unbestimmt sein könne. Der Kläger hat
noch in der mündlichen Verhandlung erster Instanz vom Urkundenprozess Abstand
genommen und ist in das ordentliche Verfahren übergegangen; ferner hat er eine
Schriftsatzfrist beantragt.
35
Das Landgericht hat die Klage durch sein am Schluss der Sitzung verkündetes Urteil
abgewiesen. Es hat im Wesentlichen darauf abgestellt, dass es auf die Echtheit der
Unterschriften nicht ankomme, weil alle Vereinbarungen unzureichend bestimmte
deklaratorische Schuldanerkenntnisse seien. Eine Schriftsatzfrist hat das Landgericht
dem Kläger nicht gewährt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass bereits seit der
Klageerwiderung im Streit sei, ob die Privaturkunden, auf die der Klageanspruch
gestützt sei, nach Form und Inhalt wirksam seien. Auf die tatsächlichen Feststellungen
in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
36
Nach Verkündung des angefochtenen Urteils, unter dem 21. Dezember 2009, fertigte
der Kläger 65 Honorarabrechnungen. Am 29. Dezember 2009 beantragte er einen
Mahnbescheid über eine Gesamtsumme in Höhe von 321.857,27 €, der am 29.
Dezember 2009 bei dem Mahngericht einging und dem Beklagten am 23. Januar 2010
zugestellt wurde. Am 26. Januar 2010 legte der Beklagte Widerspruch ein.
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Gegenstand des mit der Berufung verfolgten Hauptantrags sind Vergütungsansprüche in
Höhe von 290.000 € nebst 19% Mehrwertsteuer, insgesamt 345.100 €. Erstattung von
Auslagen verlangt der Kläger nicht mehr. Der Kläger trägt mit der Berufungsbegründung
im Wesentlichen vor: Die deklaratorischen Schuldanerkenntnisse seien wirksam. Die
vom Landgericht gestellten Anforderungen seien, wie die Berufungsbegründung im
Einzelnen ausführt, erfüllt.
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Im Hinblick auf seinen hilfsweise gestellten Aufhebungs- und Zurückweisungsantrag
macht der Kläger geltend: Die Kammer habe ihrer richterlichen Hinweispflicht nicht
Rechnung getragen. Wenn das Landgericht ihn auf Wirksamkeitsbedenken hinsichtlich
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der Schuldanerkenntnisse hinweisen hätte bzw. ihm eine Schriftsatzfrist bewilligt hätte,
hätte er weiteren, in der Berufungsbegründung im Einzelnen näher ausgeführten,
umfangreichen Sachvortrag mit zahlreichen Beweisantritten zu den einzelnen
gesetzlichen Vergütungsforderungen und den zugrunde liegenden Mandaten gehalten.
Zur Begründung des äußerst hilfsweise gestellten weiteren Zahlungsantrags trägt der
Kläger näher vor, dass er aufgrund seiner Tätigkeit in 65 Einzelmandaten 321.857,27 €
beanspruchen könne. Wegen der Einzelheiten wird auf Seite 20 bis 135 der
Berufungsbegründung und die Anlagen BK 4 bis 189 Bezug genommen. Der Kläger
führt aus, dass er überwiegend den Regelsatz der Geschäftsgebühr von 1,3 zugrunde
gelegt habe. In einzelnen Fällen habe er eine höhere als die Regelgebühr angesetzt.
40
Der Kläger beantragt,
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1. das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 25. November 2009 abzuändern,
42
2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 345.100 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von
297.500 € seit dem 18. Mai 2006 und aus einem Betrag von 47.600 € seit dem 1.
April 2008,
43
3. hilfsweise für die Anträge zu 1 und 2, das angefochtene Urteil aufzuheben und
den Rechtstreit an das Landgericht gem. § 538 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen,
44
4. äußerst hilfsweise für die Anträge zu 1, 2 und 3: das angefochtene Urteil
abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an ihn 321.857,27 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Zustellung der
Berufungsbegründung zu zahlen.
45
Im Senatstermin hat der Kläger klargestellt, dass er auch im Hinblick auf den
Berufungsantrag zu 4 hilfsweise Aufhebung und Zurückverweisung an das Landgericht
begehrt.
46
Der Beklagte beantragt,
47
die Berufung zurückzuweisen.
48
Er verteidigt das angefochtene Urteil und führt u.a. aus: Ein deklaratorisches
Schuldanerkenntnis sei nur dann wirksam, wenn eine frühere, ihrerseits wirksame
Vereinbarung bestätigt werde. Dies sei hier nicht der Fall. Es sei nicht klar gewesen,
welche Mandate von den deklaratorischen Schuldanerkenntnissen umfasst sein sollten.
Der Kläger habe Listen über die bearbeiteten Mandate vorgelegt, die zum Teil
Unterschiede aufwiesen, wie der Beklagte näher ausführt. Dadurch werde immer
unklarer, welche Mandate mit den Schuldanerkenntnissen abgegolten sein sollten.
Aufgrund der unterschiedlichen Darstellungen des Klägers, welche Mandate bearbeitet
und abgerechnet gewesen seien bzw. abzurechnen wären und bezahlt seien, seien die
Schuldanerkenntnisse nicht ausreichend bestimmt. Im Übrigen könne der Kläger nichts
mehr fordern, weil er mehr als ausreichend bezahlt sei.
49
Der Beklagte hat in zweiter Instanz Widerklage erhoben und - im Rahmen der ersten
Stufe einer Stufenklage - zwei Anträge auf Rechnungslegung angekündigt; nach
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erteilter Auskunft hat der Beklagte einen Zahlungsantrag angekündigt. Im Senatstermin
hat der Beklagte die Widerklage zurückgenommen.
Der Senat hat die Parteien im Senatstermin angehört. Wegen der Einzelheiten des
zweitinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen, das Sitzungsprotokoll sowie den Berichterstattervermerk zum Senatstermin
vom 24. Juni 2010 Bezug genommen.
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II.
52
Die Berufung hat vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
samt dem zugrundeliegenden Verfahren und zur Zurückverweisung zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Das erstinstanzliche
Verfahren leidet an einem erheblichen Verfahrensmangel, auf dem das Urteil beruhen
kann.
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A. Der Hauptantrag ist allerdings nicht begründet.
54
Den mit dem Hauptantrag verfolgten Zahlungsanspruch stützt der Kläger in Höhe von
250.000 € auf die Urkunde vom 15. Mai 2006, in Höhe weiterer 40.000 € auf eine der
Urkunden vom 31. März 2008 und im Hinblick auf die Umsatzsteuer ebenfalls auf eine
Urkunde von 31. März 2008. Damit dringt der Kläger nicht durch, wie bereits das
Landgericht zutreffend begründet hat. Dabei ist nicht entscheidungserheblich, ob die
vom Kläger behaupteten Vereinbarungen mit dem Beklagten als deklaratorische
Schuldanerkenntnisse - so der Kläger -, als abstrakte Schuldanerkenntnisse, als
außergerichtliche Vergleiche oder aber als selbständige Vergütungsvereinbarungen
anzusehen sind. Dem in allen Fällen anzuwendenden Maßstab des § 4 RVG in der vom
1. Juli 2004 bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung (§ 60 RVG; fortan § 4 RVG a.F.)
ist aus mehreren Gründen nicht Rechnung getragen. Nach dieser Bestimmung kann aus
einer Vereinbarung eine höhere als die gesetzliche Vergütung nur gefordert werden,
wenn die Erklärung des Auftraggebers schriftlich abgegeben und nicht in der Vollmacht
enthalten ist (§ 4 Abs. 1. S. 1 RVG a.F.). Ist das Schriftstück nicht von dem Auftraggeber
verfasst, muss es als Vergütungsvereinbarung bezeichnet und die
Vergütungsvereinbarung von anderen Vereinbarungen deutlich abgesetzt sein (§ 4 Abs.
1 S. 2 RVG a.F.).
55
1.
anwaltlichen Vergütungsvereinbarungen enthielten. Es kann auf sich beruhen, ob dies
zutrifft, denn als solche wären sie jedenfalls unwirksam.
56
a) Eine Vergütungsvereinbarung muss als solche bezeichnet sein (§ 4 Abs. 1 S. 2
Halbs. 1 RVG a.F.). Daran fehlt es.
57
aa) Die Urkunde vom 17. Mai 2006 ist als "Vergleichsvereinbarung bzgl.
Vergütungsansprüche per 15.05.2006" bezeichnet. Das genügt bei einer - wie hier -
nicht vom Mandanten verfassten Vereinbarung nicht. Zwar war früher nicht unstreitig, ob
das - in der heute geltenden Fassung abgemilderte - Formerfordernis streng auszulegen
ist (Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., § 3a Rn. 8 m.w.N.). Zum Teil wurde
zu § 4 RVG a.F. vertreten, dass auch die Bezeichnung als "Honorarvereinbarung" oder
"Gebührenvereinbarung" ausreiche (Römermann, MDR 2004, 421, 422). Heute wie
früher muss sich der Bezeichnung aber entnehmen lassen, dass eine Vergütung
58
abweichend von den gesetzlichen Gebühren vereinbart werden soll (AnwK-
RVG/Onderka, 5. Aufl., § 3a Rn. 39; Henke, AnwBl 2007, 611, m.w.N.). Diesem
Erfordernis genügt hier gewählte Bezeichnung nicht, denn sie kann auch so verstanden
werden, dass sie nur den gesetzlichen Vergütungsanspruch betrifft, ohne von ihm
abzuweichen.
bb) Das gilt auch für die Urkunde vom 31. März 2008 über 40.000 €. Sie ist ebenfalls
nicht als "Vergütungsvereinbarung" bezeichnet, sondern als "Bestätigung bzgl.
aufgelaufener Vergütungen". Das kann sich inhaltlich ebenfalls auch auf gesetzliche
Gebührenansprüche beziehen.
59
cc)
Mehrwertsteuer herleitet, ist als "Bestätigung/ Anerkenntnis/ Bevollmächtigung/
Vergleichsvereinbarung" bezeichnet. Auch hier fehlt die Bezeichnung als
Vergütungsvereinbarung oder ähnlich. Eine Vergütungsvereinbarung über die
Umsatzsteuer ist auch nicht deutlich abgesetzt vom übrigen Text (§ 4 Abs. 1 S. 2 Halbs.
2 RVG a.F.).
60
b) Der Inhalt aller Urkunde ist zudem unzureichend bestimmt. Darauf hat das
Landgericht zutreffend abgestellt. Bei einer Vergütungsvereinbarung muss eindeutig
feststehen
,
gesetzliche Vergütung zahlen soll (Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., § 4 RVG Rn. 23;
ders., 40. Aufl., § 3a RVG Rn. 23; AnwK-RVG/Onderka, aaO, § 3a Rn. 15). Das gilt auch
für eine nachträgliche, d.h. nach Abschluss der anwaltlichen Tätigkeit geschlossene
Vereinbarung. Wegen des Eingriffs in das Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 GG)
dürfen die Anforderungen an die Bestimmtheit anwaltlicher Honorarvereinbarungen
zwar nicht überspannt werden (BVerfG, NJW 2002, 3314). Im vorliegenden Fall ist aber
allenfalls zu erkennen, dass alle Tätigkeiten des Klägers bis zum 15. Mai 2006
(Vereinbarung vom 17. Mai 2006) bzw. alle Tätigkeiten seit dem 15. Mai 2006
(Vereinbarung vom 15. März 2008) gemeint sind. Das genügt dem Schutzzweck des § 4
RVG a.F. nicht. Dieser geht dahin, den Mandanten davor zu schützen, dass er
unüberlegt, leichtfertig oder ohne sich überhaupt dessen bewusst zu werden,
Gebührenvereinbarungen eingeht (BGHZ 57, 53, 57 = juris, Tz. 20, zu § 3 BRAGO).
Damit ist es nicht zu vereinbaren, wenn der Anwalt dem Mandanten nachträglich nach
umfangreicher, mehrjähriger Tätigkeit in mehreren Dutzend Einzelmandaten eine global
gehaltene Vereinbarung vorlegt, mit der Vergütungsansprüche pauschal abgegolten
werden sollen.
61
2
.
unter den Parteien nicht im Streit. Ein Schuldversprechen im Sinne von §§ 780, 781
BGB liegt nur vor, wenn die übernommene Verpflichtung von ihrem Rechtsgrund, d.h.
von ihren wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhängen gelöst und allein auf den
im Versprechen zum Ausdruck gekommenen Leistungswillen des Schuldners gestellt
werden soll (BGH, Urteile vom 14. Januar 2008 - II ZR 245/06, NJW 2008, 1589, Tz. 15;
vom 19. November 2008 - IV ZR 293/05, NJW-RR 2009, 382, Tz. 9). Der Urkundeninhalt
verweist jedoch auf bestehende Vergütungsansprüche und anwaltliche Leistungen.
62
b) Zudem wäre ein abstraktes Schuldanerkenntnis unwirksam. Das ergibt sich aus dem
oben dargestellten Zweck des § 4 RVG a.F., den Mandanten davor zu schützen, dass er
unüberlegt, leichtfertig oder ohne sich überhaupt dessen bewusst zu werden,
Gebührenvereinbarungen eingeht (siehe BGHZ, aaO).
63
Gebührenvereinbarungen eingeht (siehe BGHZ, aaO).
3. Der Kläger vertritt die Ansicht, dass die Urkunden deklaratorische (bestätigende)
Schuldanerkenntnisse enthielten. Die notwendigen Voraussetzungen (a) hat er zwar
schlüssig dargelegt (b). Jedoch kann er unter diesem Gesichtspunkt keinen Anspruch
aus den vorgelegten Urkunden herleiten (c).
64
a) Unter einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis ist ein Vertrag zu verstehen, der im
Unterschied zum konstitutiven Schuldanerkenntnis den in Frage stehenden Anspruch
nicht auf eine neue Anspruchsgrundlage hebt, sondern den Anspruch unter
Beibehaltung des Anspruchsgrundes dadurch verstärkt, dass er ihn Einwänden des
Anspruchsgegners gegen den Grund des Anspruchs entzieht (BGH, Urteil vom 10.
Januar 1984 - VI ZR 64/82, NJW 1984, 799, unter II 1). Entzogen werden dem
Anspruchsgegner solche Einwendungen und Einreden, die bei Abgabe der Erklärung
bestanden und ihm bekannt waren oder mit denen er zumindest rechnete (BGHZ 69,
328, 331; BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - VIII ZR 94/05, NJW 2006, 903, Tz. 15,
m.w.N). Zweck eines solchen Vertrags ist es, das Schuldverhältnis insgesamt oder
zumindest in bestimmten Beziehungen dem Streit oder der Ungewissheit zu entziehen
und es (insoweit) endgültig festzulegen.
65
Die Annahme eines solchen Vertrages ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Beteiligten
unter den konkreten Umständen einen besonderen Anlass für seinen Abschluss hatten.
Ein solcher Anlass bestand nur, wenn zuvor Streit oder zumindest eine (subjektive)
Ungewissheit über das Bestehen der Schuld oder über einzelne rechtlich erhebliche
Punkte geherrscht haben (BGHZ 66, 250, 255; BGH, Urteile vom 10. Januar 1984 - VI
ZR 64/82, aaO; vom 18. Mai 2000 - IX ZR 43/99, NJW 2000, 2501, unter I 1; Beschluss
vom 3. Juni 2008 - XI ZR 239/07, NJW 2008, 3425; Palandt/Sprau, BGB, 69. Aufl., § 781
Rn. 3). Ein solches Schuldanerkenntnis setzt daher voraus, dass die Vertragsparteien
das Schuldverhältnis ganz oder teilweise dem Streit oder der Ungewissheit entziehen
wollen (BGH, Urteil vom 11. Januar 2007 - VII ZR 165/05, NJW-RR 2007, 530, Tz. 8).
66
b) Im Senatstermin hat der Kläger behauptet, dass er den Beklagten mehrere Jahre
anwaltlich vertreten habe; dieser habe jedoch keine Honorarabrechnungen gewollt;
daher habe er die erste der Klage zugrunde liegende Urkunde gefertigt, um einen
"Strich zu ziehen" und ein Dokument in der Hand zu haben. Danach lag im
vorliegenden Fall zwar kein Streit vor, aber ein besonderer Anlass war nach dem
Vortrag des Klägers dennoch gegeben, weil der Beklagte keine Anwaltsrechnungen
gewollt habe, so dass zumindest subjektiv Ungewissheit über die Honorarforderung
bestand.
67
c) Der Beklagte hat zwar bestritten, dass er keine anwaltlichen Honorarabrechnungen
gewollt habe. Dies kann jedoch auf sich beruhen. Selbst wenn - auf der Grundlage des
Vortrags des Klägers - deklaratorische Schuldanerkenntnisse anzunehmen wären,
wären sie unwirksam. Ein Anerkenntnis mit einem schuldbestätigenden Inhalt bedarf der
gesetzlichen Form des § 4 RVG a.F. zwar nicht, wenn es bereits eine dadurch bestätigte
Honorarabrede gibt, die diese Form wahrte (BGH, Urteil vom 3. April 2003 - IX ZR
113/02, NJW 2003, 2386, unter II 3 b cc). Eine solche Fallgestaltung liegt hier jedoch
nicht vor. Es gab keine vorausgegangene Honorarabrede, die bestätigt werden sollte.
Es gab, wie ausgeführt, zuvor auch keine Abrechnung gesetzlicher
Gebührenansprüche. Daher müssen die streitgegenständlichen "Anerkenntnisse" selbst
den Anforderungen des § 4 RVG a.F. genügen. Dazu zählt auch beim deklaratorischen
Schuldanerkenntnis das Bestimmtheitserfordernis. Insoweit gelten die Erwägungen für
68
jede andere anwaltliche Vergütungsvereinbarung ebenso bei einem deklaratorischen
Schuldanerkenntnis (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 855 = juris, Tz. 12). Auch bei
einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis muss sich anhand konkreter Angaben
ergeben, für welche anwaltliche Tätigkeiten des Rechtsanwalts der Mandant das
Versprochene zahlen will bzw. welche anwaltlichen Honorarforderungen damit außer
Streit gestellt werden sollen. Wie ausgeführt, fehlt es daran.
4. Aus den vorgenannten Gründen ergibt sich nichts anderes, wenn der vom Kläger
behauptete Inhalt der Urkunden als außergerichtlicher Vergleich (§ 779 BGB)
anzusehen wäre. Ein solcher ist einem einwendungsausschließenden
Anerkenntnisvertrag ohnehin ähnlich, weil dieser ebenso wirkt wie ein Vergleich (BGH,
Urteil vom 18. Mai 2000 - IX ZR 43/99, NJW 2000, 2501, unter I 1). Dabei braucht nicht
abschließend geklärt werden, welche Anforderungen an einen außergerichtlichen
Vergleichsvertrag über Rechtsanwaltsvergütung zu stellen sind. Nach dem
Schutzzweck des § 4 RVG a.F. gilt das Bestimmtheitserfordernis nicht nur für
konstitutive und deklaratorische Schuldanerkenntnisse, sondern jedenfalls auch für
solche außergerichtlichen Vergleiche, denen - wie hier - keine
Ausgangsvergütungsvereinbarung und keine Honorarabrechnung vorausgegangen ist.
Es muss auch bei einem außergerichtlichen Vergleich feststehen, über welche
anwaltlichen Tätigkeiten sich die Parteien geeinigt haben.
69
B. In zweiter Instanz stützt der Kläger seinen Vergütungsanspruch hilfsweise auf
gesetzliche Vergütungsansprüche und legt zu diesem Zweck 65 Honorarabrechnungen
vor, die er dem Beklagten nach Verkündung des angefochtenen Urteils erteilt hat. Die
den 65 Honorarabrechnungen zugrunde liegenden Tatsachen sind unter den Partei
weitgehend streitig.
70
1. Dem Vorbringen des Klägers zu gesetzlichen Gebührenansprüchen steht § 533 ZPO
nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist eine Klageänderung in zweiter Instanz nur
unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, unter anderem muss sie auf Tatsachen
gestützt werden, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über
die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat (§ 533 Nr. 2 ZPO). § 533
ZPO ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil der Übergang von einer Forderung
aufgrund vereinbarten Anwaltshonorars zu gesetzlichen Gebührenansprüchen des
Anwalts keine Klageänderung ist. Ausschlaggebend für die Bestimmung des
Streitgegenstands sind der Antrag und der Lebenssachverhalt, aus dem der Anspruch
hergeleitet wird. Dieser Lebenssachverhalt ist die dem Anwalt durch Vertrag
übertragene Tätigkeit (BGH, Urteil vom 4. Juli 2002 - IX ZR 153/01, NJW 2002, 2774,
unter II 2). Vereinbartes und gesetzliches Anwaltshonorar sind nicht verschiedene
Ansprüche; sie beruhen auf ein und derselben anwaltlichen Leistung (BGH, Urteil vom
23. Oktober 2003 - IX ZR 270/02, NJW 2004, 1169, unter II 4 b bb; OLG Düsseldorf,
OLGR 2009, 226 = juris, Tz. 14). Mithin hat der Kläger seine tatsächlichen Ausführungen
in zweiter Instanz lediglich ergänzt (§ 264 Nr. 1 ZPO). Dafür gilt § 533 ZPO jedoch nicht
(siehe BGH, Urteil vom 22. April 2010 - IX ZR 160/09, juris, Tz. 6).
71
2. Obwohl der Beklagte die zugrunde liegenden Tatsachen der 65 Einzelforderungen
weitgehend bestritten hat, ist das neue Vorbringen des Klägers in zweiter Instanz nicht
ausgeschlossen. Denn neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind in zweiter Instanz
gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen, wenn sie infolge eines
Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden.
72
a) Nach dieser Vorschrift ist neues Vorbringen zuzulassen, wenn das Eingangsgericht
die nach § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO gebotenen Hinweise unterlassen hat (BGHZ 158, 295,
302). Zwar hat das Landgericht den Kläger in der mündlichen Verhandlung den Hinweis
erteilt "…dass der Inhalt aller drei vorgelegten Erklärungen … möglicherweise vor den
Anforderungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes zu unbestimmt sein könnte."
Jedoch hat das Landgericht dem berechtigten Antrag des Klägers nicht Rechnung
getragen, ihm eine Schriftsatzfrist zu gewähren. Erteilt das Gericht einen gebotenen
Hinweis entgegen § 139 Abs. 4 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der
betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Kann eine
sofortige Äußerung nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden, darf die
mündliche Verhandlung nicht ohne Weiteres geschlossen werden. Vielmehr muss das
Gericht auf Antrag der betreffenden Partei gemäß § 139 Abs. 5, § 296a ZPO eine Frist
bestimmen, innerhalb derer die Partei die Stellungnahme in einem Schriftsatz
nachbringen kann (BGH, Beschluss vom 13. März 2008 - VII ZR 204/06, NJW-RR 2008,
973, Tz. 9, m.w.N.). Das gilt in der vorliegenden Fallgestaltung umso mehr, weil sich die
Rechtskraftwirkung einer Klageabweisung wegen des einheitlichen Streitgegenstandes
nicht nur auf vereinbartes Anwaltshonorar, sondern auch auf gesetzliche
Vergütungsansprüche erstreckt.
73
b) Die richterliche Hinweispflicht der Kammer und die Verpflichtung zur Gewährung
einer Schriftsatzfrist waren nicht wegen verstandenen Vortrags des Prozessgegners
entfallen. Eine Missachtung der richterlichen Hinweispflicht liegt im Anwaltsprozess
zwar nicht vor, wenn die betroffene Partei durch eingehenden und von ihr erfassten
Vortrag der Gegenpartei zutreffend über die Sach- und Rechtslage unterrichtet war
(BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2007 - IX ZR 207/05, NJW-RR 2008, 581, Tz. 2).
Auf den vorgenannten Beschluss hat sich der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auch in der Folgezeit bezogen (Beschlüsse vom 23. April 2009 - IX ZR 95/06, NJW-RR
2010, 70, Tz. 6; vom 8. Oktober 2009 - IX ZR 235/06, BeckRS 2009, 28207, Tz. 7; vom
5. November 2009 - IX ZA 29/09, BeckRS 2009, 87279, Tz. 3; siehe auch BGH, Urteil
vom 22. Mai 2001 - VI ZR 74/00, NJW 2001, 2550, unter II 4; Hk-ZPO/Wöstmann, 3.
Aufl., § 139 Rn. 2; Rensen, MDR 2008, 1075). Eine solche Sachlage ist hier aber nicht
gegeben.
74
aa) Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat in der Klageerwiderung angeführt:
75
"Die vorgelegten Anlagen K 1 bis K 5 erfüllen sämtlich nicht die nach § 3a RVG
vorgeschriebene Form einer Gebührenvereinbarung. …
76
Die Anlage K 1, Papier vom 7. Mai 2006, ist auch nicht bestimmt [Hervorhebung
von hier]. Es handelt sich hierbei vielmehr durchweg um Papiere, mit denen
versucht werden soll, die strikten Vorschriften über Form und Inhalt einer
wirksamen anwaltlichen Gebührenvereinbarung zu umgehen. …
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Für die Anlage K 2 gilt das gleiche. Auch dieser Text ist nicht in der für eine
wirksame Gebührenvereinbarung eines Anwalts vorgeschriebenen Form verfasst.
Das gleiche gilt für die Anlagen K 3, K 4 und K 5. ... Die Anlage K 4 ist so
umständlich und unklar formuliert, enthält eine ganze Reihe von Behauptungen
und behaupteten Regelungen, die ebenfalls der vorgeschriebenen Form einer
anwaltlichen Gebührenvereinbarung nicht entspricht."
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Dies genügte hier zur Unterrichtung der betroffenen Gegenpartei nicht. Denn der
79
Gesichtspunkt, auf den die Kammer maßgeblich abgestellt hat - Unbestimmtheit des
Urkundeninhalts (LGU 10/11) - kommt in der Klageerwiderung nur ganz am Rande zum
Ausdruck. In seiner daran anschließenden Replik (Schriftsatz vom 7. Oktober 2009) ist
der Kläger nicht auf Bestimmtheitsmängel eingegangen. Dies lässt besorgen, dass er
den - flüchtigen - Hinweis des Prozessgegners nicht verstanden hat, jedenfalls kann
dies nicht festgestellt werden.
bb) In seinem Schriftsatz vom 9. November 2009 hat der Prozessbevollmächtigte des
Beklagten sich zwar mit dem in BGHZ 57, 53 abgedruckten Urteil des VII. Zivilsenats
des Bundesgerichtshofs vom 16. September 1971 befasst. In dem vorgenannten
Schriftsatz führt der Prozessbevollmächtigte des Beklagten aus, dass das Urteil des
Bundesgerichtshofs ein abstraktes Schuldverhältnis betrifft. Ferner heißt es in dem
vorgenannten Schriftsatz: "Der BGH führt weiter aus, dass eine wirksame
Vergütungsvereinbarung einen konkreten Hinweis darüber enthalten muss, für welche
anwaltliche Tätigkeit der Mandant das Versprochene bezahlen muss". Dies machte
einen richterlichen Hinweis durch das Landgericht (einschließlich der gebotenen
Reaktionsmöglichkeit des Klägers) schon deshalb nicht entbehrlich, weil der Kläger die
Ausführungen in dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Beklagten nur auf
ein abstraktes Schuldanerkenntnis bezogen hat. Dies zeigt der Schriftsatz des Klägers
vom 17. November 2009. Der Kläger war der Meinung, dass die vom Bundesgerichtshof
aufgestellten Grundsätze im Streitfall nicht zum Tragen kämen, weil der Streitfall
deklaratorische Schuldanerkenntnisse zum Gegenstand habe. Dieses nach wie vor
bestehende Missverständnis des Klägers musste die Kammer ausräumen und dem
Kläger eine entsprechende Reaktionsmöglichkeit gewähren.
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cc) Der Hinweispflicht der Kammer steht im vorliegenden Fall nicht entgegen, dass es
sich um einen Anwaltsprozess handelt, der noch dazu anwaltliches Gebührenrecht
betrifft. Denn die Hinweispflicht des Gerichts besteht im Grundsatz auch in Verfahren, in
denen die Partei durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird. Das gilt jedenfalls
dann, wenn der Prozessbevollmächtigte den vom Gericht später als maßgeblich
angesehenen Gesichtspunkt nicht registriert hat bzw. die Rechtslage insoweit nicht
richtig beurteilt (vgl. BGHZ 140, 365, 371; BGH, Beschluss vom 16. April 2008 - XII ZB
192/06, BeckRS 2008, 09826, Tz. 10).
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dd) Es ist dem Gericht zwar verwehrt, auf die Einführung selbständiger, einen
gesetzlichen Tatbestand eigenständig ausfüllender Angriffs- und Verteidigungsmittel in
den Prozess hinzuwirken (BGH, Urteile vom 23. November 2005 - VIII ZR 43/05, NJW
2006, 434, Tz. 18; vom 9. Oktober 2003 - I ZR 17/01, NJW-RR 2004, 495, unter II 1 c bb).
So liegt es hier jedoch nicht. Wie ausgeführt, handelt es sich bei den gesetzlichen
Gebührenansprüchen des Klägers nicht um neue Klagegründe. Ohnehin schlösse ein
zulässiger und gebotener Hinweis nach § 139 ZPO nicht aus, dass die Partei von sich
aus einen neuen Klagegrund in das Verfahren einführt (BGH, Urteil vom 27. Juni 2006 -
VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414, Tz. 22).
82
c) Nach dem Wortlaut des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO ist erforderlich, dass das neue
Vorbringen infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend
gemacht worden ist. Eine Zurückweisung des neuen Tatsachenvorbringens des Klägers
aus dieser Erwägung kommt nicht in Betracht. Der Kläger hat alsbald nach Verkündung
des angefochtenen Urteils Honorarabrechnungen erteilt. Dies ist ein deutlicher Hinweis
darauf, dass der Kläger bereits in erster Instanz, nachdem er vom Urkundenprozess
Abstand genommen hatte, entsprechend verfahren wäre.
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C. Gemäß § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO darf das Berufungsgericht die Sache, soweit ihre
weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an
das Gericht des ersten Rechtszuges (nur) zurückverweisen, soweit das Verfahren im
ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels
eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Vom
maßgeblichen Standpunkt des Landgerichts aus gesehen liegt ein wesentlicher
Verfahrensfehler vor. Nach Äußerung seines - insoweit zutreffenden - Standpunkts,
wonach die urkundlichen Vereinbarungen zu unbestimmt seien, hätte das Landgericht
dem Kläger eine Schriftsatzfrist gewähren geben müssen. Im Rahmen der zulässigen
Abstandnahme vom Urkundenprozess (§ 596 ZPO) umfasst dies die Möglichkeit des
klagenden Anwalts, gesetzliches Honorar geltend zu machen. Aufgrund des
Verfahrensfehlers des Landgerichts bietet das angefochtene Urteil keine Grundlage für
eine instanzbeendende Entscheidung, weil dem Kläger damit auch gesetzliche
Gebührenansprüche aberkannt werden. Mit Rücksicht auf den sehr umfangreichen
neuen und streitigen Sachvortrag des Klägers zu 65 Vergütungsforderungen ist zudem
eine aufwändige Beweisaufnahme geboten. Aus diesem Gründen übt der Senat sein
ihm durch § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO gewährtes Ermessen im Sinne einer
Zurückweisung aus.
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D. Die Kostenentscheidung ist dem wiedereröffneten erstinstanzlichen Verfahren
vorbehalten. Wegen der im Berufungsverfahren angefallenen Gerichtskosten hat der
Senat von der Möglichkeit des § 21 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 GKG Gebrauch gemacht.
85
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
Auch aufhebende und zurückweisende Urteile nach § 538 Abs. 2 ZPO sind obwohl
auch im weiteren Sinne nicht vollstreckbar - dennoch gemäß § 708 Nr. 10, § 775 Nr. 1,
§ 776 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären (Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 538
Rn. 60; Zöller/Herget, aaO, § 708 Rn. 12; MünchKomm-ZPO/Krüger, 3. Aufl., § 704 Rn.
6, § 708 Rn. 17; Musielak/Lackmann, ZPO, 7. Aufl., § 708 Rn. 9;
Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 31. Aufl., § 708 Rn. 11; Rosenberg/Schilken/Gaul,
Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl., § 14 I 2, II 1 j).
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Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 ZPO). Weder hat die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
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