Urteil des OLG Hamm vom 12.02.2007

OLG Hamm: beschränkung, auflage, weisung, ordnungswidrigkeit, verwaltungsbehörde, aufenthalt, duldung, begriff, datum, stadt

Oberlandesgericht Hamm, 2 Ss 6/07
Datum:
12.02.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ss 6/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Iserlohn, 91 Cs 747 Js 180/06 (205/06)
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen
aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des
Amtsgerichts - Jugendrichter - Iserlohn zurückverwiesen.
Gründe:
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I.
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Das Amtsgericht Iserlohn - Jugendrichter - hat dem Angeklagten durch Urteil vom
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12. September 2006 wegen dreifachen Verstoßes gegen § 61 Aufenthaltsgesetz
aufgegeben, nach Weisung des Jugendamtes der Stadt I einen Sozialdienst von 100
Stunden zu verrichten.
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Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten
(Sprung-) Revision, mit der er unter näherer Begründung die Verletzung materiellen
Rechts rügt.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Aufhebung des Urteils und die Zurückver-
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weisung beantragt.
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II.
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Die (Sprung-)Revision des Angeklagten ist frist- und formgerecht eingelegt worden und
hat auch in der Sache Erfolg.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 11. Januar 2007 hierzu
Folgendes ausgeführt:
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"Die Feststellungen des Tatrichters tragen nicht die Verurteilung des Angeklagten
wegen einer Straftat gem. § 95 Abs. 1 Nr. 7 Aufenthaltsgesetz. Diese Strafvorschrift
gilt nur bei einem wiederholten Verstoß gegen die räumliche Beschränkung nach §
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61 Abs. 1 S. 1 Aufenthaltsgesetz, also gegen die Beschränkung des Aufenthaltes
auf das jeweilige Land, nicht jedoch bei einem Verstoß gegen eine weitergehende
Beschränkung nach § 61 Abs. 1
S. 2 Aufenthaltsgesetz. Bei einer weitergehenden Begrenzung des Aufent-
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haltsbereiches innerhalb eines Landes handelt es sich gem. § 61 Abs. 1 S. 2
Aufenthaltsgesetz um eine Auflage der Ausländerbehörde. Eine solche weitere
Beschränkung fällt jedoch nicht unter den Begriff der räumlichen Beschränkung
des Aufenthaltes i.S. des § 61 Abs. 1 S. 1 Aufenthaltsgesetz. Dies folgt aus der
Systematik des Gesetzes, das erstmalig begangene Zuwiderhandlungen gegen die
räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 S. 1 Aufenthaltsgesetz als
Ordnungswidrigkeit nach § 98 Abs. 3 Nr. 1 Aufenthalts-
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gesetz ahndet, jedoch Verstöße gegen eine vollziehbare Anordnung gem.
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§ 61 Abs. 1 S. 2 Aufenthaltsgesetz nach der gesonderten Bußgeldvorschrift des §
98 Abs. 3 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz. Da das Gesetz nur die wiederholte
Zuwiderhandlung gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1
Aufenthaltsgesetz als Straftatbestand ausweist, diese Regelung jedoch Verstöße
gegen vollziehbare Auflagen nicht anrührt, erfasst die Strafnorm solche Verstöße
nicht, so dass insoweit nur der Bußgeldtatbestand ver-
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wirklicht ist (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.10.2006 – 3 Ss 204/06 – m.w.N.).
Hierfür spricht auch, dass ebenfalls das Asylverfahrensgesetz nur Verstöße gegen
solche räumliche Beschränkungen unter Strafandrohung stellt, die es selbst
statuiert, nicht aber Zuwiderhandlungen gegen darüber hinausgehende
beschränkende Anordnungen der Verwaltungsbehörde (Karlsruhe, a.a.O.).
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Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und an das Amtsgericht Iserlohn
zurückzuverweisen. Eine Schuldspruchänderung unter dem rechtlichen
Gesichtspunkt einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit i.S. des § 98 Abs. 3 Nr. 3
Aufenthaltsgesetz kommt nicht in Betracht, weil in dem Urteil genügende
Feststellungen zu dem Inhalt der Auflage der Beschränkung des
Aufenthaltsgebietes fehlt. Insbesondere schweigt das Urteil zu der Frage, ob die
Auflage, die auf das Gebiet des Märkischen Kreises beschränkt ist, vollziehbar ist."
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Die Generalstaatsanwaltschaft weist zutreffend auf die Rechtslage bei Verstößen gegen
das Aufenthaltsgesetz hin, sofern dieses vorliegend Anwendung finden sollte. Die
Feststellungen des angefochtenen Urteils sind insofern aber unvollständig – und bereits
deshalb kann das Urteil keinen Bestand haben –, da ihnen nicht hinreichend deutlich zu
entnehmen ist, ob über den Asylantrag des Angeklagten bereits rechts-
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kräftig entschieden ist. Sollte dies nämlich nicht der Fall sein, so käme vorliegend das
Asylverfahrensgesetz, insbesondere §§ 56 i. V. m. § 85 bzw. § 86 AsylVfG, und nicht
das Aufenthaltsgesetz zum Tragen. Andernfalls, d.h. bei rechtskräftigem Ab-
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schluss des Asylverfahrens, wofür vorliegend die Feststellung in dem angefochtenen
Urteil, es bestehe "zur Zeit eine Duldung" sprechen könnte – wäre das Aufenthalt-
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sgesetz mit den von der Generalstaatsanwaltschaft aufgezeigten rechtlichen
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Konsequenzen einschlägig. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die wiederholte
Zuwiderhandlung gegen eine Aufenthaltsbeschränkung im Sinne des § 56 Abs. 1
AsylVfG bzw. des § 61 Abs. 1 AufenthG nicht erfordert, dass die Ahndung eines früheren
Verstoßes durch Bußgeldbescheid oder gerichtliche Entscheidung vorausgegangen ist
(vgl. OLG Celle, NStZ 1984, 324; vgl. auch das Urteil des hiesigen 1. Strafsenats vom
31. Januar 2007 in 1 Ss 500/06 OLG Hamm).
Die Sache war nach alledem zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine
andere Abteilung des Amtsgerichts Iserlohn zurückzugeben, die auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens zu befinden hat.
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