Urteil des OLG Hamm vom 17.05.2006
OLG Hamm: versicherer, reiten, lebensstellung, gesundheitszustand, versicherungsnehmer, anfang, reitlehrer, avb, berufsunfähigkeit, unfall
Oberlandesgericht Hamm, 20 U 31/06
Datum:
17.05.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
20. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 U 31/06
Vorinstanz:
Landgericht Arnsberg, 4 O 261/05
Tenor:
Die eingelegte Berufung verspricht keine Aussicht auf Erfolg.
Der Senat beabsichtigt, sie durch Beschluß zurückzuweisen.
I.
1
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente für die Zeit ab
März 2005 in Anspruch.
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Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte sich nach Durchführung eines
Nachprüfungsverfahrens mit Erfolg auf den Wegfall ihrer Leistungspflicht berufen kann.
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Der Kläger unterhält bei der Beklagten zu deren Bedingungen für die
Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung seit dem 01.12.1094 eine
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (im folgenden BUZ).
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Der Kläger ist gelernter Pferdewirt mit Schwerpunkt Reiten.
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Zum Berufsbild des Pferdewirtes mit Schwerpunkt Reiten gehört insbesondere das
Trainieren von Pferden, Bereiten, Anreiten (Zureiten), die Erteilung von Reitunterricht,
die Vorstellung von Tieren bei Turnieren und das Longieren.
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Nach einem Unfall vom 17.05.1999, bei dem der Kläger eine Schulterluxation erlitt,
mußte er auf ärztlichen Rat hin schließlich das Reiten aufgeben.
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Seit dem 01.03.1999 arbeitete er als Pferdewirt, wobei nunmehr nach seinen Angaben
vom 18.10.2002 gegenüber der Beklagten der Schwerpunkt seiner täglichen Arbeit in
der Erteilung von Reitunterricht lag. Hinzu kamen Stallarbeiten sowie später die
maschinelle Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen.
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Der Kläger, der im Jahr 1997 ein Einkommen von 31.812,00 DM und im Jahr 1998 ein
solches von 35.290,0 0 DM erziehlt hatte, brachte es im Jahr 1999 nur noch auf ein
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Einkommen von 10.260,00 DM sowie auf 12.212,00 DM im Jahr 2000.
Mit Schreiben vom 21.02.2001 erkannte die Beklagte ihre Leistungspflicht aus der BUZ
an und zahlte ab Juni 1999 die vereinbarte Rente.
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Bei einer Überprüfung brachte die Beklagte in Erfahrung, daß der Kläger bei weiterhin
im wesentlichen gleichbleibender Tätigkeit - hinzugekommen war noch das Amt eines
Tunierrichters - sein Einkommen hatte steigern können. Im Jahr 2002 erzielte der Kläger
ein Einkommen von 17.546,00 € (= 34.316,99 DM) und im Jahr 2003 ein solches von
18.361,00 € (= 35.910,99 DM).
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Unter Hinweis auf dieses erzielte neue Einkommen verwies ihn die Beklagte mit
Schreiben vom 07.12.2004 auf die konkret ausgeübte Tätigkeit eines Reitlehrers und
verneinte die Berufsunfähigkeit in diesem Beruf. Sie kündigte an, ab dem 01.03.2005
die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente einzustellen.
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Seit Anfang März 2005 erbringt die Beklagte keine Leistungen aus der BUZ.
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Der Kläger hat die Beklagte auf Zahlung rückständiger und laufender
Berufsunfähigkeitsrente und auf Feststellung der Verpflichtung in Anspruch genommen,
zu der Grundrente auch künftig eine dynamische Bonusrente zu zahlen.
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Er hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei aufgrund ihres Anerkenntnisses gehindert,
ihn auf die Tätigkeit als Reitlehrer zu verweisen. Er sei zu der Tätigkeit eines Reitlehrers
gesundheitlich nicht in vollem Umfang in der Lage, weil er nicht selbst reiten könne.
Tatsächlich erbringe er nur landwirtschaftliche Hilfstätigkeiten, die gegenüber dem
früher ausgeübten Beruf als Pferdewirt mit Schwerpunkt Reiten minder qualifiziert und
deshalb nicht vergleichbar seien.
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Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und ihre Verweisung für wirksam
gehalten.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
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Die Beklagte habe zu Recht eine konkrete Verweisung auf den vom Kläger tatsächlich
ausgeübten Beruf eines Reitlehrers ausgesprochen. Der derzeit ausgeübte Beruf sei in
der Lebensstellung dem vor dem Unfall vom 17.05.1999 ausgeübten Beruf vergleichbar.
Der Verweisung stehe auch nicht entgegen, daß der Kläger die derzeitige Tätigkeit
bereits am 21.02.2001 ausgeübt habe, als die Beklagte ihre Leistungspflicht anerkannt
habe, denn gegenüber diesem Zeitpunkt sei in der Höhe des erzielten Einkommens
eine nachträgliche Veränderung eingetreten, die nunmehr die Verweisung zulässig
mache.
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Der Kläger greift dieses Urteil mit der Berufung an:
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Die Beklagte sei an den Lebenssachverhalt zum Zeitpunkt ihres
Leistungsanerkenntnisses in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gebunden. Die
Wirkungen des Anerkenntnisses seien nicht gemäß § 7 AVB-BUZ wirksam beseitigt
worden.
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Beweispflichtig für eine Veränderung einer anerkannten Berufsunfähigkeit sei die
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Beklagte. Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Einstellung der Leistung sei eine
ordnungsgemäße förmliche Mitteilung über die Einstellung der Leistungen, die
nachvollziehbar zu begründen sei. Nachvollziehbar sei die Mitteilung nur dann, wenn
sie den früheren Gesundheitszustand, der zum Anerkenntnis führte, mit dem
Gesundheitszustand vergleiche, der die Leistungspflicht entfallen lassen solle. Die
Mitteilung müsse also erkennen lassen, was sich gebessert habe.
Soweit der Versicherer die Änderungsmitteilung damit begründe, daß der Versicherte
aufgrund neu erworbener beruflicher Fähigkeiten in der Lage sei, eine andere Tätigkeit
auszuüben, müsse der Versicherer die andere Tätigkeit aufzeigen, die die Annahme
trage, daß der Versicherte sie ausüben und damit seine Lebensstellung wahren könne.
Es müsse diese andere Tätigkeit mit ihren prägenden Merkmalen aufgezeigt werden.
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Den dargestellten Kriterien genüge die Mitteillung der Beklagten vom 07.12.2004 nicht.
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Sie gehe auf eine Veränderung des Gesundheitszustandes des Klägers nicht ein,
sondern verweise nur auf den Beruf des Klägers als Reitlehrer, obwohl er bereits zur
Zeit des Anerkenntnisses am 21.02.2001 Reitunterricht erteilt habe. Er habe im übrigen
keine neu erworbenen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten erlangt. Es sei dem
Versicherer nicht gestattet, die beruflichen Fähigkeiten und Kenntnisse des Versicherten
im Nachhinein anders zu beurteilen und damit eine bei Leistungszusage nicht
vollständig vorgenommene Prüfung der Verweisungsfähigkeit zu kompensieren. Eine
Fehldiagnose rechtfertige keine Abänderung nach § 7 AVB-BUZ. Es sei nicht möglich,
auf einen Beruf zu verweisen, auf den bereits zur Zeit des Anerkenntnisses hätte
verwiesen werden können; deshalb sei es auch nicht möglich, die eingetretene
Einkommensveränderung als Maßstab heranzuziehen.
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Es fehle mithin an einer rechtlich relevanten Veränderung der tatsächlichen
Verhältnissse im Sinne der einschlägigen gesetzlichen und vertraglichen
Bestimmungen.
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II.
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Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
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Das Landgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Verweisung des
Klägers auf den von ihm tatsächlich ausgeübten Beruf eines Reitlehrers für wirksam
erachtet.
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Die gegen das Urteil gerichteten Angriffe des Klägers gehen sämtlich am Kern der
tragenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung vorbei.
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Im Kern geht es in diesem Rechtsstreit um die von der Beklagten in der
Berufungserwiderung zutreffend formulierte Frage, ob ein Versicherer, der Leistungen
aus einer BUZ wegen fehlender Verweisungsmöglichkeit infolge eines geringeren
Verdienstes des Versicherungsnehmers anerkannt hat, im Nachprüfungsverfahren auf
einen bereits im Zeitpunkt des Anerkenntnisses tatsächlich ausgeübten Beruf verweisen
kann, wenn der Versicherungsnehmer zeitlich nach dem Anerkenntnis wieder ein
Einkommen erzielt, das seinem früher erzielten Einkommen vergleichbar ist.
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Diese Frage ist zu bejahen.
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Eines Vergleichs zwischen dem Gesundheitszustand des Klägers im Jahr 2001
(Anerkenntniszeitpunkt) mit dem des Klägers im Jahr 2004 (Mitteilung der
Leistungseinstellung im Dezember 2004) bedurfte es nicht, da sich die Beklagte auf
eine Besserung des Gesundheitszustandes nicht berufen hat und diese nicht der Anlaß
zur Einstellung der Leistungen war.
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Auch eine Änderung der Verhältnisse aufgrund neu erworbener Kenntnisse des Klägers
hat die Beklagte ersichtlich nicht behauptet. Deshalb geht die Rüge des Klägers an der
Sache vorbei, die Beklagte müsse die andere Tätigkeit mit ihren prägenden Merkmalen
aufzeigen.
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Die Beklagte hat den Kläger nicht auf eine andere, sondern auf exakt die Tätigkeit
verwiesen, die er jetzt ausübt und die er schon zur Zeit des Anerkenntnisses ausgeübt
hat.
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Nun ist allerdings richtig, daß nach gefestigter Rechtsprechung
Verweisungsmöglichkeiten im Rahmen des § 7 Nr. 1 BB-BUZ unbeachtlich sind, wenn
der Versicherer bei Abgabe des Leistungsanerkenntnisses bestehende Möglichkeiten
einer Verweisung auf Vergleichstätigkeiten nicht wahrgenommen hat; diese hat er auch
für die Zukunft verloren (BGH, Urt.v. 17.02.1993 - IV ZR 206/91 - NJW 1993, 1532; BGH,
Urt.v. 12.06.1996 IV ZR 106/95 VersR 1996, 958; BGH, Urt.v. 03.11.1999
IV ZR 155/98 VersR 2000, 171).
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Eine Vergleichstätigkeit ist allerdings erst gefunden, wenn die aufgezeigte
Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und
auch in ihrer Vergütung wie in ihrer Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des
bislang ausgeübten Berufs absinkt (BGH, Urt.v. 11.12.1996 IV ZR 238/95 VersR 1997,
436 = NJW-RR 1997, 529).
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Eine Verweisungsmöglichkeit ist mithin an mehrere Voraussetzungen geknüpft: Die
Verweisungstätigkeit muß hinsichtlich der Kenntnisse und Fähigkeiten mit der früheren
Tätigkeit vergleichbar sein, und die der Tätigkeit entgegengebrachte Wertschätzung
muß der des bisher ausgeübten Berufs im wesentlichen entsprechen, was nicht nur,
aber auch von dem aus der Berufstätigkeit erzielbaren Einkommen abhängt.
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Zur Zeit ihres Anerkenntnisses übte der Kläger zwar schon die Tätigkeit aus, auf die ihn
die Beklagte mit Schreiben vom 07.12.2004 verwiesen hat. Jedoch bestand für die
Beklagte im Jahr 2001 gleichwohl keine Verweisungsmöglichkeit, da der Kläger aus
seiner Tätigkeit nur ein Einkommen in Höhe von etwa einem Drittel gegenüber seinen
früheren Einkünften erzielte.
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Die erforderliche Vergleichsbetrachtung, die die Beklagte in ihrem Schreiben vom
07.12.2004 zutreffend angestellt hat, bezog sich damit auf die - im Vergleich zu denen
bei Anerkennung der Leistungspflicht - gestiegenen Einküfte des Klägers; erst durch sie
wurde eine Angleichung der Lebensstellung erreicht und die Verweisbarkeit überhaupt
möglich.
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Zu Recht hat das Landgericht darauf hingewiesen, daß es Sache des Klägers ist
darzulegen, warum er eine von ihm ausgeübte Tätigkeit nicht ausüben kann oder warum
sie aus anderen Gründen mit seinem zuletzt ausgeübten Beruf nicht vergleichbar sein
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soll (vgl. dazu BGH, Urt.v. 03.11.1999 IV ZR 155/98 VersR 2000, 171). Denn übt ein
Versicherungsnehmer eine vom Versicherer als Vergleichsberuf in Anspruch
genommene Tätigkeit schon tatsächlich aus, hat er - und nicht sein Versicherer -
Kenntnis davon, welche Anforderungen diese im Einzelnen an ihn stellt. In einem
solchen Fall genügt es daher nicht, wenn der Versicherungsnehmer die
Vergleichbarkeit der ausgeübten Tätigkeit bestreitet, vielmehr obliegt es ihm von Anfang
an vorzutragen - und erforderlichenfalls zu beweisen -, daß und warum er diese
Tätigkeit nicht ausüben kann oder warum sie sonst den bedingungsgemäßen
Anforderungen an eine Vergleichstätigkeit nicht genügen soll (so BGH, Urt.v.
12.01.2000 IV ZR 85/99 VersR 2000, 349). Will der Versicherte geltend machen, die
von ihm ausgeübte Tätigkeit entspreche nicht seiner früheren Lebensstellung, ist es an
ihm, die konkreten Umstände darzulegen, aus denen sich die fehlende Vergleichbarkeit
ergeben soll (BGH, Urt.v. 11.12.2002 IV ZR 302/01 NJWRR 2003, 383).
Das Landgericht hat zu Recht entschieden, daß der Kläger mit den Ausführungen zur
Vergleichbarkeit der früher und derzeit ausgeübten Tätigkeiten seiner Darlegungslast
nicht genügt hat. Berufungsangriffe dagegen fehlen.
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III.
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Der Kläger erhält Gelegenheit, zu dem erteilten Hinweis binnen einer Frist von
3 Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.
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Auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (Kostenverzeichnis Nr.
1222) bei einer Berufungsrücknahme sei hingewiesen.
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