Urteil des OLG Hamm vom 05.03.2009

OLG Hamm: recht der europäischen union, beweisantrag, auflage, verkehrssicherheit, finnland, verbotsirrtum, könig, fahrzeug, warenverkehrsfreiheit, ordnungswidrigkeit

Oberlandesgericht Hamm, 2 Ss OWi 71/09
Datum:
05.03.2009
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Senat für Bußgeldsachen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Ss OWi 71/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Lüdenscheid, 82 OWi 457/08
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des
Betroffenen als unbegründet verworfen.
Gründe:
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I.
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Das Amtsgericht Lüdenscheid hat gegen den Betroffenen durch Urteil vom
24. November 2008 wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges, dessen
Verkehrssicherheit durch abgedunkelte Scheiben wesentlich beeinträchtigt war
(§§ 23 Abs. 1, 49 StVO, 24 StVG, 17 OWiG), eine Geldbuße in Höhe von 70,00 €
verhängt.
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Zum Sachverhalt hat das Amtsgericht folgendes festgestellt:
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"Am 26.02.2008 gegen 12:00 Uhr führte der Betroffene in M, unter anderem in der K,
einen LKW des Fabrikats Volvo mit dem Kennzeichen ######. Die
Verkehrssicherheit dieses LKW war dadurch wesentlich beeinträchtigt, dass die
vorderen Seitenscheiben links und rechts, die ohnehin bereits werksseitig eine
dunklere Färbung hatten, durch das Aufkleben von Polyesterfolie – getönt mit der
Tönungsvariante CH-22 h.c. – unzulässigerweise verdunkelt waren. (...) Der
Betroffene hätte dies erkennen können."
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Das Amtsgericht hat weiter ausgeführt, soweit der Betroffene meine, wegen der in
Finnland aufgebrachten und dort nicht beanstandeten Folie an dem in Finnland
zugelassenen Fahrzeug habe er glauben dürfen, die Folie sei auch in Deutschland
erlaubt, liege ein vermeidbarer Verbotsirrtum vor.
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Gegen das seinem Verteidiger am 15. Dezember 2008 zugestellte Urteil hat der
Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 28. November 2008,
eingegangen bei dem Amtsgericht Lüdenscheid am selben Tage, den Antrag auf
Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Mit Telefaxschreiben seiner Verteidiger
vom 13. Januar 2009 hat er diesen Antrag näher begründet und die Verletzung
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materiellen und formellen Rechts gerügt. Im Wesentlichen hat er ausgeführt, die
Zulassung der Rechtsbeschwerde habe zur Fortbildung des Rechts zu erfolgen, da
nicht hinreichend geklärt sei, ob ein nach § 20 Abs. 1
Fahrzeugzulassungsverordnung (FZV) in einem anderen Land der Europäischen
Union beziehungsweise des europäischen Wirtschaftsraumes zugelassen und dort
als verkehrs- und betriebssicher eingestuft worden sei, im Rahmen des § 20
Abs. 3 FZV wegen einer allgemeinen Bauartgenehmigung des
Kraftfahrtbundesamtes in Deutschland nicht verkehrssicher sei und deshalb nicht
am inländischen Verkehr teilnehmen dürfe. Ferner gehe es um die Frage, ob ein
ordnungsgemäß im europäischen Ausland zugelassenes Kraftfahrzeug nach
deutschem Recht bemängelt werden dürfe oder ob insofern ein Verstoß gegen die
Warenverkaufsfreiheit in Europa vorliege.
Darüber hinaus sei das Amtsgericht einem Beweisantrag, der durch den Verteidiger
mittels Telefaxschreibens vom 18. November 2008 übermittelt worden sei, "nicht
nachgegangen" und habe sich "hiermit auch nicht in dem Urteil
auseinandergesetzt". Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die
Begründungsschrift vom 13. Januar 2009 Bezug genommen.
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II.
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Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zwar rechtzeitig gestellt und
form- und fristgerecht begründet worden. In der Sache ist ihm aber der Erfolg zu
versagen.
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1)
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Da das Amtsgericht gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von nicht mehr
als 100,00 € verhängt hat, ist die Rechtsbeschwerde wegen der Anwendung von
Rechtsnormen über das Verfahren grundsätzlich nicht zuzulassen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1
OWiG). Eine Ausnahme besteht dann, wenn in dem mit der Verfahrensrüge geltend
gemachten Umstand eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gesehen werden
könnte (§ 80 Abs. 1. Nr. 2 OWiG). Denn nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ist die
Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs,
welches ein Prozessgrundrecht nach Artikel 103 Abs. 1 GG darstellt, gerade
geboten. Dies soll sicherstellen, dass die erlassene Entscheidung frei von
Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und
der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Zwar geht Artikel
103 Abs. 1 GG davon aus, dass die Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs jeweils
den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen bleiben muss und gewährt daher
grundsätzlich keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines
Beteiligten aus formellen oder materiellen Gründen ganz oder teilweise
unberücksichtigt lassen. Allerdings ist aber das Willkürverbot, das dem allgemeinen
Gleichheitssatz (Artikel 3 Abs. 1 GG) entspringt, verletzt, wenn ein Beweisantrag
ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Begründung abgelehnt
worden ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Februar 1992 – 2 BvR 700/91 -,
zitiert nach juris Rn. 14 mit weiteren Nachweisen).
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Soweit der Betroffene rügt, dass das Amtsgericht seinem Beweisantrag "nicht
nachgegangen" sei und sich damit auch nicht in den Urteilsgründen
"auseinandergesetzt" habe, und damit die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend
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machen will, genügt dies nach der Auffassung des Senats indes nicht den
Anforderungen der §§ 80 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 344 Abs. 2 StPO.
Danach hätte der Betroffene zur ordnungsgemäßen Erhebung der Rüge zumindest
genau mitteilen müssen, was auf den Beweisantrag seitens des Amtsgerichts
veranlasst worden ist, mit welcher Begründung der Beweisantrag abgelehnt worden
ist oder ob das Amtsgericht eine Entscheidung unterlassen hat. Gegebenenfalls
wäre der auf den Beweisantrag ergangene Beschluss im Wortlaut oder seinem
wesentlichen Inhalt nach mitzuteilen gewesen (Senatsbeschluss vom 16. August
2008 – 2 Ss OWi 348/06 -, zitiert nach juris Rn. 6; OLG Hamm, Rechtspfleger 1998,
367; Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 344 Rn. 21), um das
Rechtsbeschwerdegericht in die Lage zu versetzen, zu prüfen, ob die angegriffene
Entscheidung auf einer Verletzung des Artikel 103 GG beruht. Die unklaren
Angaben in der Beschwerdeschrift ermöglichen dies dem Senat nicht. Darüber
hinaus kommt die Aufhebung eines Urteils wegen der Versagung des rechtlichen
Gehörs nur in solchen Fällen in Betracht, in denen es sich aufdrängt und nicht
zweifelhaft erscheint, dass das Urteil einer Nachprüfung durch das
Bundesverfassungsgericht nicht standhielte (vergleiche dazu: Senatsbeschluss vom
01. Dezember 2005 – 2 Ss OWi 817/05), worauf bereits die
Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat. Dies ist vorliegend nicht der
Fall.
2)
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Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ist vorliegend auch nicht zur Fortbildung
des Rechts geboten (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Zur Fortbildung des Rechts ist die
Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt,
Leitsätze über die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des
Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen
(Senatsbeschluss vom 06. November 2008 – 2 Ss OWi 351/08 -; OLG Hamm, VRS
56, 42, 43). Eine Zulassung unter diesem Gesichtspunkt kommt daher nur bei
entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und abstraktionsfähigen
Rechtsfragen in Betracht (Senatsbeschlüsse vom 06. November 2008 – 2 Ss OWi
351/08 – und 2 Ss OWi 585/08 -; vom 20. November 2008 – 2 Ss OWi 863/08 -; vom
06. Januar 2009
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– 2 Ss OWi 949/08; vom 20. Januar 2009 - 2 Ss OWi 2/09; Göhler, OWiG,
14. Auflage, § 80 Rn. 30 mit weiteren Nachweisen).
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Solche Rechtsfragen zeigt der Antrag des Betroffenen nicht auf, sie sind auch im
Übrigen nicht ersichtlich.
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a)
18
Namentlich ist das Verhältnis von § 20 Abs. 1 und Abs. 3 FZV hinreichend geklärt.
Nach dem Regelungsgehalt des § 20 Abs. 1 FZV darf ein Fahrzeug, das in der
Europäischen Union oder einem anderen Land des europäischen
Wirtschaftsraumes zugelassen ist, vorübergehend – nämlich bis zu einem Jahr – am
inländischen Verkehr teilnehmen und ist für diesen Zeitraum von den inländischen
Vorschriften über das Zulassungsverfahren und – nach Maßgabe der §§ 31 d, 31 e
StVZO - auch von den Beschaffenheits- und Ausrüstungsvorschriften der StVZO
befreit. Gleichwohl gelten die inländischen Betriebsvorschriften für alle im Inland
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verkehrenden Fahrzeuge, insbesondere müssen diese sich in einem
verkehrssicheren Zustand befinden (§ 20 Abs. 3 FZV). Daraus folgt, dass ein
Verstoß gegen § 23 StVO aufgrund erheblich beeinträchtigter Verkehrssicherheit
vorliegen kann, wenn auch ein Verstoß gegen Vorschriften der StVZO – mangels
Anwendbarkeit – nicht gegeben ist (OLG Bamberg, Urteil vom 25. September 2007
– 2 Ss 1/2007 -, zitiert nach juris Rn. 24; Janker, in: Jagow/Burmann/Heß,
Straßenverkehrsrecht, 20. Auflage 2008, § 1 StVG Rn. 12).
b)
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Es ist ebenfalls hinreichend geklärt, dass § 20 Abs. 3 FZV mit europarechtlichen
Grundsätzen zu vereinbaren ist. Denn selbst wenn man grundsätzlich einen Verstoß
gegen die Warenverkehrsfreiheit durch die Regelung des § 20 Abs. 3 FZV und der
daraus folgenden Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften der StVO bejahte,
wäre dieser gerechtfertigt, worauf die Generalstaatsanwaltschaft ebenfalls bereits
zutreffend hingewiesen hat. Denn § 20 Abs. 3 FZV bezweckt die Sicherheit des
Straßenverkehrs. Diese stellt einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses
dar, der eine Beeinträchtigung der Freiheit des Warenverkehrs rechtfertigt (OLG
Bamberg, Urteil vom 25. September 2007 – 2 Ss 1/2007 -, zitiert nach juris Rn. 24
mit Verweis auf EuGH, Urteile vom 05. Oktober 1994 – C-55/93 Rn. 19 und vom 15.
März 2007 – C -54/05 Rn. 40 mit weiteren Nachweisen). Mit der durch § 20 Abs. 3
FZV eröffneten Möglichkeit von Sicherheitskontrollen ausländischer Fahrzeuge im
Inland aufgrund der allgemeinen Vorschriften der StVO werden die nationalen
Interessen an der Sicherheit und Ordnung im Einklang mit dem Recht der
Europäischen Union berücksichtigt. Eine darüber hinausgehende Beschränkung
wäre jedoch unverhältnismäßig (OLG Bamberg, Urteil vom 25. September 2007 – 2
Ss 1/2007 -, zitiert nach juris Rn. 24).
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c)
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Soweit aus dem Gesamtzusammenhang der Begründungsschrift entnommen
werden kann, der Betroffene habe angesichts der Zulassung des Fahrzeugs in
Finnland darauf vertrauen dürfen, auch in Deutschland keine Ordnungswidrigkeit zu
begehen (unvermeidbarer Verbotsirrtum), handelt es sich dabei ebenfalls nicht um
eine klärungsbedürftige und abstraktionsfähige Rechtsfrage. Die Anforderungen, die
an die Regelkenntnis des Verkehrsteilnehmers – unter Berücksichtigung der
entsprechenden Rechtsprechung - gestellt werden, sind hinreichend geklärt
(vergleiche: König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage
2009 Einleitung Rn. 142 und 157 mit weiteren Nachweisen).
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG.
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