Urteil des OLG Hamm vom 20.01.2006

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Oberlandesgericht Hamm, 4 Ws 221/05
Datum:
20.01.2006
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 Ws 221/05
Vorinstanz:
Landgericht Münster, 7 KLs 36/04
Tenor:
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Landgerichts Münster vom
12.04.2005 aufgehoben.
Die Vergütung des Pflichtverteidigers Rechtsanwalt B in N wird auf
weitere 1.006,88 €, mithin auf insgesamt 6.911,74 € festgesetzt.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei.
Kosten werden nicht erstattet.
I. Rechtsanwalt B war in dem vorliegenden Strafverfahren als Pflichtverteidiger für den
Angeklagten tätig. Das Landgericht Münster ordnete ihn mit Beschluss vom 09.08.2004
dem Angeklagten bei. Der Angeklagte befand sich seinerzeit in Haft.
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Die Hauptverhandlung wurde in der Zeit vom 16.11.2004 bis zum 03.01.2005 an
insgesamt 5 Verhandlungstagen durchgeführt, bei denen der Verteidiger anwesend war.
Am 03.01.2005 wurde das Urteil verkündet. Am selben Tage fertigte der Verteidiger
einen Schriftsatz, der am 04.01.2005 bei dem Landgericht in Münster einging, und der
folgenden Inhalt hatte:
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"... lege ich gegen das Urteil vom 03.01.2005 das Rechtsmittel der Revision ein und
gebe die nachfolgende Revisionsbegründung mit dem Antrag ab: das angefochtene
Urteil mit der Feststellung aufzuheben und die Sache zu einer erneuten Verhandlung
und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückzuverweisen. Gerügt wird die
Verletzung formellen und materiellen Rechts. Ein Schriftsatz in der Sache bleibt
vorbehalten."
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Bereits am 11.01.2005 erklärte der Verteidiger schriftsätzlich die Rücknahme der
Revision. Erst am 24.01.2005 wurde die Zustellung des schriftlichen Urteils unter
anderem an den Verteidiger verfügt.
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Dieser beantragte am 11.01.2005 die Festsetzung seiner Gebühren und Auslagen
gemäß § 55 RVG. Dieser Antrag enthielt neben den Gebühren und Auslagen für die
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außergerichtliche und die erstinstanzliche Tätigkeit des Verteidigers eine
Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren gem. § 14, Nr. 4130 RVG-VV in Höhe von
412,- € und eine Post- und Telekompauschale gem. Nr. 7002 RVG-VV in Höhe von 20,-
€, jeweils zuzüglich Umsatzsteuer. Mit Beschluss vom 10.02.2005 setzte die
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die aus der Staatskasse an den Verteidiger zu
zahlende Vergütung auf 5.904,86 € fest. Dieser Betrag setzt sich aus der Summe der
Gebühren und Auslagen für die erstinstanzlichen Tätigkeiten sowie der entsprechenden
Umsatzsteuer zusammen. Nicht berücksichtigt wurden also die Gebühren für die
außergerichtlichen Tätigkeiten sowie die Gebühren Nr. 4130 RVG-VV und Nr. 7002
RVG-VV. Die Absetzung der Gebühren für die Revisionsinstanz wurde damit begründet,
dass der Verteidiger sich zum Zeitpunkt der Einlegung und Begründung der Revision
noch nicht inhaltlich hat mit dem schriftlichen Urteil der Strafkammer beschäftigen
können, da ihm dies erst später – und zwar nach der Rücknahme des Rechtsmittels -
zugegangen sei. Die mündliche Begründung des Urteils müsse außer Betracht bleiben.
Aus welchem Grunde die Gebühren für die außergerichtlichen Tätigkeiten sowie die
Post- und Kommunikationspauschale nicht berücksichtigt worden sind, ergibt sich aus
dem Beschluss nicht.
Der Vergütungsbeschluss wurde dem Verteidiger am 17.02.2005 zugestellt. Hiergegen
richtet sich seine als Erinnerung ausgelegte "Beschwerde" vom 18.02.2005. Die 7.
Strafkammer des Landgerichts Münster wies die Erinnerung mit Beschluss vom
12.04.2005 zurück und bezog sich in seiner Begründung auf die Entscheidung der
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle. Weiterhin wies die Kammer darauf hin, dass
überflüssige Prozesshandlungen keinen Vergütungsanspruch auslösen könnten. Die
Begründung der Revision vor Übersendung der schriftlichen Urteilsgründe sei aber nicht
sachlich zu rechtfertigen und damit überflüssig, da für die Begründung der Revision die
Auseinandersetzung mit dem schriftlichen Urteil erforderlich sei.
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Die Übersendung des Beschlusses vom 12.04.2005 wurde am 13.04.2004 verfügt,
wobei der Eingang bei dem Verteidiger nicht feststellbar ist, jedoch nicht vor dem
14.04.2004 erfolgt sein kann. Der Verteidiger hat mit Schriftsatz vom 27.04.2005,
welcher am 28.04.2005 bei dem Landgericht in Münster eingegangen ist, gegen den
Beschluss vom 12.04.2005 Beschwerde eingelegt. Aufgrund eines
Nichtabhilfebeschlusses des Landgerichts vom 20.04.2005 wurde die Sache dem
Oberlandesgericht in Hamm zur Entscheidung vorgelegt, welches am 28.06.2005 eine
Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des
Oberlandesgerichts eingeholt hat.
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II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
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1. Die Zulässigkeit ergibt sich aus §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 bis 8 RVG.
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a) Die Beschwerde wurde rechtzeitig bei dem Landgericht in Münster eingelegt. Eine
förmliche Zustellung der angefochtenen Entscheidung ist nicht erfolgt. Daher wurde die
Zweiwochenfrist nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 3 RVG nicht in Gang gesetzt.
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b) Auch ist der Beschwerdewert von 200,- € erreicht (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 1 RVG).
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2. Die Beschwerde ist in vollem Umfang begründet.
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a) In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Verwaltungsabteilung des
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Oberlandesgerichts ist festzustellen, dass der Verteidiger zurecht die begehrte
Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen (Nr. 7002 RVG-VV) in
Höhe von 20,- € zuzüglich Umsatzsteuer, mithin von 23,20 € beantragt hat, und zwar
unabhängig von der Frage, ob ihm Gebühren für die Revisionsinstanz zustehen. Die
Pauschale kann er für die erste Instanz verlangen. Sie ist in seinem Antrag im Rahmen
der außergerichtlichen und erstinstanzlichen Gebühren und Auslagen nicht aufgeführt,
so dass hier auch keine doppelte Beanspruchung der Landeskasse vorliegt.
b) Auch sind die in dem Antrag des Verteidigers vom 11.01.2005 aufgeführten Gebühren
für seine außergerichtlichen Tätigkeiten – entsprechend der Stellungnahme der
Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts – nicht zu beanstanden.
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Der angefochtene Beschluss und der Vergütungsbeschluss der Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle des Landgerichts Münster vom 10.02.2005 enthalten keine Begründung
für die Absetzung der beantragten Gebühren. Die behaupteten Tätigkeiten des
Verteidigers ergeben sich aus den vorliegenden Akten und den weiteren Recherchen
der hiesigen Verwaltungsabteilung. Der Angeklagte befand sich vor der
Hauptverhandlung in Haft, so dass die jeweiligen Gebührentatbestände mit
entsprechenden Zuschlägen zu versehen sind.
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Insgesamt sind dem Verteidiger 436,- € zuzüglich Umsatzsteuer, also insgesamt 505,76
€ für seine außergerichtlichen Bemühungen zuzusprechen.
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c) Entgegen der Auffassung des Landgerichts und der Verwaltungsabteilung des
Oberlandesgerichts steht dem Pflichtverteidiger auch eine Verfahrensgebühr für das
Revisionsverfahren nach Nr. 4130 RVG-VV in Höhe von 412,- € zzgl. Umsatzsteuer,
also von 477,92 € zu.
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aa) Der bereits in der ersten Instanz tätige Verteidiger erhält für die Einlegung der
Revision und die dieser Handlung vorausgegangenen Beratungen mit dem
Angeklagten keine selbständige Gebühr nach Nr. 4130 RVG-VV, da die genannten
Tätigkeiten gemäß § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG noch zu der Ausgangsinstanz gehören
(vgl. Gebauer/Schneider, RVG, 2. Auflage, 2004, VV 4130-4131, Rdn. 5; Mayer/Kroiß,
RVG, 2004, Nrn. 4130-4135, Rdn. 9, sowie Nrn. 4300-4304 VV, Rdn. 6).
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bb) Der Verteidiger muss also für das Entstehen der fraglichen Gebühr eine darüber
hinausgehende Tätigkeit entwickeln (vgl. Göttlich/Mümmler, RVG, 1. Aufl., 2004,
Strafsachen 3.3, S. 886). Das Fertigen der Revisionsbegründungsschrift dagegen gehört
bereits zum Revisionsrechtszug (vgl. Hartung/Römermann, RVG, 2004, VV Teil 4, Rdn.
116-117; Mayer/Kroiß, a. a. O, Nrn. 4130-4135, Rdn. 9; Bischof/Jungbauer, RVG,
Vergütungsverzeichnis, S. 652) mit der Folge, dass die Verfahrensgebühr ausgelöst
wird, selbst wenn der Verteidiger sich darauf beschränkt, in der Revisionsschrift
lediglich die Verletzung materiellen Rechts zu rügen (vgl. Göttlich/Mümmler, a. a. O.,
Strafsachen 3.3, S. 886; LG Dortmund, JurBüro 1974, 342 mit weiteren Nachweisen).
Diese formelhafte Sachrüge genügt nach § 344 Abs. 2 StPO zur Begründung des
Rechtsmittels, ohne dass die den Mangel begründenden Tatsachen angegeben sein
müssen (vgl. Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozeß, 6. Auflage, 2000, Rdn. 503;
Meyer-Goßner, StPO, 48. Auflage, 2005, § 344, Rdn. 17-18). Ohne eine Rücknahme der
Revision wäre im vorliegenden Fall – die Zulässigkeit im weiteren unterstellt – das
Rechtsmittelverfahren aufgrund der Sachrüge durchgeführt und das Urteil des
Landgerichts im vollen Umfang überprüft worden.
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cc) Gegen die Zuerkennung der Verfahrensgebühr spricht auch nicht der Umstand, dass
das schriftliche Urteil dem Verteidiger noch nicht vorlag, als er die Revision begründete.
Dem Verteidiger und dem Angeklagten waren aufgrund ihrer Anwesenheit in der
Hauptverhandlung nämlich die Urteilsgründe in mündlicher Form bekannt gegeben
worden, bevor die Revision eingelegt und begründet wurde. Es kann nicht
ausgeschlossen werden, dass die mündliche Urteilsbegründung – jedenfalls nach
Ansicht des Rechtsmittelführers – ausreichenden Anlass bot, die Verletzung materiellen
Rechts anzunehmen und zu rügen. Insoweit kann nicht von einer sachlich
unbegründeten, im Ergebnis unsinnigen und überflüssigen Maßnahme ausgegangen
werden. Diesbezüglich liegt der Fall hier anders als in der von der Verwaltungsabteilung
des Oberlandesgerichts in der dortigen Stellungnahme zitierten Entscheidung des OLG
Zweibrücken.
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dd) Streitstoff der Revisionsinstanz sind das schriftliche Urteil und die
Revisionsbegründungsschrift (vgl. Bischof/Jungbauer, a. a. O., Vergütungsverzeichnis,
S. 652). In der Fertigung der Begründung ist der Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit
im Revisionsverfahren zu sehen (vgl. Hartung/Römermann, a. a. O., VV Teil 4, Rdn.
117). Allerdings honoriert das Gesetz – wie regelmäßig bei einer pauschalisierten
Vergütung - die formale Handlung des Verteidigers (hier: Vorlage einer
Begründungsschrift), ohne auf die Qualität des Inhalts oder die damit im Vorfeld
verbundene Mühewaltung abzustellen.
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ee) Die Frage, ob dem Verteidiger zudem eine Gebühr nach Nr. 4141 RVG-VV wegen
seiner Rücknahme der Revision zuzusprechen ist, ist nicht Gegenstand der
vorliegenden Beschwerde, sondern durch das Landgericht in Münster aufgrund eines
weiteren Antrages des Verteidigers vom 27.04.2005 zu entscheiden. Hier wird sich der
Verteidiger allerdings erklären müssen, wodurch er – nachdem er offensichtlich
zunächst von der Verletzung sachlichen Rechts ausgegangen war – die Erkenntnis
gewonnen hat, das Urteil sei doch frei von Rechtsfehlern, obgleich er es in schriftlicher
Form noch nicht vorliegen hatte (vgl. insoweit OLG Hamm, NJW 1961, 135, 136-137;
OLG Zweibrücken, JurBüro 1981, 232).
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3. Die Entscheidung über die Beschwerde ergeht gebührenfrei.
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Kosten werden gem. § 56 Abs. 2 RVG nicht erstattet.
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