Urteil des OLG Hamm vom 17.10.2007

OLG Hamm: schüler, schule, aufnehmen, alter, gebüsch, beschädigung, entziehen, aufenthalt, verbergen, gewissheit

Oberlandesgericht Hamm, 11 U 132/06
Datum:
17.10.2007
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
11. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 U 132/06
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 4 O 461/05
Tenor:
Auf die Berufung des beklagten Landes wird das am 27. Juli 2006
verkündete
Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Essen abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
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I.
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Die Klägerin verlangt von dem beklagten Land mit dem Vorwurf einer
Aufsichtspflichtverletzung durch das Lehrpersonal Schadensersatz wegen der
Beschädigung ihres PKW Fiat Punto am 26.06.2003 infolge eines Steinwurfs durch
zwei siebenjährige Kinder vom Gelände der F in C.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und der gestellten Anträge wird gemäß § 540
ZPO auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.
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Das Landgericht hat der Klage nach Vernehmung der Zeugin N stattgegeben. Es hat
zwar nicht festzustellen vermocht, dass die Aufsicht führende Lehrerin N ihre
Aufsichtspflicht verletzt habe, die Einstandspflicht des beklagten Landes aber mit der
Gestaltung des Schulhofes begründet, welcher aufgrund seiner Begrünung ermögliche,
dass sich Kinder verstecken und sodann "Dummheiten" begehen könnten, ohne dass
dies vom Aufsichtspersonal bemerkt werde.
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Mit der Berufung wendet sich das beklagte Land gegen den Vorwurf eines
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Mit der Berufung wendet sich das beklagte Land gegen den Vorwurf eines
Organisationsverschuldens. Es vertieft seine Ansicht, dass eine durchgängige
Beaufsichtigung der Kinder durch das Lehrpersonal, welche den Schadensfall
verhindert hätte, nicht verlangt werden könne. Für die Ausgestaltung des Schulhofes sei
ohnehin die Stadt C als Schulträger verantwortlich. Jedoch sei die vorgenommene
Gestaltung aus pädagogischen Gründen sinnvoll und daher nicht vorwerfbar, ohne dass
eine Verpflichtung zur Umgestaltung bestehe. Das Landgericht habe daher überzogene
Anforderungen aufgestellt.
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Das beklagte Land beantragt,
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das am 27.07.2006 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts
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Essen abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft ihre Behauptung, dass die
Beaufsichtigung der entwicklungsgestörten Kinder, welche die Steine geworfen hatten,
unzureichend gewesen sei.
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II.
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Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
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Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht aufgrund des Vorfalls vom 26.06.2003
kein Schadensersatzanspruch gegen das beklagte Land gemäß § 839 Abs. 1 BGB
i.V.m. Art. 34 S. 1 GG zu.
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Es fehlt bereits an einer Amtspflichtverletzung durch die Bediensteten des beklagten
Landes. So hat das Landgericht zutreffend erkannt, dass der die Aufsicht auf dem
Schulhof führenden Lehrerin N kein Vorwurf einer unzureichenden Beaufsichtigung der
Kinder gemacht werden kann. Zwar obliegt dem Lehrpersonal der Schule in
Pausenzeiten die Aufsichtspflicht über die Schüler. Dies führt jedoch schon nicht dazu,
dass von einem Aufsicht führenden Lehrer verlangt werden kann, dass er jeden Schüler
ständig im Blick haben und sofort eingreifen muss, wenn etwa ein Schüler durch sein
Verhalten fremde Personen oder Sachen gefährdet oder schädigt. Vielmehr bestimmt
sich das Maß der gebotenen Aufsicht entsprechend der allgemeinen Aufsichtspflicht
nach § 832 BGB nach Alter, Eigenart und Charakter der Kinder, nach der
Voraussehbarkeit des schädigenden Verhaltens sowie danach, was den
Aufsichtspflichtigen jeweils zugemutet werden kann. Entscheidend ist, was ein
verständiger Aufsichtspflichtiger nach vernünftigen Anforderungen im konkreten Fall
unternehmen muss, um Schädigungen durch das Kind zu verhindern (vgl. BGH, NJW-
RR 1987, S. 1430; NJW 1990, S. 2553). Bei Kindern im grundschulfähigen Alter von 6 –
10 Jahren darf aber unterstellt werden, dass ihnen die Gefahr der Entstehung von
Schäden an Personen oder Sachen bei Steinwürfen bereits bewusst ist. Diese
Erkenntnis wird Kindern erfahrungsgemäß noch weit vor Erreichen des Schulalters von
den Erziehungsberechtigten immer wieder eingeschärft und mit einem Verbot derartiger
Verhaltensweisen verbunden. Darauf, dass eine derartige Erziehung im Elternhaus
erfolgt ist, darf sich das Lehrpersonal grundsätzlich verlassen. Eine ständige
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Beobachtung kann indessen vom Aufsichtspflichtigen nicht verlangt werden. Eine
dauernde Überwachung "auf Schritt und Tritt" ist schon bei Kindern im Kindergartenalter
und erst recht im Schulalter nicht erforderlich. Dies folgt auch daraus, dass das Maß der
Aufsicht mit dem Erziehungsziel, die wachsende Fähigkeit und das wachsende
Bedürfnis der Kinder zum selbständigen verantwortungsbewussten Handeln einzuüben,
in Einklang gebracht werden muss.
Dass hingegen die Lehrerin N irgendwelche Anhaltspunkte dafür haben musste, dass
den beiden Kindern Y und Y1 das Verbot des Steinewerfens nicht bekannt war oder sie
nicht bereit sein würden, dieses Verbot zu beachten, ist nicht ersichtlich. Vielmehr hat
die Zeugin N – angesichts des Vorfallsdatums im Juni plausibel – ausgeführt, dass
beide Kinder seit etwa einem Jahr die Schule besuchten und bisher nicht durch
derartige Verbotsübertretungen aufgefallen waren. Allein der Umstand, dass es sich
beiden Kindern nach den Ausführungen des Dipl.-Psychologen PD Dr. T2 in seinem
Gutachten vom 27.04.2005 um Kinder mit gewissen Entwicklungs- und Reifedefiziten
handelte, weshalb diese noch zur Erlangung der Schulreife gefördert werden mussten,
musste der Zeugin N keinen Anlass zu einer intensiveren Beaufsichtigung beider Kinder
bieten. Dies folgt schon aus der weiteren Feststellung des Sachverständigen, dass sich
beide Kinder grundsätzlich durchaus bewusst waren, dass die Beschädigung einer
Sache durch Steinwürfe verboten ist. Im Übrigen fehlt aber auch hier der Anhaltspunkt
dafür, dass gerade aufgrund der vorhandenen Entwicklungsrückstände beider Kinder
mit einem derartigen Verhalten hätte gerechnet werden müssen. Schließlich begründet
es keine Pflichtverletzung der Zeugin N, dass sie ihren von ihr zunächst geschilderten
Versuch, die beiden von ihr bemerkten Kinder aus dem auf dem Schulgelände
befindlichen Gebüsch herauszuholen, abbrach, weil sie sich einem Streit anderer
Kinder im Bereich der Schaukel zuwandte. Aus dem Aufenthalt der beiden Kinder im
Gebüsch und dem nicht sofortigen Befolgen ihrer Aufforderung musste sie nicht
schließen, dass die Kinder in der nächsten Zeit zu Steinwürfen über die Begrenzung
des Schulgeländes hinaus übergehen würden.
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Das beklagte Land hat aber auch kein Organisationsverschulden zu verantworten. So ist
zunächst nicht zu beanstanden, dass zur Beaufsichtigung der sechs auf dem
Schulgelände befindlichen Kinder nur eine Aufsichtsperson eingesetzt wurde. Die
Aufsichtsführung auf dem Schulhof muss aus den bereits oben geschilderten
Grundsätzen heraus nicht derart organisiert werden, dass eine ständige Beaufsichtigung
aller Kinder möglich sein muss, und war daher ausreichend.
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Des Weiteren ist aber auch der Vorwurf einer pflichtwidrigen Gestaltung des Schulhofes,
wodurch eine Beaufsichtigung der Kinder erschwert werde, nicht gerechtfertigt. Insofern
fehlt es bereits an einer Verantwortung des beklagten Landes, weil diese lediglich
Anstellungskörperschaft der Lehrerin ist, die Gestaltung des Schulhofes hingegen
mangels Trägerschaft nicht zu verantworten hat. Im Übrigen ist aber auch
auszuschließen, dass die aus pädagogischen Gründen erfolgte aufgelockerte
Gestaltung des Schulhofes mit Begrünung, Laubengängen und Hügeln eine
Pflichtverletzung darstellt. Denn genau wie das Lehrpersonal darf auch der Schulträger
davon ausgehen, dass Kinder im Grundschulalter keiner ständigen Beaufsichtigung
bedürfen. Deshalb ist es auch unbedenklich, wenn die Gestaltung des Schulgeländes
so erfolgt, dass sich Kinder zeitweilig dem Blick des Aufsichtspersonals entziehen
können. Eine Gestaltung des Schulgeländes, die ein solches Verbergen zuverlässig
ausschließt, was die Beseitigung sämtlicher potenzieller Blickhindernisse erfordern
würde, ist weder für den Schulträger noch für die Schüler und Lehrkräfte zumutbar und
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zum Schutz der Rechtsgüter Dritter nicht geboten.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass zudem auch jeder Anhaltspunkt für die
Annahme fehlt, dass durch eine intensivere Beaufsichtigung der beiden Kinder der
eingetretene Schadensfall vermieden worden wäre. Bei dem Aufnehmen und Werfen
von T handelt es sich um ein Augenblicksgeschehen. Selbst wenn schon das
Aufnehmen des Steines vom Aufsichtspersonal bemerkt worden wäre, ist nicht mit einer
gemäß § 286 ZPO ausreichenden Gewissheit davon auszugehen, dass diese
rechtzeitig darauf hätte reagieren und die Kinder vom Wurf abhalten können bzw. die
Kinder einer etwaigen gegebenen Anweisung, den Wurf zu unterlassen, gefolgt wären.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO ist nicht geboten. Die Entscheidung des
Senats betrifft einen Einzelfall, der keine grundsätzliche Bedeutung hat. Von
Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte oder des Bundesgerichtshofs ist der Senat
nicht abgewichen.
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Die Beschwer der Klägerin liegt unterhalb von 20.000,00 €.
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