Urteil des OLG Hamm vom 13.11.1982

OLG Hamm (sterilisation, ärztliche behandlung, körperliche integrität, genehmigung, gefahr, unfruchtbarmachung, beschwerde, eingriff, gesetz, behandlung)

Oberlandesgericht Hamm, 15 W 151/81
Datum:
13.11.1982
Gericht:
Oberlandesgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 W 151/81
Vorinstanz:
Landgericht Essen, 7 T 201/81
Tenor:
Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
1
A
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Die jetzt 23 Jahre alte Beteiligte zu 2), ... wurde am 30. Juni 1959 von ihrer jetzigen
Vormünderin nichtehelich geboren. Ihr Vater ist ... der die Vaterschaft urkundlich
anerkannt hat. ... lebt seit dem 2. August 1966 im Haushalt ....
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Die Beteiligte zu 2) ist durch Beschluß des Amtsgerichts ... vom 22. Mai 1978 (11 C
173/78) wegen Geistesschwäche entmündigt worden. Der Entmündigung liegt u.a. ein
Gutachten des nervenärztlichen ... zugrunde, wonach bei ... eine Geistesschwäche vom
Grade einer Debilität als Folge einer frühkindlichen Hirnschädigung festgestellt wurde.
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Die Kindesmutter, die am 7. November 1978 zum Vormund ihrer ... bestellt wurde, hat
am 30. Oktober 1980 beim Vormundschaftsgericht beantragt, die Durchführung einer
Tubenunterbindung bei ihrer ... zu genehmigen.
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Zur Begründung dieses Antrages hat sie ein ärztliches Attest des Arztes für
Allgemeinmedizin Dr. med. ... vom 13. Oktober 1980 vorgelegt. Darin heißt es, daß bei ...
ein frühkindlicher Hirnschaden mit Schwachsinn und häufigen epileptischen Anfällen
bestehe und ärztlicherseits eine Sterilisierung für erforderlich gehalten werde, weil ...
sicher nicht in der Lage sei, ein Kind zu erziehen.
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Der Vormundschaftsrichter hat zunächst die Ansicht vertreten, im vorliegenden Falle
seien die Vorschriften des Gesetzes über die freiwillige Kastration und andere
Behandlungsmethoden vom 15. August 1969 (künftig: Kastrationsgesetz) entsprechend
anzuwenden (so auch: LG Berlin, FamRZ 1971, 668 und Henke, NJW 1976, 1773,
1776). Er hat dementsprechend die Einholung eines medizinischen Gutachtens der
Gutachterstelle (§ 5 des Kastrationsgesetzes) beschlossen. Die damit befaßte
Ärztekammer Westfalen-Lippe in Münster hat jedoch die Auffassung vertreten, die
Vorschriften des Kastrationsgesetzes könnten auf Sterilisationen nicht entsprechend
angewandt werden; sie hat deshalb die Erstattung eines Gutachtens abgelehnt.
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Das Amtsgericht hat daraufhin durch Beschluß vom 21. April 1981 den Antrag der
Vormünderin auf Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung zur
Sterilisierung des Mündels zurückgewiesen. Es hat dazu mit ausführlicher Begründung
dargelegt, daß eine Rechtsgrundlage für die beantragte vormundschaftsgerichtliche
Genehmigung weder ausdrücklich im Gesetz normiert sei, noch aus allgemeinen
Rechtsgrundsätzen hergeleitet werden könne.
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Gegen die Entscheidung hat die Vormünderin mit ihrer Eingabe vom 11. Mai 1981
Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat. Eine weitere Eingabe
der Vormünderin hat folgenden Inhalt:
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"Da ich meine Beschwerde näher begründen soll, muß ich sagen, wie kann ein Mädel,
die nichts verdient und nie verdienen wird, sowie morgens sehr oft selbst angezogen
werden muß, Tage nicht ansprechbar ist, epileptische Anfälle bekommt und geistig nicht
mitkommt, wie soll so ein Mädel ein Kind bekommen und erziehen. Sie hat jetzt die
Spirale, muß aber entfernt werden, da sie die Spirale nicht verträgt. Tabletten kommen
nicht in Frage, da sie ihre nicht nimmt. Ich bitte Sie, sagen Sie mir, wie es weitergehen
soll."
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Mit Beschluß vom 5. Juni 1981 hat sich das Landgericht der Rechtsauffassung des
Amtsgerichts in jeder Hinsicht angeschlossen und die Beschwerde der Vormünderin als
unbegründet zurückgewiesen.
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Hiergegen wendet sich die Vormünderin mit ihrer weiteren Beschwerde, die zunächst
am 20. Juli 1981 nicht formgerecht eingelegt, jedoch durch Anwaltsschriftsatz vom 24.
August 1981 näher begründet worden ist.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gründe der
vorinstanzlichen Entscheidungen und auf den sonstigen Akteninhalt verwiesen.
13
B
14
Die nicht fristgebundene weitere Beschwerde der Vormünderin ist - da die Begründung
durch Anwaltsschriftsatz einer formgerechten Neueinlegung gleichkommt - in gehöriger
Weise eingelegt worden und auch sonst zulässig nach §§ 27, 29 FGG. In der Sache
bleibt sie jedoch ohne Erfolg, weil die angefochtene Beschwerdeentscheidung nicht auf
einer Verletzung des Gesetzes beruht, § 27 FGG.
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Das Landgericht, das mit einer ebenfalls zulässigen Erstbeschwerde der Beteiligten zu
1) befaßt war, hat sich in rechtlich nicht zu beanstandener Weise den Erwägungen
angeschlossen, mit denen das Amtsgericht die Zurückweisung des Antrages der
Vormünderin im einzelnen begründet hat.
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Die Sterilisation einer Frau - d.h. die Ausschließung der Empfängnisfähigkeit durch
Unterbindung der Eileiter (Tubenligatur) - stellt (unbeschadet ihrer strafrechtlichen
Beurteilung, vgl. BGHSt 20, 81; Schönke/Schröder/Eser, StGB, 21. Aufl., § 223 Rnr. 59
bis 62, m.w.N.) einen Eingriff in die körperliche Integrität und damit zivilrechtlich
tatbestandsmäßig eine Körperverletzung im Sinne von § 823 BGB dar, für deren
Rechtmäßigkeit es auf einen besonderen Rechtfertigungsgrund ankommt (BGH NJW
1976, 1790 m.w.N.). Als Rechtsfertigungsgrund kommt insbesondere eine wirksame
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Einwilligung des Betroffenen in Frage (BGH NJW 1976, 1790). Bei der Einwilligung zu
einem Eingriff in die körperliche Integrität handelt es sich nicht um eine Einwilligung im
Sinne des § 183 BGB, nicht um die Zustimmung zu einem Rechtsgeschäft, also nicht
um eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, sondern um die Gestattung oder
Ermächtigung zur Vornahme tatsächlicher Handlungen, die in den Rechtskreis des
Gestattenden eingreifen (BGHZ 29, 33, 36 m.w.N.). Die Vorschriften der §§ 107 ff BGB,
die rechtsgeschäftliche Willenserklärungen betreffen, sind daher auf die Einwilligung zu
einem ärztlichen Eingriff nicht unmittelbar anzuwenden. Es kommt deshalb weder auf
die Volljährigkeit noch auf die zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit, sondern darauf an, ob
der Betroffene die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzt, d.h. ob er nach
seiner geistigen und sittlichen Reife aufgrund einer entsprechenden Risiko- und
Folgenaufklärung die Bedeutung und tragweite des körperlichen Eingriffs - hier der
Sterilisation - hinreichend zu erkennen und seinen Willen danach zu bestimmen vermag
(BGHZ 29, 36; Schönke/Schröder/Eser, a.a.O., m.w.N.).
Im vorliegenden Falle ergibt sich somit - wie das Amtsgericht zutreffend dargelegt hat -
aus der durch die Entmündigung wegen Geistesschwäche gemäß § 114 BGB folgenden
beschränkten Geschäftsfähigkeit der Beteiligten zu 2) unmittelbar noch nichts für die
Frage, ob letztere in die Sterilisation wirksam einwilligen kann oder nicht. Es ist Sache
des behandelnden Arztes zu überprüfen, ob die Beteiligte zu 2) bei entsprechender
Aufklärung über das Risiko und die Folgen einer Sterilisation - insbesondere auch im
Hinblick auf die möglichen psychischen Auswirkungen und auf die Tatsache, daß sich
eine Unfruchtbarmachung nur in relativ wenigen Fällen wieder rückgängig machen läßt
- die Bedeutung und Tragweite dieses körperlichen Eingriffs hinreichend abzuschätzen
und ihren Willen danach zu bestimmen vermag. Kommt der Arzt dabei zu dem Ergebnis,
daß die erforderliche volle natürliche Einsichtsfähigkeit vorliegt, so kann die Beteiligte
zu 2) selbst wirksam in die Sterilisation einwilligen. Für eine vormundschaftsgerichtliche
Genehmigung ist dann kein Raum.
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Allerdings mag manches dafür sprechen, daß die Beteiligte zu 2) wegen eines
frühkindlichen Hirnschadens mit Schwachsinn vom Grade einer Debilität die
erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit nicht besitzt.
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Ob es in einem solchen Falle ergänzend der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters
zur Sterilisation und zusätzlich der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung dazu
bedarf oder nicht, und ob der Mündel zumindest nach seinem natürlichen Willen mit dem
Eingriff einverstanden sein muß, darüber gehen die Meinungen in Rechtsprechung und
Schrifttum weit auseinander (vgl. etwa Schönke/Schröder/Eser, a.a.O.; Henke, a.a.O.;
Röhmel, JA 1977, 183, 184 ff; LG Berlin, LG Zweibrücken, MDR 1979, 758; LG
Düsseldorf FamRZ 1981, 95 und AG Kaiserslautern, MDR 1981, 229).
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Eine gesetzliche Regelung hat diese Problematik bisher nicht gefunden. Sie war zwar
vorgesehen im Regierungsentwurf eines Fünften Gesetzes zur Reform des Strafrechts
(BT-Dr. VI/3434 sowie 7/1981 und 7/1982), betreffend den Schwangerschaftsabbruch
und die freiwillige Sterilisation. Der Entwurf sah vor, die freiwillige Sterilisation von
Personen, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, strafrechtlich freizugeben und sie für
Personen unter 25 Jahren an Beschränkungen (entweder medizinische oder genetische
Indikation oder Vorhandensein von 4 Kindern, außerdem Beratung durch eine
Beraterstelle) zu knüpfen. Der Entwurf ist aber seinerzeit zurückgestellt worden und
bisher nicht Gesetz geworden.
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Das Landgericht Berlin hat (a.a.O.) die Auffassung vertreten, die Sterilisation einer
geistesschwachen Frau zur Verhütung weiterer Schwangerschaften sei auch gegen
ihren Willen zulässig, und der Wirkungskreis des Gebrechlichkeitspflegers "Zustimmung
zur Heilbehandlung" umfasse auch das Recht, einer Sterilisation zuzustimmen. Es hat
in der entsprechenden Anwendung des § 4 Abs. 2 in Verbindung mit § 6 des
Kastrationsgesetzes die Rechtsgrundlage für eine unter bestimmten Voraussetzungen
zu erteilende vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Zustimmung des Pflegers
gesehen. Das Landgericht Zweibrücken hat (a.a.O.) gleichfalls eine entsprechende
Anwendung des Kastrationsgesetzes - allerdings des §3 (in Verbindung mit § 6) - als
zulässig erachtet, um unter bestimmten Voraussetzungen die Einwilligung eines
Pflegers in die Sterilisation einer Frau vormundschaftsgerichtlich zu genehmigen, wenn
die Sterilisation aus medizinischen oder eugenischen Gründen vorgenommen werden
soll, die Frau aber nicht fähig ist, die Bedeutung des Eingriffs voll einzusehen und ihren
Willen hiernach zu bestimmen.
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Demgegenüber vertritt das Landgericht Düsseldorf (a.a.O.) die Ansicht, der
medizinische Eingriff der Sterilisation sei im gegenwärtigen Recht nicht von der
Erteilung einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung abhängig. Es hat zur
Begründung u.a. ausgeführt: Zunächst lasse sich die Notwendigkeit einer
vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nicht aus dem Kastrationsgesetz herleiten.
Während dessen §§ 1 bis 3 die Kastration, d.h. die Unfruchtbarmachung des Mannes,
zum Gegenstand hätten, befasse sich die Vorschrift des § 4 ("andere
Behandlungsmethoden") auch mit der Behandlung einer Frau. Dabei dürfe es sich
allerdings nur um eine gegen die Auswirkungen eines abnormen Geschlechtstriebes
gerichtete ärztliche Behandlung einer Frau handeln, mit der nicht beabsichtigt sei, die
Keimdrüsen dauernd funktionsunfähig zu machen, die aber eine solche Folge haben
könne (§ 4 Abs. 1 Satz 1 des Kastrationsgesetzes). Demgemäß stelle die Sterilisation
einer Frau, mit der ihre dauernde Unfruchtbarmachung gerade beabsichtigt sei, keine
"andere Behandlungsmethode" dar; unter diesem Begriff seien z.B. insbesondere
medikamentöse Behandlungen zu verstehen. Darüber hinaus scheide aber auch eine
analoge Anwendung der Vorschriften des Kastrationsgesetzes aus. Denn eine Analogie
liefe dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers zuwider, die Sterilisation der Frau in
einem besonderen Gesetz zu regeln. Während die beabsichtigte Unfruchtbarmachung
des Mannes durch das Gesetz vom 15. August 1969 geregelt worden sei, lägen zur
Frage der Sterilisation bisher lediglich Entwürfe und Gesetzesvorschläge vor. Wenn der
Gesetzgeber die Voraussetzungen für die Durchführung des medizinischen Eingriffs der
Sterilisation so wie bei der Kastration hätte regeln wollen, so hätte er dies im
Kastrationsgesetz zum Ausdruck gebracht. Es könne nicht Sache der Rechtsprechung
sein, den andersartigen Vorstellungen des Gesetzgebers im Bereich der Sterilisation
durch eine analoge Anwendung des Kastrationsgesetzes entgegenzuwirken.
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Dieser Auffassung, der sich beide Vorinstanzen angeschlossen haben, stimmt auch der
Senat zu. Die eng begrenzte Zweckrichtung des Kastrationsgesetzes - auch in § 4 -, die
Auswirkungen eines abnormen Geschlechtstriebes eines Mannes oder einer Frau durch
ärztliche Behandlung zu beheben oder zu vermindern, läßt eine Ausdehnung im Wege
der Analogie auf körperliche Eingriffe zu ganz anderen Zwecken, insbesondere zur
beabsichtigten Unfruchtbarmachung, nicht als zulässig erscheinen.
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Dies gilt um so mehr, als in der Rechtsprechung und im Schrifttum mit beachtlichen
Gründen die Ansicht vertreten wird, ein so "höchstpersönlicher Eingriff" wie die
Unfruchtbarmachung dürfe einem Menschen niemals ohne oder gar gegen seinen
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natürlichen Willen aufgezwungen werden, es sei denn, daß die Sterilisation zur Abwehr
einer lebensbedrohlichen Gefahr geboten erscheine; weitergehende Zwangseingriffe
müßten dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben (so z.B. LG Düsseldorf und
Schönke/Schröder/Eser, jeweils a.a./.). Selbst nach dem schon erwähnten
Gesetzentwurf zur Regelung der Sterilisation sollten derartige weitergehende
Zwangseingriffe nicht erlaubt sein, sondern die Unfruchtbarmachung ohne oder gar
gegen den natürlichen Willen der betroffenen Frau nur zugelassen werden, wenn die
Behandlung notwendig ist, um von der Frau eine anders nicht abwendbare Gefahr des
Todes "oder des völligen Verfalls ihrer Gesundheit" abzuwenden. Die amtliche
Begründung führt hierzu u.a. aus:
"Aus der ärztlichen und gerichtlichen Praxis sowie der Sozialarbeit ist der Wunsch nach
einer Vorschrift laut geworden, die die Sterilisation schwachsinniger Frauen auch dann
zuläßt, wenn die strafrechtliche Einwilligungsfähigkeit infolge des Schwachsinns
ausgeschlossen ist. Schwachsinnige Frauen werden nicht selten von Fremden
geschwängert; es gibt eindrucksvolle Berichte über die Probleme, die sich in solchen
Fällen für die Schwangere, ihrer Angehörigen und das aus der Schwangerschaft
hervorgehende Kind stellen. Das Kind ist meist auf Heimerziehung angewiesen;
vielfach ist es aufgrund Erbschadens in seiner psychischen Gesundheit geschädigt ...
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Unter Umständen kann die Zulässigkeit der Sterilisation Einwilligungsunfähiger auch
Schwierigkeiten bereiten, wenn zwei psychisch schwer geschädigte Patienten
verschiedenen Geschlechts den Wunsch bekunden, zusammen zu leben: Für den
Vormund der Frau und den Anstaltsleiter stellt sich dann die Frage, ob diese an sich
positiv bewertete Beziehung nicht deswegen gelöst werden muß, weil sie die Gefahr
einer schwer geschädigten Nachkommenschaft begründet.
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Der Entwurf untersagt trotzdem die Sterilisation Einwilligungsunfähiger in allen Fällen,
in denen die Gesundheitsgefahr nicht die Voraussetzungen des § 226 b Abs. 4 Nr. 1
(nämlich Gefahr des Todes oder des völligen Gesundheitsverfalls) erfüllt. ... Zwar
besteht ein Unterschied zwischen der gegen den Willen des Betroffenen durchgeführten
Zwangssterilisation und der Sterilisation eines Einwilligungsunfähigen. Beiden Fällen
gemeinsam ist aber der Umstand, daß die Sterilisation nicht auf dem freien Willen des
Betroffenen, sondern auf fremdem Entschluß beruht. ... In der Bundesrepublik besteht
jedoch angesichts der Erinnerung an die nationalsozialistische Herrschaft eine
besondere, mit den Verhältnissen in anderen Ländern nicht vergleichbare Situation. Es
kann auch nicht verkannt werden, daß eine Zulassung der Sterilisation
Einwilligungsunfähiger die Gefahr des Mißbrauchs begründet. ... Gegen eine Zulassung
der Sterilisation Einwilligungsunfähiger spricht schließlich auch die Erwägung, daß
hinsichtlich des Schwachsinns zur Zeit neue Methoden der ärztlichen Behandlung
entwickelt werden, die möglicherweise manchen Patienten die heute noch fehlende
Einwilligungsfähigkeit zurückgeben oder neu verschaffen können. Es empfiehlt sich
nicht, in einer solchen Zeit des Übergangs die Sterilisation Schwachsinniger in
größerem Umfang zuzulassen. ...
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Nach § 3 Abs. 3 des Kastrationsgesetzes ist für Zustände, die zwischen voller und
fehlender Einwilligungsfähigkeit liegen, eine Sonderregelung vorgesehen. Sie eignet
sich nicht dazu, für die Sterilisation übernommen zu werden. Das besondere Interesse,
das Betroffener und Gesellschaft an der Kastration haben müssen, besteht im Falle des
§ 226 b nicht. Um so schwerer wiegt dann das Argument, daß jeder, der nicht über die
volle Einwilligungsfähigkeit verfügt, fremden Einflüssen ausgeliefert ist. Mag eine
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derartige Einflußnahme auch das Wohl des Betroffenen anstreben: Sie stellt jedenfalls
die Selbstbestimmung dessen, der unter einem solchen Einfluß mit einer Sterilisation
einverstanden ist, in Frage ..."
Diese Erwägungen haben zwar, da der Entwurf nicht Gesetz geworden ist, bisher
keinen Niederschlag im geltenden Recht gefunden. Sie lassen es aber geboten
erscheinen, große Zurückhaltung sowohl hinsichtlich einer analogen Anwendung des
Kastrationsgesetzes als auch bei der Heranziehung allgemeiner Rechtsgrundsätze als
Grundlage für die hier in Rede stehende vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zu
üben.
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Ob diese Genehmigung zu erteilen wäre, wenn die Sterilisation der Beteiligten zu 2) zur
Abwendung einer lebensbedrohlichen Gefahr erforderlich wäre, bedarf keiner
Entscheidung. Denn für eine derartige Gefahr bietet der Sachverhalt, wie er sich nach
dem Akteninhalt darstellte, keinen Anhaltspunkt.
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Ohne Rechtsfehler haben die Vorinstanzen des weiteren - ebenso wie das LG
Düsseldorf (a.a.O.) - angenommen, auch die Vorschriften über das Personensorgerecht
des Vormundes (§ 1793 in Verbindung mit § 1631 BGB) stellten keine geeigneten
Rechtsgrundlage für die hier beantragte vormundschaftsgerichtliche Genehmigung dar.
Allerdings kann das Vormundschaftsgericht nach § 1631 Abs. 3 die Eltern (oder den
Vormund) auf Antrag bei der Ausübung der Personensorge in geeigneten Fälle
unterstützen. Die Unterstützung ist aber im wesentlichen für Maßnahmen im Rahmen
der Erziehung, Beaufsichtigung und Aufenthaltsbestimmung gedacht (vgl. dazu
MüKo/Hinz, BGB, § 1631, Rnr. 30, 31 sowie Ergänzungsband Rnr. 22 ff, m.w.N.). In
diesen Bereich fällt die Zustimmung zu einer medizinischen Behandlung nicht; sie
gehört vielmehr zur "Pflege" des Kindes bzw. Mündels, die als Bestandteil der
Personensorge in § 1631 Abs. 1 BGB besonders genannt ist und die körperliche
Betreuung betrifft (Palandt/Diederichsen, BGB, 40. Aufl., § 1631 Anm. 2 am Ende). Ob
eine vormundschaftsgerichtliche Unterstützungsmaßnahme nach § 1631 Abs. 3 BGB im
Bereich der körperlichen Betreuung (Pflege) überhaupt in Betracht kommt, kann schon
zweifelhaft erscheinen. Jedenfalls würde eine vormundschaftsgerichtliche
Genehmigung der Zustimmung des Vormundes zur Sterilisation des Mündels nach
Ansicht des Senats den Rahmen bloßer Unterstützungsmaßnahmen im Sinne des §
1631 Abs. 3 BGB überschreiten, zumal das Gesetz auch sonst für
vormundschaftsgerichtliche Genehmigungen ausdrückliche Normen aufstellt, z.B. in §
1631 b für eine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung des Kindes oder
Mündels und in den §§ 3, 4 und 6 des Kastrationsgesetzes für eine Kastration oder eine
"andere Behandlungsmethode".
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Für die von der Vormünderin begehrte vormundschaftsgerichtliche Genehmigung läßt
sich auch sonst keine rechtliche Grundlage finden, wie das Amts- und das Landgericht
zutreffend angenommen haben.
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Die Rechtsprechung ist - zumindest in den Fällen, in denen keine lebensbedrohliche
Gefahr abgewendet werden muß- nicht berufen, dem Gesetzgeber vorzugreifen in der
äußerst umstrittenen Frage, unter welchen Voraussetzungen bei einer nicht voll
einsichtsfähigen, unter Vormundschaft stehenden Frau eine Sterilisation ohne oder gar
gegen ihren natürlichen Willen zulässig sein soll. Der von Henke (a.a.O., S. 1775)
bereits 1976 geäußerten Bemerkung, daß ein Nichteinschreiten des Gesetzgebers nicht
länger vertretbar erscheine, kann der Senat nur beipflichten. Der Gesetzgeber ist
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aufgefordert, den unbefriedigenden Rechtszustand durch Verabschiedung eines
entsprechenden Gesetzes möglichst bald zu regeln.
Da die angefochtene Beschwerdeentscheidung auch sonst, insbesondere hinsichtlich
des vom Landgericht eingehaltenen Verfahrens, nicht auf einer Gesetzesverletzung
beruht, mußte die weitere Beschwerde zurückgewiesen werden.
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Zu einer Kostenerstattungsanordnung nach § 13 a Abs. 1 Satz 2 FGG bestand keine
Veranlassung, zumal die Beteiligten zu 1) und 2) im vorliegenden Verfahren keine
einander widerstreitenden Interessen verfolgt haben.
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